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Das System KrankenhausIm Räderwerk

Ein Krankenhaus, das Gewinn bringen soll wie eine Fabrik, wird selbst zu einer Fabrik. Am Ende wird alles zerschlissen: Patienten, Pfleger, Ärzte.

Noch auf dem richtigen Flur oder schon vergessen? Eine ältere Frau in einem Krankenhaus in Schwerin Foto: dpa

A nfang diesen Jahres verbrachte ich, als Gast, Zeit in der Asklepios-Klinik Altona. Ein Krankenhaus ist ein Ort widersprüchlichster Empfindungen, die kaum woanders so heftig aufeinanderprallen. Das liegt in der Natur eines Krankenhauses, wo geboren, gerettet, aber auch gelitten und gestorben wird. Die Umstände allerdings, unter denen dies in deutschen Krankenhäusern zunehmend geschieht, sind nicht mehr hinnehmbar.

Ich bin in einem Notarztwagen mit ins Krankenhaus gefahren, und ich möchte ausdrücklich das System der ersten und schnellen Hilfe loben. Ich möchte überhaupt viele Menschen im medizinischen Berufsstand loben. Sie leisten eine großartige und sehr schwere Arbeit.

Und dann lernt man das Krankenhaus als eine Art großer Fabrik kennen, in der alles in bestimmten Taktungen abläuft, in denen die Dinge geordnet sind und geordnet sein müssen, in der die notwendigen Vorgänge alle einem vorgeschriebenem Plan folgen. Und es muss ja auch alles einem Uhrwerk gleichen, denn es ist eine große, tickende Uhr, so ein Krankenhaus, wo ein Rädchen ins andere greift, und alles voneinander abhängt. Nichts ist grundlos so vorgesehen, alles hat einen Sinn. Nur, welchen Sinn? Das muss man sich fragen, wenn man erkennt, wie rücksichtslos dieses System mit den Menschen, die dort arbeiten, wie mit den Menschen, die dort krank sind, umgeht.

Ein Patient wird bei der Visite vergessen, weil er auf dem falschen Stockwerk liegt. Auf dem falschen Stockwerk liegt er, weil auf dem richtigen Stockwerk kein Platz mehr war. Die Folge davon? Das System versagt, der Patient wird vergessen. Wer nicht auf dem dafür vorgesehenen Platz liegt, der fällt aus dem System heraus. Die Schichten wechseln, das Personal wechselt, wer hat den Raum, sich an einen Patienten persönlich zu erinnern? Zumal, wenn er diesen Patienten ohnehin noch nie gesehen hat.

Mann muss warten. Man wartet. Ein Arzt kommt nicht vorbei, Stunde um Stunde
Lou Probsthayn
Katrin Seddig

ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

Nun gut, Versehen passieren. Der Patient insistiert, weil er das kann, weil er nicht hinfällig oder ohnmächtig ist, am Tag drei nach der Einlieferung kommt ein Arzt, aber der Arzt kann nichts sagen, denn da müsste man erst einmal …, damit man überhaupt etwas wissen kann …, aber es ist nun mal Freitag und zu spät für Maßnahmen, Maßnahmen hätten angemeldet werden müssen, Freitagmittag, da geht nichts mehr, erst nächste Woche wieder. Da will der Patient dann nach Hause, denn am Wochenende, das weiß jeder, der einmal im Krankenhaus war, da lässt man zwar niemanden sterben, aber sonst passiert nicht viel.

Man gibt dem Patienten einen Termin für die Maßnahme, die Erkenntnisse bringen soll, in der nächsten Woche, da kommt der Patient wieder, aber da weiß niemand mehr was davon, da ist gar kein Termin eingetragen. Der Patient weicht nicht von der Stelle, ein Termin sei versprochen worden, am Freitag, nun ja, man solle halt warten. Wer einmal in einem Krankenhaus war, der weiß, dass Warten dort eine der Haupttätigkeiten ist. Man wartet. Und irgendwann erfolgt dann die Maßnahme. Und dann soll der Arzt wieder gucken, ist man dem Sterben geweiht oder kann man Hoffnung schöpfen?

Ein Arzt ist natürlich nicht zur Hand, man muss warten. Man wartet. Ein Arzt kommt nicht vorbei, Stunde um Stunde. Man fragt wieder nach. Da winkt endlich jemand einen heran, auf dem Gang, und sagt einem, man hätte vielleicht etwas Gefährliches, aber genau könne man das, aus bestimmten Gründen, immer noch nicht wissen, hier der Bericht, auf Wiedersehen. Dann steht man da, auf dem Gang eines Krankenhauses, und wird vielleicht bald sterben, oder auch nicht.

Und da haben wir noch nicht einmal vom Essen gesprochen. Es gibt eine Sendung im NDR, die guckt meine Mutter immer, die heißt: „Die Ernährungs-Docs“, da erklären Spezialisten den Zuschauern, was sie essen sollen, um gesund zu werden. Was würden die wohl zu dem sagen, was kranken Menschen in der Asklepios-Klinik Altona zum Essen vorgesetzt wird?

Ein Krankenhaus, das gewinnbringend wirtschaften soll, wie eine Fabrik, wird zu einer Fabrik, in der am Ende alles zerschlissen wird, Patienten, Pfleger, Ärztinnen.

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6 Kommentare

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  • Das ganze Drama war doch vor den Privatisierungen schon bekannt.

  • @MB996



    @HB61

    Effizienz erzielt man nicht durch den Zwang zur Rentabilität. Gewinn erwirtschaften zu müssen bedeutet zum einen einfach einen künstlich geschaffenen weiteren Kostenblock, der bedient werden muss und in Konkurrenz zu anderen Kostenstellen steht, zum anderen verführt (oder zwingt) es dazu, medizinische Maßnahmen nicht nach Notwendigkeit zu betrachten, sondern als Umsatzbringer. Da kann Kassenpatient:innen durchaus eine notwendige Behandlung vorenthalten werden, während Privatpatient:innen eine abgedeckte OP mit fragwürdigem Nutzen aufgenötigt wird.



    Im Gesundheitswesen darf nur nach medizinischer Notwendigkeit entschieden werden. Das Streben nach Gewinn hat darin nichts zu suchen. Wenn man Effizienz steigern und Verschwendung vermeiden will, baucht man fähige Controller:innen, aber keine GmbH-Geschäftsführer:innen im Nacken.

    • @BUBU:

      Das sagt sich so leicht, mit der medizinischen Notwendigkeit. Die geht nämlich gegen unendlich, das vorhandene Budget aber nicht.

  • Eine subjektive Sichtweise ist so falsch nicht. Patienten sind keine Fälle oder Objekte und eine gute Versorgung ist nicht allein von Strukturmerkmalen abhängig. Medizin ist Wissen und eine gemeinsame Leistung. Große Strukturen haben größere Organisations- und Verantwortungsdefizite. Wollen wir Großkrankenhäuser, die formal alle Strukturmerkmale erfüllen, aber durch die taylorisierten Strukturen die Betreuung und Aufmerksamkeit vernachlässigen. Ich fand das Bild der "vergessenen Patientin" schon passend.



    Woran messen wir Effizienz? Und bedenkt: oft ist das Krankenhaus die erste und letzte Anlaufstelle. Arbeite im Krankenhaus. Und halte dies für eine im tiefsten Sinne des Wortes sinnvolle Aufgabe.

  • Die kausale Verknüpfung zwischen den sehr unschönen Problemen in den Arbeitsprozessen eines Krankenhauses mit der Rentabilität ist mehr eine gefühlte Beschreibung als klar begründet. Die medizinischen Betreuung von Patienten in Krankenhäusern ist eine zunehmend komplexere Herausforderung, die es erzwingt, dass man traditionelle Ansätze komplett überdenkt.



    Zur Auswahl eine alternative These: Die nicht-effizienten Krankenhäuser verschleißen Geld und Personal ohne Mehrwert für den Patienten.

    • @alterego:

      Sehe ich ähnlich. Es wird ja oft genug vergessen: In kommunalen oder gemeinnützigen Krankenhäusern geht es oft genug genau so zu.