: Echos aus den Kolonien
Das Hamburger Museum der Künste und Kulturen der Welt widmet sich den Menschen, deren Stimmen in den Tonaufnahmen des Berliner Kolonialarchivs zu hören sind
Von Alexander Diehl
Aus den „Völkern“ sind „Künste und Kulturen“ geworden. Das sichtbarste Zeichen für die sich ändernde Ausrichtung des markanten Backsteinbaus an der Hamburger Rothenbaumchaussee ist der Name: Seit Mai vergangenen Jahrs heißt das Museum für Völkerkunde nun „Museum am Rothenbaum, Künste und Kulturen der Welt“, abgekürzt: „MARKK“. Im Mai zumindest beschloss man das, bis es draußen dran stand, dauerte es da noch mal ein wenig.
Klar: Es geht den Verantwortlichen zufolge nicht um bloße Kosmetik, nein, man versteht sich als „in der Gegenwart verankertes“, als „offenes Haus, das alle einlädt, sich mit dem kulturellen Reichtum der Erde zu befassen“, heißt es, aber ein Wesentliches an diesem neuen Kurs ist auch in Hamburg: sichten, was da ist, also in den eigenen Beständen; klären, wie es da hin gelangte – und ob es bleiben kann.
Nicht gleich eine neue Ausstellung, aber ein Forum für Neues gibt es drinnen: Im „Zwischenraum“, hinter der Garderobe gleich links, macht man seit Anfang des Jahres „die Veränderungsprozesse des Museums sichtbar und begibt sich auf die Suche nach neuen Formaten und Wegen“, so das eigene Mission Statement. „In den nächsten Jahren ist der Raum Ideenwerkstatt, Interaktionsfläche und experimenteller Ausstellungsraum zugleich: Ein Ort zum Arbeiten und Mitdenken, zum Austauschen und Ausruhen.“
Man sollte es wohl nicht gleich überbewerten, aber wenn dieser Tage der alljährliche „MARKKt der Künste und Kulturen“ auszurichten ist – auch er trug lange die „Völker“ im Namen –, dann geschieht das, ja: in diesem „Zwischenraum“. Erst ab kommenden Dienstag also ist die darin laufende Sonderausstellung wieder zugänglich: „Der Krieg und die Grammatik“.
Die kann den Anspruch, neue Dinge zu beleuchten – oder alte auf neue Weise –, durchaus unterfüttern. Kuratiert hat sie die Berliner Kulturwissenschaftlerin und Afrikanistin Anette Hoffmann. Die arbeitet seit Längerem über die Tonaufnahmen, die zwischen 1915 und 1918 vor allem in deutschen Kriegsgefangenenlagern entstanden; ein koloniales Echo, nicht nur im übertragenen Sinne.
Linguisten, Musikologen und Anthropologen, gar einer zu Kriegsbeginn eingerichteten „Königlich Preußischen Phonographischen Kommission“ diente die Zwangssituation für ihre Forschung. Gefangene aus „Feindstaaten“ und mehr noch deren Kolonien, also afrikanische und asiatische Angehörige der Entente-Armeen, wurden nicht nur vermessen, fotografiert, gefilmt, gezeichnet und, mitunter, schlicht zur Attraktion für schaulustige Deutsche; sie wurden eben auch akustisch aufgezeichnet.
Die Methode war nicht erst zu Kriegszeiten erfunden worden: Schon ab 1905 etwa erforschte der Wiener Mediziner und Anthropologe Felix von Luschan in Südafrika die dort lebenden Menschen auch in Form von phonographischen Aufzeichnungen. Von Luschan trug zwischen 1885 und 1920 auch über 5.000 menschliche Schädel zusammen – dass bei solchen Beständen Handlungsbedarf besteht, die Einsicht scheint sich allmählich durchzusetzen in den einschlägigen europäischen Museen: In dem Maß, wie sendungsbewusste Ethnologen etwa afrikanische Menschen als ebenbürtig anzusehen hinbekamen, scheint es ihnen dann auch nachvollziehbar geworden, dass solche menschlichen Überreste Pietät verdienen.
Ungleich flüchtiger sind die Stimmen dieser Menschen: Um die 2.000 Sprach- und Musikaufnahmen aus 30 deutschen Gefangenenlagern existieren bis heute, neben Berlin wurde diese Forschung vor allem in Wien betrieben. Bemerkenswert: Die wenigsten dieser Aufnahmen sind übersetzt worden. Wer die Menschen waren, die da als Beispiele des Anderen herhalten mussten, worüber sie sprachen, welche Heimat sie vielleicht wehmütig besangen: Das alles schien den Aufzeichnenden nicht wichtig.
Eben das versucht die Hamburger Ausstellung anders zu machen. Denn die Aufnahmen, seit mehr als 100 Jahren im Berliner Laut- sowie Phonogramm-Archiv archiviert, seien nicht nur Beispiele für die damals fremden Sprachen oder die so anders klingende Musik: „Sie sind vielstimmige, historische Quellen, die von der Gefangenschaft, dem Krieg, Hunger und Unsicherheit erzählen“, schickt dass Museum voraus.
In den frühen Tagen der entsprechenden Aufzeichnungstechniken suchten sich allerlei Promis, auch Regenten wie Wilhelm II., einen Hauch von Ewigkeit zu sichern, indem sie auf Wachswalzen sprachen oder, im Fall des einen oder anderen Komponisten, eigene Werke einspielten. Unfreiwillig verewigt dagegen wurden im Zuge der kolonialen Forschung Menschen wie Mohamed Nur, dem nun die Hamburger Ausstellung gewidmet ist.
Der Somalier ließ sich im Jahr 1910 als Lehrer für die Kinder einer „Völkerschau“-Truppe anwerben und gelangte so nach Deutschland. Nach einer Auseinandersetzung mit dem Direktor erging es dem Intellektuellen, wie es auch heute Menschen ergeht: gestrandet, ohne Pass oder einen Lebensunterhalt. Geld verdient er dann unter anderem, indem er Modell stand: Erst sehr viel später wurde herausgefunden, dass er etwa auf zwei Gemälden zu erkennen ist, die Teil einer Düsseldorfer Museumssammlung sind.
Während des Weltkriegs dann wurde auch er Gefangener, ohne je im Krieg gewesen zu sein: Als ausländischer Mann kam er ins Zivilgefangenenlager Ruhleben und wurde zum Untersuchungsobjekt von Carl Meinhof, seit 1909 Inhaber des ersten deutschen Lehrstuhls für Afrikanistik – in Hamburg. Meinhof, später ein glühender Nazi, nahm Nurs Stimme auf und warb ihn 1917 als Sprachassistenten für das Hamburger Institut für Kolonialsprachen an, wo der Somalier dann mitwirkte an einer Grammatik des Somali.
Ein Lebenslauf, exemplarisch für die „koloniale Wissensproduktion“, so das MARKK. Die Ausstellung zeige, wie bei dem „wichtigen Prozess der Aufarbeitung der Sammlungsgeschichte“ des Museums vorzugehen sei.
„Der Krieg und die Grammatik. Ton- und Bildspuren aus dem Kolonialarchiv“: bis 12. 1. 2020, Hamburg, Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt
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