Gedenkort „Stadthaus“ in Hamburg: Blutrote Risse im Pflaster
Das Künstlerinnenduo „missing icons“ hat den Wettbewerb zur Gestaltung des Außenbereichs der ehemaligen Hamburger Gestapo-Zentrale gewonnen.
Immerhin ist jetzt etwas auf den Weg gebracht, das für Aufmerksamkeit wie Konfrontation vor Ort sorgen könnte: eine Art „dreidimensionaler Stolperstein“, der als ein „Denkzeichen“ für Passanten wie für Besucher agieren könnte, wie es in der Ausschreibung zu einem Kunstwettbewerb der Hamburger Kulturbehörde umschreibend hieß. Initiiert auf Empfehlung des nachträglich eingerichteten Fachbeirats ist sie wohl auch ein Versuch der Behörde, den offenkundigen Unmut, der unter den Hinterbliebenen-Organisationen der NS-Opfer, aber auch in der Historiker-Szene nach Bekanntgabe erster Konzeptideen ausbrach, wenigstens abzumildern. Nach dem Motto: Okay, wir tun etwas. Beziehungsweise: Wir versuchen es mal. Und wozu gibt es Kunst im öffentlichen Raum?
Nun ist dieser Wettbewerb abgeschlossen. Per Jury-Votum mit dem ersten Preis ausgezeichnet und damit für die Realisierung vorgeschlagen wurde die Arbeit „Stigma/ Wiedergutmachungsversuche“ von „missing icons“, worunter sich die Hamburger Künstlerinnen Ute Vorkoeper und Andrea Knobloch subsumieren.
Riss durch die Welt
Das Künstlerduo will den Gehwegbereich vor dem mittlerweile aufgehübschten Stadthaus eigenhändig mit dem Vorschlaghammer wieder aufbrechen und in die dann entstanden Rissstellen eine Masse aus weichem, rot eingefärbtem Granulatsplitt gießen. Auf dass ab dann eine verzweigte, eben rissige Fläche das Um- wie Vorfeld des Stadthauses bestimmt und nicht mehr übersehen werden kann. Plus die Farbe Rot gleich Blut; sind doch im Stadthaus in den NS-Jahren zahlreiche Menschen drangsaliert und aufs schwerste misshandelt worden.
Der Bezirk Hamburg-Mitte, der sozusagen die Gehweghoheit hat, hat seine Zustimmung bereits signalisiert: Mit einer Realisierung kann also gerechnet werden, allerdings erst 2020. Wobei es spannend sein wird, wie weit sich die so gestaltete Fläche tatsächlich erstrecken wird: Nur direkt vor dem eigentlichen, von außen bisher kaum sichtbaren Gedenkort mit der Hausnummer „Stadthausbrücke 6“? Oder weiter darüber hinaus in den öffentlichen Raum, sodass etwa der Eingangsbereich des angrenzenden Hotels „Torture“ mit seiner Wohlfühlwelt miteingeschlossen wäre?
Der Riss, der durch die Welt geht; der sich nicht heilen lässt, der sichtbar bleibt, das ist eine oft benutzte Metapher in der Literatur und der Kunst. Sie stellt eine entscheidende Frage: Wer oder was hat diesen Riss verursacht? Und wer hat diesen Riss bisher nicht gesehen und wenn, dann nicht in handelnder Absicht zur Kenntnis genommen?
Hoffnung macht da die Ankündigung des Künstler-Duos, das begleitend zu ihrer Bodenarbeit eine Publikation erstellt werden und ausliegen soll, die sich dem Verdrängungsprozess des Ortes widmen wird, der gleich nach dem Krieg einsetzte und der von den politischen Akteuren der Hansestadt weitgehend gestützt wurde, bis mit dem Verkauf des Areals an einen privaten Großinvestor sich das Verschweigen nicht mehr aufrecht erhalten ließ: „Zur allseitiger Beruhigung wurde die Einrichtung eines Gedenkortes in der ehemaligen NS-Exekutivzentrale beschlossen und dieser Kunstwettbewerb ausgeschrieben“, heißt es keck kommentierend im Projekttext von „missing icons“.
Einen bemerkenswerten Entwurf hat noch Hannimari Jokinen aus Hamburg mit „nach längerer Dunkelheit“ abgeliefert. Sie schlägt vor, ebenfalls den Gehwegbereich zu gestalten – nur mit eingelassenen Schrifttafeln, die die Aussagen einstiger Opfer unmittelbar, aber bruchstückhaft aufgreifen. Etwa: „mit Ochsenziemern, Gummiknüppeln, Stuhlbeinen, Stahlruten/nach längerer Dunkelheit ein Geständnis unterschrieben“.
Auch der Vorschlag „I AM (NOT) SAFE“ von Ariel Reichmann hat Potenzial: Er sieht vor, dass man sich an aufgestellten Monitoren über die Biografien von ins Stadthaus Verschleppten informieren kann. Andere Entwürfe zieht es erstaunlicherweise arg ins Allegorische; rätselhaft bleibt etwa der Entwurf des Büros Steinbrener/Dempf+Huber aus Wien, der mit Masken aus Afrika hantiert, während Nadia Kaabi-Linke aus Berlin mit „Erinnerungsrisse“ die Riss-Metapher erneut aufgreift, nur ist sie mit ihren dezent eingerissenen, einzelnen Gehwegplatten entschieden zu zahm, zu defensiv.
Bruchstücke der Erinnerung
250.000 Euro hat die Hamburgische Bürgerschaft der Hamburger Kulturbehörde für das nachträgliche Kunstwerk bewilligt. Für die Realisierung des Wettbewerbes, durchgeführt durch das Büro Luchterhandt, wurden 50.000 Euro veranschlagt. An die KünstlerInnen, deren Entwürfe man zur Begutachtung durch eine Jury entgegengenommen hat, gehen von den verbleibenden 200.000 Euro insgesamt 12.500 Euro: Der erste Preis ist mit 3.000 Euro dotiert, den sich Vorkoeper/Knobloch zu teilen haben. Der zweite Preis erbringt 2.000 Euro, der dritte folglich 1.000. Wer leer ausgegangen ist, bekommt für die oftmals professionell hergestellte Präsentation seines Vorschlags eine Aufwandsentschädigung von je 500 Euro.
So erzählt dieser städtische Wettbewerb, ganz unabhängig von seiner thematischen Ausrichtung, von den prekären Arbeitsbedingungen, unter denen KünstlerInnen, die sich für derartige Aufträge bewerben, tätig sein müssen – und dass es sich mehr lohnt, einen solchen Wettbewerb zu organisieren, als für ihn künstlerisch zu arbeiten.
Und wo wir gerade bei Zahlen, bei Dimensionen sind, ein symbolischer Wink: Die Fläche, auf der derzeit die verschiedenen Entwürfe zu betrachten sind, ist weit größer als der geplante Erinnerungsort im Stadthaus, auf den so markant verwiesen werden soll.
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