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Neuwahl in GroßbritannienHöchste Zeit

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Großbritannien steht vor einer Brexit-Wahl. Im Wahlkampf dürften Boris Johnson und Jeremy Corbyn aber versuchen, möglichst wenig vom Brexit zu reden.

Bloß nicht mehr drüber sprechen Foto: Unsplash/ Fred Moon

D as wurde aber auch Zeit. Monatelang hatte sich die britische Politik selbst blockiert. Die Regierung hat im Parlament keine Mehrheit, das Parlament ist praktisch beschlussunfähig. Nicht in der Lage oder nicht willig, den Streit über den Brexit zu lösen, haben die Abgeordneten auch alle anderen Politikfelder aufs Abstellgleis gestellt.

Nun hat das Unterhaus den Weg zu Neuwahlen frei gemacht. Mit einer gigantischen Mehrheit – 438 zu 20 Stimmen. Nie war sich das Parlament so einig wie im Moment seiner Selbstauflösung. Den Impuls zu den Neuwahlen gab der Brexit: Der No-Deal-Brexit am 31. Oktober ist vom Tisch, nun können rechtzeitig vor dem nächsten Austrittstermin, dem 31. Januar 2020, die politischen Kräfteverhältnisse neu vermessen werden.

Boris Johnson will am 12. Dezember eine klare Mehrheit für die Vollendung des Brexit. Liberale und kleinere Parteien wollen eine klare Mehrheit zum Kippen des Brexit. Und Labour – nun, bei Labour ist jede denkbare Meinung und Strategie zum Brexit zu finden, und genau da liegt das Problem. Deswegen hat Labour so lange gezögert, sich den Wählern zu stellen.

Das heißt: Jeremy Corbyn wird im Wahlkampf über alles reden wollen – nur nicht über den Brexit. Und damit trifft er, so paradox es heute erscheinen mag, den Nerv der Briten besser, als es Brexit-Fanatiker tun.

Auch Boris Johnson wird über andere Dinge reden wollen als den Brexit, und zwar nicht nur, weil er sein Versprechen eines EU-Austritts zum 31. Oktober nicht einlösen konnte. Der Premierminister ist ein instinktgetriebener Wahlkämpfer. Er weiß: Vom Brexit haben die Briten die Schnauze voll. Immer wieder sagt er, man müsse den EU-Austritt vollziehen, um sich um die Dinge zu kümmern, die den Menschen wichtig sind.

Es wird also eine Brexit-Wahl. Und zugleich kein Brexit-Wahlkampf. Was für ein Wahlkampf es wird, das weiß niemand. Und was dabei herauskommt – auch das weiß niemand. Aber am Tag nach der Wahl wird Großbritannien endlich ein neues Kapitel seiner Politik aufschlagen können.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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3 Kommentare

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  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Boris Johnson will am 12. Dezember eine klare Mehrheit für die Vollendung des Brexit.

    ""Liberale und kleinere Parteien wollen eine klare Mehrheit zum Kippen des Brexit. und Labour – nun, bei Labour ist jede denkbare Meinung und Strategie zum Brexit zu finden, und genau da liegt das Problem. ""

    ==

    Die SNP/Schottland hat sehr gute Aussichten die Tory - Sitze in Schottland zu übernehmen seit sich Ruth Davidson vom Vorsitz der Tories zurückgezogen hat. Schottland hat die Nase voll vom Brexit - und verfolgt die Unabhängigkeit von der Britischen Union - die Schottland niemand verweigern kann wenn die SNP im Norden die Wahlen gewinnt.

    Plaid Cymru in Wales, Lib-Dems und Greens haben sich in einem Wahlbündnis zusammen geschlossen - um taktisch so klug wie möglich das Mehrheitswahlrecht in den Wahlkreisen auszuhebeln - der stärkste Kandidat einer Partei tritt an hinter dem sich alle anderen versammeln -- um Kräfte zu bündeln.

    Labour hat lediglich einen Plan A und will gewinnen - was Jeremy Corbyn allein nicht schaffen kann und nicht wird - weil Remainer im wesentlichen für Labour nicht stimmen werden - die wählen Lib-Dems oder Grüne - deswegen wird selbst das Ergebnis aus 2017 für Corbyn nicht erreichbar sein.

    Die Opposition in UK vereinigt 55% der abgegebenen Wählerstimmen - wobei der Brexit die kommunalen - nationalen Bewegungen in Nordirland, Wales und Schottland stärkt - diese sind samt und sämtlich nicht mit einem radikal dereguliertem Johnson - Brexit - Wirtschaftsmodel einverstanden - und streben eine Unabhängigkeit oder Autonomie von der Britischen Union an.

    Wenn nun Rechtspopulisten den Brexit unterstützen - unterstützen sie in Wahrheit das Auseinanderbrechen des britischen Staates, gegründet 1707. Brexit verstärkt den Trend zur Wiedervereinigung in Nordirland, in Wales wurde eine regionale Parteigründung der Tories verhindert - und Nicola Sturgeon plant konkret den Austritt aus der Britischen Union -- um in der EU verbleiben zu können.

  • "Immer wieder sagt er, man müsse den EU-Austritt vollziehen, um sich um die Dinge zu kümmern, die den Menschen wichtig sind."

    so zum beispiel?



    www.politicshome.c...ce-cuts-20000-more

  • "Vom Brexit haben die Briten die Schnauze voll."



    Wer nicht? Klar es ist vernünftig von der EU, gar wirtschaftlich geboten, den Brexit politisch so gut wie irgend möglich einzufangen gleich wie lange es dauert; aber rein emotional - einfach Schluss egal wie.