piwik no script img

Ministerpräsidentenwahl in ThüringenErfurter Chaostage gehen weiter

Was kommt nach dem Rücktritt von Thomas Kemmerich: Wird Bodo Ramelow jetzt wieder Ministerpräsident, gibt es Neuwahlen – oder beides?

In Berlin forderten Demonstrierende am Samstag Bekenntnisse der Politik gegen die AfD Foto: Stefan Boness/Ipon

Berlin taz | Am Samstag um 15.11 Uhr war es vollbracht. Thomas Kemmerich twitterte: „Ich habe soeben meinen Rücktritt als Ministerpräsident mit sofortiger Wirkung erklärt.“ Damit vollzog der FDP-Mann endlich das, was er bereits am Donnerstag angekündigt hatte, jedoch am Freitag erst mal auf die lange Bank hatte schieben wollen. Nunmehr ist Kemmerich nur noch geschäftsführend im Amt.

Das bedeutet: Wie es jetzt weitergeht in Thüringen, darauf hat der allzu rechtsoffene 54-jährige Unternehmer keinen relevanten Einfluss mehr. Eigentlich hatte Kemmerich noch eine für den 18. Februar geplante Sondersitzung des Ältestenrats des Landtages abwarten wollen, auf der nach seinen Worten über einen verfassungsgemäßen Weg hätte entschieden werden sollen, „wie es schnell zur Wahl eines neuen Ministerpräsidenten kommen kann“.

Dass der Druck auf ihn hoch war, steht außer Frage. Aber was Kemmerich zum Umdenken bewogen hat, ist unklar. Die Welt am Sonntag berichtet, aus der FDP sei zu hören, Kanzlerin Angela Merkel habe gedroht, falls Kemmerich nicht sofort zurücktrete, werde sie sämtliche Landesregierungen beenden, an denen CDU und Liberale beteiligt seien. Doch Belege dafür gibt es bislang nicht.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Doch was passiert jetzt in Thüringen? Nach den Vorstellungen des Berliner Koalitionsausschusses von Union und SPD sollte nun „umgehend“ ein neuer Ministerpräsident gewählt werden. Anschließend seien aus „Gründen der Legitimation der Politik“ baldige Neuwahlen erforderlich.

Keine Mehrheit für Rot-Rot-Grün

Es ist ein außergewöhnlicher Vorgang, dass der Koalitionsausschuss der Bundesregierung versucht, einem Landtag Vorgaben zu machen. Doch unabhängig davon, dass ein solches Vorgehen nicht unbedingt den föderalistischen Gepflogenheiten entspricht: Der vorgeschlagene Weg wäre ein denkbarer. Er hat allerdings Haken.

Nach Lage der Dinge gibt es nur einen legitimen Kandidaten, der nach dem gelb-schwarz-braunen Debakel vom Mittwoch zum neuen Ministerpräsidenten gewählt werden kann: der Linksparteiler Bodo Ramelow, äußerst beliebter Vorgänger Kemmerichs und Sieger der Landtagswahl vom Oktober. Doch er verfügt nach wie vor über keine eigene Mehrheit im Landtag. Linkspartei, SPD und Grüne kommen auf nur 42 Sitze im 90-köpfigen Parlament.

Ramelow ist bereit, noch einmal ins Rennen zu gehen – allerdings nur unter Bedingungen. Da ihn die Linkspartei nicht erneut ins offene Messer laufen lassen will, müsse sichergestellt sein, dass er „eine demokratische Mehrheit im Parlament“ hat, fordert Thüringens Linkspartei- und Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow. Eine Enthaltung der CDU im dritten Wahlgang, wenn eine einfache Mehrheit genügt, würde nicht mehr ausreichen. Darauf hatte Rot-Rot-Grün noch am vergangenen Mittwoch spekuliert.

Das heißt: Es muss diesmal glaubwürdige Zusagen geben, dass es im Falle seiner Kandidatur ausreichend Stimmen aus den Reihen von CDU und FDP für Ramelow geben wird, damit er mit einer absoluten Mehrheit – also mindestens 46 Stimmen – wieder ins Amt kommt, und zwar unabhängig davon, wie die 21 Abgeordneten der AfD votieren.

CDU sträubt sich

Dass die Linkspartei darauf besteht, hat mehr als einen guten Grund. Denn die Rechtsausleger scheinen schon ihren nächsten „Coup“ zu planen: „Die kopflose Reaktion von CDU und FDP bringt mich zu der Empfehlung an die thüringischen Freunde, das nächste Mal Herrn Ramelow zu wählen, um ihn sicher zu verhindern – denn er dürfte das Amt dann auch nicht annehmen“, sagte AfD-Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland am Samstag der Deutschen Presse-Agentur. Bodo Ramelow reagierte darauf mit Empörung: „So agieren Demokratieverächter“, twitterte er.

Noch bekunden FDP und Union, Ramelow ihre Stimmen verweigern zu wollen. Sie wolle zwar „Initiativen, die darauf abzielen, im Thüringer Landtag eine Regierung zu bilden, nicht blockieren“, hat die Thüringer CDU beschlossen. Aber ihre Fraktion werde „einen von der Linken aufgestellten Ministerpräsidenten entsprechend ihrer Grundsätze nicht aktiv ins Amt wählen“.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Und dann? Für den Fall, dass sich keine demokratische Mehrheit für Ramelow abzeichnet, werde sie auf Neuwahlen orientieren, hat die Linkspartei angekündigt. Aber auch das ist nicht so einfach. Da Kemmerich nur noch geschäftsführend im Amt ist, ist ein Weg zu Neuwahlen verbaut: Über die Vertrauensfrage geht es nicht mehr.

Bleibt die Selbstauflösung des Landtags. Dazu bedarf es 60 Stimmen. Zählt man die 5 Stimmen der FDP, die sich schon am Donnerstag dafür ausgesprochen hatte, zu den 42 von Rot-Rot-Grün hinzu, fehlen noch 13 Stimmen, die entweder von der CDU oder der AfD kommen müssten. Weder die eine noch die andere Partei zeigen jedoch bislang irgendein Interesse an Neuwahlen. Aber wer weiß, welche Volten die Thüringer Parteien in den kommenden Tagen noch schlagen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Das passiert wenn die gewählten Volksvertreter eben nicht mehr nur ihrem Gewissen unterworfen sind sondern der Parteiräson.

  • Nachdem die jüngsten Umfragen gezeigt haben, was CDU-Wähler von dem ganzen Mist halten und nachdem die AfD, vielleicht wider deren eigenes Erwarten, in puncto Stimmen kaum von der Posse profitierte, haben beide Parteien kein Interesse an Neuwahlen.

    Bleibt die Frage, wie lange sich die Thüringer die Sache ansehen und ob sich die Wut auf der Straße breit macht, um die CDU zur Zustimmung zu bringen.

  • Die behauptete Ahnungslosigkeit von CDU und FDP war nur gespielt:



    www.n-tv.de/politi...ticle21559602.html

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Realitätsverweigerung trifft Demagogie.

    So könnte die passende Überschrift eines aktuellen Zustandsberichtes des politischen Personals Thüringens, ganz besonders der CDU, lauten.

    Bei adr.de las ich vorhin, diese wolle eine Neuwahl vermeiden, weil sie "ein Erstarken der politischen Ränder befürchtet." Ach.

    Unausgesprochen meint sie damit natürlich eine sozialdemokratisierte DIE LINKE. Auch wenn sie es nicht ausspricht.

    Tatsächlich geht ihr kollektiv der Arsch auf Grundeis, weil sie das Wählervotum - völlig zu Recht - fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. 12 Prozent kämen gut.

    Auf der linken Seite sehe ich keinen (parlamentarischen) Rand. Wohl aber auf der Rechten. Da haben sich relevante Teile der CDU zur AfD gesellt.

    Mit der Folge: das Parteiensystem gerät in gefährliche Schieflage nach rechts. Kein Wunder weiter, wenn CDU-'Größen' sich selbst als Mitte bezeichnen.

    Zeit für eine Debatte der klaren Worte. 15 Jahre Hei-dei-dei haben bei vielen die Hirnmasse ins Rutschen oder zum Aufweichen gebracht. Helfen wir ihnen dabei, sich neu zu justieren.

    Eine Initiative, die diesen Verwirrten einen Kompass schenkt, könnte der gelungene Auftakt sein.

  • "Um diesen Antidemokraten den Wind aus den Segeln zu nehmen, ist es zwingend erforderlich, dass FDP und CDU genau mit dieser Begründung Ramelow im 1. Wahlgang wählen. Nur so könnten sie in Thüringen ihre demokratische Haltung unter Beweis stellen und ihre glaubwürdig zurückgewinnen."

    Stimmt. Tatsächlich muss man sich fragen, worum es den Verrückten von CDU und FDP geht. Linke-Bashing ist offenbvar wichtiger, als Faschos in ihrem Wahn zu verhindern.

  • Ob es noch einen Konsens der Demokraten gibt, geschlossen gegen Antidemokraten, Trickser und Faschisten zu stehen, wird sich bei der Wahl des MP heraus stellen. Die Vorschläge aus CDU und FDP, dass Grüne oder die SPD einen Kandidaten benennen sollen, widerspricht schon im Ansatz demokratischen Regeln, konkurrierenden Parteien ihr genehme/akzeptable Kandidaten diktieren zu wollen.

    Wie weit die Zerrüttung des demokratischen Selbstverständnis und Selbstbewusstseins gegen antidemokratische Entwicklungen - befeuert durch eine realpolitisch (!) bedeutungslose (!) Minderheit (!) - fortgeschritten ist, zeigt sich an der kolportierten Drohung, in die föderalen Strukturen von "Oben" einzugreifen.

    Jeder bislang geäußerte "Lösungsvorschlag" von FDP und CDU löst bei den Antidemokraten und Goebbels "Wölfen" innere "Reichsparteitage" aus.

    Um diesen Antidemokraten den Wind aus den Segeln zu nehmen, ist es zwingend erforderlich, dass FDP und CDU genau mit dieser Begründung Ramelow im 1. Wahlgang wählen. Nur so könnten sie in Thüringen ihre demokratische Haltung unter Beweis stellen und ihre glaubwürdig zurückgewinnen.

    • @Drabiniok Dieter:

      Die Schlussfolgerung ist richtig. CDU u. FDP müssen Neuwahlen vermeiden weil die erstere unter 10 % kommen und die FDP aus dem Landtag fliegen könnte. Also müssen die RRG fehlenden Stimmen für die Wahl Ramelows aus diesen Parteien kommen. Damit kann sich die AfD das geplante neue Manöver ersparen. Empfehlung an deren Wähler: Wacht auf, der Teufel kann nicht mit dem Beelzebub ausgetrieben werden, d. h. Mutti nicht mit einem AfDler ersetzen.