Nachhaltigkeitsforscherin zu Abfall: „Müllvermeidung taucht nicht auf“
Immer höhere Recyclingquoten und Verbote bringen wenig, sagt Nachhaltigkeitsforscherin Sina Leipold. Sinnvoller wären konkrete Vorgaben für Mehrweg.
taz: Frau Leipold, laut Umweltbundesamt haben die Deutschen 2017 wieder mehr Verpackungsmüll produziert. Erwarten Sie für 2019 weniger Müll?
Sina Leipold: Das hängt von vielen Faktoren ab, etwa der Konjunktur oder ob der verpackungsintensive Onlinehandel weiter wächst. Angesichts der Wirtschaftslage würden mich sinkende Zahlen überraschen.
Aber 2019 ist doch die neue Verpackungsverordnung in Kraft getreten, das Umweltministerium verbietet Plastiktüten. Bringt das nichts?
Es bringt wenig. Davon gehen die meisten Experten aus, die wir im Rahmen unseres Forschungsprojekts zur Kreislaufwirtschaft befragt haben. Zwar steht in der Verordnung, dass die Kosten für die Entsorgung von Verpackungen anhand von Nachhaltigkeitskriterien kalkuliert werden sollen. Welche Kriterien das sind, ist aber offen. Und es ist eine „Soll-Bestimmung“. Häufig bekommt doch der günstigste Anbieter den Zuschlag von Unternehmen.
ist Junior-Professorin am Institut für gesellschaftliche Transformation und Kreislaufwirtschaft der Universität Freiburg. In dem Projekt „Circulus“ erforscht sie das Verpackungsgesetz und die Kreislaufwirtschaft.
Insgesamt konzentrieren wir uns zu sehr darauf, effizienter zu werden statt effektiver. Zwar legen wir immer höhere Recyclingquoten fest, prüfen dann aber nicht nach, ob wir wirklich neues Material einsparen, wenn wir mehr recyceln; und wir verfolgen auch nicht, welche Qualität Rezyklate haben oder was genau mit ihnen geschieht. Unternehmen beispielsweise beklagen häufig, dass es in Deutschland keinen Markt für Rezyklate gibt, weil frische Rohstoffe zu billig sind.
18,7 Millionen Tonnen Verpackungsmüll sind hierzulande im Jahr 2017 laut neuesten Zahlen des Umweltbundesamts angefallen. Das waren 3 Prozent mehr als im Vorjahr. Dies entspricht im Schnitt 226,5 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Etwas weniger als die Hälfte – 47 Prozent – des Verpackungsmülls wird durch die Endverbraucher verursacht.
Knapp 70 Prozent der Verpackungen werden recycelt, der Rest wird größtenteils energetisch verwertet, also verbrannt. Die Recyclingquote variiert laut Umweltbundesamt bei den unterschiedlichen Verpackungen. So erreicht Glas Recyclingraten von 84,4 Prozent, Papier und Pappe 87,6 Prozent, jedoch werden nur 49,7 Prozent der Kunststoffe recycelt.
Das neue Verpackungsgesetz, seit Anfang des Jahres in Kraft, soll die Recyclingfähigkeit von Verpackungen verbessern und Mehrwegverpackungen fördern. Außerdem legt es höhere Recyclingquoten fest.
Was müsste die Regierung also tun?
Sie sollte sich an der Europäischen Abfallhierarchie orientieren. Das heißt: Zuallererst muss es um Müllvermeidung gehen. Das Thema wurde zwar, als das Verpackungsgesetz novelliert wurde, diskutiert. Doch dann hat man sich in Fragen der Zuständigkeit oder der Kosten verloren. Nun taucht die Vermeidung nirgendwo mehr auf. Dabei könnte man Verpackungsmüll durch gute Mehrwegsysteme vermeiden. Hier fehlen konkrete Vorgaben. Das hätte natürlich Folgen für Transport und Handel, denn Mehrwegsysteme lohnen besonders bei kurzem und ökologischem Transport, etwa auf der Schiene statt auf der Straße. Je länger die Transportwege sind, desto stärker macht sich das oft höhere Gewicht von Mehrwegverpackungen bemerkbar.
Das Thema Plastik ist gerade groß in Mode, alle wollen Plastik vermeiden. Warum wächst der Müllberg trotzdem weiter?
Ehrlich gesagt, was die Konsument:innen wollen oder nicht wollen, da hat auch jeder seine eigene Meinung. Ich bin mir nicht sicher, ob diese Einschätzungen eine wissenschaftliche Basis haben. Abgesehen davon wird auch viel substituiert. Dadurch verschieben sich die Mengen von Verpackungsmaterialien – weniger Plastik, mehr Papier. Aber die Verpackungsmenge insgesamt nimmt nicht ab.
Leider ist das Design von Verpackungen kaum geregelt, jeder Hersteller kann sie so gestalten, wie er will. Und Unternehmen, die nicht in der Nische der Nachhaltigkeit unterwegs sind, sorgen sich um ihr Image. Die sagen: Wenn wir kommunizieren, dass wir unseren CO2-Ausstoß verringern wollen, dann müssen wir ja zugeben, dass wir da überhaupt ein Problem haben – und fürchten negative Konsequenzen bei ihren Kunden.
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