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Urteil zum MieterschutzEigentum geht vor Härtefall

Wer Eigenbedarf ankündigt, darf Mietern kündigen, außer es liegt ein Härtefall vor. Doch eine 80-jährige Demenzkranke ist vor Gericht gescheitert.

Mieter haben auch im Härtefall kaum Chancen gegen Kündigung wegen Eigenbedarf Foto: dpa

Wenn Mieter sich gegen eine Eigenbedarfskündigung wehren, muss der „Härtefall“ künftig durch ein Sachverständigengutachten belegt werden. Ein Attest des Hausarztes genügt nicht mehr. Das entschied jetzt der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Grundsatzurteil.

Im konkreten Fall erwarb eine junge Familie zwei Wohnungen in Berlin, um diese zusammenzulegen und selbst zu beziehen. Den Mietern kündigten sie unter Berufung auf Eigenbedarf. Die junge Familie lebt derzeit noch mit zwei Kleinkindern in einer engen Zweizimmerwohnung. In einer der beiden gekauften Wohnungen lebt jedoch seit 1974 eine Frau mit ihren Söhnen. Die Frau ist inzwischen über 80 Jahre alt und seit zwei Jahren dement. Sie wehrte sich gegen die Eigenbedarfskündigung unter Berufung auf die Härtefallklausel des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§ 574).

Beim Landgericht Berlin hatte die Mieterin zunächst Erfolg. Die Vermieter seien weniger schützenswert, weil sie beim Erwerb der Wohnung wussten, dass diese von einer sehr alten Dame bewohnt wird. Der BGH hob dieses mieterfreundliche Urteil nun aber auf. Es sei unerheblich, ob der Eigenbedarf des Vermieters schon beim Kauf der Wohnung besteht oder ob er erst nach einer gewissen Zeit des Mietverhältnisses entsteht.

Vor allem aber geht es in der BGH-Entscheidung um die Durchführung der Eigenbedarfsprüfung. Der BGH verlangt eine umfassende Aufklärung des jeweiligen Einzelfalls. „Schematische Lösungen sind ausgeschlossen“, sagte die Vorsitzende Richterin Karin Milger.

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8 Kommentare

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  • Die allgemeine politische Rechtsentwicklung in DE und die zunehmende gesellschaftliche Verrohung geht auch an den Gerichten nicht spurlos vorbei. Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen, dass eine achtzigjährige Demenzkranke rausgeschmissen werden kann, weil der Vermieter andere Interessen hat. Für mich ist das barbarisch.

    • @Rolf B.:

      Was heißt hier "andere Interessen"? Der Eigentümer hat zwei kleine Wohnungen, die er auf Grund seiner persönlichen familiären Bedürfnisse (Haushalt mit 4 Personen Minimum) zu einer zusammenlegt. Das wären also 4 Personen. Dem gegenüber stehen die Belange einer Person (keine Ahnung ob deren Rentnersöhne noch immer in der Wohnung sind).

  • Mich hätte interessiert, wie die Dame versucht hat den Härtefall zu begründen.



    Alleine das Alter wird (kann?) es ja nicht gewesen sein...



    ... und schließlich ist das Argument der neuen Besitzer (zwei Kinder) durchaus überzeugend...

  • 9G
    93559 (Profil gelöscht)

    Die Frage wäre doch auch, wie viele Richter selbst Immobilienbesitzer sind.

    • @93559 (Profil gelöscht):

      Die Frage ist eher warum Leute wie Sie noch immer nicht den Unterschied zwischen "Mieten" und "Besitzen" akzeptieren wollen.

      • @Lara Crofti:

        Der Mieter ist der Besitzer, denn er hat die Wohnung in "Besitz", er verfügt über sie. Es gibt aber einen Unterschied zwischen "Besitz" und "Eigentum".

        • @Mephisto:

          Schon klar. Aber "Besitz" sagt eben auch aus, man hat darauf Zugriff, nicht man kann damit machen was man will solange man will. Letztere Rechte werden durch "Mieten" nicht erzeugt.

  • "Doch eine 80-jährige Demenzkranke ist vor Gericht gescheitert."

    Das lese ich weder in dem Artikel, noch in der Pressemitteilung des BGH. Er hat dem Räumungsbegehren ja nicht - letztinstanzlich - stattgegeben, sondern es an die Tatsacheninstanz zurückverwiesen, Ausgang offen.

    "Der Bundesgerichtshof hat in beiden Fällen das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen, insbesondere zum Bestehen von Härtegründen. Da sowohl auf Seiten des Vermieters wie auf Seiten des Mieters grundrechtlich geschützte Belange (Eigentum, Gesundheit) betroffen sind, sind eine umfassende Sachverhaltsaufklärung sowie eine besonders sorgfältige Abwägung erforderlich, ob im jeweiligen Einzelfall die Interessen des Mieters an der Fortsetzung des Mietverhältnisses diejenigen des Vermieters an dessen Beendigung überwiegen (§ 574 Abs. 1 BGB)."

    Solange haben die Kläger eben erstmal keinen Räumungstitel.