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Protest gegen Theaterabriss in AlbanienBesetzen für eine bessere Zukunft

In Tirana versammelt sich um das vom Abriss bedrohte Nationaltheater allabendlich die Zivil­gesellschaft. Viele Exilalbaner unterstützen sie.

Das Nationaltheater in Tirana Foto: F.Scholz/Arco Images

Die große Freifläche vor dem Nationaltheater von Albanien in Tirana ist mit Menschen gefüllt an einem Abend im Herbst. Etwa 250 Personen sind erschienen, aus allen Generationen: Jugendliche und Studenten, Menschen im berufstätigen Alter und Gruppen von Pensionären. Sie haben auf Bänken, Stühlen und Podesten Platz genommen, die im Halbrund auf dem Platz aufgestellt sind. „Das ist unsere Agora, unser Platz der Freiheit“, sagt Neritan Liçaj.

Liçaj ist Schauspieler, seit mehr als zwei Jahrzehnten Mitglied des Ensembles des Nationaltheaters. Jede Menge Rollen hat er hier gespielt, in Stücken von Euripides und Shakespeare, Molière und Ionesco. Aktuell spielt er allerdings in einem anderen Theater. „Es ist ein früheres Kino, ein Betonklotz mit schlechter Akustik“, sagt er. Das ganze Ensemble ist dorthin gezogen, musste dorthin ziehen. Denn das alte Theater soll abgerissen werden, wie die taz auch im Juli berichtete.

Das sieht ein Masterplan vor, den der dänische Architekt Bjarke Ingels entwickelt hat. Ingels ist mit ikonischen Projekten wie einer Müllverbrennungsanlage mit Skipiste in Kopenhagen oder einem Museum in Form einer gebogenen Brücke in Norwegen bekannt geworden. Geht es nach Premierminister Edi Rama, soll er auch in Tirana einen gewichtigen Eindruck hinterlassen und der Hauptstadt des lange im Kryptokommunismus des Diktators Enver Hoxha versunkenen Staates zu einer neuen Ästhetik verhelfen.

Dagegen allerdings regt sich Widerstand. Zwar ist in dem Immobilienprojekt mit mehreren Wohntürmen und einem großen Shopping Center auf insgesamt 9.300 Quadratmeter Fläche auch ein Theater vorgesehen, eines mit einem spektakulären Amphitheater auf dem Dach sogar. Für das Projekt soll jedoch das alte Theater weichen.

Herz der Kulturgeschichte

Der Bau, 1939 vom italienischen Architekten Giulio Bertè errichtet, ist selbst ein architektonisches Kleinod. Und er stellt auch das Herz der Kunst- und Kulturgeschichte des modernen Albaniens dar. „Hier ist alles entstanden: die Kunstakademie, die Oper, das Ballett. Das Haus war das erste Theater Albaniens, das erste Kino auch. Und sogar der erste Swimmingpool des Landes gehört zum Areal“, sagt Liçaj. Tatsächlich befindet sich zwischen den zwei Flügeln des Theaterbaus – der eine beherbergt das Nationaltheater mit mehr als 500 Plätzen, der zweite das Experimentaltheater mit zwei kleineren Sälen – ein Swimmingpool, der im Sommer noch in Betrieb war.

Albanien – von der Diktatur bis heute

Die Diktatur Über 40 Jahre beherrschte Diktator Enver Hoxha die Sozialistische Volksrepublik Albanien und schottete das Land zunehmend vom Rest der Welt ab. Mit seinem Kommunismus verfolgte Hoxha eine noch härtere Linien als die zu Beginn noch verbündete Sowjetunion. Rund 10.000 RegierungsgegnerInnen wurden verfolgt und getötet. Nach dem Sturz von Hoxhas Nachfolger fanden 1991 die ersten freien Wahlen statt.

Das Erbe Die politische Klientel aus der Zeit der Diktatur bestimmt auch heute noch die Politik des Landes mit, einige Politiker von damals sitzen wieder im Parlament. Im Zuge einer Justizreform, bei der die Rolle von RichterInnen während der Diktatur untersucht wurde, trat fast das gesamte Verfassungs­gericht zurück.

Der Aufbruch Seit Anfang des Jahres gehen in Albanien erstmals seit dem Sturz Hoxhas Menschen für ihre Über­zeugungen auf die Straße. Anfang des Jahres protestierten Tausende Studierende gegen das schlechte Bildungssystem. (jl)

Dass dieses architektonische Ensemble verschwinden soll, löst Unmut aus. Aus Italien kam sogar Senator Roberto Rampi, im Senat auch Mitglied der Kommission für Kultur, über die Adria. „Vor allem die große Gemeinde der Exilalbaner in Italien ist sehr besorgt über die Vorgänge. Das Theater ist ein Kulturdenkmal, das allen gehört und das erhalten werden soll“, sagt er der taz. Dafür suche er als sozialdemokratischer Politiker auch den Kontakt zum Chef der „Bruderpartei“, verspricht er. Ministerpräsident Rama ist ebenfalls Sozialdemokrat.

Größere Wellen schlägt das Vorhaben vor allem aber deshalb, weil zusammen mit dem Theater größere Flächen öffentlichen Landes privatisiert werden sollen. „Es geht im Grunde genommen um einen großen Teil des historischen Zentrums Tiranas. Um die Privatisierung durchzusetzen, wurde sogar ein eigenes Gesetz geschaffen“, empört sich Lindita Komani.

Die Schriftstellerin aus Tirana gehört zu den Organisator*innen des Protests. „Seit Februar 2018 leisten wir Widerstand. Zunächst veranstalteten wir jeden Montag Meetings vor dem Theater. Es kamen so viele Menschen, dass wir drei Monate später jeden Abend Veranstaltungen machten. Und als am 24. Juli 2019 die Polizei das Theater stürmen wollte, haben wir es besetzt, um es zu retten“, erzählt sie. Seitdem organisieren die Besetzer*innen einen Wachdienst rund um die Uhr. Die Meetings vor dem Platz werden ebenfalls weiterhin durchgeführt.

Nachdenken über Alternativen

„Es ist ganz neu für Albanien, dass sich Menschen hier öffentlich äußern, sich über aktuelle politische Probleme wie die Arbeitslosigkeit, die Korruption und den Weggang vieler junger Menschen austauschen“, sagt Komani. Tatsächlich erinnert das abendliche Meeting an die letzten Monate in der DDR, als sich immer mehr Menschen in Kirchen, aber auch auf den öffentlichen Plätzen davor trafen und miteinander über eine bessere Gesellschaft nachdachten.

Das Theater ist in diesem Moment tatsächlich mittendrin in der Gesellschaft und in den politischen Kämpfen. Theater selbst gibt es auch. Die Besetzer*innen organisieren Performances. Und es gibt Gastspiele solidarischer Künstler.

Vom Thalia Thea­ter Hamburg kam Ende Oktober der albanischstämmige Schauspieler Bekim ­Latifi mit seinem Monologstück „Amerika“ nach Franz Kafka. Das Thema passte. „Amerika“-Protagonist Karl Roßmann ist Auswanderer, wie so viele Albaner. „Wir wollen mit dem Gastspiel ein Zeichen setzen gegen den geplanten Abriss und Solidarität zeigen mit den albanischen Kolleginnen und Kollegen“, sagte Latifi. Er hofft, dass andere Theater aus Deutschland nachziehen. „Wenn viele Theater aus ganz Europa mitmachen, wird es für die Polizei schwieriger, das Haus zu stürmen“, meinte er.

Die Besetzer*innen haben inzwischen weitergehende Ziele als nur den Erhalt des Theaterbaus. Sie erproben den Aufbau einer neuen Gesellschaft. „Die Versammlungen vor dem Thea­ter sind eine gute Schule für eine neue Klasse von politischen Führungspersönlichkeiten. Sie lernen zu reden und sich auch zuzuhören“, beobachtete Elvis Kazazi, einer der Besetzer.

Arbeitsbrigaden von Freiwilligen

„Es kann uns auch nicht darum gehen, das Theatergebäude nach einer erfolgreichen Besetzung einfach so an den Staat zu übergeben, damit er so weitermacht wie bisher. Wir sollten es Personen geben, die darüber nachdenken, wie ein neues Theater organisiert werden soll“, sagt Edmund Dingu. Er war lange Zeit Technischer Direktor des Nationaltheaters und stellt aktuell mit seiner Firma für Veranstaltungstechnik die Generatoren, die für Strom sorgen. Denn Wasser und Elektrizität wurden vom Staat abgestellt. Dingu kümmert sich auch um die technische Infrastruktur, initiiert Arbeitsbrigaden von Freiwilligen, die das Funktionieren des besetzten Theaters garantieren sollen.

Die Besetzung entwickelt sich zu einer Schule in vielen Bereichen: Theatertechnik, Schauspiel, politische Mobilisierung. „Es ist ein harter Kampf, aber auch ein schöner Kampf. Und ich denke, was wir jetzt erleben, ist der Anfang vom Ende der politischen Karriere von Premierminister Rama“, sagt der Schauspieler Neritan Liçaj.

Er kannte den Politiker schon als Kind, beide stammen aus Familien des politischen Establishments der Enver-Hoxha-Zeit. ­Liçaj wirft Rama, der selbst ein Kunststudium absolviert hat, vor, das Theater abschaffen zu wollen. „Er arbeitet schon sehr lange daran. Erst ließ er es von der Denkmalliste streichen. Dann initiierte er dieses Bauprojekt, für das es nicht einmal eine öffentliche Ausschreibung gab. Und schließlich schuf er dieses Gesetz, das in neun Punkten gegen die albanische Verfassung verstößt und öffentliches Land privatisiert“, sagt Liçaj.

Albaniens Präsident Ilir Meta verwehrte selbst mehrfach dem Gesetz seine Billigung und bezeichnete es im Juli 2019 gegenüber Journalisten als ein „Gesetz zum Vorteil von Oligarchen“, das die Verfassung des Landes verletze.

Misstrauen gegenüber der politischen Klasse

Liçaj wundert sich auch, woher das Geld für das gesamte Projekt – insgesamt etwa 200 Millionen Euro – kommen soll. „Albanien steckt in der Krise. Die Banken haben kein Geld für Kredite. Woher soll es kommen, wenn nicht aus dem Drogenhandel?“, spekuliert er. Eine Anfrage der taz über die Quellen der Finanzierung ließ Projektentwickler Fusha sh.pk unbeantwortet.

Die enge Verbindung der politischen und wirtschaftlichen Elite mit dem Drogenmilieu ist zumindest anekdotisch belegt. Ein Innenminister aus der Regierung Rama musste den Posten räumen, weil einer seiner Cousins laut Beobachtungen italienischer Antimafia-Ermittler einem Drogenring vorstand und sogar Marihuana-Lieferungen im Pkw des Ministers vornahm. Der unmittelbare Nachfolger trat zurück, als ein Halbbruder in Italien wegen Drogendelikten zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde.

Das Theater zu verteidigen ist in den Augen von Neritan Liçaj auch ein Versuch, die eigene Würde zu bewahren und sich gegenüber einer als korrupt empfundenen politischen Klasse zur Wehr zu setzen.

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