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Theaterstück über eine VergewaltigungWenn dir keiner glaubt

Das Stück „geteilt“ erzählt am Deutschen Theater in Göttingen dicht und mit präziser Typisierung von einer Vergewaltigung im privaten Umfeld.

An der Verladerampe für Rollenbilder: Szene aus dem Stück „geteilt“ in Göttingen Foto: Isabel Winarsch

Göttingen taz | Mann vergewaltigt Frau. #metoo. Ist zumindest einer der Beteiligten irgendwie prominent, generiert die öffentliche­ Erregung heutzutage vielfach den Wunsch, dass der Mann seine Macht verlieren möge, die er zum sexuellen­ Übergriff ausgenutzt habe, und auch verurteilt werde, also eine Strafe absitzt, um die Gesellschaft vor weiteren Übergriffen zu schützen.

Was im sozialen Umfeld ohne Promistatus und mediale Aufmerksamkeit in einem solchen Fall passieren kann, hat Maria Milisavljević zum Theaterstück „geteilt“ verarbeitet, das im Auftrag des Deutschen Theaters (DT) in Göttingen entstand. Moritz Beichl, aus Österreich stammender Absolvent des Schauspielregiestudiums der Theaterakademie Hamburg und neuer DT-Hausregisseur, brachte es sehr eindringlich zur Uraufführung.

Die Bühne: Partyzone und schäbig leere Debattenkampfarena. Ein Laufsteg ragt hinein, der wie eine Verladerampe designt ist – eine für Klischees weiblichen Verhaltens, wie gleich zu sehen ist. Denn Sie (Rebecca Klingenberg) stolziert catwalkend herein und erzählt im empörten Tonfall, mit welchem Outfit sie sich als Frau für einen­ langjährigen Geschäftspartner herrichten will, soll, muss, um sich attraktiv,­ schön, gut zu fühlen.

Den nur Er genannten Typen kennt sie seit Sandkistentagen. Heute Abend möchte Sie ihn noch privat zu sich einladen. Einerseits sucht Sie Trost nach dem Tod ihres Vaters, andererseits sehnt sie sich nach seinen Blicken. Berichtet dem Publikum davon, wie Er sie zu mustern versteht, wenn seine Augen lustvoll ihre Waden entlanggleiten bis zum Reißverschluss des Kleides, ja, das möchte Sie auf ihrem Körper spüren und auch sein Lachen hören, „das habe ich vermisst“.

Das Stück

„geteilt“: Do, 30. 1., 20 Uhr, Göttingen, Deutsches Theater. Weitere Aufführung: Do, 20. 2.

Sie beschreibt es als ihre Realität­ – und sie hasst sich dafür. Aufregend ambivalent sind Text, Regie und Rollengestaltung.­ Klar ist immerhin Beichls kritische Intention, aus der heraus er immer wieder Schnipsel der Filmgeschichte auf eine Lamellenleinwand projizieren lässt, in denen Frauen bestgelaunt, hübsch und dienstbar klassische Rollenbilder ausleben.

Konkret wird die Situation, als auch Er (Marius Ahrendt) auftritt. Mann und Frau spielen nun die angekündigte Begegnung, ziemlich betrunken, geradezu grenzenlos ausgelassen und herzlich vertraut. Sie kippt taumelig­ Wein auf sein Hemd, Er zieht es zum Auswaschen aus, Sie auch ihre Bluse als eine Art solidarischem Jokus, Er sucht Worte für ihre Schönheit, Sie fühlt sich lebendig, „rein platonisch“ – da friert die Regie die Szene ein.

Die Darsteller halten inne, sehr ernst sagt Sie: „Kannst du vielleicht loslassen. Deine Hand. Mein Arm. Das ist 'nen bisschen fest.“ Egal ob es zuvor ein unausgesprochenes Einverständnis oder ein deutliches Ja zu Freundschaft plus gab, dieses deutliche Nein ist die auch gerichtstaugliche Grenzziehung. So erklärt es denn auch das in persona auftretende deutsche Recht (Gabriel von Berlepsch). Trotz Scham bringt die Frau die Vergewaltigung zur Anzeige. Und weiß nicht, wie damit weiterzuleben ist?

Auf den Zuschauertribünen platzierte Darsteller werfen Volkes Stimmen ein, man müsse zum Beweis der Tat erst mal die Penetration, Verletzungen, wenigstens blaue Flecken sehen, „am besten wäre Sperma“. Geschickt inszeniert Beichl ein vielstimmiges Meinungsrauschen, Kommentierungsgeschrei, Spekulationsgetöse und Darüberhinweglachen.

In aller Ungeheuerlichkeit ploppen auf der Bühne Fragen auf wie: Könne so ein Übergriff nicht einfach mal einem­ Mann passieren? Nach so vielen Jahren muss sie ihrem Kumpel eine solche Anklage doch nicht antun, oder? Wollte sie nicht auch Sex? Die Gattin des Vergewaltigers kämpft um ihren Mann, geht in die Offensive, verdreht die Tatsachen.

Schnell folgen Kollegen, Freunde, Zufallsbekanntschaften und die Internetgemeinde.­ Sie banalisieren die Gewalttat, rechtfertigen den Täter­ und beschuldigen das Opfer, hysterisch­ überzureagieren, also selbst rufschädigende Täterin zu sein wider eine ansonsten wohlanständige Familie, sowie das von ihr und ihm florierend betriebene Unternehmen. Dort fliegt sie raus, ihr Leben taumelt zunehmend verzweifelnd in die Einsamkeit. Bis nur der herbeifantasierte Vater noch als Dialogpartner zur Verfügung steht – für die Heldenrolle, Rächer­ der Tochter zu werden.

All die Abgründe der Protagonistinnen und Protagonisten wie auch der vielstimmigen Debatte sind nicht in einer linear entwickelten Geschichte aufgerissen, sondern in einem altmodisch postmodernen szenischen Puzzle angedeutet.

Narrativ dichtes Gewebe

Dabei wird auf der Zeitachse recht wahllos vor- und zurückgetanzt. Milisavljević fährt auf, was sie sich an Schreibmarotten angeeignet oder bei Elfriede Jelinek abgeguckt hat: die ständige Lust auf Sprachspielerei, -perspektivwechsel, -redundanzen und -metaphern, auf Hassmonologe, Kabarettdialoge, chorische Juxerei und das Hereinschreiben der Autorin (Angelika Fornell) mit ihrer Reflexion zum Schreiben des Stücks. Ein überbordendes Sammelsurium an theatral möglichen Haltungen bietet die Vorlage.

Dass sich so die konkrete Auseinandersetzung über die Bagatellisierung von sexueller Gewalt immer wieder verliert, ist ärgerlich. Gelungen aber die dagegen ankämpfende Regie. Wie Beichl inhaltliche und formale Sprünge, die Salti des Textes und wild gemixten Situationen zu einem narrativ dichten Gewebe herrichtet, das, am Beispiel Vergewaltigung, anspielungsfrech­ mit dem Denken in Geschlechterklischees abrechnet, ist ebenso beeindruckend wie seine Art, das Ensemble zu hoch intensivem Spiel und sehr präzisen Typisierungen der Figuren zu animieren.

Dass Beichl nach seinen ersten, ästhetisch recht unterschiedlichen Produktionen in Göttingen zum Hausregisseur­ aufgestiegen ist, könnte sich als Glücksfall erweisen. Humor, Stilsicherheit und das Können,­ Schweres auch mal tiefenscharf leicht zu machen, scheinen seine Voraussetzungen dafür. Jährlich ist er ab sofort für zwei Arbeiten in der Universitätsstadt gebucht.

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2 Kommentare

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  • Achgottchen. "Deutsch" == "ich will mich damit nicht auseinandersetzen".

    Tun Sie es halt nicht.

  • Wenn ich nun etwas sicher weiß, dann, das ich dieses Stück nie anschauen werde. Deutsch as deutsch can. So moralisch, so schwer, so möchtegerngut in allen Belangen. Erinnert mich an die Unterhaltung zweier Franzosen, die ich nolens volens mitbekam: Non non, mon ami. Ici (Deutschland) touts les choses sont très, trés lourdes. (Fehler bitte zu entschuldigen.) Er meinte zwar die Speisen in einem Lokal, aber wenn ich mir so anschaue, wie unsere Nachbarn noch die schwierigsten Stoffe künstlerisch aufbereiten können, ohne daß man mit einer Depression von der Aufführung kommt, dann werden da doch zumindest Wege aufgezeigt. Sorry für den Verriß, ging aber nicht anders.