: DISKUSSION DER WOCHEIst was dran am Bürgergeld der FDP?
PROHERMANN BINKERTCDU-Staatssekretär, Leiter der„Projekt- gruppe Solidarisches Bürgergeld“
Es ist eine gute Nachricht, dass bei den Koalitionsverhandlungen zwischen der CDU/CSU und der FDP eine Alternative zu Hartz IV gesucht wird. Diese von der rot-grünen Schröder-Regierung durchgesetzte sogenannte Arbeitsmarktreform ist gescheitert.
Die Widersprüche zwischen dem, was die Politik propagierte, und der Wirklichkeit sind offensichtlich: Die Bürger sollen Eigenverantwortung übernehmen und fürs Alter vorsorgen. Wenn sie den Ratschlägen aber folgen, verwehrt man ihnen das Arbeitslosengeld II bis die Ersparnisse auf ein sogenanntes Schonvermögen verzehrt sind. Nehmen ALG-II-Bezieher eine Arbeit an, werden sie mit einem Transferentzug von 80 bis 90 Prozent „bestraft“. Wir dürfen nicht die Augen davor verschließen, dass Hartz IV für viele zu einer Sackgasse geworden ist. Die FDP hat auf ihren Wahlplakaten dafür geworben, dass sich „Arbeit wieder lohnen“ müsse. Deshalb ist es nur konsequent, wenn sie sich für das Bürgergeld stark macht. Geringere Einkommen mit Hilfe eines Bürgergelds so aufzustocken, dass die Erwerbstätigen von ihrem Einkommen leben können, erfüllt auch die Forderung von CDU und CSU nach einem Mindesteinkommen.
Anders als das von Dieter Althaus vorgeschlagene Modell des Solidarischen Bürgergelds, soll das von der FDP propagierte Bürgergeld nicht „bedingungslos“ gewährt werden. Dabei gibt es gute Gründe für die Bedingungslosigkeit: grundsätzliche, wie der Anspruch jedes Menschen auf sein soziokulturelles Existenzminimum, aber auch praktische, wie ein deutlich geringer Verwaltungsaufwand. Doch auch das bedarfsabhängige (Negativsteuer) und nicht bedingungslose Bürgergeld wäre ein Ausweg aus der Hartz-IV-Falle. Es motiviert und schafft soziale Sicherheit.
Die zukünftigen Koalitionspartner im Bund müssen die Chance zu einer Erneuerung der Arbeitsmarktpolitik nutzen und das Bürgergeld als Option Hartz IV entgegensetzen. Dann können die Bürger selbst entscheiden, welches Modell sie bevorzugen. Das wäre ein großer Schritt in die richtige Richtung!
CONTRADOROTHEE SCHULTE- BASTAMitglied im Netzwerkrat vom Netzwerk Grund- einkommen
Ob sich die FDP dieser Tage noch ihres kürzlich verstorbenen Parteifreunds Lord Dahrendorf erinnert? Er sprach schon in den 1980er-Jahren von einem bedingungslosen Grundeinkommen als „marktunabhängigem Existenzgeld, auf das alle Anspruch haben und das ein Minimum an (Über-)Lebenschancen garantiert“. Dahrendorf wusste, dass dieses Thema „auf der Tagesordnung einer Politik der Freiheit bleiben muss“.
Das liberale Bürgergeld, das mit Beginn der Koalitionsverhandlungen wieder in den Vordergrund tritt, ist nicht und macht nicht marktunabhängig und ist kein Ausdruck einer Politik der Freiheit. Vor allem aber es ist eines: Kein bedingungsloses Grundeinkommen, auch kein Weg, der in diese Richtung zeigt. Es ist alter Wein in neuen Schläuchen: der Versuch in alter Logik verharrend, neue Begriffe für harte sozialstaatliche Einschnitte zu finden und positive Begrifflichkeiten zu kapern.
Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist eine wirksame Maßnahme, um Armut zu bekämpfen und angemessen auf den Wandel in den Formen der Erwerbsarbeit zu reagieren. Aber über die reine sozialpolitische Maßnahme hinaus ist es immer auch ein Kulturimpuls. Es ist mehr als Armutsbekämpfungspolitik oder Finanzkrisenbewältigungspolitik, mehr als technokratisches Flickzeug. Es ist ein Vehikel, Gesellschaft neu zu denken und zugleich das Mittel, die Vision einer neuen Gesellschaft Wirklichkeit werden zu lassen. Von allen, für alle – das bedingungslose Grundeinkommen ist der Vorschlag für einen neuen, nachhaltigen Gesellschaftsvertrag.
Zwei Punkte sind hier von entscheidender Bedeutung: die Bedingungslosigkeit und eine existenz- und teilhabesichernde Höhe.
Hier fängt Freiheit an! Freiheit, die auf der Basis der „Ökonomisierung von Anrechten“ Menschen befähigt, ein autonomes Leben zu führen. Wer das Ideal der Freiheit einer Mehrheit der Bürger vermitteln will, muss Auskunft darüber geben, wie er sich die lebenswerte Welt vorstellt. Lord Dahrendorf wusste das. Seine Enkel wissen es offensichtlich nicht.
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