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Eklat im Abgeordnetenhaus„Das tut man mit offenem Visier“

Die CDU bricht im Abgeordnetenhaus mutmaßlich eine Vereinbarung über die Wahl von Verfassungsrichtern. Koalition spricht von „Schande“.

Sauer über die Unterbrechung: Ralf Wieland (SPD), Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses Foto: dpa

Die CDU-Fraktion hat im Abgeordnetenhaus mutmaßlich die Wahl einer Richterin zum Verfassungsgericht des Landes boykottiert, obwohl sie laut der rot-rot-grünen Koalition zuvor Zustimmung zugesagt hatte. Die von der Linkspartei vorgeschlagene Hochschulprofessorin Lena Kreck erhielt in geheimer Wahl nicht die nötige Mehrheit. Zwei weitere Richterstellen, für die SPD und CDU das Vorschlagsrecht hatten, konnten hingegen mit Unterstützung der Linksfraktion besetzt werden. Wie es weitergeht, blieb am Donnerstag offen, einen zweiten Wahlgang gab es nicht. Das neunköpfige Gericht bleibt dennoch arbeitsfähig.

Während die CDU offen ließ, ob ihre Abgeordneten Kreck tatsächlich ablehnten, verurteilten die Fraktionsvorsitzenden von SPD, Linkspartei und Grünen in einer Sitzungsunterbrechung den Vorgang. „Die CDU Berlin hat sich heute disqualifiziert“, sagte Raed Saleh (SPD) vor Journalisten. „Das ist ein einzigartiger Vorgang“, hatte sich zuvor schon sein Vizechef Jörg Stroedter geäußert. Das spreche dafür, dass die CDU nicht mehr handlungsfähig sei, „der einzige Kleister, der sie noch zusammenhält, ist der Antikommunismus.“ Am Dienstag hatte die CDU-Fraktion bereits angekündigt, einen gemeinsamen Antrag zum Mauergedenken mit den Regierungsfraktionen und der FDP anders als vor zehn Jahren nicht zu unterstützen. Als Grund nannte sie unter anderem Geschichtsvergessenheit bei der Linkspartei.

Im neunköpfigen obersten Berliner Gericht waren drei Plätze neu zu besetzen. Kreck, Professorin für Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Recht und Gesellschaft an der Evangelischen Hochschule in Zehlendorf, erhielt zwar 86 von 152 abgegebenen Stimmen und damit eine einfache Mehrheit – sie hätte aber, wie bei Richterwahlen vorgesehen, eine Zweidrittelmehrheit und damit 100 Stimmen gebraucht. Die von der SPD vorgeschlagene neue Gerichtspräsidentin Ludgera Selting erhielt 148 Stimmen bei 4 Nein-Stimmen, der von der CDU vorgeschlagene neue Richter Christian Burholt ein ebensolches Ergebnis. Am Kreck-Resultat ist abzulesen, dass auch FDP und AfD den Vorschlag der Linksfraktion ablehnten, aber die anderen Richter mitwählten.

Wegen der Zweidrittelmehrheit sind vor der Wahl Absprachen zwischen den Fraktionen üblich – weder R2G noch jede Vorgängerkoalition seit 2001 verfügt über eine so große Mehrheit. „Das ist kein Kuhhandel“, wies SPD-Vizefraktionschef Stroedter eine entsprechende Kritik durch die AfD in einer RBB-Fernsehdiskussion während der Sitzungspause zurück.

„Davon weiß ich nichts“

Kreck hatte sich am Dienstag laut Linksfraktion in allen Fraktionen vorgestellt. SPD, Linke und Grüne beteuerten, die CDU hätte in keiner Weise angedeutet, dass sie Kreck nicht mittragen würde. SPD-Mann Stroedter sagte, es habe sogar eine positive Rückmeldung gegeben. „Das kann ich nicht bestätigen, davon weiß ich nichts“, sagte dazu der Pressesprecher der CDU-Fraktion, Olaf Wedekind. Mehrfach verwiesen CDU-Abgeordnete auf taz-Anfrage auf eine geheime Wahl.

Antje Kapek, Fraktionschefin der Grünen, mochte den CDU-Abgeordneten nicht das Recht absprechen, eine Kandidatin abzulehnen – aber nicht in geheimer Abstimmung und nach zuvor anderen Signalen: „Das tut man mit offenem Visier.“

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12 Kommentare

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  • Und dann macht man sich Gedanken über evtl. Minderheitsregierungen in Thüringen, wenn man hier schon sieht, dass die CDU sich selbst an Absprachen nicht halten kann, die afaik seit Ewigkeiten die Richterstellen nach einem parlamentarischen Proporz vergeben.

    Am besten das Richterwahlgesetz in Berlin ändern und auf einfache Mehrheit umstellen und die CDU zukünftig nicht mehr berücksichtigen.

    • @Age Krüger:

      Na ja, seit Ewigkeiten werden auch die Vizepräsidenten nach einem parlamentarischen Proporz vergeben. Mehrfach hat die AfD trotzdem noch keinen. Da heißt es dann, niemand kann gezwungen werden, einen Kandidaten zu wählen. Immer so, wie es einem gerade in den Kram passt.

      • 0G
        07301 (Profil gelöscht)
        @Tabus überall:

        Kommunisten sehen sie Welt halt anders

    • 0G
      07301 (Profil gelöscht)
      @Age Krüger:

      Offensichtlich haben auch rechtsstaatliche denkende Abgeordnete der RRG-Parteien die in einem Richteramt politisch handeln wollende Dame abgelehnt.

      • @07301 (Profil gelöscht):

        Aha -"offensichtlich haben abgelehnt"



        Woher nehmen Sie das?



        Weil Burkhard Dregger das gesagt hat?

        • 0G
          07301 (Profil gelöscht)
          @Martinxyz:

          Das entnimmt man, indem man die Stimmen "pro" mit der Gesamtzahl der Abgeordneten im Abgeordnetenhaus von SPD, GrünInnen undc SED-Linken vergleicht.

        • 0G
          07301 (Profil gelöscht)
          @Martinxyz:

          Das ergibt sich, in dem man die Stimmen zählt.

  • 0G
    07301 (Profil gelöscht)

    Gott sei Dank. Frau Kreck ist mehr Sozialwissenschaftlerin als Juristin, mehr Kommunistin als alles andere.

    • @07301 (Profil gelöscht):

      Ja Gott wurde schon immer gerne gegen den Kommunismus angerufen. Selbst da wo er gar nicht drohte. Tot waren die Verdächtigen dann trotzdem.



      Besser mal erschiessen. Als das vielleicht einer überlebt.



      Und schiessen tun dann halt Menschen.



      Nicht Gott.



      Es ist übrigens gute Praxis, das im 9-köpfigen Landesverfassungsgericht nicht bloss "mehr so Juristen" sitzen.



      Hat einen guten Sinn.



      Statt schwadronieren hier die Regel: "Drei Mitglieder müssen Berufsrichter sein, drei weitere Mitglieder müssen die Befähigung zum Richteramt haben"



      Die anderen könnten also Reinigungsfachkraft sein. Hinzu kommt das in diesen drei Gruppen mindestens je eine Frau vertreten sein muss.

      Ist übrigens so ein Problem. Bei den unrepublikanisch-akademisch-elitären Vorstellungen unserer Demokratie: In den Stellenausschreibungen der Ministerien werden in der Regel nur drei Branchen gesucht: Juristen, sogenannte Wirtschaftswissenschaftler und Verwaltungsleute.

      Vielleicht liegt es daran das der praktisch-politische Ausgoss so dürftig und immer wieder eindimensional ausfällt.

      • 0G
        07301 (Profil gelöscht)
        @Martinxyz:

        Ich bedanke mich auch bei den Parlamentariern dass diese eine Person, die nicht rechtsstaatlich handeln will, sondern das Richteramt politisch auslegen will, verhindert haben.