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Kommentar EU und Visegrád-GruppeDie konservativen Bremser

Ralf Leonhard
Kommentar von Ralf Leonhard

Frans Timmermans ist ein rotes Tuch für die Konservativen der Visegrád-Gruppe. Die blockieren jetzt die Wahl des Kommissionspräsidenten.

Die vier Köpfe der Visegrád-Gruppe bei einem Treffen in Budapest Foto: ap

M an kann es Viktor Orbán nicht leicht recht machen. Der ungarische Ministerpräsident, dessen Partei Fidesz immer noch Mitglied der Europäischen Volkspartei (EVP) ist, hat seinem Parteifreund Manfred Weber (CSU) die Zustimmung schon vor den Europawahlen verweigert. Nämlich als dieser signalisierte, er wolle nicht mit den Stimmen der Ungarn Präsident der EU-Kommission werden. Das sei, so Viktor Orbán, ein so „beleidigender“ und „schwerwiegender Standpunkt“, dass jede weitere Unterstützung seiner Fidesz für Weber ausgeschlossen sei.

Aber der Sozialdemokrat Frans Timmermans, beim jüngsten Postengipfel der Europäischen Union der heißeste Kandidat für die Nachfolge von Jean-Claude Juncker, ist für Orbán ein besonders rotes Tuch. Als Kommissions-Vizepräsident ist er unter anderem für die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit in der EU zuständig und hat 2018 die Einleitung eines Artikel-7-Verfahrens gegen Ungarn unterstützt. Es geht um gesetzgeberische Maßnahmen gegen die Medienfreiheit, die Unabhängigkeit der Justiz, gegen die Wissenschaftsfreiheit und Rechte der Minderheiten.

Gegen Polen hat Timmermans wegen der umstrittenen Justizreform bereits 2017 ein solches Verfahren veranlasst. Der polyglotte Niederländer, der sich im Wahlkampf für ein soziales Europa und einen ökologischen Umbau starkgemacht hat, ist auch sonst so ziemlich die Antithese zur nationalistischen Engstirnigkeit eines Viktor Orbán oder Jarosław Kaczyński.

Polen und Ungarn gehören gemeinsam mit Tschechien und der Slowakei der informellen Visegrád-Gruppe an, die innerhalb der EU als konservativer Bremsblock auftritt. Besonders Polen und Ungarn haben sich durch ihre Bemühungen, den Rechtsstaat zugunsten der Allmacht der Regierenden zurückzustutzen, hervorgetan. Orbán hat zudem in der Flüchtlingsabwehr ein Thema entdeckt, mit dem er so ziemlich alle Maßnahmen innenpolitisch erfolgreich verkaufen kann.

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Gegen Jean-Claude Juncker lief in Ungarn im Vorfeld der EU-Wahlen bereits eine hässliche Plakatkampagne, die den Luxemburger gemeinsam mit dem Milliardär und Förderer liberaler Ideen George Soros abbildete. Beide wurden beschuldigt, Europa mit Flüchtlingen „überschwemmen“ zu wollen. Eine bereits geplante Plakataktion gegen Timmermans wurde auf Druck der EU eingestampft. Aber jetzt hat Orbán die Gelegenheit zurückzuschlagen.

Zwar erfordert die Wahl des Kommissionspräsidenten nur eine qualifizierte Mehrheit, doch Ratspräsident Donald Tusk bemüht sich um Einstimmigkeit, um ein Auseinanderdriften der Union zu verhindern. Dabei zeigt sich, dass das Fundament gemeinsamer Werte längst Illusion ist.

Mit der großen Erweiterung 2004 hat man sich Mitglieder mit einer anderen Geschichte und anderen Prioritäten eingekauft, die an einer Vertiefung der EU kein Interesse haben. Ein Dilemma, dem sich der künftige Kommissionspräsident stellen muss.

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Ralf Leonhard
Auslandskorrespondent Österreich
*1955 in Wien; † 21. Mai 2023, taz-Korrespondent für Österreich und Ungarn. Daneben freier Autor für Radio und Print. Im früheren Leben (1985-1996) taz-Korrespondent in Zentralamerika mit Einzugsgebiet von Mexiko über die Karibik bis Kolumbien und Peru. Nach Lateinamerika reiste er regelmäßig. Vom Tsunami 2004 bis zum Ende des Bürgerkriegs war er auch immer wieder in Sri Lanka. Tutor für Nicaragua am Schulungszentrum der GIZ in Bad Honnef. Autor von Studien und Projektevaluierungen in Lateinamerika und Afrika. Gelernter Jurist und Absolvent der Diplomatischen Akademie in Wien.
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3 Kommentare

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  • Die Formulierung, man habe sich mit der Osterweiterung Mitglieder "eingekauft", die kein Interesse an weiterer Integration hätten, ist unterirdisch. Nicht nur diskreditiert sie pauschal ganze Nationen und Bevölkerungen und unterstellt ihnen Käuflichkeit, sie entlarvt darüber hinaus auch Herr Leonhards feudalistisch geprägtes Europabild: Hier die EU, der Lehnsherr, der viel Geld bezahlt, um bestimmte Dienstleistungen zu erhalten, und dort die Vasallen, die nach geleisteter Zahlung gefälligst die Interessen ihres Eigentümers zu vertreten haben.

    Tatsächlich dürfte ein Großteil der Technokraten in der EU ein ähnliches Europabild haben, weshalb es mich dann auch nicht wundert, dass immer mehr Mitglieder aus der europäischen Marschkolonne ausscheren und ihre eigenen Wege gehen, indem sie der EU den Rücken kehren oder sich für autoritäre Politik und nationalistische Politiker entscheiden.

    Dass sie sich dadurch selbst ausliefern, nach und nach immer weitere Freiheitsrechte aufgeben und langfristig gesellschaftliche Spaltung und wirtschaftlichen Abstieg riskieren, dürfte den meisten wohl durchaus bewusst sein.

    Aber die Vorstellung, dem verhassten Lehnsherren einmal so richtig schön den Stinkefinger zu zeigen und ihm den Mitgliedsausweis vor die Füße zu werfen, scheint es ihnen am Ende doch wert zu sein.

  • Danke fürs Fotto 👹.

    Frage: “Von welchem dieser Anzüge - würde frauman freiwillig einen Gebrauchtwagen kaufen?“ 😎

  • "Mit der großen Erweiterung 2004 hat man sich Mitglieder mit einer anderen Geschichte und anderen Prioritäten eingekauft, die an einer Vertiefung der EU kein Interesse haben." Das ist noch milde formuliert. Mit diesen Mitgliedern und den fehlenden Möglichkeiten, eklatante Verstöße im Bereich Rechtstaatlichkeit/Pressefreiheit etc. ernsthaft zu sanktionieren, ist die EU nicht mehr zukunftsfähig. Weniger wäre hier eindeutig mehr.