piwik no script img

Wandel in der BundesligaGefürchtete Gäste

Acht Auswärtssiege an einem Fußball-Bundesligaspieltag gab es noch nie. Dass der Mythos vom Heimvorteil am Bröckeln ist, hat einen Grund.

Heimschwach: Kingsley Schindler vom 1. FC Köln mag es nicht fassen, dass nichts gelingt Foto: dpa

M it einem 4:0-Kantersieg beim 1. FC Köln schloss Hertha BSC Berlin einen ganz besonderen Spieltag am Sonntagabend ab. Das gab es noch nie in der Fußball-Bundesligageschichte. Achtmal gewannen die Gästeteams, Werder Bremen musste sich als einziges Auswärtsteam mit einem Unentschieden in Dortmund begnügen. Ist das ein irrer statistischer Ausreißer oder zeichnet sich da das Ende der Heimspielvorteilforschung ab?

In den vergangenen Jahren haben sich nämlich einige mit großem Eifer Gedanken um diese okkulten Kräfte auf dem Rasen Gedanken gemacht. Schließlich ergab die Auswertung abertausender Spiele im Profi und Amateurbereich grob gesprochen folgende Verteilung: Fünfzig Prozent der Partien entschieden die Gastgeber für sich, mit einem Remis oder Auswärtssieg endeten jeweils 25 Prozent der Spiele. Wie kann das sein bei einem Wettbewerb, der alle den gleichen Regeln unterwirft?

Längst etabliert sind allerorten die Rufe in der Gästekurve: „Auswärtssieg, Auswärtssieg“. Ausdruck einer Sehnsucht nach dem ganz Besonderen. „Heimsieg, Heimsieg“-Chöre hat wohl noch kaum einer gehört.

Wissenschaftlich betrachtet etwas unkonkret haben einige der Heimspielvorteilforscher die Psyche ins Feld geführt, welche die heimischen Spieler begünstige, weil sie etwa durch die lautstarke Unterstützung des Publikums getragen würden. Eine Datenanaylse für die Zeitspanne 2000 bis 2015 zeigt allerdings, dass der VfL Wolfsburg besonders viele seiner Punkte zu Hause holte und in der Heimtabelle für den Zeitraum auf dem dritten Platz steht. Damit war klar: Leise und vereinzelte Unterstützung scheint genauso zu helfen.

Mehr Testosteron zu Hause

Andere Heimspielvorteilforscher sind gründlicher vorgegangen, haben Speicheltests vorgenommen und festgestellt, Profis mit Heimrecht hatten höhere Testosteronwerte, insbesondere die Torhüter und Stürmer. Geschlussfolgert wurde aus den Ergebnissen wiederum eher mit steinzeitlichen Gedankengängen. Entscheidend für die erhöhten Testosteronwerte, hieß es, sei eine Art Revierverhalten, die Verteidigung der eigenen Heimstätte.

Am erklärungskräftigsten scheint dagegen die These, dass die Schiedsrichter die entscheidende Variable sind. Sie lassen sich von ihrer Umgebung bei der Entscheidungsfindung beeinflussen. Pfeifen und empören sich viele Zuschauer, steigt auch die Wahrscheinlichkeit eines Schiedsrichterpfiffs. Die Professionalisierung des Schiedsrichterwesens – insbesondere zuletzt durch den Einsatz von Technologie wie den Videobeweis – hat allerdings zu einer größeren Objektivität bei den Entscheidungen geführt.

Schon in der US-Footballliga NFL konnte man beobachten, ging der Heimvorteil um fast 30 Prozent zurück, als 1999 der Videobeweis eingeführt wurde. Ähnliches wird sich nun vermutlich auch in der Bundesliga zeigen. Freilich war dieser Spieltag ein statistischer Ausreißer, aber die Zählung aller bisherigen Partie in dieser Saison zeigt eine neue Tendenz an: 23 Mal waren die Gäste am Ende im Vorteil, nur 20 Mal die Gastgeber. Die Aussichten auf einen Heim wie auf einen Auswärtssieg stehen wohl bald eher bei 50:50. Vielleicht hört man sie bald doch, die „Heimsieg, Heimsieg“-Rufe.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

taz-Sportredakteur
Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Vielleicht ist es tatsächlich auch von Vorteil wenn die Mannschaft weniger weit anreisen muss? Keine Ahnung, nur eine naive Frage

    • @wirklich?:

      außerdem nicht jeder fussballplatz gleich groß. Ferner hat als Heimmannschaft der Vorteil der Balljunheb und die Bestimmung der platzqualität

  • Der Heimvorteil ist kein "Mythos", denn er (und sein Rückgang, der übrigens in div. Sportarten mit der Verteuerung der Eintrittskarten einherging) ist statistisch belegbar. Die Erklärungsversuche allerdings fallen alle flach, wie der Artikel richtig ausführt. Im US-Basketball gibt's auch noch den Ansatz, dass die Spieler besser an die Körbe (und etwaige Eigenarten der Bretter) gewöhnt seien. Und zu guter Letzt gibt es noch die Ausnahme des Teams in Denver, wo die Luft einfach bissl dünner ist.