Werkserweiterung im Moor: Daimler will Sumpf trockenlegen
Mercedes will sein Hamburger Werk vergrößern. Um Komponenten für E-Autos herstellen zu können, soll eine Kohlenstoffsenke bebaut werden.
Das Werk an der A7 im Süden Hamburgs wird seit 1978 von Daimler betrieben. „In jedem Mercedes-Benz-Pkw wird mindestens ein Produkt aus dem Hamburger Werk verbaut“, heißt es auf der Unternehmens-Website. Die Aufgabenpalette reicht von Achsen bis zur Abgastechnologie. Um das Werk auch in letzter Minuten mit Produktionsmaterial versorgen zu können, soll es jetzt um ein Logistikzentrum direkt am Werk erweitert werden. Das betreffende Gelände liegt zwischen Auto- und Hafenbahn, die ein Gleis für das Werk abzweigen soll.
Die Bezirksversammlung Harburg hat Ende vergangenen Jahres mit rot-grüner Mehrheit beschlossen, einen entsprechenden Bebauungsplan aufstellen zu lassen. In der dazu gehörenden Vorlage werden die Folgen nüchtern beschrieben: „Die sehr wertvollen und umfangreichen Vorkommen besonders und streng geschützter Tier- und Pflanzenarten und der gesetzlich geschützten Biotoptypen, die wertvollen Niedermoorböden, die orts- und landschaftsbildprägenden Entwässerungsgräben und die großflächigen Baum- und Gehölzbestände im Plangebiet werden vollständig zerstört.“
Der BUND weist darauf hin, dass das betroffene rund 20 Hektar große Gebiet fast ausschließlich aus Sümpfen und Sumpfwäldern und damit geschützten Biotopen bestehe – und zwar solchen von besonders hohem Wert: acht auf einer Skala bis neun. Das Moor sei zwei Meter mächtig. Moore binden organisches Material und damit Kohlendioxid, weshalb sie helfen, das Klima zu schützen
Daimler-Benz hat 40 Produktionsstandorte auf vier Kontinenten, einer ist in Hamburg.
Der Konzern beschäftigt weltweit 175.000 Menschen, davon rund 2.500 in Hamburg. In Bremen betreibt Daimler ein Fahrzeugwerk.
2018 hat der Mercedes-Benz 2,3 Millionen Pkw und 420.000 Transporter verkauft.
Nachhaltigkeit „bedeutet für das Unternehmen, dauerhaft Wert für alle Stakeholder zu schaffen: Kunden, Mitarbeiter, Investoren, Geschäftspartner und die Gesellschaft als Ganzes“, so Daimler.
Beim Klimaschutz lautet das Ziel, dass die neue Benz-Flotte im Jahr 2021 im Fahrbetrieb in Europa 44 Prozent weniger CO2 ausstoßen soll als 2007.
Fürs emissionsfreie Fahren entwickelt man Autos mit Batterie- und Brennstoffzellenantrieb.
Hier wachsen gefährdete Pflanzen wie der Schlangenknöterich, die Waldengelwurz, das Sumpfblutauge und das Borstgras. „Eine Gewerbeansiedlung, insbesondere eines Automobilkonzerns, auf einer derart ökologisch wertvollen Fläche halten wir für nicht mehr zeitgemäß“, sagt Katharina Seegelke vom BUND.
Die Harburger Grünen hätten sich mit der Entscheidung schwer getan, bekennt deren Fraktionschefin Britta Herrmann. Sie sähen die Zerstörung des Gebiets zwar prinzipiell kritisch, müssten aber auch ökonomisch und sozial verantwortbare Entscheidungen treffen. „Das ist das Dilemma, in dem sich die Großstadtpolitik befindet“, sagt Herrmann. In dem Werk arbeiten Daimler zufolge 2.500 Menschen.
Herrmann weist auf eine Erklärung zu dem Bebauungsplanverfahren, in dem SPD und Grüne einen städtebaulichen Vertrag fordern. Dieser soll sicherstellen, dass das Gelände ausschließlich für die Daimler-Logistik genutzt wird. Falls Daimler das Logistikzentrum aufgeben sollte, entscheidet die Bezirksversammlung über die weitere Verwendung des Areals mit.
Das Werk muss klimaneutral erweitert werden. Dach und Fassade müssen begrünt, Photovoltaikanlagen aufgebaut werden. Überdies soll der Güterverkehr umweltverträglicher als heute abgewickelt werden. Möglich macht dies der Anschluss an die Hafenbahn. An den Senat appellieren die Bezirkspolitiker, er möge eine S-Bahnstation in Werksnähe errichten.
Als schwierig dürfte sich der Naturausgleich für das Projekt erweisen. Den Flächenbedarf hierfür schätzen die Koalitionspartner auf 55 Hektar. Ihr Wunsch ist es, den Verlust im Bezirk auszugleichen, wobei schon der ganze Stadtstaat Hamburg Mühe hat, Platz für Ausgleichsprojekte auf seinem eigenen Territorium zu finden. SPD und Grüne schlagen vor, Moorgebiete im Osten des Bezirks zu wässern. Dabei erwarten sie von Daimler, dass er private Grundstücke für den Ausgleich hinzukauft.
Mit Blick auf den Naturausgleich ist der BUND skeptisch. Schon die Werkserweiterung 2010 sei im Osten Harburgs ausgeglichen worden. Eine Biotopkaratierung von 2015 kommt zu dem Schluss: „Die Vegetation ist weit von der Entwicklung niedermoortypischer Bestände entfernt“.
Die Hamburger Umweltbehörde verspricht, „dafür Sorge zu tragen, dass der Ausgleich direkt im Bezirk stattfindet“ und die Frage der CO2-Speicherung im Boden zufriedenstellend beantwortet werde.
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