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Kasse zahlt Downsyndrom-BluttestsGewollt ist nur die Norm

Patricia Hecht
Kommentar von Patricia Hecht

Pränatale Bluttests auf Downsyndrom werden bald die Regel sein. Das Signal ist klar: Wer anders ist, passt nicht in unsere Welt.

Junge mit Downsyndrom beim Spielen mit Mitschülern auf dem Schulhof der Grundschule Bierstadt Foto: imago images/Michael Schick

K rankenkassen sollen künftig Bluttests auf Downsyndrom bezahlen. Die Folgen sind klar: Es werden weniger Kinder mit Trisomie 21 zur Welt kommen. In Dänemark, wo seit 2005 allen Schwangeren eine Risikoabschätzung auf Downsyndrom angeboten wird, hat sich die Zahl der damit geborenen Kinder halbiert.

Zwar entschied der Gemeinsame Bundesausschuss, ein Gremium aus ÄrztInnen und VertreterInnen von Krankenkassen, dass der Test nur für Schwangere mit besonderem Risiko bezahlt werden soll. Derzeit ist er ab etwa 120 Euro privat erhältlich, die Nachfrage steigt. Doch die Risikodefinition ist nun so vage gehalten, dass ihn jede Schwangere bekommen kann, die sich Sorgen macht. Der Test dürfte zur Regel werden.

Das Gremium entscheidet nach medizinischen, nicht nach ethischen Kritierien. Waren Fruchtwasseruntersuchungen mit dem Risiko einer Fehlgeburt behaftet, ist der Bluttest risikolos – in der Logik des Systems ist die Entscheidung nachvollziehbar. Doch manchmal geraten Systeme an ihre Grenzen. Hier liegen sie darin, dass der Test keine mögliche Erkrankung prognostiziert, sondern eine Abweichung von der Norm sichtbar macht.

Weder die Gesundheit der Schwangeren noch des Kindes kann durch ihn verbessert, nichts kann geheilt werden. Deswegen kocht die Debatte nun hoch. Es wird mehr verhandelt als die Finanzierung eines Tests auf Trisomie 21. Die Frage ist: in welcher Gesellschaft wollen wir leben?

Wie gehen wir damit um?

Soll ein Kind mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalte zur Welt kommen? Oder eines mit veränderten Geschlechtschromosomen, also etwa Klinefelter- oder Turner-Syndrom, deren TrägerInnen zum Teil nicht einmal wissen, dass sie betroffen sind? Soll ein Embryo mit Diabetes ausgetragen werden? Oder einer, dessen Genom Hinweise darauf gibt, dass später Probleme mit der Immunabwehr wahrscheinlich sind?

Das Problem ist nicht die Entscheidung, die eine Frau trifft, sondern die Gesellschaft, die Kinder mit Beeinträchtigungen diskriminiert

Der Test auf Trisomie 21 ist nicht das Ende der Entwicklung, sondern der Anfang. Das Genom eines Embryos kann heute vollständig analysiert werden. Schon jetzt sind Bluttests für einige der genannten Syndrome und Auffälligkeiten auf dem Markt. In den nächsten Jahren werden mehr Tests kommen. Die mögliche Erkenntnis, die mit ihnen gewonnen werden kann, ist so grenzenlos, wie sie überfordern kann. Wie gehen wir damit um?

Die Abbruchraten sind hoch

Die Abbruchraten, wenn derlei Abweichungen von der Norm festgestellt werden, sind hoch. Bei Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, umgangssprachlich als Hasenscharte bekannt, liegen sie laut einer Zusammenfassung von Studien aus mehreren Ländern bei mehr als der Hälfte.

Es mag paradox klingen, für das uneingeschränkte Recht auf Schwangerschaftsabbrüche einzutreten und trotzdem gegen die Einführung solcher Tests als Kassenleistung zu argumentieren. Aber das Problem ist nicht die Entscheidung, die eine Frau trifft, sondern die Gesellschaft, die Kinder mit Beeinträchtigungen diskriminiert.

Auf dem Rücken von Schwangeren

Das Signal, das vom krankenkassenfinanzierten Test auf Trisomie 21 ausgeht, ist deutlich: erwünscht ist, was der Norm entspricht, perfektioniert nach Kriterien der Leistungsgesellschaft. Wer anders ist, passt nicht in unsere Welt.

Das Spektrum dessen, was wir als gesund und lebenswert verstehen, verengt sich. Der Druck, den Test zu machen, wird steigen, und nach der Diagnose muss entschieden werden. Auf dem Rücken von Schwangeren wird ausgetragen, was gesellschaftlich debattiert werden sollte.

Wie weit wollen wir gehen?

Der politische Prozess immerhin, sich mit den Bluttests auseinander zu setzen, hat im April begonnen, als eine interfraktionelle Gruppe den Bundestag fragte: „Wie weit wollen wir gehen?“ Angeboten werden soll der Test auf Trisomie 21 ab Herbst 2020.

Wie sich ein gesetzgeberisches Verfahren bis dahin entwickelt, ist momentan nicht absehbar. Möglich wäre von Verboten bis zu einer Liberalisierung alles. Derzeit geht der Trend dahin, Menschen zu optimieren. Aber das Ziel sollte sein, die Bedingungen zu optimieren, unter denen wir leben.

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Patricia Hecht
Redakteurin Inland
war Chefin vom Dienst in der Berlinredaktion, hat die Seite Eins gemacht und arbeitet jetzt als Redakteurin für Geschlechterpolitik im Inland. 2019 erschien von ihr (mit M. Gürgen, S. am Orde, C. Jakob und N. Horaczek) "Angriff auf Europa - die Internationale des Rechtspopulismus" im Ch. Links Verlag. Im März 2022 erschien mit Gesine Agena und Dinah Riese "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.
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37 Kommentare

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  • Anstatt bei schwangeren Individuen anzusetzen und damit, wie die Autorin es ja selbst schreibt, auf dem Rücken von Schwangeren auszutragen, was gesellschaftlich debattiert werden sollte, sollte Inklusion vorangetrieben werden, Barrieren abgebaut werden und Nachteilsaussgleiche , die eben diese Namen verdienen! D.h. diese 3 gesellschaftlichen Veränderungen/Ansprüche dürfen keine Sparprogramme und Lippenbekenntnisse bleiben/sein! Von Geburt bis zum Tod sollten behinderte Menschen, die gleiche Teilhabemöglichkeiten (Kultur, Bildung, Arbeit, Mobilität), über gesundheitliche Versorgung verfügen wie ihre nichtbehinderten Mitmenschen und das nicht am Rande der Gesellschaft in Spezialeinrichtungen sondern inmitten der Gesellschaft, in Einrichtungen, die bereits für Nichtbehinderte standardmäßig da sind.

  • Langeweile, Reiselust, Feierfreude usw. sind Gründe für eine Abtreibung, schwere Behinderungen muss Frau aber hinnehmen und sich für ein absolut imaginäres höheres Wohl aufopfern? Trisomie 21 hat mitunter äußerst schwere Verläufe, mit höchster Pflegebedürftigkeit, wird aber gerne romantisiert. Die Autorin liest sich hier wie eine christliche "Lebensschützerin".

  • 9G
    91655 (Profil gelöscht)

    Hier diskriminiert nicht die Gesellschaft, sondern höchstens 1-2 Menschen ... nämlich diejenigen Menschen, die ein normales Kind haben wollen, und ein „behindertes“ Kind abtreiben.

    Mein Bauch gehört mir, war schon immer eine zu verkürzte Lüge.

    Eine Beschränkung der erlaubten Abtreibung auf für Schwangere lebensbedrohende Fälle und bei nicht lebensfähigen Kindern und ethischen Konflikten (Schwangerschaft nach Missbrauch) würde die ethische Diskussion voranbringen.

    • @91655 (Profil gelöscht):

      "Mein Bauch gehört mir, war schon immer eine zu verkürzte Lüge."



      Ähem, nein, war und ist sie nicht!



      "Eine Beschränkung der erlaubten Abtreibung auf für Schwangere lebensbedrohende Fälle und bei nicht lebensfähigen Kindern und ethischen Konflikten (Schwangerschaft nach Missbrauch) würde die ethische Diskussion" ... insofern problematisch machen, weil der Bauch immer noch den schwangeren Personen gehört und diese, wenn sie kein Kind wollen, Mittel und Wege suchen werden, dies auch umzusetzen. Illegalisierte Abbrüche würde dazu führen, dass jene Personen sich verletzen und dadurch womöglich zeugungsunfähig werden oder gar bei dem Versuch sterben. Laut WHO sterben weltweit 47.000 (!) schwangere Personen bei llegalisierte Abbrüchen. Es ist anzunehmen, dass die Einschränkung, die Sie diskutieren, zu einem Anstieg von Verletzungen und Todesfällen führen würde.

  • Also wir hier jetzt ein Abtreibungsverbot geforder?

    • @Zven:

      Würde ich nicht so lesen. Das Anliegen geht mehr in die Richtung des verhassten § 219a: Die Abtreibung soll in den bisherigen Grenzen legal bleiben, aber es soll nicht normal und alltäglich werden, dass man Kinder mit Downsyndrom durch Abtreibung "verhindert".

  • Schwangere Frauen sollen demnach also nur für ja oder nein entscheiden dürfen aber nicht dafür ob Sie es sich zutrauen ein Kind mit Downsyndrom groß zu ziehen oder nicht? Außer sie können sich den Test leisten? Das klingt nicht nur paradox.

  • Der Satz im einleitenden Absatz: 'Wer anders ist, passt nicht in unsere Welt.' ist eine Provokation ! Jeder Mensch hat das recht auf angemessenen Respekt! Wann wir aber einen Menschen als ein Mitglied der Gesellschaft betrachten, ist wichtig. Denn ein Fötus im Bauch einer Frau ist doch noch nicht Mitglied der GEsellschaft, denn wir haben uns mehrheitlich dafür entschieden, dass eine Frau das Recht auf Abbruch der Schwangerschaft bis zu einem gewissen frühen Zeitpunkt der Schwangerschaft hat.

    Es geht doch nicht um den Umgang mit behinderten Menschen !!! Wollen wir etwa das mühsam erkämpfte Recht auf Schwangerschaftsabbruch durch die Hintertür wieder abschaffen? Oder wollen wir in unserer (nicht nur) materiellen Zwei-Klassen-Gesellschaft auch in medizinischer Hinsicht Reichen mehr Rechte einräumen?

    Wenn für eine Frau (vielleicht nach einem Meinungsaustausch mit ihrem Partner) die zweifellos schwierigere Erziehung eines behinderten Kindes zu einem der Argumente für einen Abbruch wird, dann haben wir das zu respektieren!

    Die im Artikel vertretene Meinung halte ich für ebenso verwerfenswert wie die Bigotterie von manchen Kirchgängern, die sich außerhalb des Kirchengebäudes als Dämonen gegenüber ihrer Umwelt präsentieren? Oder soll damit ein Schritt gegen das Recht auf Abtreibung präsentiert werden! Da wäre aber die seriöse TAZ der falsche Platz!

  • Diese Kommentare machen deutlich, dass sozialdarwinistisches Gedankengut bis hin zur NS- Ideologie der Euthanasie „lebensunwertes Leben“ noch heute in unseren Köpfen fest verankert ist, dafür brauchen wir gar keine AFD. Ich verstehe nicht, wie man sich von Religion emanzipieren kann, um sich dann Ärzt*innen und Wissenschaftler*innen zu unterwerfen. Es ist doch ein Witz, zu denken, dass man in Deutschland als Patientin und Schwangere frei entscheiden könnte, wo das Know-How doch den Göttern in Weiß suggeriert wird. Die Definition über ein glückliches und erfülltes Leben mögen bitte die Betroffenen selbst fällen. Ich wünschte, die Kommentator*innen würden sich mal in die Lebenswelt betroffener Familien begeben und erleben, wie es ist, sich Kommentare anhören zu müssen, wie man sich denn in der heutigen Zeit noch für ein Kind mit Behinderung entscheiden kann. Oder wie es sich für die Kinder anfühlt, zusammen aufzuwachsen und plötzlich gesellschaftlich als „behindert“ diskriminiert zu werden. Die Gesellschaft muss sich ändern, nicht die Kinder. Welcome diversity!

    • @Grashüpfer:

      Absolut widerlich hier die persönlich Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch in die Nähe von solchen Verbrechen wie der Zwangssterilisation oder Ermordung von Behinderten zu rücken! Wenn Sie versuchen eine (eigentlich derart klare) Grenze so zu verwischen, dann erweisen Sie dem Kampf gegen sozialdarwinistisches Gedankengut einen Bärendienst!

  • "Es mag paradox klingen, für das uneingeschränkte Recht auf Schwangerschaftsabbrüche einzutreten und trotzdem gegen die Einführung solcher Tests als Kassenleistung zu argumentieren. Aber das Problem ist nicht die Entscheidung, die eine Frau trifft,..."

    Doch, genau die ist "das Problem". Denn ob ein Kind - behindert oder nicht - zur Welt kommen darf oder abgetrieben wird, IST nunmal die Entscheidung der schwangeren Frau und nicht der Gesellschaft. Und deren - gewünschter - Information darüber, was sie im Fall des Austragens der Schwangerschaft erwartet, dient so ein Test.

    Daher ist es nicht "paradox" sondern schlicht bigott, sich bei nicht-behinderten Kindern kompromisslos für den Schutz der uneingeschränkten und wohlinfomrierten Entscheidungsfreiheit der Mutter zu einzusetzen, und bei behinderten Kinder auf einmal den - auch gesamtgesellschaftlich-ethischen - Wert des ungeborenen Lebens zu entdecken. BEIDE haben denselben gesellschaftlichen und individuellen Respekt verdient - aber eben auch behinderte UND nichtbehinderte Embryonen.

    Deshalb ist die Möglichkeit der Information über den Gesundheitszustand des Embryos für die Mutter mindestens so moralisch geboten wie die über Schwangerschaftsabbrüche - und höchstens so ethisch ambivalent. Es geht schließlich erstmal nur um Fakten und nicht schon um den Abbruch selbst.

    Es ist das klassische Dilemma linker Identitäspolitik: Wer in gesellschaftlichen Opfergruppen denkt und deren Opferqualität in aller Regel durch staatliche Privilegierung zu bekämpfen versucht, der rennt zwangsläufig regelmäßig vor Wände, wenn die eine Opfergruppe (z. B. schwangere Frauen oder Migranten) plötzlich zu Tätergruppen gegen andere Opfergruppen werden (z. B. gegen Behinderte oder Frauen). Der gewählte Ausweg ist auch hier einmal mehr, "die Gesellschaft" als Oberschuldigen zu identifizieren und ihr dann wieder mal eine linkspädagogische Lektion erteilen zu wollen. Na bravo, Frau Hecht - sauber gelöst.

  • Der Text ist voller Unterstellungen: Normabweichung, Optimierung, Leistungsfähigkeit... wie bei jeder anderen Entscheidung für oder wider einen Schwangerschaftsabbruch gilt: die Eltern entscheiden, ob sie sich dazu in der Lage sehen, dem Kind ein gutes Leben zu bieten. Und diese Entscheidung ist nicht einfach. Niemals.



    Die Entscheidung den Test zu bezahlen, hat nichts damit zu tun, das selbstverständlich ausreichend Unterstützungsangebote da sein müssen.



    Im Übrigen liegt dem Text eine gewisse naive Erwartung zu Grunde: Alle Menschen müssen alle Lebensentwürfe bejahen. Eltern, die sich für ein Kind mit Trisomie 21 entscheiden, sollen in jedem Augenblick ausschließlich Unterstützung erfahren, von allen Menschen mit denen sie zu tun haben. Das wird nicht passieren. Das ist Maximalismus. Hier wirkt eine ethisch-abstrakte Norm als unterstellungsgenerierendes Diskursgift.



    Eltern, die sich für ein Kind mit Trisomie 21 unterscheiden brauchen konkrete Unterstützung, kein Betroffenheitslalala. Sie und ihre Kinder sind keine Argument-Tümpfe, die man ausspielen kann, in einem Spiel, das der/diejenige gewinnt, der/die die kulturpessimistischste Horrorvorstellung kreiert.

    • @My Sharona:

      "Eltern, die sich für ein Kind mit Trisomie 21 unterscheiden brauchen konkrete Unterstützung, kein Betroffenheitslalala..."



      In der Tat. Die Elternteile und betroffenen Menschen brauchen, so Beeinträchtigungen die Teilhabe erschweren, einen konsequenten (!) Nachteilsausgleich. Zum einen ist dieser heute nicht so umfangreich gegeben, als dass er gleiche Vorraussetzungen (die von behinderten Menschen gegenüber nicht behinderten Menschen) schaffen würde sondern wird auch von Politker*innen wie Spahn versucht noch weiter zurückzustutzen (siehe bspw. Assistenz, Versorgung zu Hause). Und das ist für diese Gesellschaft eine Schande!

  • Das Heuchlerische an dieser ganzen Debatte ist, dass die Autorin wohl niemals einen derartigen Artikel schreiben würde, wenn es um eine mögliche Kassenleistung für eine wirksame Vermeidung eines Downsyndroms oder anderen genetischer Abweichung gehen würde.



    Platt ausgedrückt: einmalig eine Pille für 200,00 EUR und ein angeborenes Zusammentreffen einer geistigen Behinderung und körperlicher Fehlbildungen beim Fötus könnte vermieden werden. Wäre die Autorin auch gegen diese Kassenleistung? Sollte dann nicht auch eine Impfung gegen Kinderlähmung abgeschafft werden?



    Dann stelle mir außerdem ernsthaft die Frage, ob man auch gegen das Verbot ist, dass Nachwuchs von eng blutsverwandten Menschen gezeugt werden darf.



    Die Entscheidung einen Bluttest durchzuführen oder nicht, ist und bleibt immer eine individuelle Entscheidung Betroffener und nicht die Meinung und/oder das Verhalten einer Gesellschaft. Übliche Empörungsrituale mit Worten wie "Selektion" oder "gegen die Norm" helfen hier nicht weiter.

  • Der Patient entscheidet, nicht der Arzt oder die Krankenkasse. Alles ist nur ein Angebot. Für die Schwangere bzw besser die zukünftigen Eltern ändert sich mit diesem und zukünftigen Angeboten nichts: SIE entscheiden, ob sie ein Kind in jedem Falle annehmen wollen oder nicht. Im ersten Fall brauchen sie dann keinen Test und keine Punktion. Im zweiten ist es ihre Entscheidung und da sollte es im Angebot möglichst wenig Risiken und soziale Ungleichheiten geben.



    Ganz unabhängig davon hat die taz Recht mit dem Ansprechen der gesellschaftlichen Probleme, natürlich brauchen wir vermehrt Diskurs über das, was wir wollen und was wir für erstrebenswert halten!

  • 0G
    06227 (Profil gelöscht)

    Auch freie, individuelle Entscheidungen erlauben bzw. erfordern gesamtgesellschaftlichen Diskurs (muss ja kein Konsens rauskommen) - einfach dass jede*r sich mal mit allen Argumenten auseinander setzt. Das hier dargestellte Szenario IST besorgniserregend.

  • Also, Tests nicht von der Kasse bezahlen lassen, und so Zugang zum Information und die Möglichkeit zum Entscheiden vom Einkommen und wahrscheinlich auch von der Ausbildung der Eltern (und hauptsächlich der Frauen) abhängig zu machen.



    Ganz im Sinn vom Paragrafen 219a.

  • Gewollt ist nicht die Norm, sondern die Selbstbestimmung schwangerer Frauen. Ich finde es unglaubwürdig, wenn Feministen sich als "pro choice" bezeichnen und dennoch Frauen Informationen vorenthalten wollen, welche für die Entscheidung über die Fortsetzung einer Schwangerschaft von großer Bedeutung sein können. Wenn man grundsätzlich verstanden hat, dass Abtreibung ein Recht und der Fötus im Frühstadium keine menschliche Person ist, was spricht dann gegen die Abtreibung eines Fötus, der vermutlich zu einer Person mit deutlich reduzierter Lebensqualität heranwachsen würde? Voraussetzungsgemäß wird dabei keine behinderte Person getötet, sondern die zukünftige Entstehung einer behinderten Person verhindert. Gäbe es ein Medikament, das noch vor der Zeugung alle Gameten mit doppeltem Chromosom (aus denen nach der Zeugung Trisomien entstehen) absterben lässt, dann wäre das ja auch kein Problem. Oder wer wäre in diesem Fall das Opfer der Diskriminierung? Die "behinderten" Samen- und Eizellen?

    Dass ein Leben ohne Behinderung wünschenswerter ist, und dass die Welt nicht ärmer wird, wenn weniger Menschen an einer Behinderung leiden müssen, darüber lässt sich nicht ernsthaft streiten. Andernfalls müsste man auch Frauen, die in der Schwangerschaft auf Alkohol verzichten und ihre Kinder gegen Kinderlähmung impfen lassen, Perfektionismus unterstellen. Ich weiß außerdem nicht, was die Vermeidung einer Behinderung mit Perfektion zu tun haben soll. Die meisten Menschen sind von Perfektion sehr weit entfernt, auch ohne Herzfehler, Darmverschlüsse, Immunschwäche, geistige Behinderung und was noch alles mit dem Down-Syndrom einhergeht.

    • 0G
      06227 (Profil gelöscht)
      @Thomas Friedrich:

      Glauben Sie wirklich, Trisomie 21 (oder eine andere der beschriebenen Abweichungen von der Norm) sei eine Behinderung, die zu eingeschränkter Lebensqualität führt? Ich lade Sie mal dazu ein das einer darunter 'leidenden' Person ins Gesicht zu sagen.

      Genau darum geht die Debatte. Die Abgrenzung zu 'unwerten' Leben aus der Position des Normativen zu ziehen halte ich für eine sehr....ungesunde Idee.

      Und können Sie mich auf die Stelle im Text verweisen, in der bevormundende Verbote gefordert werden? Auch freie, individuelle Entscheidungen erlauben gesamtgesellschaftliche Diskurs (muss ja kein Konsens rauskommen) - und das hier dargestellte Szenario IST besorgniserregend.

      • @06227 (Profil gelöscht):

        "Glauben Sie wirklich, Trisomie 21 (oder eine andere der beschriebenen Abweichungen von der Norm) sei eine Behinderung, die zu eingeschränkter Lebensqualität führt?"

        Sie etwa nicht? Allein die geistige Behinderung führt zu einer extremen Einschränkung von Lebensmöglichkeiten. Betroffene können in der Regel weder ein eigenständiges Leben führen noch einem normalen Beruf nachgehen oder eine Familie gründen. Wenn ich die besten Erfahrungen meines Lebens aufschreiben und alles durchstreichen würde, was ich mit Down-Syndrom nicht hätte machen können, dann würde nicht viel übrig bleiben.

        Hinzu kommen die gesundheitlichen Probleme, die konkretes Leid mit sich bringen: Herzfehler, Darmverschlüsse, Immunschwäche, Schlafapnoe, Schwerhörigkeit... Besonders traurig ist die Tatsache, dass Menschen mit Down-Syndrom oft schon ab 40 an Alzheimer erkranken. Neben einem IQ von 50 hat man also die Aussicht, in jungen Jahren dement zu werden. Ich weiß nicht, wie Eltern gestrickt sein müssen, die überhaupt kein Interesse daran haben, ihrem Kind ein Leben mit diesen Übeln zu ersparen.

        "Und können Sie mich auf die Stelle im Text verweisen, in der bevormundende Verbote gefordert werden?"

        Offensichtlich ist die Autorin mindestens gegen eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse. Allein das ist eine indirekte Bevormundung und eine Diskriminierung, weil armen Frauen eine Möglichkeit vorenthalten wird, die andere Frauen in Anspruch nehmen können.

    • @Thomas Friedrich:

      Bis " ...Samen und Eizellen" stimme ich ganz und meine, dass Sie den Kern der Frage am besten verstanden und dargelegt haben.

      Was folgt nicht so einfach, ist aber eine ganz andere Frage. ...

  • Die Möglichkeiten der modernen Reproduktionsmedizin stellen uns als Gesellschaft vor große Herausforderungen. Wenn man die Legalisierung und gesellschaftliche Akzeptanz von Schwangerschaftsabbrüchen an sich erreichen möchte, wofür die taz einsteht, ist es dann nicht folgerichtig, dass sich Menschen auch aus anderen Motiven dieser Möglichkeiten bedienen, als viele Verfechter der Legalisierung es ursprünglich intendierten? Einmal passt das Kind nicht in den Lebensentwurf, weil dessen Geburt große familiäre und finanzielle, letztlich existenzielle Probleme mit sich bringen könnte, das andere Mal wird es aufgrund körperlicher oder geistiger Einschränkungen auch die Vorstellungen der Eltern von Elternschaft und Kindheit und deren massiv einschränken uva. In beiden Fällen kann man die Gesellschaft in Mithaftung nehmen.

    • @Marius:

      Ja, der Schwangerschftabruch ist ein Recht der Frau und die Gründe und Motive die sie hat, es zu tun (oder nicht), sind persönlich und nicht zu beurteilen oder gar zu befragen. In diesem Fall auch nicht, weil in keinem Fall.

    • @Marius:

      "das andere Mal wird es aufgrund körperlicher oder geistiger Einschränkungen auch die Vorstellungen der Eltern von Elternschaft und Kindheit und deren massiv einschränken uva."

      Kann es nicht sein, dass Eltern sich für einen Abbruch und eine zweite Schwangerschaft entscheiden, weil sie ihrem zukünftigen Kind ein möglichst gutes Leben wünschen?

      Frauen, die in der Schwangerschaft auf Alkohol verzichten, wird ja auch zugetraut, dass es ihnen um das Wohlergehen ihres zukünftigen Kindes geht und nicht um eigennützigen Perfektionismus.

      • @Thomas Friedrich:

        Fragen Sie mal einen geborenen Menschen (egal ob mit oder ohne Downsyndrom), ob er sich für so locker austauschbar hält.

        Die Individualität, die in dem Embryo bereits abgebildet ist, geht bei einer Abtreibung verloren. Mit diesem Verlust müssen Eltern und Gesellschaft umgehen - was für die Gesellschaft NICHT notwendigerweise "Dilemma runterschlucken und jede Abtreibung bedingungslos hinnehmen" heißt. Deshlab ist Ihr Ansatz, das man dem Kind doch einen Gefallen, wenn man es nicht so sondern lieber später ein anderes auf die Welt bringt, hochproblematisch - und nah am Gedanken vom "lebensunwerten Leben".

  • "Auf dem Rücken von Schwangeren wird ausgetragen, was gesellschaftlich debattiert werden sollte."



    Damit trifft Patricia Hecht den Nagel auf den Kopf.

    • @Uranus:

      Auf mich wirkt es, als würde die Autorin ihren Wunsch nach (indirekter) Bevormundung so framen, dass es aussieht, als wollte sie schwangere Frauen vor einer Zumutung bewahren.

      Lustigerweise argumentieren christliche Gegner von Abtreibung und Sterbehilfe ganz genauso.

      • @Thomas Friedrich:

        Sicherlich gibt es da die Position (Schwangerschaftsabbrüche ja aber keine Finanzierung von Voruntersuchungen auf Defekte hin) wie Sie auch von Whatthefuck vertreten wird. Hier benennt Patricia Hecht aber auch die Kehrseite und die wollte ich hier noch einmal hervorheben. Für mich ist es das ausschlaggebende Argument in der Debatte um Pränataldiagnostik.

  • Wer für das Recht auf Abtreibung eintritt hat es schwer gegen pränatale Tests zu argumentieren. Das Eine zu wollen (weil es eine persönliche Entscheidung sei) und das Andere zu kritisieren (aufgrund gesellschaftlicher Auswirkungen) betrachtet 2 sehr verwandte Dinge aus 2 unterschiedlichen Perspektiven.

    Wie viel einfacher hat es da doch die katholische Kirche...

    • 0G
      06227 (Profil gelöscht)
      @sTTefan:

      An welcher Stelle im Text wird denn ein pauschales Verbot gefordert? Glauben Sie Befürworter des Rechts auf Abtreibung wären pauschal FÜR Abtreibungen?



      Auch freie, individuelle Entscheidungen erlauben bzw. erfordern gesamtgesellschaftlichen Diskurs (muss ja kein Konsens rauskommen) - einfach dass jede*r sich mal mit allen Argumenten auseinander setzt. Das hier dargestellte Szenario IST besorgniserregend.

      Individuelle Freiheit bedeutet nicht automatisch Scheuklappen auf und egal was andere so denken.

  • Ich kann mir nicht helfen, aber die aktuelle Debatte finde ich ziemlich heuchlerisch. Die Frage, in welcher Gesellschaft „wir“ leben wollen, ist längst beantwortet. Jetzt noch von einem Paradigmenwechsel zu reden, ist albern.

    Wer Geld hat, lässt doch schon lange teure Tests machen. Nur die, die keins haben, mussten bisher ohne Sicherheit auskommen. Wenn nun die Krankenkassen zahlen, wird lediglich wieder Gerechtigkeit hergestellt. Jetzt haben nicht mehr nur die Reichen eine Wahl. Jetzt können auch die Armen sagen:“Was die mit Geld wollen, das will ich auch.“ Und wenn das ein Kind ohne Down-Syndrom ist, dann ist es eben ein Kind ohne Down-Syndrom. Scheiß doch auf die Konsequenz für die Gesellschaft!

    • @mowgli:

      Der Text gibt der Annahme Ausdruck, dass die Übernahme einer solchen Untersuchung in den Katalog der Kassenleistungen an sich dem Denkprozess dahinter ("Wenn T21, dann vielleicht lieber doch abtreiben.") eine ganz erhebliche zusätzliche Legitimität verleihen kann.

      Ich finde das gar nicht abwegig. "Kassenleistung" heißt: "Ohne Zuzahlung jederfrau zugänglich", heißt "Habe ich Anspruch drauf", heißt "Darf/soll ich auch in Anspruch nehmen - und es nicht zu tun, wäre fast schon Verschwendung." Dieser letzte Schritt hängt damit zusammen, dass der Anspruch auf Sozialleistungen von Vielen als eine Art Vermögensbestandteil betrachtet wird, den man mit Beiträgen bezahlt hat und der "verfällt", wenn man diese Leistungen nicht abruft - so wie "Freibier!" gerne als stillschweigende Aufforderung aufgenommen wird, sich mal so richtig Einen hinter die Binde zu kippen.

      Ich denke, es gäbe z. B. einen ähnlichen Normalisierungs- und dann auch Normierungsprozess, wenn z. B. Schönheits-OPs regelmäßig auf Kasse gingen. Aktuell sind sie Privatvergnügen, und das passt zum "Conventional Wisdom", dass solche OPs halt machen lässt, wer sich einbildet das zu brauchen und das Geld dafür übrig hat. Als Kassenleistung würden sie möglicherweise nochmal deutlich normaler und ihre Ergebnisse auch normativer für das geltende Schönheitsideal - vgl. Hollywood.

  • Nun stellen wir uns mal vor, es ist nicht die 45-jährige gutsituierte Erstgebährende, die ihr Wunschkind so oder so austragen wird, sondern eine Frau, die nicht den Rest ihres Lebens mit dem kranken Kind von Klinik zu Therapieplatz eilen will.

    Bei Kindern mit Trisomie 21 kommen z.B. häufiger vor:

    * Speiseröhrenfistel



    * verengter oder nicht durchgängiger Zwölffingerdarm



    * Fehlanlage der Bauchspeicheldrüse



    * stark erweiterter Dickdarm



    * Fehlbildung des Enddarms mit fehlender oder falsch angelegter Öffnung



    * Brechungsfehler – wie Kurzsichtigkeit, Weitsichtigkeit oder Astigmatismus (bei 75%)



    * Schielen (bei 50%)



    * blockierte Tränenwege (bei 20%)



    * angeborener grauer Star (bei 3%)



    * Fehlfunktionen der Schilddrüse



    * Leukämie



    * Alzheimer



    * Autoimmunerkrankungen, wie Zöliakie



    * Hashimoto-Thyreoiditis



    * kreisrunder Haarausfall



    * Diabetes mellitus Typ 1



    (Zur Abwechslung mal von onmeda.de: www.onmeda.de/kran...down_syndrom.html)

    Das ist nicht "einfach nur ein Chromosom zu viel".

  • Ich kann denken wie man auf die Idee kommen kann so zu argumentieren es ist nachvollziehbar - politisch betrachtet.



    Aber mehr eben auch nicht. Denn hier wird aus rein moralischen Erwägungen - dem Postulat jeder solle genommen werden, wie er eben ist, das empathische Moment völlig außen vor gelassen.

    Hier geht es nicht um Toleranz. Hier geht es für die künftigen Eltern um Verzicht auf wesentliche Teile dessen, weshalb sie sich entschlossen haben Eltern zu werden.



    Von dem Paket geht ihnen etwas verloren und sie müssen weit mehr Ressourcen aufbringen, als sie erwartet haben.



    Und nur weil man sich Toleranz wünscht und selber tolerant ist.. man kann das nicht voraus setzen.



    Man muss sich nur mal die Wahlergebnisse ansehen, um zu erkennen, was das Kind und die Eltern an Vorurteilen und Zurücksetzungen erwartet.

    So wie die Frau das Recht haben sollte zu entscheiden, ob sie überhaupt diesen Pfad beschreiten will, so muss sie auch das Recht haben diesen Aspekt bei der Entscheidung mit einzubeziehen.

    Die Entscheidung für einen Abbruch ist nämlich genau das eine Abwägung, die zunächst - und das völlig zu Recht - das Kind und dessen Optionen außen vor lässt. Und das gilt natürlich auch für sein Recht auf Toleranz.

    Wir legen - ebenfalls zu Recht - in unserem Politischen Kompromiss über $218 - Wert auf eine informierte Entscheidung.



    Und der Gesundheitszustand des Kindes ist eine solche Information.

    Ich verstehe, dass das nach Eugenik riecht - auf den ersten Blick...



    Aber es geht hier nicht um eine staatliche Maßnahme.

    Jede Mutter hat weiterhin das Recht ein Kind mit jedem Grad der Behinderung auszutragen und wenn sie sich dazu entscheidet unsere Unterstützung verdient.



    Aber sie diese Entscheidung informiert treffen zu lassen - und das unabhängig von ihrem Einkommen - ist genau richtig.

    • 0G
      06227 (Profil gelöscht)
      @Michael Garibaldi:

      Sie argumentieren viel mit Symptomen einer ungesunden Gesellschaft. Das geht natürlich etwas an der Fragestellung wie wir uns eine gesunde Gesellschaft vorstellen vorbei.

      Das es Diskriminierung gibt ist ja weder die Schuld der Eltern noch des Kindes

  • Der Kommentar ist zu einseitig. Den Test gibt es schon, er muss privat gezahlt werden. Jetzt wird er einer breiten Öffentlichkeit angeboten, na und?



    Die Entscheidung kann jeder selber für sich treffen. Warum ist etwas was für Morgen möglich ist heute schon diskriminierend?



    Was ist eigentlich mit den positiven Apekten? Sind die völlig egal?