Die Wahrheit: Vergnügungssteuerpflichtige Verordnungen
Entweder Juristen langweilen sich, oder sie kiffen zu viel. Anders lassen sich manche von ihnen erarbeitete wunderliche Gesetze nicht verstehen.
E rstens Ausdruckstänzer, zweitens Moraltheologe! Das waren meine beiden Berufswünsche nach der Schule. Doch am Ende wurde ich Richter. Die Juristerei jedoch ist eine arg trockene Scheibe Brot. Und wenn man sie sich nicht stets schön feucht hält, dann drohen Folgeschäden an Leib und Seele. Wer täglich im Eisenbahnkreuzungsgesetz blättert, das bis heute in Kraft ist, oder im Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz, das zum Bedauern aller Freunde bekloppter Gesetzesnamen leider 2013 aufgehoben wurde, der braucht reichlich Hornhaut auf den Nerven. Und Ablenkung.
Man sollte deshalb zumindest zwischendurch spaßeshalber mal in die Hundewelpenfellflauschigkeitsverordnung hineinschauen. Die ist zwar nur ausgedacht, aber keinen Juristen, der was auf sich hält, würde es verwundern, wenn sie demnächst trotzdem im Bundesgesetzblatt stünde. Ich nutze daher die Gelegenheit, um an dieser Stelle nachdrücklich eine Hundewelpenfellflauschigkeitsverordnung zu fordern! Und eine direkt dem Kanzleramt unterstellte Behörde in Paderborn, die über ihre Einhaltung wacht!
Ich war zehn Jahre lang Richter im Lüneburgischen, heute widme ich mich allein der Juristenausbildung. Der Prüfungsstoff ist langweilig und selten vergnügungssteuerpflichtig. Daher vermisse ich sie richtig, die Gesetze und Verordnungen aus dem juristischen Arbeitsalltag, die auf den ersten Blick klingen, als hätte man in Berlin oder Brüssel gekifft.
Schon ein Blick auf § 328 Absatz 2 Nr. 3 Strafgesetzbuch schärft das Unrechtsbewusstsein ungemein. Hiernach wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer eine nukleare Explosion verursacht. Und beachten Sie gerade jetzt zur Frühlingszeit bei Wandertouren in größeren Verbänden bitte auch § 27 Absatz 6 Straßenverkehrsordnung. Demgemäß darf auf Brücken nicht im Gleichschritt marschiert werden.
Ein Meisterwerk juristischer Sprachversaubeutelung konnte man auch lange Zeit bei § 49 der Allgemeinen Dienstanweisung der Deutschen Bundespost lesen, wo es wirklich und wahrhaftig hieß: „Der Wertsack ist ein Beutel, der aufgrund seiner besonderen Verwendung im Postbeförderungsdienst nicht Wertbeutel, sondern Wertsack genannt wird, weil sein Inhalt aus mehreren Wertbeuteln besteht, die in den Wertsack nicht verbeutelt, sondern versackt werden.“
Mit diesem Satz können Sie an der Sektbar beim Ball der Deutschen Postgewerkschaft noch heute jeden rumkriegen! In seiner unbestechlichen Logik und kühlen Eleganz unübertrefflich war jedoch der legendäre frühere § 26 des Landesreisekostengesetzes Nordrhein-Westfalen. Stirbt ein Beamter auf Dienstreise, so vermerkte der Gesetzgeber in unendlicher Weisheit, war demnach die Dienstreise – wie jetzt auch diese kleine Ausschweifung – „beendet“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?