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Neues Rammstein-AlbumDie Gitarren von Heringsdorf

Die fidele Männergruppe Rammstein veröffentlicht ihr siebtes Album. Einmal mehr stellt sich die Frage: Wer und was sind Rammstein eigentlich?

Gehört vor's WG-Tribunal gezerrt, wer ihre Musik hört? Die Band Rammstein Foto: dpa

Sprechen Sie langsam, das Licht haben Sie gedimmt, mit der tiefsten Stimme, die Ihnen möglich ist, folgende Zeilen: „Ich seh’ dich an und mir wird schlecht / Überall das dralle Fleisch / Ich schau’ dir tief in das Geschlecht / Und die Knie werden weich / Tausend Nadeln, das Verlangen / Will Geruch mit Händen fangen // Weiß, das Hirn kriecht in die Venen / Und es singen die Sirenen / Eine Faust in meinem Bauch / Komm her, du willst es doch auch.“

Sehen Sie, schon müssen Sie lachen. Dazu stellen Sie sich einen Gitarrensound vor, so rechtwinklig grazil wie bei der Coverband, die Sie vorigen Sommer in Heringsdorf auf dem Ostseeurlaub gehört haben, und Sie sind drin.

„Sex“ heißt das Lied, welches die fidele Männergruppe Rammstein in der Mitte ihrer neuen, unbetitelten Platte geparkt hat, einer Platte, die, so steht es zu lesen, „radikale Verwirrung“ (Süddeutsche Zeitung) zu stiften vermag und mit „erstaunlich politischen Tönen“ (Berliner Morgenpost) aufwartet.

Es handelt sich dabei um das siebte Rammstein-Album; zum Vergleich, das siebte der Rolling Stones war ihr Klassiker „Beggars Banquet“. Ist Rammstein so einer geglückt? Fans dürften an der Platte ihre dunkle Freude haben, ihre Band rückt den Nachtseiten der menschlichen Existenz wie gehabt mit dem Dampfhammer zu Leibe.

Das Album

Rammstein: "Rammstein" (Vertigo/Capitol/Universal Music)

Keine der folgenden Zeilen wird Rammstein einen Käufer kosten, von daher einige weitere Bemerkungen, zuerst statistischer Natur: Das neue Album umfasst 11 Songs, der mit über 5 Minuten längste ist der Opener, das wie auf Bestellung kontrovers diskutierte „Deutschland“, der kürzeste kommt knapp vorm Schluss, das zweiminütige „Diamant“, dem es übrigens gelingt, mit einer gewissen Lockerheit die Jugendherberge zu durchlüften.

Die Kinder von Margot Honecker und Alice Cooper

Eine der deutlichen musikalischen Referenzen ist, wie schon verschiedentlich bemerkt, Anne Clark. Wer will, kann am Anfang des Songs „Ausländer“ ein anderes Echo der Achtziger hören, Yazoo, das Synthiepop-Duo von Vince Clarke und Alison Moyet.

Wer Rammstein hören möchte, soll das tun, ohne vor ein Peergroup-Plenum oder WG-Tribunal zu müssen

An dieser Stelle einiges mehr zu den Synthesizern bei Rammstein: Die nämlich und die Intros der Songs sind nicht uninteressant, können fast schon mal subtil geraten, einer der Vorwürfe, die Rammstein gegenüber wahrlich selten erhoben werden können.

In einem Moment, zu Beginn von „Radio“, blitzen kurz Kraftwerk auf, nur, um sofort wieder von den Heringsdorf-Gitarren überfahren zu werden. Dafür gibt’s keine blaue Blume! Dies, da zu befürchten steht, dass Rammstein sich gleichzeitig für brachial und für Romantiker halten.

Wer und was sind Rammstein noch? Erst mal sei gesagt, was sie definitiv nicht sind, nämlich „die Urszene von Pegida und AfD“, die Jens Balzer vor zwei Jahren in ihnen ausmachte. Er schreibt mittlerweile anders über die Band, der man spätestens nach „Radio“ attestieren muss: Rammstein sind die Kinder von Margot Honecker und Alice Cooper, der DDR-Volks­bildungsministerin und des nordamerikanischen Schock­rockers.

Die Wurzeln von Rammstein in der ostdeutschen Punk- und Independentszene müssen hier nicht noch einmal referiert werden, nur so viel: Keyboarder Flake Lorenz spielte in den späten Achtzigern schön versponnene DIY-Elektronik. Musik freilich, mit der sein Kontostand heute ein anderer wäre.

Kurz und schmutzig

Ruhm und Geld, sie seien Rammstein gegönnt. Doch auf der Suche nach ihrer Urszene stößt man auf ein Konzert ­einer ihrer Vorgängerbands, Orgasm Death Gimmick, die in den frühen Neunzigern in der Berliner Kulturbrauerei ein Konzert mit „Kerosene“ von Big Black beschlossen.

Big Black, noch so ein Schattengewächs aus den Achtzigern, eine Chicagoer Noise­rockband um Steve Albini, mit den Nachtseiten vertraut, ohne sie auszuschlachten. In der Proto-Rammstein-Coverversion war der bratzig-maschinelle Sound der künftigen Skandalband bereits enthalten, aber noch nicht zu ahnen, was auf dem Weg nach Wacken verloren gehen würde.

Kurz und schmutzig: Jeder hat das Recht auf gute Unterhaltung, ausdrücklich auch im Schlechten. Wer Rammstein hören möchte, soll das tun, ohne vor ein Peergroup-Plenum oder WG-Tribunal zu müssen; aber auch ohne zu behaupten, das goutierte Produkt sei in irgendeiner Form radikal oder subversiv.

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15 Kommentare

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  • Sie machen das, was schon immer ein Bestandteil des Rock war und ist,- provozieren.



    Und das machen sie schlecht und niveaulos nach der Holzhammermethode.



    Kreativität und Intelligenz off.

  • Die Gitarren von Heringsdorf...Herr Miessner, wenn ich Ihren Artikel durchlese, so komme ich zu dem Schluss, dass wenn man nichts Sinnvolles zu sagen hat, soll man es lassen.



    Das 7. Album von Rammstein ist super geil beeindruckend und zeigt einen intensiven Reifeprozess der Gruppe, weg vom brachial-zerstörerischen Haudrauf Rock hin zu einem softig -in Ansaetzen leicht melodisch klingenden Balladen Rock mit textlich durchaus interessanten Inhalten. Das 7. Album ist ein gelungenes eigenständiges und abwechslungsreiches Werk der Gruppe, die die Texte mit einer tollen Leadstimme gekonnt in der deutschen Sprache unterbringt. Ich habe dieses Album beim Autofahren kennen gelernt, als es durch einen Radiosender in voller Länge, vorgestellt worden ist. Ich habe sofort angehalten und mir am Strassenrand das komplette Album angehört, weil es so toll war. Super so, weiter so Rammstein.

  • Wer sagt denn, dass Musik immer ernsthafte, politische Aussagen machen muss? Oder philosophische Fragen behandeln soll? Weichgespülten Mainstream-Pop gibt es wahrlich genug, und der hat auch selten irgendwas mit Tiefgeistigkeit zu tun, siehe ESC.



    Es kann doch auch mal krachen und knarzen und hämmern, politisch unkorrekt sein, düster, dekadent anziehend. Und vor allem laut und rhythmisch.



    Rammstein haben ihre Nische gefunden, und wenn es keine Leute gäbe, die diese Mucke einfach geil finden, wären sie nicht da, wo sie sind. Ich gönne es ihnen.

  • "Erst mal sei gesagt, was sie definitiv nicht sind, nämlich „die Urszene von Pegida und AfD“, die Jens Balzer vor zwei Jahren in ihnen ausmachte."

    Muß mensch des wirklich noch erwähnen? Bei der Suche nach "Rammstein" hier auffer Seite tauchen die alle furz lang in irgendeinem Artikel auf, haben also sogar kulturelle Relevanz.

    Das Review in der ZEIT von dem Balzer ist aber richtig panne; mensch muß die echt ned mögen, aber von Popmusiktexten lyrische Epik und Tiefe zu verlangen ist einfach nur bescheuert!



    Soll Balzer Mark Foster hören, der ist lyrisch und episch und ne totale Pfeife...

    • @Hugo:

      "aber von Popmusiktexten lyrische Epik und Tiefe zu verlangen ist einfach nur bescheuert!"



      Einfach mal bei Bob Dylan und den Stones nachgucken.

  • Zumindest für die Älteren unter uns Konsument*Innen sollte Rammstein mittlerweile tolerabel sein. Es sind halt Spaßvögel.



    Die Subtilität der Feinen Sahne erreichen sie allerdings ebensowenig, wie die Grazilität und abgründige Aufrichtigkeit Grönemeiers.

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    Wirklich Anne Clark? Nun denn, die Arme kann sich ja nicht wehren.

    Wer den Scheiss hören will, mag ihn hören. Mir ist es ein Rätsel wie man an diesem musikalisch uninteressanten, nullkommanull innovativen, tumben teutonischen Gedröhne Freude haben kann.

    • @88181 (Profil gelöscht):

      Jetzt mal gaanz stark bleiben, großer Jim, die Gute findet des auch noch toll: www.rollingstone.d...ert-haben-1652041/

      Einer von denen wo bei Feeling B dabeiwaren meinte mal sinngemäß, FeelingB war wie die DDR, Rammstein ist dann die BRD.



      www.youtube.com/watch?v=RcHkX_8rmE8

      • 8G
        88181 (Profil gelöscht)
        @Hugo:

        Ok, dann nehme ich das auch mit Humor.

        But: Sie sagt ja nicht, dass ihr der Sound von Rammstein gefällt. Nur der Vollständigkeit halber.

        Dass Rammstein die BRD verkörpert, damit gehe ich natürlich d'accord.

        Zu besseren Zeiten waren es die Einstürzenden Neubauten.

        Feeling B kenne ich so wenig wie ich die DDR kannte. In den 80ern wollte ich sie besuchen, aber sie ließen mich nicht rein.

        Mehrere Uniformierte studierten meinen Reisepass und kamen zu dem Ergebnis, dass der Langhaarige auf dem Foto darin nichts mit dem Kurzhaarigen, der vor ihnen stand zu tun haben konnte.

        Man kam nicht rein, man kam nicht raus.

        • @88181 (Profil gelöscht):

          Die ersten beiden Bücher aus der Literaturliste des Artikels sind zu empfehlen und bestimmt in irgendeiner Berliner Bibliothek zu finden: de.wikipedia.org/wiki/Feeling_B



          Zu deren Musik weiß yt auch einiges.



          Ich war sogar auf dem mehr oder weniger letzten Feeling B Konzert in Originalbesetzung und dem mehr oder weniger ersten Rammstein-Konzert in Steinbrücken (bei Nordhausen), Freitag Erstere, Sonnabend Zweitere.

          • 8G
            88181 (Profil gelöscht)
            @Hugo:

            Vielleicht war ja Feeling B für euch was für uns Schwobaseggl Schwoißfuaß war:

            www.youtube.com/watch?v=0jB7fgsXYeo

            Und eins auf deutsch:

            www.youtube.com/watch?v=NagEH38NISw

            • @88181 (Profil gelöscht):

              Mal ehrlich, die haben entweder Kumpelbonus oder "ich war 15 und das war mein erstes Konzert" .

              • 8G
                88181 (Profil gelöscht)
                @Hugo:

                Naja, wir waren jung und es gab nichts anderes.

                • @88181 (Profil gelöscht):

                  Ichduumasosaachn; Ostern war ich auf nem Konzert wo u.a. die spielten: www.youtube.com/watch?v=H0sxiDS-L9c



                  Die anderen zwei Bands hab ich Namen vergessen. Ich habs ca.ein halbes Lied pro Band geschafft, den Konzertraum zu betreten, aber wurscht, dabeisein ist alles.



                  Erlebnisbeitrag waren 5 oder 8 Steine, eigentlich hab ich den ganzen Abend gelabert oder anderen zugehört.



                  Das ist bei minimum dem 10 fachen für sowas wie Rammstein (und da sieht mensch vermutlich nix, sprich äh Hozklasse) nicht möglich, d.h. mensch ist zum Spaßhaben an der Musik und dem bei denen riesengroßen Brimborium an dem Abend verdammt und muß das schon Wochen ehrer wissen. Ned soo mein Ding.

          • @Hugo:

            Achso, damit hat Feeling B diesen ganzen Mittelalterrockzirkus als eine der Ersten mit ins Rollen gebracht:



            www.youtube.com/watch?v=rwh3PQCUfSE



            (1993 oder so, hab die CD hier irgendwo rumfliegen.)