Staatliche Kirchenfinanzierung: Vater Staat und Mutter Kirche
Der Staat überweist jährlich hunderte Millionen Euro an die großen Kirchen. Laut Grundgesetzt hätten diese Zahlungen längst aufhören müssen.
Und das ist noch gar nichts: 1,4 Milliarden gab er für den konfessionsgebundenen christlichen Religionsunterricht aus, 3,9 Milliarden für die Kindergärten, 45 Milliarden Euro fließen aus den Sozialkassen an die Caritas und das Diakonische Werk, wie der Politologe Carsten Frerk, Autor des „Violettbuchs Kirchenfinanzen“, berechnet hat. Dazu kommen Zuschüsse für Gebäude und Steuervorteile. Vater Staat schafft an, Mutter Kirche gibt aus.
Namentlich für die besonders merkwürdig anmutende halbe Milliarde für die Bischöfe wird in der Regel der Reichsdeputationshauptschluss von 1803 verantwortlich gemacht, der den Anfang vom Ende des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation markiert. Dabei erzwang Napoleon die Auflösung vieler Hundert deutscher Kleinstaaten, wobei sich die mächtigeren Landesherren auch kirchliches Eigentum unter den Nagel rissen.
Dass die Kirchen dafür entschädigt werden sollen, steht in Artikel 140 des Grundgesetzes, der wiederum auf Artikel 138 der Weimarer Reichsverfassung verweist. „Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst“, steht da. „Die Grundsätze dafür stellt das Reich auf.“
Enorme Summen auf einen Schlag
Das bedeutet: Seit einhundert Jahren müssten sich die Länder eigentlich mit den Bistümern und Diözesen über eine Zahlung einigen, die den jährlichen Scheck obsolet macht. Stattdessen zahlen sie munter weiter. „Ablösen heißt nicht einfach einstellen, sondern meint da einvernehmliches Ermittteln einer Endsumme“; warnt Axel von Campenhausen, der ehemalige Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
In diesem Fall, sagt Campenhausen, kämen auf die Länder enorme Summen zu, die auf einen Schlag zu bezahlen wären, während die Kirchen plötzlich einen Batzen Geld hätten, mit dem sie nicht wüssten, wohin. „Weil die Summe so groß wäre, hat man beschlossen, das zu verrenten“, sagt der Kirchenrechtler. Die Länder zahlen quasi Zinsen auf die historischen Ansprüche der Kirchen.
Diese Rechtstitel beginnen nicht mit dem Reichsdeputationshauptschluss und enden auch nicht damit, wie Stefan Mückl für die Bundeszentrale für Politische Bildung aufgeschrieben hat. Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Kirchen etwa gehe bis auf den Augsburger Religionsfrieden 1555 und den Westfälischen Frieden 1648 zurück. Die Rechte der Kirchen seien in der Weimarer Zeit durch verschiedene Verträge zwischen Staat und Kirche bekräftigt worden.
Der Politologe Frerk weist darauf hin, dass den enteigneten Fürstbischöfen im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses lediglich eine persönliche Apanage zugedacht worden sei. Die Ansprüche sind seiner Deutung nach später entstanden. Bayern schloss 1817, direkt nach dem Ende der napoleonischen Kriege, ein Konkordat mit dem Vatikan. Hierin übernimmt Bayern die Besoldung der Bischöfe und Domkapitel, es stellt der Kirche Gebäude zur Verfügung und unterstützt kirchliche Bildungseinrichtungen.
Bayern hat auch in der Weimarer Zeit das erste Konkordat mit dem Vatikan geschlossen, das die 1817 vereinbarten Subventionen fortschrieb. „Das ist in der Sache die Fortführung des Staatskirchentums“, ärgert sich Frerk mit Blick auf die Ablöseverpflichtung in der Weimarer Reichsverfassung. „Ein doppelter Rechtsbruch.“ Andere Länder zogen nach und nach dem Zweiten Weltkrieg ging es in dieser Tradition weiter.
Von Campenhausen zufolge sind die Verträge zwischen Staat und Kirche immer wieder weiterentwickelt worden. Ganz viele einzelne Lasten seien abgelöst worden. „Bis in meine Jugend gehörten die Dome dem Staat“, erinnert sich der inzwischen pensionierte Kirchenrechtler. Im Loccumer Vertrag von 1955 übertrug das Land Niedersachsen die kirchlichen Zwecken dienenden Gebäude der Kirche, die das Land wiederum von den Unterhaltskosten freistellte.
Andererseits schrieb der Vertrag auch die Bezahlung des Kirchenregiments und der Pfarrer durch das Land fest. Diese muss mit der Besoldung der Landesbeamten mitwachsen. „Ein Verwendungsnachweis gemäß § 64a der Reichshaushaltsordnung wird nicht erfordert“, heißt es noch. Die Kirche kann ohne Aufsicht damit schalten und walten.
Zur Unterstützung für die Kirchen gehört auch, dass der Staat für sie die Steuern einzieht. Frerks Zahlen deuten darauf hin, dass er das nicht kostendeckend tut. Auf alle Fälle subventioniert er die Kirchen indirekt, indem er die Kirchensteuer steuerlich absetzbar gemacht hat. Frerk zufolge kostet das drei Milliarden Euro. Die Absetzbarkeit gilt aber für alle religiösen Aktivitäten.
Wenn der Staat kirchliche Kindergärten, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen bezahlt, bekommt er dagegen eine konkrete Gegenleistung für Aufgaben, die er ohnehin lösen müsste. Frerk stört aber, dass die Kirchen sich das als gute Werke ans Revers heften. „Die Menschen meinen, dass ein großer Teil der Kirchensteuer in diese sozialen Einrichtungen fließt“, kritisiert der Politologe. Dabei steuerten die Kirchen nur 2 Prozent zum Budget der Caritas und des Diakonischen Werks bei.
„Das ist ein Service im Sinne des friedlichen Zusammenlebens“, findet Kirchenrechtler von Campenhausen. Wer solle denn die Krankenhäuser übernehmen, wenn die kirchlichen Träger wegfielen, fragt er. Der Staat subventioniere die Kirchen, wie er den Sport subventioniere.
Die Kirchen wären bereit, sich mit dem Staat zu einigen, versichert von Campenhausen. Mit Blick auf die Ablösepflicht im Grundgesetz warnt er aber davor, einen Bruch herbeizuführen. „Einen Kulturkampf wie in Frankreich wollen wir nicht haben“, sagt er.
Die Ablösepflicht durchsetzen könnten nur der Bundestag oder die Landtage mit einer Normenkontrollklage vor dem Bundesverfassungsgericht. „Da will aber niemand ran“, sagt Frerk.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Obergrenze für Imbissbuden
Kein Döner ist illegal
Wahl in den USA
Sie wussten, was sie tun
SPD nach Ampel-Aus
Alles auf Olaf
Streitgespräch über den Osten
Was war die DDR?
CO₂-Fußabdruck von Superreichen
Immer mehr Privatjets unterwegs
Regierungskrise in Deutschland
Ampel kaputt!