Polizist agiert in eigener Sache: Verdächtiger Polizeieinsatz
Auto zugeparkt: Ein Fahrzeughalter nimmt die Sache selbst in die Hand. Das kann er, weil er Polizist ist. Er darf das aber nicht – eigentlich.
An einem Sonntagvormittag Anfang Februar stehen zwei Polizisten, ein Beamter und eine Beamtin, vor der Wohnungstür von Anja Arnold (Name geändert). Es geht um ihr Auto, in der Nacht geparkt auf einer nahen Brücke. Konkretes vorzuwerfen hat man der 32-jährigen Ägyptologin nicht, aber an dem Sonntagvormittag nimmt eine Geschichte ihren Lauf, die absurder nicht sein könnte.
Die Polizeipressestelle beschreibt das Kerngeschehen auf Nachfrage der taz so: Am Sonntag, den 2. Februar 2020, in den Vormittagsstunden hätten zwei Beamte einer Funkstreife eine Fahrzeughalterin in deren Wohnung in der Schöneberger Hochkirchstraße aufgesucht. Der Grund: Verdacht einer Ordnungswidrigkeit. Das Fahrzeug der Frau sei auf der nahe gelegenen Monumentenbrücke so abgestellt gewesen, dass das dahinterstehende Fahrzeug „behindert“ worden sei.
Der Beamte und die Beamtin gehörten zum Kreuzberger Abschnitt 53. Sie hätten die Fahrzeughalterin „gebeten“, ihr Auto wegzufahren, um die Behinderung abzustellen. Das sei dann geschehen. „Das Gespräch war sachlich und höflich“, so die Auskunft der Pressestelle, die sich auf die Angaben der eingesetzten Kolleg:innen beruft.
Anja Arnold dagegen erzählt es so: Gegen 10.20 Uhr klingelte es. Ihr Mann öffnete die Tür. Davor zwei Polizisten, ein Mann und eine Frau. „Er so Mitte 40, sie vielleicht Ende 20.“ Ihr Mann habe sie geweckt, sie sei an dem Abend spät heimgekommen von einem Spieleabend mit Freunden. Mit der schlafenden sechsjährigen Tochter auf dem Beifahrersitz war sie in der Nacht im Viertel herumgekurvt auf der Suche nach einem Parkplatz, habe schließlich einen genommen, an dem sie erst vorbeigefahren war. Ein regulärer Parkplatz, aber direkt vor einem Pkw mit halb abgerissenem Nummernschild, das schon seit einigen Tagen so versehrt dastand.
Einzuhaltender Mindestabstand!?
„Haben Sie gestern Ihr Auto geparkt?“, habe nun der Polizist an der Tür gefragt. „Ist Ihnen da nichts aufgefallen?“ Arnold dachte sofort an das Nummernschild und dass sie ihr das nun vielleicht anhängen wollten, mitsamt Fahrerflucht. Sie dachte an den Führerschein, den sie dringend braucht, weil sie die kranke Oma 400 Kilometer entfernt pflegt. „Aber das Auto steht schon seit einigen Tagen so da!“ – „Ja, das wissen wir“, habe der Polizist gesagt. Arnold war erleichtert, vorerst.
Sie habe aber den Mindestabstand nicht eingehalten, so der Polizist. Es gibt keinen einzuhaltenden Mindestabstand zu anderen parkenden Autos, meint sich Arnold zu erinnern. Aber dieser Polizist, der da gewartet habe, mit der Hand an seiner Waffe, habe sie verunsichert. „Muss ich jetzt umparken?“ – Der Polizist habe in die Hände geklatscht, „Mitkommen!“ Arnold habe sich Mantel und Kopftuch übergeworfen, die Tasche mit Papieren und Autoschlüssel geschnappt.
„So wie Sie hier stehen, müssen sie gegen das Auto gefahren sein“, habe der Polizist behauptet, als sie alle drei neben den Fahrzeug mit dem kaputten Nummernschild standen. Arnold habe nicht verstanden, was er von ihr wollte. Er wusste doch, dass sie das nicht war. Der Polizist sei laut geworden: „Wenn Sie so parken, was ist das dann?“ Arnold verstand immer noch nicht … „Eine Unverschämtheit ist das“, habe der Polizist geschrien. Er wolle jetzt sehen, wie sie hier ausparke. Die Polizistin habe stumm danebengestanden. „Mir war da schon klar, dass irgendwas gehörig schief lief“, sagt Arnold später. Aber sie habe in dem Moment einfach getan, was der Polizist wollte, um schnell rauszukommen aus der Situation.
Was Arnold die ganze Zeit nicht weiß: Das Fahrzeug mit dem defekten Nummernschild gehört ebenjenem Polizisten, der vor Ort das Kommando führt. Die Polizeipressestelle bestätigt das auf taz-Nachfrage. Scheibchenweise kommt es heraus: Zunächst ist von dem Privat-Pkw „eines Polizeibeamten“ die Rede. Der habe an dem Sonntagmorgen mit dem Rad zum Dienst fahren müssen, weil ein Fahrzeug so dicht an seinem stand. Nach nochmaliger Rückfrage beim Abschnitt 53 bestätigt der Polizeisprecher dann: Ja, der an dem Einsatz beteiligte Beamte war der zum Dienst geradelte Autoeigentümer. Die Verhandlungen mit der Fahrzeughalterin habe aber „überwiegend seine Kollegin geführt“, so der Pressesprecher.
Es wird noch absurder
Tatsächlich ist es Amtsträgern gemäß beamtenrechtlicher Vorschriften untersagt, in eigener Sache tätig werden. Das heißt: Der Beamte hätte weder eine Halterabfrage veranlassen dürfen, noch hätte er die Halterin aufsuchen dürfen. Selbst, wenn er bei dem Einsatz nur stumm daneben gestanden hätte – er hätte gegen die Vorschriften verstoßen.
Aber es wird noch absurder. Den Fortgang der Geschichte schildert Anja Arnold so: Trotz zitternder Hände sei sie in mehreren Zügen aus der engen Lücke rangiert. „Da sind sie doch schon wieder dagegen gefahren“, habe der Polizist behauptet. Und, als ihn seine Kollegin überrascht angesehen habe, ein „fast“ hinzugefügt. Arnold habe nun halb auf dem Radweg gestanden.
„Was gedenken Sie nun zu tun?“, habe der Polizist gefragt. Sie sollte wohl wegfahren, weil sie ja auf dem Radweg steht, habe Arnold ihm erwidert. „Sie wollen jetzt also wegfahren?“ Wieder habe der Polizist die Hand an die Waffe gelegt, schließlich auf das Nummernschild gezeigt: „Das müssen Sie jetzt festschrauben.“ Sie könne doch nicht das Nummernschild an einem fremden Auto reparieren, das sie gar nicht beschädigt habe, so Arnold.
„Hinknien“, habe der Polizist daraufhin geschrien. „Sie machen das jetzt fest.“ Und dann, erzählt Arnold weiter, habe sie sich tatsächlich hingekniet, mit bloßen Händen versucht, die letzte verbliebene Schraube an dem Nummernschild zu lösen, um es neu zu befestigen. Als das nicht ging, habe sie der Beamte veranlasst, einen Schraubenzieher aus ihrem Auto zu holen. In einer quälend langen Prozedur habe sie das fremde Nummernschild schließlich befestigt. „Ich habe wie wild gezittert.“
Und noch einmal, aber lauter
Doch auch danach sei der Polizist nicht zufrieden gewesen. „Was sagen Sie jetzt dazu?“ Wieder wusste Arnold nicht, was sie antworten soll. „Gucken Sie mich an, wenn ich mit Ihnen rede“, habe der Polizist geschrien. Und sie schließlich nachsprechen lassen: „Ich habe einen Fehler gemacht, es tut mir leid, ich mache es nie wieder“. Und noch einmal, im ganzen Satz. Und noch einmal, aber lauter. „Es geht doch.“
Dann seien er und seine Kollegin unvermittelt in den Streifenwagen gestiegen und weggefahren. „Einen schönen Tag noch“, habe die Polizistin gesagt. Es seien die einzigen Worte, die sie während des ganzen Einsatzes gesprochen habe. Als Arnold schließlich, gegen 12 Uhr, wieder nach Hause kam, sei sie kreidebleich gewesen. „Was ist dir denn passiert“, habe ihr Mann gefragt.
Die Polizeipressestelle bestätigt auf Nachfrage: Ja, das Nummernschild des Kollegen „hing wohl runter“. Die Frau sei beim Ausparken „wohl noch mal dagegen gekommen“. Der Pkw des Beamten sei aber schon etwas älter, ein Schaden scheine nicht entstanden zu sein. Der Kollege habe weder eine Unfallanzeige noch eine Ordnungswidrigkeitenanzeige wegen einer Verkehrsbehinderung erstattet. Das Thema sei aus seiner Sicht erledigt. „Das Gespräch war sachlich und höflich.“
Tatverdacht einer Nötigung?
Die Schilderungen Arnolds legen dagegen den Tatverdacht einer Nötigung nahe. Ein Polizist, der eine Autoreparatur und unterwürfiges Verhalten als Gegenzug für den Verzicht auf eine Anzeige verlangt – das könnte außerdem auf einen Bestechlichkeitsvorsatz schließen lassen.
Arnold hat inzwischen mit Unterstützung der Beratungsstelle Reachout Strafanzeige gestellt, in ihrem Kiez sucht sie nach Zeug:innen des Vorfalls. Den Autofahrer im weißen Pkw und die Frau mit dem Kinderwagen zum Beispiel, die zufällig vorbeigekommen und die Polizist:innen angesprochen hätten. Ein Mann, der das kaputte Nummernschild schon vor dem Vorfall bemerkt hatte, soll sich bereits gemeldet haben.
„Für mich ist es wichtig, jetzt etwas zu tun“, sagt Arnold. „Weil ich es in dem Moment nicht konnte.“ Von der taz mit der Nachricht konfrontiert, dass der Beamte der Fahrzeugeigentümer war, ringt sie nach Luft. „Das kann doch nicht wahr sein!“
Im Moment steht hier Aussage gegen Aussage. Die taz kann nicht klären, wer hinsichtlich der einzelnen Vorwürfe die Wahrheit sagt. Es sollte aber dringliche Aufgabe der Disziplinarvorgesetzten der beiden Beamten und der Staatsanwaltschaft sein, dies zu tun.
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