piwik no script img

Rücktritt wegen „Revenge-Porn“Die Moral von der Geschichte

Details einvernehmlicher sexueller Kontakte und heimlich aufgenommene Nacktbilder beenden die Karriere der Kongressabgeordneten Katie Hill.

Katie Hill während des Wahlkampfes 2018 Foto: afp

New York taz | Die Zeichen stehen auf Wahlkampf, im kalifornischen Wahlkreis 25, nördlich von Los Angeles. Gerade mal vor einem Jahr war Katie Hill von dort ins Repräsentantenhaus nach Washington geschickt worden, ein Amt, das sie in der vergangenen Woche niederlegen musste. Selten ist einE Kongressabgeordnete in Washington schneller zu Fall gekommen.

Nur zwei Wochen nachdem eine rechtsradikale Webseite heimlich aufgenommene Nacktfotos von ihr veröffentlichte und behauptete, sie habe regelwidrige Verhältnisse zu mehreren MitarbeiterInnen in ihrem Kongressbüro gehabt, blieb der 32-Jährigen nur noch der Rückzug aus dem Repräsentantenhaus. Sie galt als eine Hoffnungsträgerin des linken Parteiflügels, sie war bekannt als eine der jüngsten und progressivsten Abgeordneten. Sie ist jetzt die erste Person, die über die neuen Verhaltensregeln für sexuelle Beziehungen mit Abhängigen stolpert, die der US-Kongress als Reaktion auf die MeToo-Bewegung aufgestellt hat.

In einer kämpferischen Abschiedsrede vor dem Repräsentantenhaus gestand Hill am Freitag Fehler ein und entschuldigte sich bei ihrer Basis. Als tatsächlichen Grund für ihr plötzliches Karriereende nannte sie jedoch einen „missbräuchlichen, eifersüchtigen und verbitterten Ex“ sowie eine „frauenfeindliche Kultur“ und „die Doppelmoral von schamlosen politischen Aktivisten, die eine Schmutzkampagne organisiert haben“. Hill verwies auch auf Donald Trump: „Nach meinem Rücktritt bleibt ein Mann im Oval Office, der sich mit seinem eigenen sexuellen Raubtiergehabe brüstet.“ Und sie versprach, dass sie sich fortan auf den Kampf gegen „Revenge Porno“ – Rache-Pornos – konzentrieren will.

Der Begriff „Revenge Porn“ beschreibt eine Straftat, die in den letzten fünf Jahren Einzug in die Gesetzbücher von 46 US-Bundesstaaten gehalten hat – darunter auch Kalifornien sowie die US-Hauptstadt Washington. Gemeint ist damit die nicht einvernehmliche Veröffentlichung von intimen Bildern und Texten, wie Chats und Briefe. In 90 Prozent aller Fälle treffen solche Straftaten Frauen. Sprachlich ist der Begriff „Revenge Porn“ umstritten, weil „Porno-Bilder“ im Regelfall ja mit dem Einverständnis der Abgelichteten entstehen und gerade für eine Veröffentlichung vorgesehen sind, während bei der rachsüchtigen Publikation privaten Materials das absolute Gegenteil der Fall ist.

Früher politischer Erfolg

Hill wurde zum Opfer von „Revenge Porn“, als die radikal rechte Webseite „Red State“ im Oktober damit begann, Fotos von ihr zu veröffentlichen. Wenige Tage später zog auch das britische Blatt Daily Mail nach. Auf den veröffentlichten Bildern ist die Demokratin nackt zu sehen. Nicht nur das, sie ist auch beim Kiffen zu sehen und dabei, wie sie einer anderen jungen Frau die Haare bürstet.

Bevor Katie Hill mit einer Graswurzelkampagne im Wahlkreis 25 ein Vierteljahrhundert republikanischer Dominanz beendete, war sie eine Aktivistin gegen Obdachlosigkeit und gegen Schusswaffengewalt. Sie war die erste Frau, die je für den Wahlkreis in das Repräsentantenhaus zog und sie war dort die erste offen bisexuelle Person.

„Red State“ will gleich mehrere Verstöße von Hill gegen die MeToo-Regeln gefunden haben. Diese verbieten es, dass Abgeordnete sexuelle Beziehungen zu ihren Beschäftigten haben. „Red State“ wirft Hill vor, sie habe erstens eine Frau als Geliebte gehabt, die zugleich ihre Angestellte im Wahlkampf und später im US-Kongress gewesen sei, und zweitens später auch ein Verhältnis zu einem männlichen Beschäftigten ihres Washingtoner Büros begonnen.

Das Verhältnis mit der jungen Frau hat Hill zugegeben. Sie nennt es heute einen Fehler, den sie bedauert. Sie und die junge Frau waren Teil eines „Throuple“, einer Dreiecksbeziehung, zu der auch Hills Ex-Mann Ken Heslep gehörte. Im Frühling dieses Jahres trennte Hill sich von beiden. Die zweite sexuelle Beziehung zu einem Beschäftigten in Washington bestreitet Hill. So weit bekannt, hat Hills Ehemann, mit dem sie sich in Scheidung befindet, die Bilder weitergegeben. Während er das „Throuple“ mit der jungen Frau mitgetragen hatte, reagierte er nach eigenem Eingeständnis empört, als er Gerüchte über einen männlichen Geliebten in Washington hörte.

In Hills Wahlkreis heißt es, Heslep habe versucht, die Fotos meistbietend zu verkaufen. Aus Hesleps Familie hingegen verlautet, sein Computer sei gehackt worden. Inzwischen jedenfalls sollen sich, so Hill, bis zu 700 weitere bislang nicht veröffentlichte Nacktbilder von ihr in den Händen von Republikanern in Kalifornien befinden.

Schon das Zustandekommen der Bilder sei ohne ihr Einverständnis geschehen, sagt Hill. Aber deren Weitergabe und Veröffentlichung haben die Abgeordnete derart in die Enge getrieben, dass sie sich tagelang nicht mehr auf die Straße getraut habe. Direkt nach der Veröffentlichung verlangten RepublikanerInnen den Rücktritt der Abgeordneten. Als zusätzlich der Ethikausschuss des Repräsentantenhauses eine Untersuchung über ihre mögliche Regelverletzung einleitete und auch aus der Führung der Demokratischen Partei die Aufforderung an sie kam, das Repräsentantenhaus zu verlassen, reichte Hill ihren Rücktritt ein.

Katie Hill war die erste Frau, die den Wahlkreis 25 für sich gewinnen konnte

Links der demokratischen Mitte stieß Hills erzwungener Rücktritt auf große Kritik. „Das Problem sind nicht die Nacktfotos“, erklärte die Kabarettistin Samantha Bee, „sondern deren nicht autorisierte Veröffentlichung.“ Der Filmemacher Michael Moore nannte Hill „Opfer eines Verbrechens“ und appellierte sowohl an die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, als auch an den Kongress und an die Männer der USA insgesamt, den Rücktritt zu verhindern. Der Filmemacher warnte davor, eine Frau wegen ihrer Art von einvernehmlichem Sex zu erniedrigen und zu beschämen, und rief seinen Geschlechtsgenossen die Warnung zu: „Eines Tages wird das Mehrheitsgeschlecht dieses Landes auch die Mehrheit der Sitze im Kongress innehaben und wir sind besser beraten, wenn wir jetzt weise sind und die richtige Seite wählen.“

Die Anwältin Carrie Goldberg, die Katie Hill bei einem Prozess wegen „Revenge Porn“ vertreten wird, weiß aus Erfahrung, dass die Drohung mit der Veröffentlichung von intimen Fotos benutzt wird, „um Frauen in missbräuchlichen Beziehungen zu halten“. Falls das nicht klappt, sollen Veröffentlichungen von Bildern und Texten dazu dienen, um Karrieren und Leben von Frauen zu zerstören. Goldberg: „Selbst bei einer erfolgreichen Klage gegen die Straftat wird die Demütigung bleiben.“ Die Anwältin setzt sich dafür ein, Revenge Porn künftig auch auf Bundesebene per Gesetz zu verfolgen.

Der Wahlkampf läuft

Im Wahlkreis 25 befinden sich auf republikanischer Seite derweil mehrere Männer in den Startlöchern für den kommenden Wahlkampf. Einer von ihnen ist George Papadopoulos. Der frühere Kampagnenmitarbeiter von Donald Trump hatte Sonderermittler Robert Mueller über seine Moskau-Kontakte belogen, wurde deswegen verurteilt und musste mehrere Wochen im Gefängnis verbringen. Papadopoulos wusste offenbar schon vorab von der geplanten Veröffentlichung der Bilder auf „Red State“. Am 17. Oktober tweetete er: „Es sieht so aus, als ob der 25. Wahlkreis bald wieder zu haben wäre.“

Für die DemokratInnen will sich erneut eine Frau um die Nachfolge von Hill bewerben. Christy Smith ist älter und hat zwei erwachsene Kinder. Aber sie kann auf dieselbe Basis zählen wie Hill.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Die Angriffe der Rechten zielen auf die Personen, character assassination, gegen ihr Privatleben und definieren über die Personen das Politische.

  • "„Red State“ will gleich mehrere Verstöße von Hill gegen die MeToo-Regeln gefunden haben. Diese verbieten es, dass Abgeordnete sexuelle Beziehungen zu ihren Beschäftigten haben."

    Der Fall zeigt, neben der Unverfrorenheit mit der Medien intime, zutiefst Private Dinge ungestraft verbreiten können, wieder mal, wie idiotisch Liebesverbote als Reaktion auf sexuelle Übergriffe sind.

  • 9G
    91655 (Profil gelöscht)

    Es gibt von mir und meiner Frau kein einziges Nacktfoto, es fehlt uns nichts .... wie blöd sind eigentlich die Us-amerikanischen Politiker*innen usw?

  • Zeugt von wenig Größe, wenn die eigene Verantwortung und Schuld mit möglichen Verfehlungen anderer relativiert wird. Dass die eigene Untreue den Vertrauensbruch des Ehemanns bedingte, wird auch verdrängt. Naja, und der Verweis auf Donald Trump offenbart das Dilemma dieser Frau: Sie hat eine ähnliche Störung wie dieser. Es ist gut, dass sie keine Macht mehr in die Hände bekommt.

  • Ein Fall von "vor und hinter der Fassade". Die prüde Welt, wo das "christliche Wertebild" nach wie vor die Etikette, die Fassade nach außen bestimmt, macht daraus einen Skandal. Angesichts dessen, was an Pornographie alles im weltweiten Netz herumschwirrt und demgemäß ja seine Nachfrage hat (in der Regel wir Männer), ist es geradezu lächerlich, dass Frau Katie Hill nun darüber stürzt. Als es damals bei Bill Clinton zu einvernehmlichem Sex kam, war das sicher alles wieder gaaanz anders. Und gerade wir Männer schickten uns an ihn wegen seinem Kavaliersdelikt zu verteidigen...

    Aber im Kern ist es die Maske, die Fassade, nach außen brav, dahinter sieht es ganz anders aus. Nun aber, durch diese prüde Verklemmtheit, die man nach außen spielen muss, wird doch alles eher viel schlimmer.

  • Das Problem sind nicht die Nacktfotos“, erklärte die Kabarettistin Samantha Bee, „sondern deren nicht autorisierte Veröffentlichung.“

    Nein, das Problem ist die Beziehung einer ihr untergestellten Person/en.

    Das wurde aus gutem Grund eingeführt. Wenn die Geschichte 1 zu 1 einem Mann passiert wäre, würden alle darauf rumreiten.

    Gleiches gilt für die Überschrift: Rücktritt wegen „Revenge-Porn“



     

    Kommentar gekürzt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.

    Die Moderation

  • Es wird immer unappetitlicher.



    Gibt es eigentlich noch etwas, wovor man Halt macht und der Einzelne sowie die Öffentlichkeit 'Stopp' sagt? Und was noch respektiert wird?

    Nein? Dann sind wir im Westen das, was man dekadent oder seelisch, geistig und moralisch verwahrlost nennen kann. Nicht meine Welt und schon gar nicht die Zukunft, die ich anderen wünsche.