Friedhof mit NS-Opfern: Geschändet und vergessen
Über 400 NS-Opfer liegen auf dem Friedhof „Meyerhöfen“ bei Osnabrück. Die Behörden interessieren sich nicht für gestohlene Gedenktafeln und Verfall.
Etwas Unheimliches liegt über dem Ort: schiefe, heruntergebrochene Lattenzäune, Bänke, deren Sitzbretter wegfaulen, verrostete Grablichter, tief ins halbtote Gestrüpp geschleudert. Einige der kleinen Granit-Grabblöcke sind aus dem Boden gehebelt, andere von Astwerk überwuchert, viele so schmutzig, dass die Nummern, die sie tragen, nicht mehr lesbar sind. Müll liegt herum. Wer immer hier mäht, scheint nicht zu wissen, was ein Freischneider ist. Hinten, an den Betonstelen, vertrocknet ein Kranz.
Das Schlimmste aber sind die Schändungen. Die vier Bronzetafeln der Stelen wurden abgesägt, aus der Verankerung gebrochen, vor Jahren schon – sie trugen die Namen der Toten. In die verblichene, verfärbte, schon längst nicht mehr faktenaktuelle Plastiktafel am Eingang hat jemand „Adolf“ geritzt.
Daniel Schnier empört das. Der Bremer, in Bohmte aufgewachsen, war Ende Mai hier. „Das ist kein Friedhof“, sagt er bitter, „das ist eine Verscharrung!“ Schnier hat Briefe geschrieben. An die Gemeinde Bohmte, an das Land Niedersachsen, das für „Meyerhöfen“ verantwortlich ist. An den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, der den Ort nur als „Sowjetische Kriegsgräberstätte“ führt, obwohl hier auch Polen und Ukrainer liegen, Belgier, Franzosen, Griechen, Serben, Niederländer – und Zivilisten.
Michael Gander, Leiter des Osnabrücker Gedenkstättenensembles „Augustaschacht“ und „Gestapokeller
Bohmtes Bürgermeister Klaus Goedejohann weist darauf hin, dass die Gemeinde gern die Pflege der Gräber übernehmen will. Ein hierzu an das Land Niedersachsen gerichteter Antrag sei aber vom Landeskabinett abgelehnt worden.
Eine der Antworten, die Schnier besonders zornig macht, kam von niedersächsischen Innenministerium. „Da hieß es, ein Ersatz der Bronzetafeln erscheine derzeit nicht sinnvoll, weitere Diebstähle könnten ja nicht verhindert werden.“
Volker Issmer, Historiker aus Osnabrück, der erstmals Mitte der 1990er-Jahre im Zuge seiner Forschungen zum Gestapo-Arbeitserziehungslager „Augustaschacht“ bei Osnabrück auf „Meyerhöfen“ gestoßen war, steht vor den nackten Stelen: „Unhaltbar“, sagt er. Michael Gander, Leiter des Osnabrücker Gedenkstättenensembles „Augustaschacht“ und „Gestapokeller“, nickt: „Fortschreitender Verfall, fortschreitende Schändung – zunächst einmal muss hier ein Zustand der Würde geschaffen werden.“
Das alles sei ja schon lange bekannt, sagt Georg Hörnschemeyer, Vorsitzender des Trägervereins des Augustaschachts und Gestapokellers. „Aber passiert ist nichts.“
Auch die Russin Schenja Hulkowa liegt hier. Als sie Anfang 1945 starb, war sie noch nicht einmal ein Jahr alt. 1957 wurde sie hierhin umgebettet, aus Georgsmarienhütte; ihre Mutter lebte in einem der Barackenlager des Augustaschachts. „Über die meisten Opfer hier wissen wir kaum etwas“, sagt Issmer eindringlich: „Mehr als 100 sind namenlos.“
Da ist Forschung geboten. Issmer, Gander und Hörnschemeyer sind hier, um Taten auf den Weg zu bringen. Etwa gegen das Informationsdefizit. Denn wer „Meyerhöfen“ besucht, erfährt nur fragmentarisch, an was für einem Ort er ist. „Auskünfte erteilt die Gemeinde Bohmte“, heißt es zwar am Eingang, aber wer fragt da schon? „Absolut lächerlich!“, schüttelt Hörnschemeyer den Kopf. „Auf die Bürozeiten der Verwaltung warten und die Vermittlung anrufen? Gestriger geht’s nicht.“ Eine interaktive „Meyerhöfen“-Internetseite könnte Gander sich vorstellen, oder eine App, in die man sich vor Ort einloggt.
Klar ist: Der Ort braucht Öffentlichkeit. „Regelmäßige Gedenkfeiern zum Beispiel“, sagt Issmer. „Vielleicht am 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz.“ Und Aufklärung muss her. Unwahrscheinlich zum Beispiel, dass das Absägen der Bronzetafeln wirklich nur ein simpler Metall-Diebstahl war, denn keine seriöse Gießerei schmilzt eine solche Tafel ein.
Schändung ohne strafrechtliche Folgen
„Politische Gründe sind nicht auszuschließen“, sagt Gander. Im Gegensatz zu Schnier wünscht er sich die Tafeln gar nicht zwingend zurück: „Auch eine derartige Verwundung lehrt ja etwas über den Zustand unserer Gesellschaft. Natürlich bräuchte es dann hier vor Ort einen Kommentar, der das Ganze erklärt.“
Wie es mit „Meyerhöfen“ weitergeht? Kerstin Schubert vom Fachbereich Ordnung der Gemeinde Bohmte hält sich bedeckt: „Das liegt in der Zuständigkeit des Landes.“
Philipp Wedelich, Pressechef des Hannoveraner Innenministeriums: Ein Austausch der Plastikplatte werde „erwogen“. Weiteren Diebstählen solle „durch eine geeignete Material- und Gestaltungswahl begegnet werden“. Neue Bronzetafeln für die Stelen sind dabei nicht vorgesehen: zu teuer, zu diebstahlsgefährdet. Immerhin: Eine Einbindung des Friedhofs „in die örtliche und überörtliche Gedenkarbeit“ fände das Ministerium „sehr sinnvoll“.
Bleibt „Adolf“. Strafrechtliche Folgen hat die Schändung wohl nicht: „Wegen der bisher erfolglos laufenden Ermittlungen zu den Bronzeplatten“, sagt Wedelich, „wurde bisher von einer Strafanzeige abgesehen.“ Eine seltsame Begründung.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen