Physiker über Corona-Ausbreitung: „Wir brauchen Datenspenden“
Um die Ausbreitung von Covid-19 besser zu erforschen, ist die freiwillige Herausgabe von genaueren Daten erforderlich, sagt Dirk Brockmann.
taz: Herr Brockmann, dank Corona besitzen Sie einen Schatz: Nämlich digitale Daten aus der Bevölkerung. Mit welchen Informationen arbeiten Sie?
Dirk Brockmann: Von der Telekomtochter Motionlogic bekommen wir aggregierte Handydaten. Das heißt, wir erhalten anonymisierte Daten über Mobilitätsströme aus rund 280 Landkreisen bundesweit. Diese werten wir aus und geben sie dann an Experten, zum Beispiel an Epidemiologen innerhalb des Robert-Koch-Instituts, weiter. Derzeit stehen uns Daten aus dem letzten Quartal 2019 sowie vom März 2020 zur Verfügung. Sie stehen für eine Art Stichprobe aus der Bevölkerung.
Wie genau sind diese Informationen?
Unsere Daten beziehen sich auf Verkehrs- und Bewegungsströme. Wir können sehen, wie viele Personen sich zwischen einzelnen Stadtbereichen bewegen. Aber wir sehen nicht, wie sich einzelne Menschen bewegen – also im Auto, per Bahn oder zu Fuß. Wir wissen nichts über die Person, auch nicht, wann sie unterwegs ist, da wir keine individuellen Daten über sie haben. Die Analogie dazu wäre: Wir stellen uns auf eine Autobahnbrücke und zählen Autos.
Wie stellen Sie sicher, dass diese Daten nicht in falsche Hände geraten?
Für uns alle ist Datenautonomie und Datensouveränität enorm wichtig. Wir haben uns die Infrastruktur geschaffen, damit niemand Unbefugtes an diese Informationen kommt.
Welche Schlüsse ziehen Sie aus den Daten?
Anhand der Mobilität können wir erkennen, ob Maßnahmen greifen. Also ob die Rede von Bundeskanzlerin Merkel tatsächlich einen Effekt auf das Bewegungsverhalten der Bevölkerung hat. Außerdem können wir Prognosen anstellen, wie sehr sich die Ausbreitung des Virus eindämmen lässt, wenn wir Mobilität einschränken.
Schulen und Kitas sind zu, bundesweit gilt eine Kontaktsperre. Beobachten Sie Veränderungen im Mobilitätsverhalten der Bevölkerung?
Vor allem für längere Distanzen hat dies einen Einfluss. Die Menschen reisen nicht mehr so viel. Auf kurzen Distanzen ist der Rückgang eher gering.
In Südkorea, Israel oder China werden im Kampf gegen Covid-19 personalisierte Daten erhoben. Hätten Sie auch gern solche Möglichkeiten?
Da bekomme ich Gänsehaut, wenn Menschen eine SMS bekommen, die ihnen sagt, du darfst nicht raus, weil du infiziert bist. Das ist Big Brother pur. Aber die Auswertung digitaler Daten ist ja per se nicht schlecht oder verkehrt. In Dänemark stellen die Menschen ihre Daten freiwillig zur Verfügung. Es wird genau erklärt, wofür sie verwendet werden und welche Erkenntnisse die Forschung sich davon verspricht.
Wünschen Sie sich also dänische Verhältnisse hier in Deutschland?
Ich hätte gerne eine Infrastruktur, über die Menschen autonom Daten spenden können. Natürlich freiwillig. Dabei wäre es egal, ob es sich um Tracking per App oder um Bewegungsdaten handelt. Aus wissenschaftlicher Sicht ist es gut, wenn man schneller an Gesundheitsdaten kommt. Datensicherheit ist ein heikles Thema und jeder muss selbst die Hoheit über seine Daten behalten.
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