piwik no script img

Tierversuchsanstalt fälscht ErgebnisseMissbrauchte Lebewesen

Dass Tierversuchsanstalten Untersuchungsergebnisse fälschen, dürfte kein Einzelfall sein. Bundesweit gibt es immerhin mehr als 700 solcher Labore.

Mahnwache von Tierschützern vor dem Labor der Firma LPT in Mienenbüttel bei Hamburg Foto: Bodo Marks/dpa

G enau zwei Monate ist es her, dass die Tierrechtsorganisation Soko Tierschutz heimliche Aufnahmen aus dem Innern der Tierversuchslabore der Firma LPT veröffentlicht hat; und wie viel mehr ist seither ans Tageslicht gekommen! LPT steht für Laboratory of Pharmacology and Toxicology GmbH & Co. KG; diese Firma unterhält in Hamburg und Umgebung mehrere Labore, in denen Pharmazeutika und weitere chemische Substanzen an Tieren auf Giftigkeit getestet werden.

Noch vor wenigen Jahren hat die Firma auf ihrer Website offen ihr Leistungsspektrum dargestellt; angeboten wurden Tests an Mäusen, Ratten, Hamstern, Meerschweinchen, Kaninchen, Hunden, Affen, Katzen, Schweinen, Fischen und Vögeln, und zwar mit folgenden Methoden: oral, intraperitoneal (in die Bauchhöhle), intravenös, per Infusion, dermal, per Inhalation, intravaginal, intrathekal (ins Rückenmark), rektal und per Eingabe in den Augenlidsack.

Solche Giftigkeitstests sind zwar bislang vorgeschrieben, aber zumeist nicht genehmigungspflichtig. Ihre Durchführung verläuft im völligen Graubereich, wird fast nie durch Veterinärämter kontrolliert. Der gemeinnützige Verein Soko Tierschutz hatte einen Automechaniker als Tierpflegehelfer eingeschleust, der berichtete, dass sich unter seinen Kollegen nur ein einziger ausgebildeter Tierpfleger befand; die anderen waren Schlachter, Mechaniker und ein Militärmusikant.

Sogar wenn solche Versuche ordnungsgemäß durchgeführt werden, ist ihre Aussagekraft mehr als zweifelhaft. Wenn Sie Hund oder Katze besitzen, wissen Sie, dass denen Schokolade giftig werden kann; Eichhörnchen knabbern unbeschadet am Fliegenpilz. Dass Contergan Fehlentwicklungen am menschlichen Fötus hervorrufen würde, konnte man aufgrund der vorherigen Tierversuche nicht ahnen; jedes Jahr müssen Medikamente vom Markt genommen werden, weil sie sich im Tierversuch als „unbedenklich“ erwiesen hatten, bei der Anwendung am Menschen aber nicht. Zur eigenen Sicherheit, also um teure Ausfälle und Schadensersatzforderungen zu vermeiden, testen viele Firmen längst nicht mehr nur im Tierversuch, sondern zum Beispiel auch mithilfe von Zellkulturen. Dass das Gesetz immer noch auf dem Tierversuch beharrt, ist daher ohnehin antiquiert.

Ausgeschnittene Tattoonummer

Im Falle von LPT meinte der Soko-Mitarbeiter zudem zu beobachten, dass mindestens einmal Daten gefälscht wurden, damit sie zu den erwünschten Ergebnissen „passten“. Diese Anschuldigungen wurden seither durch ehemalige Mitarbeiter des Unternehmens bestätigt. Der frühere Leiter der Hämatologie sagte gegenüber dem TV-Magazin Fakt aus, dass in einer Krebsstudie die Organe eines verstorbenen Affen ausgetauscht worden waren: „Man hat die Tattoonummer, die sich im Brustbereich des Tieres befindet, ausgeschnitten. Diese hat man nach dem Ende der Studie den Organen des ersetzten Tieres hinzugefügt.“ Ein weiterer Mitarbeiter erinnert sich an Manipulationen von Fakten, die bereits 2005 der zuständigen Hamburger Behörde gemeldet worden seien.

Hilal Sezgin

studierte Philosophie in Frankfurt am Main. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide. Zuletzt erschien: „Nichtstun ist keine Lösung. Politische Verantwortung in Zeiten des Umbruchs“, DuMont Buchverlag 2017.

Damals ist anscheinend nicht viel geschehen, doch vor zwei Wochen wurden mehrere Labore und Geschäftsräume der LPT von Staatsanwaltschaft und Veterinäramt durchsucht und anscheinend wurde umfangreiches Material mitgenommen. Mehrere Firmen haben Aufträge ans LPT zurückgezogen; das Unternehmen selbst verkündete, ein Labor zu schließen. Mehrere Großdemonstrationen gegen Tierversuche, an denen jeweils bis zu 15.000 Menschen teilnahmen, gingen voraus. Dem steht bisher ein großes Schweigen deutscher Forschungseinrichtungen und des zuständigen Berliner Ministeriums gegenüber.

Doch was hier aufgedeckt wurde, wird in der Branche kein Einzelfall sein. Es gibt über 700 Tierversuchslabore in Deutschland; es ist unwahrscheinlich, dass allein das LPT Ergebnisse gefälscht hat, dass es nur hier zu besonderer Brutalität gekommen ist. Bekannt wurden vor allem die Fotos, auf denen ein Beagle in einer Lache des eigenen Bluts verendete; Bilder von panischen und schreienden Affen, die in so kleinen Käfigen untergebracht sind, dass sie sich um sich selbst drehen. Wie können wir glauben, dass die Verbesserung von Wohl und Gesundheit der Menschen ihren Ursprung in solchen Pfuschereien und Grausamkeiten hat?

Zeugnis leidvollen Lebens

Ein Foto des Tierrechtsrechercheurs wird seltener gezeigt; man sieht kein Blut darauf, kein Fell, keine Käfige, keine Tiere. Man sieht zwölf kleine Kanister oder Gläser, die jeweils einem getöteten Tier zugeordnet sind. In einer Mischung aus Wasser und Alkoholen sind dort Organe der jeweiligen Tiere eingelegt. Und, wir erinnern uns an die Aussage des Hämatologen, womöglich auch ein Stückchen Haut mit der Tattoonummer des jeweiligen Tiers. Jedes Aufbewahrungsglas das Zeugnis eines erbärmlichen, leidvollen Lebens.

Was den Tieren bis dahin zugefügt wurde, erinnert an Folter; und ich verwende diesen Begriff bewusst. Folter ist das willkürliche Unterwerfen eines anderen unter immenses Leid, das absichtsvolle Zufügen schwer erträglicher Zustände und Schmerzen; sie dient dem eigenen Vorteil und geht über die minimalen Anforderungen an Unversehrtheit und Leidfreiheit der anderen hinweg. Man muss kein Sadist sein, um zu foltern (obwohl viele Folterer es wohl sind), man foltert meist nicht zum reinen Vergnügen. Man foltert für einen vermeintlich höheren Zweck, die (angebliche) Sicherheit der Nation, für das (angebliche) Wohl der Allgemeinheit.

Und genau das geschieht im Tierversuch. Man muss keine vollkommene moralische Gleichwertigkeit von Mensch und Tier annehmen, um so etwas abzulehnen; man muss nicht einmal kategorische Pazifistin ist. Aber das Mittel der Gewalt, zu dem jemand im Notfall greift, darf nicht die Standardprozedur für den Normalfall sein. Zivilisation zeichnet sich dadurch aus, dass wir eben nicht routinemäßig und legal die einen für die anderen quälen dürfen; ganz egal ob Mensch oder Tier.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Wie so oft stimme ich Hilal Sezgin in den allermeisten Punkten zu. Nur: „Zivilisation“, schreibt sie, „zeichnet sich dadurch aus, dass wir eben nicht routinemäßig und legal die einen für die anderen quälen dürfen; ganz egal ob Mensch oder Tier.“

    Dabei ist die real existierende menschliche Zivilisation doch geradezu die Inkarnation des menschlichen Herrschaftsanspruchs über die ganze Welt, insbesondere über Pflanzen und Tiere. Unsere Macht legitimiert sich selbst: Weil wir sie besitzen, dürfen wir mit allen Elementen dieser Welt machen, was wir in unserem Interesse für nötig halten. Folgerichtig ist auch Tierquälerei selbstverständlich legal. Man darf einem Tier „Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“, sofern es einen „vernünftigen Grund“ dafür gibt (Tierschutzgesetz, §1). Wie sich beim juristischen Streit ums Kükenschreddern gezeigt hat, galten schon die wirtschaftliche Interessen der Brutbetriebe als solche „vernünftigen Gründe“. Das Bundesverwaltungsgericht hat das nun mit Verweis aufs „Staatsziel Tierschutz“ im Grundgesetz ein wenig restriktiver ausgelegt; jetzt darf mit „Übergangsfrist“ weitergeschreddert werden, bis es nicht mehr nötig ist. Wie salomonisch.

    Aber es gibt natürlich auch noch die andere „Zivilisation“, bei Christens auf den zehn Geboten beruhend. Dieses ideologische Konstrukt verhält sich zur realen Zivilisation ziemlich genau wie das „Staatsziel Tierschutz“ zu Schlachthof-Horrer, betäubungsloser Ferkelkastration und Krebsmaus. Wegschauen allein reicht ja nicht, man muss sich die Welt auch ein bisschen schön malen. Das ist Lyrik, hübsch für Sonntagsreden und Jahrestage. Ein bunter Heliumballon am Schwanz über der stinkenden Kloake des gleichnamigen Ungeheuers. Wer sich von dem Ballon blenden lässt, sieht das Monster bald nicht mehr.

    Was Zivilisation mit Tierquälerei zu tun hat, scheint mir jedenfalls ziemlich klar. Nur ist es leider das Gegenteil von dem, was Hilal Sezgin meint.

  • Danke, taz, für diesen guten Artikel! Ja, es ist Folter an Tieren! Tiere werden im LPT und in anderen Tierversuchslaboren zu Tode gefoltert! "Wie können wir glauben, dass die Verbesserung von Wohl und Gesundheit des Menschen ihren Ursprung in solchen Pfuschereien und Grausamkeiten hat?" Das ist die entscheidende Frage und meine Antwort ist: Die Seele des Menschen leidet Schaden, wenn der Mensch Tiere quält. Die Gesundheit des Menschen kann nicht mit Tierfolter verbessert werden. Tier- und Menschenrechte gehören zusammen. Lasst uns die Schwachen beschützen! LPT sofort schließen! JETZT und FÜR IMMER!

  • 0G
    08439 (Profil gelöscht)

    "Wie können wir glauben, dass die Verbesserung von Wohl und Gesundheit der Menschen ihren Ursprung in solchen Pfuschereien und Grausamkeiten hat?"

    Die Massentierhaltung müsste man hier auch einbeziehen, jedenfalls was die Grausamkeit betrifft. Grundsätzlich halte ich es nicht für moralisch gerechtfertigt, dass man ein Tier nur zum Leben bringt oder es am Leben hält, damit es einem menschlichen Zweck dient, der die meisten Aspekte einer artgerechten Lebenweise ignoriert und das Leben des Tiers auf ein Bruchteil seiner natürlichen Lebenszeit reduziert.