Leichte Sprache in Corona-Zeiten: „Regeln müssen verstanden werden“
Informationen über Corona zugänglich machen für jede*n: Das ist derzeit eine Aufgabe der Hildesheimer Forschungsstelle Leichte Sprache.
taz: Frau Maaß, Frau Rink, haben Sie gerade mehr zu tun wegen Corona?
Christiane Maaß: Wir haben gleich viel zu tun. Es sind aber andere Aufträge, die sich nach vorne schieben.
Was genau kommt da so alles auf Ihren Tisch?
Isabel Rink: Es ist das ganz breite Spektrum. Einerseits das, was alle wissen müssen: Wie kann ich eine Ansteckung vermeiden? Wo kommt jetzt mein Gehalt her? Die wichtigsten FAQ, sozusagen. Aber gerade für die Personen, die bisher noch nicht recht mitgenommen wurden aufgrund ihrer Kommunikationsbeeinträchtigung: Wenn ich eine Verdolmetschung brauche – wie mache ich das mit Zoom? Also die Bedienung von Videotelefonie.
Maaß: Es sind ja gesellschaftliche Regeln neu hinzugekommen: Man kann jetzt bestraft werden für Dinge, die vor kurzem noch erlaubt waren. Und dass so etwas kommuniziert wird, ist natürlich wichtig – auch in sprachlichen Formen, die schnell verstanden werden.
Es gibt Leichte Sprache und Einfache Sprache – was ist der Unterschied?
Maaß: Beide Varianten sind gegenüber dem Standard deutlich verständlicher. Einfache Sprache ist näher dran an diesem Standard, Leichte Sprache ist maximal verständlich: Das sind Texte, die sich auch an Menschen mit Kommunikationsbehinderungen richten. Wenn wir dagegen eine Kommunikation zwischen Experten und Laien haben, wo sich also Fachleute an Nichtfachleute wenden, dann versuchen sie einfache Sätze zu nutzen, Nominalphrasen zu vermeiden, Fachwörter einzuführen und zu erläutern – da sind wir im Bereich der Einfachen Sprache. Die ist aber für Menschen mit Kommunikationseinschränkung meist noch nicht leicht genug zu verstehen; das reicht nicht, wenn es barrierefrei sein soll.
In wessen Auftrag handeln Sie – oder tun Sie das auch auf eigene Initiative?
Rink: Sowohl als auch. Beauftragt werden wir etwa vom Wort & Bild Verlag, der die Apotheken Umschau herausgibt.
Die gibt an, sie biete, „als erstes deutschsprachiges Gesundheitsportal Informationen rund um die Gesundheit in Einfacher Sprache“ online an.
Rink: Es gibt aber auch die Task Force Barrierefreie Kommunikation und Corona: Das ist ein Verbund von Dolmetschenden und Übersetzenden, die zunächst ehrenamtlich tätig sind, weil die Not gerade sehr groß ist. Denn es birgt ja konkrete Risiken, wenn wir bestimmte Menschen nicht erreichen – was die Politik gerade nicht macht, weil sie es nicht auf dem Schirm hat. Die Task Force nimmt also eine Mittlerposition ein: einerseits hin zu den Menschen, die barrierefreie Kommunikation brauchen; andererseits hin zum Robert-Koch-Institut, hin zu den Bundesministerien.
Stichwort Nicht-auf-dem-Schirm-haben: Kommen die, für die Sie Ihre Arbeit machen, nicht besonders leicht unter die Räder?
Maaß: Wir sprechen von Menschen, die, wenn sie die Informationen nicht bekommen, sehr konkret in Gefahr geraten und alle anderen um sie herum ebenso. Das ist von einer ganz anderen Dramatik, als wenn es, sagen wir: „nur“ um eine Wahl geht. Natürlich wollen die Menschen auch politisch partizipieren können – aber ihre Gesundheit zu schützen, ist gerade ein ganz grundlegendes Interesse. Darin müssen wir sie unterstützen. Die Durchschnittsbevölkerung kann, wo nötig, nachfragen. Aber die Menschen, um die es in unserer Arbeit geht, können sich nicht einfach ein bisschen mehr anstrengen, um etwas doch noch zu verstehen. Wir müssen einen großen Schritt auf sie zugehen.
Und manches der Textproduktion im Zusammenhang mit Corona überfordert ja auch Menschen ohne besonderen Bedarf – die niedersächsische Allgemeinverfügung wurde schon als wirr bezeichnet …
Maaß: Wenn wir diesen Gedanken einen Schritt weitertragen, heißt das doch: Wenn solche Informationen in klarer Form zur Verfügung stehen, werden sie auch nachgefragt; auch von Menschen, die nicht zur primären Zielgruppe gehören. Weil sie Dinge gut auf den Punkt bringen.
Wissen Sie, wer die Früchte Ihrer Arbeit in Anspruch nimmt?
Maaß: Wir haben mal mit dem niedersächsischen Justizministerium zusammengearbeitet, da ging es um verständlichere Rechtskommunikation, unter anderem im Erbrecht. Ein Ergebnis war eine Broschüre in Leichter Sprache – die ist zehntausendfach rausgegangen, und mehrfach wieder aufgelegt worden. Daraus schließen wir, dass viele Menschen sehr froh waren, diese Materie mal verständlich dargestellt zu bekommen.
Erfahren Sie in diesen Zeiten mehr Unterstützung der Politik?
Rink: Wir waren unlängst im Bundesgesundheitsministerium, und das weitet gerade seinen Blick; man hat verstärkt auf dem Schirm, dass es im Bereich Gesundheitskompetenz großen Bedarf gibt. Dazu wurde ein Aktionsplan herausgebracht mit 15 Empfehlungen. Eine davon war die verständliche Aufbereitung von Gesundheitsinformationen.
Maaß: Es brauchte aber nicht erst Corona, um bei dem Thema etwas zu bewegen. Wir haben vorher schon bemerkt: Das Interesse am Bereich Health Literacy – Gesundheitskompetenz – wächst. Weil man bestimmte Probleme nicht in den Griff bekommt, wenn man nicht verständlich kommuniziert.
Rink: Es geht im Kern um vermeidbares Leid und vermeidbare Kosten. Das sind die beiden Schlagworte, warum man sich damit befassen muss.
Gelegentlich wird geradezu hämisch gesprochen über die Leichte Sprache.
Maaß: Es ist eine komplexe Lage. Leichte Sprache macht Inhalte verständlich. Aber es gibt auch Texte in Leichter Sprache, die dazu beitragen, dass man negativ über sie urteilt. Die sehr kindlich und in dem Sinne auch asymmetrisch angelegt sind, dass sie die andere Seite in ein Stigma reinschieben: „Kann nicht lesen, braucht solche Texte.“ Leichte-Sprache-Produzenten müssen darauf schauen, dass ihre Texte akzeptabel sind. Andererseits ist Leichte Sprache ein Symbol: Dafür dass bestimmte Gruppen anerkannt werden; und dafür muss man sie dann auch erkennen. Wir stecken in einer Zwickmühle.
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