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Weltwirtschaftsforum in DavosMerkel will mit allen reden

Die Kanzlerin will Fakten der Wissenschaft mit Emotionen der Gegner versöhnen. Das Klimaabkommen zu erfüllen, sei eine Überlebensfrage.

Will in der Klimapolitik alle mitnehmen: Kanzlerin Angela Merkel Foto: Markus Schreiber/ap

Davos taz | Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Donnerstag beim Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos ein vehementes Plädoyer für Gespräche mit Andersdenkenden gehalten. Sowohl bei internationalen Konflikten als auch zur Bewältigung des Streits über die Klimapolitik in Deutschland empfahl sie, „sich nicht auf sich selbst zurückziehen“.

Das Hauptthema des 50. Forums war die Klima-Politik. Vertreterinnen der Fridays-für-Future-Bewegung wie Greta Thunberg und Luisa Neubauer nahmen teil. Außerdem spielten die Handelskonflikte zwischen der US-Regierung, repräsentiert durch Präsident Donald Trump, und anderen Ländern, sowie die Besteuerung internationaler Konzerne eine große Rolle.

Im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit der US-Regierung betonte Merkel, dass sie sich weiter „für den Multilateralismus einsetzen“ werde. Das schließe internationale Institutionen wie die Welthandelsorganisation (WTO) ein. Diese müsse reformiert werden, da habe Trump Recht, aber man müsse sie eben auch funktionsfähig halten. Derzeit blockieren die USA den Streitschlichtungsmechanismus der WTO.

Einen großen Teil der Rede nahm die Klimapolitik ein. Das Pariser Abkommen einzuhalten, sei eine „Frage des Überlebens“, sagte Merkel. Sie räumte ein, dass die Staaten das Ziel, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, mit ihren Verpflichtungen zur Verringerung des Kohlendioxidausstoßes nicht erreichen könnten. Deshalb „muss die Welt gemeinsam handeln“, wenngleich „jedes Land seinen Beitrag leisten“ solle. Den Versuch, in Europa und Deutschland bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, bezeichnete sie als „Transformation von gigantischem, historischem Ausmaß“. Dafür müsste man „die gesamte Art des Wirtschaften und Lebens des Industriezeitalters verlassen“ und zu „neuen Formen der Wertschöpfung“ kommen.

Proteste nehmen wieder zu

Merkel schilderte die Konflikte, die die Energiewende in Deutschland mit sich bringt. Viele Leute hielten es nicht für „dringlich“, den CO2-Ausstoß zu reduzieren. Es komme zu Spannungen zwischen Städtern und Landbewohnern, denen man mehr Belastungen beispielsweise durch Windräder zumute. „Wie nehmen wir diese Leute mit?“, fragte die Kanzlerin.

Obwohl der Klimawandel für sie „eine klare wissenschaftliche Evidenz“ habe, müsse man diese „Fakten“ mit den „Emotionen“ derjenigen „versöhnen“, die Klimapolitik ablehnten. „Das setzt voraus, dass man miteinander spricht“, mahnte Merkel. Auch mit den „kontroversesten Gruppen“ brauche es einen Austausch. Für diese Aussage erhielt sie Zwischenapplaus.

Im Vergleich zu den vergangenen Jahren nahm diesmal der Protest gegen das WEF wieder zu. Klima-Aktivist*innen organisierten eine dreitägige Wanderung nach Davos, die Jungsozialisten veranstalteten eine Kundgebung, Greenpeace forderte mit einer Aktion das Ende der Investitionen in fossile Energie, und in Zürich gab es gar eine kleine Straßenschlacht. Im Kongresszentrum wurden die Proteste jedoch wenig wahrgenommen. Das liegt zum einen daran, dass das Forum einen abgeschlossen Kosmos mit strengen Sicherheitskontrollen bildet. Viele Teilnehmer*innen gehen morgens rein und erst abends wieder raus. Außerdem tut die Schweizer Polizei alles dafür, dass Proteste die Veranstaltung nicht behindern.

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13 Kommentare

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  • Oder wie es Arnulf Rating so schön sagt: "Angela Merkel will alle mitnehmen, deshalb sehen auch alle so mitgenommen aus." Das hat er übrigens lange vor Merkels Rede gesagt, kennt sich da gut aus (Nebenverdienst im Kanzleramt?).

    www.rating.de/medi...o/?vimeo=369779263

    • RS
      Ria Sauter
      @Ataraxia:

      Danke für diesen Satz! Kannte ich so noch nicht.



      Von Frau Merkel möchte ich nicht mitgenommen werden, denn....... siehe oben.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Ataraxia:

      Danke für diesen schönen Satz Ratings.

      Zur Erweiterung:

      "Das Leben ist ein einziges Geben und Nehmen. Mal übergibt man sich, mal übernimmt man sich." (Quelle: n.n.)

  • Ihr könnt mich jetzt alle steinigen - aber Angela Merkel hat sich mit dieser Rede endgültig in die Reihe der weisesten Politiker gestellt. Sie hat glasklar den zumindest derzeit einzig möglichen Weg für das Weiterbestehen des Lebens auf der Erde und damit für das Überleben der Menschheit aufgezeigt. Chapeau!

    • @boidsen:

      Angela hat hier endgültig die Position der Denkerin-Philosophin im Amt erklommen, was an Vaclav Havel erinnert. Millionen folgten seinem Sarg, schmähten ihn während seiner Amtszeit. Merkel spricht die Konflikte zwischen Stadt und Land, aber auch zwischen Einsicht und Verdrängung konkret an. Es gibt die Arroganz der Klimaleugner und Super-Egos: Man begegnet ihr jeden Tag. Gerade gebildete, gut informierte Menschen wehren sich gegen jegliche Änderung ihres Verhaltens. Und für die Prolls könnten nur Sex und Crime den Autowahn ersetzen.



      Übrigens ein schwieriger Balance-Akt: Eine instinktsichere, problembewusste Persönlichkeit wie Merkel passt immer weniger zum hysterischen Grundton verängstigter Konservativer. Neben ihrer meist nachdenklich vorgetragenen Analyse fehlt Leuten wie Merz, Söder, aber auch AKK und Spahn die umfassende Perspektive (der Einzige mit der notwendigen liberalen Intelligenz ist der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, ein gewisser Norbert Röttgen). Was ihr also folgen könnte, befindet sich noch hinter dem Horizont. Aber für die BRDigungsphase von homo sapiens und die Grabbeigaben sind sowieso die Grünen zuständig. Das Requiem ist angestimmt, Zeit für die Grünen.

      • @Ataraxia:

        Angela hat hier endgültig die Position der Denkerin-Philosophin im Amt erklommen? So was kann man auch nur glauben, wenn man nicht sieht, was sie real in den letzten Jahren, gefühlt Jahrzehnten gemacht hat, oder auch nicht gemacht hat. Macht angehäuft, mehrere Ämter gleichzeitig, am Sessel geklebt, so dass schon wieder eine Generation nach Kohl glaubt, dass wir in einer Monarchie leben, in der es keine Änderungen geben darf, immer die gleiche Person an der Macht ist.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @Ataraxia:

        Was den Horizont angeht, sollte man sich nicht versteifen.

        Jedenfalls nicht zur der Aussage Udo Lindenbergs: "Hinter'm Horizont geht es weiter".

    • @boidsen:

      Träumen Sie weiter! Sie träumt auch. Es wird nicht gehen, dass "man" mit "allen" redet. Wie denn? Wir tollen Deutschen und andere sollten jetzt und sofort anfangen mit weniger Konsum, rumreisen, Energie verbrauchen und damit den anderen ein Vorbild sein und hoffen, dass sie mit machen. Okay, so einfach ist es nicht, aber so einfach wie die "weise" Tante Merkel da schwafelt ist es nun mal erst recht nicht. Wieso ein TAZ Autor keinen kritischeren Artikel schreibt ist mir ein Rätsel.

      • @portolkyz:

        China und Indien ändern ihre Politik (und riskieren innere Konflikte, angesichts derer unsere Stadt/Land-Konflikte wie Kinderfasching erscheinen würden), nur weil wir rich kids uns leisten können ein "Vorbild" zu sein? (die 2.0 Version von "Am Deutschen Wesen soll die Welt genesen"?)... Damit DAS für die Inder und Brasilianer etc. wie ein guter Deal erscheint, müssen wir aber schon auch n paar Glasperlen mitbringen...



        Vielleicht sollten wir Europäer die Milliarden, die wir zwecks Vorbild ausgeben (ohne dass es darüberhinaus einen - den nötigen nämlich - Effekt hat), lieber in Brasilien, Indien, China in dort nötige aber für die Leute dort so nicht stemmbare Klimaschutzmaßnahmen investieren?

  • Nach der Versöhnung von Ökologie und Ökonomie, versöhnen wir nun Wissenschaft und Gefühle.



    Und selbstverständlich steht das Überleben und die Wertschöpfung gleichberechtigt nebeneinander.

  • Schöne Worte, die die Folgen der schwarzen Null grünwaschen sollen.



    Merkel und Co. haben seit Jahren Gestaltungsmacht, die sie nur für das oberste Prozent genutzt haben, und keine Potenz ihre salbungsvollen Worte in Taten umzusetzen.

  • Sie muss ihren Rücken schonen. //



    Deshalb soll sie schöner wohnen. //



    Sie legt auch wert auf Postmoderne. //



    Um zu schweifen in die Ferne. //



    Ihr Mobiliar ist nicht veraltet. //



    Da sie es recht gut verwaltet. //



    Sie wohnt und lebt, empfängt auch Gäste. //



    Und feiert abends wilde Feste. //



    Bis sie neue Möbel braucht. //



    Die alten waren ausgelaugt. //



    Sie richtet sich recht nett auch ein. //



    SCHÖNER LEBEN - das ist fein!! //



    "Verantwortung zu übernehmen ..." //



    (...) -tp-

  • Merkels Mahnung gegen die Betonwand.

    Das gilt gewiss nicht für die deutschen Erbschafts-Millionäre und Dividenden-Milliardäre!

    Sie werden auch weiterhin über ihre Villen verfügen, über ihre Ferienwohnungen und ihre Lust und Freude am SUV- Allradantrieb für den kleinen Bio-Einkauf in der Großstadt. Selbst ein Strafzettel in mehrfacher Höhe könnte sie nicht von ihren Vergnügungen abhalten. Verfügen sie doch auch über ihre politischen Eliten in Wirtschaft und Politik und gegebenenfalls kommen ihre persönlichen Juristen zum Einsatz um die bürgerlichen Gesetze – je nach Anspruch und Bedarf – zurechtzubiegen.

    Also, mit ihrer Aussage: „Unsere gesamte Art des Lebens werden wir in den nächsten 30 Jahren verlassen“, sind vorrangig die unteren 75 Prozent der Gesellschaft gemeint. Also, diejenigen, die über keine nennenswerten Kapital- und Privatvermögen verfügen. Bürger und Bürgerinnen, die nicht zu den sozialen und politischen Eliten gehören. So wie in der historischen Vergangenheit, so auch weiterhin in der bestehenden Kapitalgesellschaft, der sog. Sozialen Marktwirtschaft der Bourgeoisie und Aktionäre, der Erbschafts-MultimillionärInnen und persönlich leistungslosen Dividenden-MilliardärInnen. So, wie bisher auch, in der ungebremsten Wohlstands-, Reichtums- und Konsumgesellschaft. Gegebenenfalls bis zum gesellschaftspolitischen und ökologischen Ende der Geschichte vom Menschen.