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Ärztin über Schwangerschaftsabbrüche„Aufklärung wirkt“

Eine Studie zeigt, dass Deutsche Abtreibungen früher offener gegenüberstanden als heute. Das liegt auch am Stigma, mit dem diese belegt sind.

Demonstrantin bei einer Kundgebung für die Abschaffung von Paragraf 219a Foto: F.Boillot imago/snapshot/imago

taz: Frau Kersting, wie stehen die Deutschen zu Schwangerschaftsabbrüchen?

Anette Kersting: Wir haben untersucht, wie sich die Meinung der Bevölkerung zu Schwangerschaftsabbrüchen zwischen 1992 und 2012 verändert hat. Zunächst haben noch 80 Prozent der Ostdeutschen einen uneingeschränkten gesetzlichen Zugang unterstützt. Das ist aber zurückgegangen: 2012 waren es nur noch 55 Prozent. In Westdeutschland befürwortete in den frühen 90er Jahren noch fast die Hälfte der Befragten einen uneingeschränkten Zugang. 2012 war es noch ein Drittel.

Woran liegt es, dass die Unterschiede zwischen Ost und West so deutlich sind?

UKL
Anette Kersting

Anette Kersting ist Direktorin der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig und Seniorautorin der Studie.

Das ist wohl auf den unterschiedlichen Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen zurückzuführen. In der DDR war die staatliche Haltung dazu relativ tolerant. Frauen sollten in den Arbeitsmarkt integriert werden, der Anspruch war säkular. Bis zur zwölften Woche war ein Abbruch legal. In der BRD galt die Indikationslösung, ein Abbruch durfte nur unter bestimmten Bedingungen stattfinden. Seit Mitte der 90er Jahre gilt ja dasselbe Gesetz für Ost und West.

Schwangerschaftsabbrüche sind in Deutschland illegal. Hängt es mit der Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zusammen, dass die Menschen in Ost und West intoleranter geworden sind?

Das haben wir in dieser Studie nicht untersucht. Aber andere Studien zeigen, dass das Ausmaß der Stigmatisierung von der Restriktion der Gesetze abhängt. In Ländern, in denen die Gesetzeslage restriktiver ist, gibt es ein deutlich höheres Ausmaß von Selbst- und Fremdstigmatisierung – also stigmatisierten Annahmen, die die Menschen über sich selbst denken oder die die Umwelt ihnen zuschreibt. Zudem wissen wir, dass es für Frauen, die ihren Schwangerschaftsabbruch als stigmatisiert erleben, schwieriger ist, ihn gut zu bewältigen.

In den USA ist gerade eine Langzeitstudie erschienen, die zeigt, dass der überwiegende Teil von Frauen den Eingriff fünf Jahre danach als richtige Entscheidung bewertet.

Genau. Die Frauen wurden gefragt, ob sie der Entscheidung positive oder negative Gefühle entgegenbringen. 94 Prozent der Frauen hatten positive Gefühle. Aber diese Frauen wurden auch nach Stigmatisierung befragt. Diejenigen, die Abbrüche als stigmatisierter empfanden, hatten es schwerer, mit ihrer Entscheidung zurechtzukommen.

Für die Studie „The Change in Attitudes Towards Abortion in Former West and East Germany After Reunification“ wurden Daten der Bevölkerungsumfrage Allbus des Leibniz-Institus für Sozialwissenschaften ausgewertet. Die Befragten sollten einschätzen, unter welchen Umständen ein Schwangerschaftsabbruch legal sein sollte. Befragt wurden knapp 14.500 Personen zwischen 1992 und 2012, davon zwei Drittel aus West-, ein Drittel aus Ostdeutschland.

Worin bestehen die Stigmata?

Zum Beispiel darin, dass ein Abbruch mit negativen Bewertungen einhergeht. Die Gründe dafür können ganz unterschiedlich sein. Auch die Religion kann eine Rolle spielen. Unsere Studie zeigt auch: Menschen mit religiöser Bindung, die häufiger in die Kirche gehen, gehörten eher zu denjenigen, die eine restriktive Haltung gegenüber Abbrüchen hatten. Demgegenüber waren beispielsweise Frauen mit höherer Bildung eher denjenigen zuzuordnen, die positivere Haltungen hatten.

Sie schreiben, die Ergebnisse Ihrer Studie seien „besorgniserregend“. Warum?

Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt, dass Frauen einem Wunsch nach einem Schwangerschaftsabbruch ausreichend und sicher nachkommen können. In Ländern mit restriktiver Gesetzgebung nutzen Frauen häufiger unsichere Methoden, um eine Schwangerschaft abzubrechen, was ihre Gesundheit erheblich gefährden kann. Die WHO betont daher die Wichtigkeit des Zugangs zu sicheren und legalen Schwangerschaftsabbrüchen und empfiehlt, entsprechende Hindernisse abzubauen.

Wie können wir gegen die Stigmatisierung arbeiten?

All diese Aspekte sollten auch im politischen und öffentlichen Diskurs zum Thema Schwangerschaftsabbruch stärker hervorgehoben werden. Aufklärung wirkt. Viele Menschen denken zum Beispiel nach wie vor: Wer einen Abbruch hat, hat ein hohes Risiko, psychisch krank zu werden. Das ist aber nicht der Fall. Die Studienlage ist ausreichend und qualitativ hochwertig: Schwangerschaftsabbrüche haben keine psychischen Langzeitfolgen. Wichtig ist, dass jede Frau die für sie richtige Entscheidung trifft und dabei angemessen unterstützt wird.

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13 Kommentare

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  • Bei Fruehgeburten schafft die Medizin es heute "wohl schon bei rund fuenf Monate "alten" Kindern, diesen mit grossem Aufwand das ueberleben zu sichern.



    Die Autorin spricht sich dafuer aus, dass heranwachsende Babys bis unmittlebar vor der Geburt mit einer Injektion im Mutterleib getoetet werden koennen, um diesem dann entnommen zu werden, befuerwortet offenbar einen " uneingeschränkten gesetzlichen Zugang".Andersherum waere derselbe Vorgang ein Kaiserschnitt und Kindsmord. Ich finde es richtig, wenn in solchen Faellen eine Stigmatisierung erfogt, unabhaengig von der Reihenfolge. Bei Zellhaufen sehe ich das anders.

    • @meerwind7:

      Sie haben vermutlich einen anderen Artikel gelesen. In diesem hier spricht sich niemand für Injektionen aus und niemand für "unmittelbar vor der Geburt".



      Und je leichter der Weg zur Abtreibung, und je mehr Unterstützung, da akzeptiert, desto schneller erfolgt der Eingriff. Bei Zellhaufen (so zwischen zwei und 200 Zellen) allerdings ist die Schwangerschaft noch nicht bekannt oder ich habe missverstanden, was Sie mit Zellhaufen meinen.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Wir alle müssen damit zurecht kommen, dass das Leben zuweilen kein Wunschkonzert ist.

    Die stärksten Anzeichen von Religiosität sehe ich freilich in der Religiosität des Neoliberalismus und in der 'Begleitmusik' der Selbstoptimierungsindustrie. Hier entdecke ich weit mehr Wettgeeifere als in den - defensiven und eher kleinlauten - Verteidigungsgefechten der großen Amtskirchen.

    Manches wird zudem gerne als "Stigma" stigmatisiert, was eher Ausdruck gründlicher Reflektion ist.

    Am Ende des Tages gilt: alles eine Prüfung des Einzelfalls. Diese Gabe der Differenziertheit ist offenkundig nicht Jedem gegeben.

  • Mein Eindruck ist, dass unsere Gesellschaft insgesamt immer religiöser und rückwärtsgewandter wird. Aus meiner Sicht bedauerlich, ich hatte mir als junge Frau für die Zukunft die Abkehr von Religionen und patriarchalischen und archaischen Verhaltensweisen erhofft.

    • @*Sabine*:

      Nein, *Sabine*, unsere Gesellschaft wird weder religiöser noch rückwärtsgewandter. (Sie war Zeit meines Lebens konservativ.) Zwei Dinge lassen sich beobachten. Manche religiöse und rückwärtsgewandte Gruppe bekommen mehr mediale Aufmerksamkeit. Religiöse Menschen werden entschieden religiöser. Die Fragen des Schwangerschaftsabbruchs sind im Übringen die einzigen, die von Religiösen und Nicht-Religiösen statistisch signifikant unterschiedlich beantwortet werden.

  • Es sind immer weniger Ärzt/innen bereit Abtreibungen durchzuführen oder an ihnen mitzuwirken.

    Diese Gruppe gehört wohl zu den gebildeten Schichten und hat sicher auch gewichtige Gründe für ihre Gewissensentscheidung.

    Niemand kann in Deutschland entgegen seiner Gewissensentscheidung dazu gezwungen werden an Abtreibungen mitzuwirken.

  • "Be fruitful and multiply" ist einer der Gründe, warum wir diesen Planeten an den Rand seiner Tragfähigkeit gebracht haben. Übrigens gibt es Forschung, dass vorchristliche, römische und keltische Kulturen erfolgreich Verhütung und "die Pille danach" kannten - in Form von Kräutermixturen, u.a. Samen der Wilden Karotte. Es wäre interessant, Völkerwanderung und Wikingertum unter diesem Aspekt der Christianisierung zu untersuchen.

  • Ach was! Zweifel sind scheint’s angebracht - hm?

    “ Ärztin über Schwangerschaftsabbrüche - „Aufklärung wirkt“



    Eine Studie zeigt, dass Deutsche Abtreibungen früher offener gegenüber standen als heute. Das liegt auch am Stigma, mit dem diese belegt sind.“

    Na Servus - Herr wirf Hirn vom Himmel.



    Schön wär‘s ja - ihr tazis. Gell.

    • @Lowandorder:

      Nein, Die Hirne schmeisst nicht irgend ein "Herr" vom "Himmel".

      Mit Verlaub, und bei allem Respekt -- in dieser Sache bin ich bei Simone Veil [1].

      Wan wird's endlich 20. Jahrhundert?

      [1] fr.wikipedia.org/wiki/Simone_Veil

      • @tomás zerolo:

        … d’accord.

        unterm—- btw mit Werner Enke -



        meine Ironie gilt dem fehlenden - Worteaneinanderreihgewissen

        • 7G
          76530 (Profil gelöscht)
          @Lowandorder:

          Es wird böse enden.