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Bekämpfung von UnternehmenskriminalitätKriminelle Konzerne sollen zahlen

Geldsanktionen sollen künftig auch Unternehmen treffen, plant Justizministerin Lambrecht. Bisher können nur Manager und Mitarbeiter belangt werden.

Lambrecht betont, das Gesetz sei „im Interesse der Wirtschaft“ Foto: Stefan Boness/Ipon

Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) plant ein Gesetz zur Bekämpfung von Unternehmenskriminalität. Künftig sollen Unternehmen mit „Geldsanktionen“ bis zu 10 Prozent des Jahresumsatzes belegt werden können. Das sieht ein Gesetzentwurf vor, der der taz vorliegt.

Anders als in den meisten europäischen Nachbarländern ist das Strafrecht in Deutschland auf individuelle Menschen ausgerichtet. Nur sie können Schuld auf sich laden, deshalb können Gerichte auch nur gegen konkrete Manager und Mitarbeiter Geld- oder Freiheitsstrafen verhängen. Ein Strafrecht für Unternehmen ist in Deutschland durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgeschlossen.

Bei Unternehmen und anderen juristischen Personen ist bisher nur die Abschöpfung illegaler Gewinne möglich sowie die Verhängung von Bußgeldern nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz – maximal 10 Millionen Euro. Für Großkonzerne ist das lächerlich gering. Dabei ist es doch oft das Unternehmen, das von Straftaten der Mitarbeiter profitiert und diese duldet oder gar fördert.

Das will Lambrecht in ihrem neuen Gesetz ändern. Künftig sollen Unternehmen bis zu 10 Prozent ihres Umsatzes als Geldsanktion bezahlen, wenn eine „Leitungsperson“, so der Entwurf, eine vorsätzliche Straftat begeht. Bei Fahrlässigkeit ist die Obergrenze 5 Prozent.

„Der Ehrliche darf nicht der Dumme sein“

Der Jahresumsatz von VW lag 2018 bei 235 Milliarden Euro. Die höchste Geldsanktion wäre damit 23,5 Milliarden Euro. Es geht der Ministerin also nicht um neue Delikte, sondern um neue Sanktionen für bekannte Delikte wie Betrug, Verkauf verdorbener Lebensmittel oder Umweltstraftaten.

Neben Straftaten von Leitungsperson muss sich das Unternehmen auch für Delikte sonstiger Mitarbeiter verantworten – wenn die Leitung diese durch gute Organisation und Aufsicht (Compliance) hätte verhindern können.

Sanktionen können, so der Entwurf, auch „unter Vorbehalt“ verhängt werden, etwa wenn das Unternehmen verspricht, strenge Compliance-Regeln einzuführen. Sanktionen können außerdem reduziert werden, wenn das Unternehmen „interne“ Untersuchungen anstellt und dabei mit der Staatsanwaltschaft kooperiert. Im ­Extremfall kann ein Unternehmen auch aufgelöst werden, wenn die Gefahr besteht, dass im Rahmen des Unternehmens weiterhin erhebliche Straftaten begangen werden.

Lambrecht betonte, das Gesetz sei ein Gesetz „im Interesse der Wirtschaft“. Sie gehe davon aus, dass sich fast alle Unternehmen an die Gesetze halten. Die ehrlichen Unternehmen sollten deshalb keine Nachteile haben, wenn sich Konkurrenten zum Beispiel durch Korruption illegale Vorteile sichern. „Der Ehrliche darf nicht der Dumme sein“, sagte sie bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs.

Der stellvertretende CSU-Landesgruppenvorsitzende Hans Michelbach kritisierte die Pläne dennoch als „Generalangriff auf die Unternehmen“. Er wertete das geplante Gesetz als „Anreizprogramm für Investitionsverlagerungen“. Lambrecht geht aber davon aus, dass die Union das Gesetz letztlich mitträgt. Schließlich stehe das Vorhaben detailliert im Koalitionsvertrag, den sie nur „eins zu eins“ umgesetzt habe.

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4 Kommentare

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  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    In meinen Soziologieseminaren beim geschätzten Prof. Dr. Niklas Luhmann habe ich gelernt: Organisationen sind NICHT adressierbar. Somit ist der aktuell beschriebe „Strafweg für Unternehmen“ eine der vielen Nebelbomben, die mit die Regierung hinwirft, damit ich nicht so schnell erkenne, dass hier wieder einmal geistige Windstille durch operative Hektik verdeckt wird. Wie soll das auch gehen: Hallo Volkswagen AG, Ihre Betrügereien mit Dieselfahrzeugen sind strafbar und jetzt kommt die Quittung? Lachhaft! Das Gesetz hat exakt für diese Fälle als handelnde Organe für juristische Organisationen „Menschen“, d. h. natürliche Personen, vorgesehen und eingesetzt. Und die, ganz schlicht, werden ja auch im Namen der Organisation straffällig. Gern würde ich folgende Mitteilung loswerden: Hallo Bundesregierung! Was machst Du da wieder für‘n Quatsch? Arbeite richtig und in meinem Bürgersinne? Schöne Grüße. Aber - ganz klar, das ist völliger Unsinn. Daher: Nicht den Sack schlagen, wenn der Esel gemeint ist, sondern Ross und Reiter zur konsequent zur Verantwortung ziehen. Oder soll genau das vermieden werden?

    • @97088 (Profil gelöscht):

      "Organisationen sind NICHT adressierbar."

      Organisationen, NGOs, Stiftungen, Kirchen, Gewerkschaften, Verbände, Genossenschaften, gemeinnützig oder nicht, die dem Vereinsrecht unterworfen sind, sind etwas anderes als Unternehmen Bürgerlichen Rechts, gewerkschaftliche, verbandsrechtliche, kirchliche Tendenzbetriebe, Landwirtschaft, Forsten, Soziales, Kliniken, Schulen, die auf Profit setzen, einen Geschäftszweck verfolgen. Hier geht es, neben Verkehrs- , Luft- , Seefahrts- , Handels- , in besonderer Weise um Haftungs- , Versicherungsrecht.



      Bis 1953 gab es ein Unternehmensstrafrecht in Westdeutschland auf Inititative der der Besatzungsmächte USA. England, Frankreich, 1949 vom Bundestag ratifiziert, u. a. Entschädigungsforderungen von Zwangsarbeitern 1914-1918, 1939-1945 gegenüber deutschen Unternehmen, Militär- , Polizeiorganen, Banken, Versicherungen, Kommunen, Kirchen nach dem Legalitätsprinzip ins Recht gesetzt, mit einem Klagerecht zu versehen.

      "Das Gesetz hat exakt für diese Fälle als handelnde Organe für juristische Organisationen „Menschen“, d. h. natürliche Personen, vorgesehen und eingesetzt. Und die, ganz schlicht, werden ja auch im Namen der Organisation straffällig. "

      So wird es gerne kolportiert von interessierter Seite. Faktisch sind Unternehmen nicht in Haftung zu nehmen, geschweige denn darf überhaupt gegen sie ermittelt, noch breitgefaßt Geschäftsdaten eingesehen gesichert werden, weil, wenn überhaupt nur wg individuell nachgewiesenem Verschulden gegen bestimmte Mitarbeiter als Privatpersonen ermittelt werden darf.



      Wer die Demokratisierung unserer Wirtschaft anstrebt, kommt an einem Unternehmensstarfrecht nicht vorbei, weil die größte Belastung für Wettbewerber am Markt, Unternehmen, die Wirtschaft, Politik, Gesellschaft kriminelle Unternehmen sind, die straffrei ausgehen.

      Dazu meine Petition:

      weact.campact.de/p...einzufuhren/launch

  • "Ein Strafrecht für Unternehmen ist in Deutschland durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVG) ausgeschlossen"

    Hier irrt der Autor. Das BVG schließt nicht aus, sondern folgt Bundestag Beschluss auf Anraten Deutschen Juristentages 1953, veranlasst durch Konrad Adenauer Kabinett, angesichts drohender Zwangsarbeiter Entschädigungsforderungen an Unternehmen, Kommunen, Kirchen, das von Alliierten in Westzonen nach 1945 eingeführte Unternehmensstrafrecht auszusetzen.

    Bundesjustizministerin Christine Lambrecht plant nicht nur höhere Strafen für Konzerne, wie der Autor suggeriert, sie plant mehr, durch Aktivierung ausgesetzten Unternehmensstrafrechts will sie an Stelle des Opportunitäts- , EU kompatibel das Legalitätsprinzip wieder einführen, es kann nicht nur, es muss bei Anzeige wg. Anfangsverdacht von Vergehen gegen Unternehmen ermittelt werden.

    Bisher hat Lambrecht nur Referentenentwurf zur Abstimmung innerhalb schwarzroten Kabinetts, gemäß Koalitionsvertrag 2018, päsentiert, einen Antrag auf Gesetzesvorlage nicht vor 2020 zur Abstimmung im Deutschen Bundestag einzubringen.

    Damit Lambrechts Gesetzesinitiative für die Einführung eines Untenehmensstrafrechts in Deutschland, angesicht Kultur der Straflosigkeit u. a. bei Dieselabgasgate, nicht wieder in Schhubladen entschwindet, sollten wir wachsam bleiben, Sinn der Unternehmen durch ein Unternehmensstrafrecht schärfen, dass es bei diesem Gesetz vor allem um gegenseitigen Schutz voreinander in Gesellschaft, Wirtschaft geht in Richtung eines Automatismus, einen aufzustockenden Ausgleichs Fonds Deutscher Gesellschaft, Versicherungswirtschaft vorzuhalten, bei Schadensfällen, Wirtschaftsverbrechen in Vorleistung zu gehen, geschädigten Personen, Unternehmen, Kommunen zeitnah, unbürokratisch durch Kompensation Existenzgrundlagen zu sichern.

    Die Lobby gegen ein Untenehmensstrafrechts nimmt unter Vermeidung Begriffs "Unternehmensstrafrecht" Fahrt auf, "Wir brauchen kein neues Gesetz, unsere Gesetze reichen"

  • Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?

    „Unternehmenskriminalität“, ein trefflicher Neologismus, der unwillkürlich mit „Organisierter Kriminalität“ assoziiert wird. Bleibt die Frage, ob letztere nicht gar nur eine Unterform der ersteren sein könnte. Auch bliebe zu prüfen, ob es sich bei dieser Ab-Art freien Unternehmertums um abscheuliche Sonderfälle handelt oder nicht vielmehr zu dessen Wesensart gehört, getreu nach Brecht: „Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank. Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie!“

    Man wartet nun gespannt darauf, wann das BKA und die LKÄer jeweils Sonderermittlungsgruppen „UK“ einrichten oder gleich die OK-Abteilungen aufstocken...