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Linke sucht Wagenknecht-NachfolgerinFrauenpower versus Dietmar Bartsch

Knatsch in der Linkspartei: Der Vorschlag, dass Bartsch die Bundestagsfraktion allein führen könnte, bringt viele Frauen auf die Palme.

Bartsch allein an der Fraktionsspitze? Eine ganz schlechte Idee, finden nicht wenige Abgeordnete Foto: dpa

Berlin taz | Mehrere Bundestagsabgeordnete der Linken stemmen sich gegen die Idee, dass ihre Fraktion demnächst allein vom bisherigen Co-Chef Dietmar Bartsch geführt werden könnte. „Völlig unmöglich“, findet die frauenpolitische Sprecherin Cornelia Möhring die Idee, eine doppelspitzenfreie Zeit in der Fraktion sei inakzeptabel. „Eine einsame Männerspitze ist mit linker Politik unvereinbar“, meint auch Anke Domscheit-Berg. Die parteilose Digitalexpertin sitzt seit zwei Jahren für die Linke im Parlament.

„Das wäre ein Schritt zurück und nicht nach vorn“, ist die kulturpolitische Sprecherin der Fraktion, Simone Barrientos, überzeugt. Ebenso denkt Sabine Leidig, Beauftragte für soziale Bewegungen. Sie hält es in mehrfacher Hinsicht für „eine ganz schlechte Idee“ und verweist auf Parteitagsbeschlüsse, die eine paritätische Besetzung von Gremien vorsehen, sowie auf die Tatsache, dass der Linksfraktion mehr Frauen als Männer angehören.

Derzeit führen Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch die 69-köpfige Bundestagsfraktion als Doppelspitze. Doch Wagenknecht will sich noch im Juni zurückziehen. Der ehemalige Fraktions- und Parteivorsitzende Gregor Gysi hatte im Interview mit der taz angeregt, dass Bartsch den Fraktionsvorsitz übergangsweise für ein Jahr allein übernehmen könne. Danach wieder zusammen mit einer Frau.

Auch im Umfeld von Bartsch gibt es wohl entsprechende Überlegungen. Er selbst hat sich öffentlich dazu noch nicht geäußert.

„Wagenknecht ist nicht unersetzbar“

Seitdem Sahra Wagenknecht im Mai angekündigt hatte, nicht mehr für den Fraktionsvorsitz zu kandidieren, gibt es Spekulationen, wer ihre Nachfolgerin werden könnte. Regulär würde der Fraktionsvorstand im Herbst neu gewählt, doch wie der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Jan Korte, gegenüber der taz ankündigte, soll die Wahl noch im Juni erfolgen. Der Vorstand wird den Vorstoß am Montag beraten.

Für die Frauen in der Fraktion steht fest, dass es keinen Mangel an geeigneten Kandidatinnen gibt. „Es gibt etliche Frauen, die sich das gut vorstellen können“, berichtet Domscheit-Berg. Auch Barrientos sieht „wahnsinnig viele tolle Leute“ in den eigenen Reihen, die auch als Fraktionsvorsitzende in Frage kämen. „Sahra Wagenknecht ist nicht unersetzbar.“

Im Gespräch sind unter anderem Gesine Lötzsch, Susanne Ferschl und Caren Lay, die derzeit Stellvertreterinnen sind. Parteichefin Katja Kipping hatte am Montag mitgeteilt, dass sie selbst im Sommer nicht kandidieren wolle.

Prominenz ist nicht so wichtig

Neben Wagenknecht ist Kipping derzeit die wohl bundesweit bekannteste Linken-Politikerin. Doch Prominenz ist für viele weibliche Abgeordnete zweitrangig bei der Wahl der neuen Fraktionsspitze. „Eine Fraktionsvorsitzende muss zunächst die Fraktion führen, das setzt nicht voraus, dass sie aus Talkshows bekannt ist“, meint Möhring.

Auch für Domscheit-Berg zählen in erster Linie „Leadership-Qualitäten“. Die neue Fraktionschefin müsse kommunikativ sein, zuhören und motivieren können, zählt sie auf. „Ob sie 90 Prozent der Menschen auf einem Foto erkennen, ist für mich kein Top-Kriterium.“

Wagenknecht hat die Fraktion vor allem nach außen repräsentiert, in Sitzungen wurde sie zuletzt kaum noch gesehen. Es war Dietmar Bartsch, der den Laden zusammenhielt.

Auch Bartsch nicht sakrosant

Doch auch Bartsch ist innerhalb der Fraktion nicht unumstritten. „Für mich ist er nicht gesetzt“, sagt Leidig. Bartsch stehe nicht für eine neue Haltung zur Politik, sei nicht in sozialen Bewegungen verwurzelt. „Ich würde mir einen Neuanfang wünschen“, meint Leidig.

Für Anke Domscheit-Berg ist die Doppelspitze nicht verhandelbar. „Aber über alles andere kann man reden.“

Im Lager der Reformer, das Bartsch repräsentiert, gab es in den vergangenen Monaten intern ebenfalls heftige Kritik. Viele Mitglieder des Forums demokratischer Sozialismus monierten, dass Bartsch um des Machterhalts willen den migrationskritischen Äußerungen von Wagenknecht nicht energisch genug widersprochen habe. Außenpolitiker Stefan Liebich hatte sich am EU-Wahlsonntag für einen „Neustart“ an Partei- und Fraktionspitze ausgesprochen.

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10 Kommentare

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  • Liebe Linkspartei,

    diese Wahlschlappe war vorprogrammiert und darf nicht ohne Folgen bleiben

    NachDenkSeiten



    Am 29.05.2019 veröffentlicht

    www.youtube.com/watch?v=ZAFUP8bkpgg

  • Unglaublich: Politiker intrigieren, mobben, u.neiden sich ihre Jobs.



    Unter den Guten lauern stuhlsägend die Bösen, die nix Gutes im Sinn haben.



    Man denke !



    Es geht ja fast zu wie in einer Seifenoper.



    Oder wie bei Leibergs.

  • Da Sahra Wagenknecht keine Nachfolgerin hat, kann es hier nicht um Geschlechterfragen gehen!

    Eine Linkspartei ohne Linke ist bei der Europawahl gerade auf knapp über 5% abgeschmiert. Damit ist sie nun genau wieder dort, wo sie war, bevor sie Lafontaine und Wagtenknecht geholt hat (um sie dann, eine nach dem anderen, wieder in die Wüste zu schicken).

    Eine Linkspartei ohne Linke braucht niemand.

    Tatsächlich ist der Realo Dietmar Bartsch einer der wenigen, die das erkannt haben. Seine Reden in der letzten Zeit zeigen eine Widerständigkeit, die in Deutschland sehr selten geworden ist.

    Daher ist die Idee, Wagenbachs Position für eine künftige Nachfolgerin freizuhalten, klug.

    So schreibt sogar ein Realo-Fachblatt überraschend kritisch und hellsichtig:

    Will DIE LINKE einen Beitrag leisten, den Teufelskreis aus Neoliberalismus, Austerität, Abschottung und Rechtspopulismus in Europa zu durchbrechen, muss sie auf die Fähigkeit hinarbeiten, die Tagesordnung der dominanten politischen Kräfte mit unübersehbarer Kritik und fortschrittlichen Alternativen empfindlich zu stören. Das wäre in der jetzigen Konjunktur realistisch betrachtet der pro-europäischste Beitrag, den man von einer Linken gerade in Deutschland erwarten sollte.

    Zu einem überraschenden Höhepunkt wurde die Rede von Dietmar Bartsch... Er trug ein Plädoyer für Einheit und Pluralismus der LINKEN vor und verwies als Negativbeispiel auf Italien, wo eine einstmals starke und traditionsreiche Linke nach etlichen Spaltungen in der Bedeutungslosigkeit verschwinde.



    www.sozialismus.de...-das-eu-murmeltier

    mit unübersehbarer Kritik und fortschrittlichen Alternativen empfindlich zu stören !!

  • es ist zum heulen und scheint hoffnungslos… die aktuelle parteiführung steht tief im dunklen wald und das soll keine kritik an der einbeziehung von frauen in der führung sein… aber allein die vorstellung, politik stünde nicht im zusammenhang mit personeller popularität, impliziert das schlimmste. die linke wird sich einmal vorwerfen lassen müssen, die rasante umverteilung und den umbau der gesellschaft nach ökonomischen kriterien, schlicht verschlafen zu haben. sie haben sich selbst und ohne not als gegengewicht zu den bürgerfernen 'volksparteien' aus dem spiel genommen! das erinnert dabei stilistisch auch noch an eine ganz schlechte seifenoper… sämtliche öffentlich gewordene strategische überlegungen bestärken den eindruck der absoluten plan- und konzeptlosigkeit… schlimm!

  • Vor allem diese Frau Domscheit-Berg drängt sich unangenehm auffällig in den Vordergrund.



    Wobei: Ökonomisch wäre der brennende Wunsch nach dem Vorsitz ja verständlich - die mageren Jahre nach ihrer Lobbyzeit (McKinsey, Microsoft) dauern nun schon arg lang...

  • Neben Wagenknecht ist Kipping derzeit die wohl bundesweit bekannteste Linken-Politikerin. Doch Prominenz ist für viele weibliche Abgeordnete zweitrangig bei der Wahl der neuen Fraktionsspitze. „Eine Fraktionsvorsitzende muss zunächst die Fraktion führen, das setzt nicht voraus, dass sie aus Talkshows bekannt ist“, meint Möhring.

    Also ich weiss ja nicht, die Wagenknecht füllt Hallen und ist in der Bevölkerung sehr beliebt, die kennt ja nun wirklich jeder, ist eine tolle Rednerin und Denkerin, die sich nicht verbiegt, eine authentische Politikerin. Eine Fraktionsspitze sollte doch auch jemand hinstellen der beliebt und bekannt ist, während die meisten weder bekannt sind, noch Hallen füllen, ist doch klar, dass die Beliebtheit auch ein wichtiges Kriterium ist.

    Ich finde Wagenknecht sollte nochmal kandidieren, vielleicht später wenn Kipping kandidieren will für den Fraktionsvorsitz, es jetzt aus strategischen, machtpolitischen Gründen nicht tut.

  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Selbst direkt nach mehreren Wahlen (Europa und Kommunal) schafft es Die Linke gleich im ersten Auftakt in grandioser Treffsicherheit, sich weiter in‘s politische Aus zu schießen. Dieses Geschichtsverständnis ist fast schon legendär, denn quasi seit der ersten Gründung einer „linken Bewegung“ 1848 stand auf Top 1 der Tagesordnung: Stärker werden durch Spaltung. Gibt es eigentlich Preise, Verdienstorden oder so etwas dafür?

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Ein nicht gerade neues, in diesen aufgeregten Zeiten aber offenbar besonders ausgeprägtes Phänomen. Ich nenne es die Diktatur der SCHWACHEN. Selbst nichts Produktives auf die Reihe kriegen, aber Anderen das Leben schwer machen, mobben, sie absägen. Bei Wagenknecht hat es funktioniert. Jetzt bei Bartsch?

    Hauen und Stechen können auch die Anderen. Meist viel besser (siehe: SPD). Solche Leute machen Die Linke überflüssig. Leider.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Die SCHWACHEN (gemeint sind doch wohl die intellektuell Schwachen) sind aber oft die stärksten Netzwerker, was Wagenknecht z.B. überhaupt nicht war. Sie kommen gut ohne Grundlagenwissen aus. Im Gegenteil, das haben sie an Wagenknecht so gehasst, dass sie Fragen beantworten konnte mit großem Detailwissen. Und weil sie das konnte bzw. kann, war sie auch gefragt. Die Blassen und politisch Unscheinbaren können besser im Hintergrund intrigieren. Das ist ihre Stärke. Man denke nur an den Dreck, den die Schwachen mit Hilfe ihrer medialen HelferInnen der Wagenknecht nachgeworfen haben.

  • "Doch Prominenz ist für viele weibliche Abgeordnete zweitrangig bei der Wahl der neuen Fraktionsspitze."

    Es ist sicherlich nicht first prio, aber die Taktik relativ unbekannte Leute ohne entsprechendes Charisma aufzustellen hat eben gerade am Wochenende zum schlechtesten Ergebnis der Linkspartei aller Zeiten bei Europawahlen geführt, selbst die PDS hat 1999 noch 6 Site bekommen, jetzt sind es 5.

    Als die Linke Martin Schirdewan und Özlem Demirel aufgestellt hat, war mein erster Gedanke, wer sind die.