Tierversuche in der Forschung: Stress-Test mit Mäusen
In der Forschung werden immer noch zahlreiche Versuche mit Tieren durchgeführt. Manche werden als notwendig erachtet, andere sind nutzlos.
Eine Maus schwimmt in einem Becher mit Wasser. Anfangs strampelt sie wild umher, erkundet die Umgebung. Doch es gibt kein Entkommen und irgendwann gibt sie auf. Sie lässt sich an der Oberfläche treiben – das sogenannte Floating-Verhalten. So funktioniert der „Forced Swim Test“, der derzeit stark kritisiert und diskutiert wird. Denn dieser Test galt lange Zeit als Messung für depressives Verhalten: Begannen die Mäuse früh mit dem Floating, wurde das als Anzeichen für Depressionen gewertet.
Diese Interpretation bezweifeln viele Forscher, dennoch wird der Test seit den 1970ern häufig angewandt. Jan Deussing leitet am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München eine Arbeitsgruppe, die mit Mäusen arbeitet. Für ihn hat der Forced Swim Test nichts mit Depressionen zu tun. „Es ist eher ein Stress-Test, bei dem die Tiere unterschiedliche Strategien entwickeln. Entweder, sie versuchen, aktiv der Situation zu entkommen. Oder aber, sie lassen sich treiben und sparen so Energie.“
Die Tierrechtsorganisation Peta startete Ende letzten Jahres eine Petition gegen den Test. Es sei ein grausamer und völlig nutzloser Test, schreiben sie auf ihrer Website. Erste Erfolge sind zu verzeichnen, denn Pharmaunternehmen wie Roche, AbbVie und Johnson&Johnson führen nun keinen Forced Swim Test mehr durch und finanzieren ihn auch nicht.
Andere Versuche mit Tieren sind dennoch nötig. Beispielsweise werden neue Medikamente zuerst an Tieren getestet, bevor klinische Studien am Menschen beginnen dürfen. Generell gelten für Wissenschaftler die „3 R“: Replacement, Reduction, Refinement. Das bedeutet, dass Tierversuche nur dann durchgeführt werden, wenn sie unbedingt nötig sind. Dabei werden möglichst wenige Tiere verwendet und das Leiden gering gehalten.
Jan Deussing glaubt, dass die Wissenschaft im Hinblick auf die Tierversuche mittlerweile umdenkt. Einfache Verhaltenstests verlieren an Bedeutung. Stattdessen versucht man, komplexes Verhalten zu studieren und zu sehen, was dabei im Gehirn passiert. Möglichst natürlich sollen die Situationen sein: „Anstatt einzelne Tiere zu untersuchen, schaut man auch auf das Verhalten in der Gruppe, vielleicht nicht in einer Test-Apparatur, sondern im Heimkäfig.“
Transgene Mäuse
So untersucht Deussing in seinem Labor beispielsweise, welche Rolle bestimmte Gene bei Menschen mit einer psychischen Erkrankung spielen. Dazu verändern er und sein Team den genetischen Code von Mäusen und analysieren die Auswirkungen – beispielsweise, wie diese Tiere auf Stress reagieren. Als belastende Situation nutzt Deussing sozialen Stress. Das Versuchstier wird von einer dominanten Maus unter Druck gesetzt, wobei sie räumlich voneinander getrennt sind, sich also nicht berühren können.
Psychische Erkrankungen sind in Experimenten schwer nachzubilden, denn sie sind komplex, mit variablen Symptomen. Einige Aspekte, wie beispielsweise Abhängigkeit oder Angst, lassen sich dennoch gut im Tierversuch untersuchen. Andererseits gibt es Fragestellungen, die man nur am Menschen beobachten kann. Professor Andreas Meyer-Lindenberg ist Vorstandsvorsitzender des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim und Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Er beschäftigt sich schon lange mit der Translation, also der Übersetzung von Ergebnissen aus Tierversuchen auf den Menschen. „Wenn Patienten beispielsweise Stimmen hören, kann ich das offensichtlich nicht am Tier untersuchen“, erklärt Meyer-Lindenberg.
Depressionen, Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), Schizophrenie, Sucht: Am ZI werden psychische Erkrankungen aus verschiedenen Blickwinkeln untersucht. Die Grundlagenforschung am Tier ist dabei sicher wichtig, doch Andreas Meyer-Lindenberg und seine Kollegen wollen besonders die Forschung mit und am Menschen voranbringen. Ende September eröffneten sie dazu das Zentrum für innovative Psychiatrie- und Psychotherapieforschung (ZIPP). Hier sollen zum Beispiel neue Medikamente in klinischen Studien getestet werden. Doch nicht nur das: „Besonders wichtig ist es, Medikamente und psychotherapeutische Verfahren zu kombinieren“, so Professor Meyer-Lindenberg. „Es gibt eine ganze Reihe von Substanzen, die für sich allein gar nicht so wirksam sind. Gemeinsam mit einer psychotherapeutischen Intervention verstärken sie die Effekte der Therapie aber deutlich.“
Das ZIPP ist für eine solche Forschung schon durch seine Lage bestens vorbereitet. Es befindet sich im Keller des Therapiegebäudes am ZI, also in unmittelbarer Nähe der Patienten. Zudem ist es ausgestattet mit modernen Geräten. So können die Wissenschaftler gleichzeitig winzige Mengen radioaktiv markierter Substanzen im Gehirn verfolgen und die Hirnfunktion messen. Mit einem Magnetresonanztomografen beobachten sie in Echtzeit, welche Nervenzellen gerade aktiv sind – ganz ohne Elektroden am Kopf.
Virtuelle Realitäten
Spannend für die Weiterentwicklung der Psychotherapie ist das Labor für Virtuelle Realität (VR). „Wenn jemand Höhenangst hat, begibt man sich in der Therapie normalerweise in genau so eine Situation“, erklärt Meyer-Lindenberg die sogenannte Expositionstherapie. „Aber ich kann ja nicht jedes Mal mit meinem Patienten auf einen hohen Turm steigen.“ Stattdessen könne man nun im VR Labor die Erlebnisse so realistisch darstellen, dass der Patient seine Angst allmählich verlernt. „Es ist schon eindrucksvoll, wie überzeugend die Simulationen sind.“
Es gibt mittlerweile mehrere Studien, die positive Effekte von VR für verschiedene psychische Erkrankungen nachweisen. Von Phobien über PTBS und Depressionen bis hin zu chronischen Schmerzen und intensivem Stress ist alles denkbar. Tatsächlich wird VR bereits dazu genutzt, um Patienten von ihren Schmerzen abzulenken, beispielsweise beim Wechseln der Bandagen von Menschen mit schweren Verbrennungen oder der Physiotherapie vernarbten Gewebes.
Auf Tierversuche wird die Forschung in absehbarer Zeit nicht verzichten können. Doch ist es wichtig, sich immer zu fragen, was man mit einem bestimmten Experiment untersuchen kann, und was nicht. Dafür ist ein offener Dialog der Wissenschaftler untereinander und mit der Öffentlichkeit unumgänglich. Die Methoden entwickeln sich immer weiter, Techniken von Zellkulturen bis zu Computersimulationen verbessern die Forschung. In einer guten Mischung aller Möglichkeiten liegt die Chance, wichtige Fragen zu klären – für Tier und Mensch.
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