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Selbstgebackene WeihnachtskekseFriss! Es ist von meinem Leib!

Niemand muss Bulle sein; und niemand muss Plätzchen backen. Und trotzdem werden wir jedes Jahr von staubigen Plätzchen erstickt. Eine Anklage.

Die einen nennen es Plätzchen, die anderen Wüste Foto: dpa

D er Rubel rollt, die Einzelhandels-Billigjobs florieren: Es ist Dezember. Und so wie dieser Tage alle den Rest der Zeit zuverlässig Verhausten auf einmal auf die Weihnachtsmärkte kriechen, so purzeln aus ihren Körperöffnungen und Plastiktüten ebenso zuverlässig die zu essenden Familiärgebäcke.

„Das hat meine Mutter gebacken, also kann es nur gut sein.“ Zu keiner Zeit im Jahr hört man diesen Satz öfter als vor Weihnachten. „Hier, probier’ mal, Plätzchen von der Tante meiner Nachbarin.“ „Toll, oder? Selbst gemachte Chili-Zimt-Kipferl!“ Friss, es ist ein Stück von meinem Leib!

Selbst gebackene Kekse schmecken meist immer gleich, nämlich wie Tapetenreste. Niemand muss Bulle sein; und niemand muss Plätzchen backen. Doch es ist ja so einfach! Ein bisschen Zucker, Mehl, Backpulver, Hautschuppen, Druckerschwärze, Mittagsschweiß, Mittelstandsparanoia, zusammengerührt und dank hipper Ausstecher zu denselben Katzen-, Einhorn-, Luftgewehr-, Hackbällchen-, und Günther-Jauch-Formen gestanzt, die wir sowieso ständig sehen. Back dir dein personalisiertes Unglück: zack, fertig!

Bloß nicht nach Geschmack schmecken darf das so Verfeuerte, etwa nach etwas, das gut schmecken würde (oder nach überhaupt irgendetwas); und bloß nicht nicht schmecken darf es den zum Probieren Verheizten. Sonst gibt es nächstes Jahr – Strafe muss sein! – nichts oder gar doppelt so viel. Dabei wäre es doch im Sinne aufgeklärter Zwischenmenschlichkeitspädagogik humaner, dem Gegenüber Kümmel, Pottasche und Was-weiß-ich-was-du-da-schon-wieder-Tolles-reingesprudelt-hast einfach unverarbeitet in den Rachen zu schütten.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Aber Dezember ist Dezember, und da wird die Leere nun mal unter staubig-gelben Teigabgüssen begraben wie die Toten über das vorangegangene Jahr hinweg unter frischer Blumenerde, mit dem Unterschied, dass Letztere nicht wiederkommen. Anderen sein mediokres Krisselgebäck aufzunötigen, zeugt vom unbedingten Wunsch, nicht nur die ihnen ums Verrecken einzuverleibenden Kekse, sondern auch sie selbst anzufassen, ihnen den Atem mit dem eigenen zu verhageln, letztlich, sie zu erwürgen und so ebenfalls unter die Erde zu bringen.

Selbst gemachtes Weihnachtsgebäck ist eine aus falschem Verständnis in die supersensibilisierte Gegenwart hineingeschleifte Folterpraxis, genau dem endlich-unendlichen Kleinstadtmief entsprungen, dem so viele so knapp erst entkommen sind. Kann man es denn nicht auch positiv besetzen? Ja, los, holt die Panzer raus, ihr Naziversteher!

Oder: Ihr lasst es verbrennen und steigt in die letzte Rakete zum Planeten Endlich gute Laune. Ich warte da auf euch.

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Adrian Schulz
Freier Autor
Seit 2015 bei der taz, zunächst als Praktikant, dann als freier Autor und Kolumnist (zurzeit: "Ungenießbar"). Nebenbei Masterstudium der Ästhetik in Frankfurt am Main. Schreibt über Alltag, Medien und Wirklichkeit.
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17 Kommentare

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  • Schön für den Artikelschreiber dass er in einer Realität lebt wo keine Polizei benötigt wird.

    • @wirklich?:

      Ooch - lassemer ihm doch sei Plätzchenrevolverpestole - Gelle.

      kurz - Ach herm. Wer sonst nix hat. 👻



      Mann muß jönne könne. Newahr.



      Normal.



      &



      Besser is das.

  • Wäre Hitler nicht schon all zu oft verteufelt worden, hätte womöglich nicht das arme, unschuldige Weihnachtsgebäck herhalten müssen als Anlass für diese eitle Zurschaustellung brachjalgewaltiger Geschwätzigkeit. Aber man tut halt, was man glaubt tun zu müssen.

  • Oh yeah, den Text, den Stil, die Aussage habe ich mir auf der Zunge zergehen lassen. Danke dafür. Und da mir niemand Kekse schenkt - ich bin befreit vom Weihnachtstaumel - war das die beste Alternative.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Entweder man hat es - oder man hat es nicht.

    Diese alte Indianerweisheit gilt auch fürs Plätzchenbacken. Und wem es zu "staubig" ist, sollte zuerst einmal prüfen, ob er die richtigen Zutaten benutzt hat - oder vielleicht zu weit südlich aus dem Flieger ausgestiegen ist. Timbuktu ist nicht besonders empfehlenswert.

    Im Übrigen ist mir von einem Trinkverbot zu Weihnachtsplätzchen nichts bekannt. Ich hole meine Dritten raus, tunke die Plätzchen in Original Sibirischen Wodka vom Baikal - und ab die Lutzie - werden sie gelutscht!

    Ich habe übrigens zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder selbst gebacken. Isch schwör's. Sogar meine Lieblingsplätzchen aus der Kindheit. Sahen aus wie Tellerminen. Aber geschmacklich eine Delikatesse.



    Nastrovje!

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @76530 (Profil gelöscht):

      Jetzt bin ich aber neidisch.

      Ich habe die Dinger für teuer Geld gekauft.

      Plätzchen backen macht mich aggressiv.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @88181 (Profil gelöscht):

        Das ist halt nichts für Hibbelschäh.

        In besseren Zeiten habe ich nicht nur exquisit gekocht und gebacken, sondern auch viel gebügelt. Das war für mich wie Meditation. In Rehas gab ich mich gerne als Bügelweltmeister Roger Gallet aus. Die Herzen flogen mir nur so zu. Die Wäsche auch ...

        Zu diesen Auswirkungen von Vaterlosigkeit später mal etwas auf Kanal Zwo.

        Es soll nicht verschwiegen werden, dass ich beim Backen tatkräftige Hilfe hatte. Zumindest noch bei den Vanillekipferl ... in Herzchenform, Sternchen, Wölkchen ... Es war allerliebst. Leider nicht genug.

        Trotz eiserner Rationierung wird mir bis Weihnachten für jeden Tag jeweils eines übrigbleiben. Dafür gibt's aber Dominosteine bis zum Abwinken.

        Dafür habe ich mich eine Woche lang selbst interniert und meinen Stoffwechsel heruntergefahren (auch das geht), damit das Geld ausreicht.

        Danke, Herr Hartz, danke Herr Blüm, danke Frau Merkel, Herr Schäuble, Herr Scholz ... bitte mit Frauennamen auffüllen ... Quote muss schon sein. :-)

        Sorry wg. der Känguruhübungen. Bin fiebrig-malade. Tschau mit au.

        • 8G
          88181 (Profil gelöscht)
          @76530 (Profil gelöscht):

          Ich liebe das Bügeln!

          Genauer gesagt, ich liebte es. In Berlin steht eine Bügelstation, die mir immer noch wie ein technisches Wunderwerk erscheint.

          Nur muss ich heute nicht mehr jeden Tag ein frisch gebügeltes Hemd anziehen.

          Genau genommen muss ich das überhaupt nicht mehr. So bügle ich heute nur noch manchmal zum Spaß.

          Meinen Sie, dass Vaterlosigkeit zum Bügeln führt. Weil, das trifft bei mir auch zu.

          Ihre Verpflegungssituation klingt unerfreulich und macht etwas Sorge.

          Vielleicht ist es ja ein schwacher Trost für Sie, dass ich Weihnachten von ganzem Herzen hasse.

          Und nur eine kleine Show initiiere. Was mir natürlich leicht von der Hand geht. Wie das Bügeln.

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    p.a.l.



    (probleme anderer leute)



    niemand muss etwas gegen seine willen essen!

  • RS
    Ria Sauter

    Danke für den Artikel, habe laut gelacht.



    Noch so jemand, der anscheinend von Mama, Oma und Tante grausam gequält wurde.



    Bin mit einem Gebäckgeschädigten verheiratet.



    Ich backe nur für mich, und geniesse es.

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @Ria Sauter:

      .



      Falls Sie Überkapazitäten haben findet sich ein Weg

      • RS
        Ria Sauter
        @61321 (Profil gelöscht):

        Überkapazitäten? Das gibt es nicht bei Moccatalern und Bärentatzen. Wird alles selbstlos vertilgt.



        Frohe Knuspertage!

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Da hat aber einer was zu verarbeiten.

    Mit den Plätzchen ist es doch wie mit allem anderen. Man gibt sich Mühe, dann wird es gut. Egal ob Rehrücken, geschmortes Kaninchen oder Crème brûlée. Man gibt sich keine, dann wird es schlecht.

    Aber Bulle muss wirklich niemand sein.

  • Ich habe gerade einen ganzen Artikel darüber gelesen, dass du keine Plätzchen magst. Geschieht mir recht!

  • Niemand muss des sliceoflife G'schmarri lesen. Warum hab ich's dann drei Sätze lang getan? Na ja, Kekse is halt n Frauenthema.

    • @Heide Gehr:

      Ja wie^¿* … 3 Sätze …“ Is sich - doch!

      Ne euliche Quote der luhmannschen -



      Komplexitätsreduzierung. Gellewelle.



      Normal Schonn - wa?!

      kurz - …& platt wie‘n Plätzchen •.

  • Wenn so gute Laune auf Ihrem Planeten aussieht, na, ich weiß nicht, vielleicht besuche ich mit den Töchtern doch lieber wieder Oma und Opa. Aber vielen Dank für die freundliche Einladung!