: Wie Lokalpolitik das Weltklima retten will
Im Bremer Wahlkampf geht es auch um die Frage, wie weit die Stadt beim Klimaschutz bereit ist zu gehen. Die weitestgehenden Forderungen haben die Grünen und die Linkspartei, aber auch sie sind den Aktivist*innen von „Fridays for Future“ nicht radikal genug
Von Alina Götz
Als Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) Anfang Mai in Bremen zu Gast ist, wird einmal mehr deutlich, wie viele Menschen die Klimakrise bewegt. „Wie können Sie nachts eigentlich schlafen?“, fragt eine 20-Jährige die Politikerin. Die Klimadebatte ist in aller Munde, vor allem junge Menschen pochen auf die Dringlichkeit des Themas. Die Bremer Aktivisten von „Fridays for Future“ haben sogar konkrete Forderungen an die Bremer Politik veröffentlicht, die Bremen bis 2030 klimaneutral machen und so dazu beitragen sollen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.
Aber wie können die Parteien im Bürgerschaftswahlkampf den Aufschwung des Themas nutzen? Bei den Grünen steht Klimaschutz schon lange im Wahlprogramm. „Das Thema hat durch Fridays for Future Fahrt aufgenommen“, findet auch Maike Schaefer, Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidatin der Partei in Bremen. „Das hilft uns Grünen natürlich, wenn diese jungen Menschen Lücken in der Politik aufzeigen“, sagt Schaefer. Für sie bilden die Bewegung und die Grünen eine Art Symbiose: Ihre Partei erkläre sich solidarisch mit der Bewegung, während die Aktiven den Druck auf die Politik erhöhten.
Frederike Oberheim engagiert sich bei Fridays for Future. „Natürlich spielen wir den Parteien zu, die Klimaschutz zentral verankert haben“, sagt die Studentin. Sie verstehe sich aber nicht als Zuspielerin für die Grünen. „Wir sind eher die, die sie daran erinnern, was sie einmal waren.“ Ein engeres Verhältnis gebe es zu den Jugendverbänden der Parteien.
Philipp Bruck ist Kandidat der Grünen Jugend und steht auf dem vierten Platz der grünen Landesliste. Bei einer Podiumsdiskussion des Aktionsbündnisses Wachstumswende Bremen mit jungen Bürgerschaftskandidat*innen spricht er sich gegen Kurzstreckenflüge vom Bremer Flughafen aus – im Wahlprogramm seiner Partei steht das allerdings nicht. Die Linken seien da bereits einen Schritt weiter, erklärt Mitdiskutantin Miriam Strunge, die im Bremer Wahlkampf für die Linke kandidiert. „Wir wollen Flüge streichen, die die Bahn in unter drei Stunden schafft.“
Einig sind sich die jungen und alten Grünen beim Ziel, die Innenstadt bis 2030 autofrei zu bekommen. „Wir wollen Autofahren unattraktiver machen“, sagt Grünen-Kandidat Bruck. Im Gegenzug wollen sich die Grünen für einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und das 365-Euro-Ticket einsetzen.
Bremen soll zudem attraktiver für Radfahrer*innen und Fußgänger*innen werden, beispielsweise durch mehr Brücken über die Weser. „Was den Radverkehr, Brücken- und Straßenbahnausbau betrifft, haben wir hier in Bremen mit der CDU eine Schnittmenge“, stellt Maike Schaefer fest. Allerdings möchte CDU-Spitzenkandidat Carsten Meyer-Heder auch den motorisierten Verkehrsarten ein schnelleres Vorankommen sichern.
Bei der autofreien Innenstadt ist Fridays for Future mit den Grünen einer Meinung, beim Kohleausstieg sind die Aktivist*innen ungeduldiger: Das Bündnis fordert eine Abschaltung der drei Bremer Kraftwerke bis 2020. Im Wahlprogramm der Grünen ist dies bis 2023 vorgesehen, Bremens Klimaneutralität steht sogar gänzlich ohne Zeitziel festgeschrieben.
Auch die Bremer Stahlwerke sorgen für Uneinigkeit. Wenn es nach Fridays for Future geht, sollen diese bis 2025 klimaneutral produzieren. „Das halte ich für unrealistisch, auch wenn ich mir das wünschen würde“, gibt Grünen-Spitzenkandidatin Schaefer zu bedenken. Der Konzern Arcelor habe in Bremen schon viel eingespart und man sitze zusammen, um über weitere Möglichkeiten zu diskutieren – für Schaefer ein Positivbeispiel.
„Kein Programm spiegelt unsere Forderungen umfassend wieder“, meint „Fridays for Future“-Aktivistin Oberheim. Vor allem bei Deadlines würden die Vorstellungen auseinandergehen. Für sie seien die Grünen „eher die Wahl des kleineren Übels“. Trotzdem sei es natürlich wichtig, bei der Wahl eine Stimme abzugeben.
Die Freien Demokraten widmen Umweltschutz in ihrem Wahlprogramm eineinhalb Seiten: Renaturierungsprojekte, Urban Gardening, umweltfreundliche Mobilität. Im gleichen Atemzug spricht sich die Partei auch für die Weservertiefung und Investitionen in die Zukunft des Flughafens aus. „Das ist die große-Autos-SUV-Partei“, sagt Schaefer. „Daraus macht ja auch deren Spitzenkandidatin keinen Hehl.“
Frederike Oberheim, „Fridays for Future“
Als einzige Partei hat die FDP zudem gegen das jüngst beschlossene Begrünungsortsgesetz gestimmt. „Grüne Dächer ja, aber auf freiwilliger Basis“, begründet die Partei ihre Entscheidung während der Debatte.
Auf dem Podium zu „Landwirtschaft, Ernährung und Klimaschutz“, zu dem Ende April das Denkhaus Bremen eingeladen hatte, taucht die FDP erst gar nicht auf. Jan Saffe, Fraktionsmitglied der Grünen, sah vor allem im Angebot öffentlicher Kantinen Handlungsbedarf. „In den Hochschulmensen gibt es Tierqual-Fleisch“, prangerte Saffe an. Seine Partei fordert ein Ende der Subventionierung von Fleisch und mehr veganes Essen. Bis 2022 soll das Angebot in Schulen und Kitas zudem komplett bio sein. Claudia Bernhard (Die Linke) sagte auf dem Podium, dass etwaige Mehrkosten vom Haushalt getragen werden müssten.
Auch in diesem Punkt ist Fridays for Future radikaler: Die Aktivisten wünschen sich einen konsequenten Stopp von Subventionierungen für alle tierischen Lebensmittel in öffentlichen Kantinen. Grüne und Linke kommen dieser Forderung am nächsten, in den Wahlprogrammen der größeren Parteien findet sich nicht einmal das Wort „vegetarisch“.
Dabei hat Ministerin Svenja Schulze in Bremen auf Nachfrage behauptet, dass die SPD die Umweltpolitik erfunden habe. „Wir haben es nur nie so genannt.“ Die Grüne Schaefer ist da skeptisch. „Wenn ich mir die SPD heute im Parlament angucke, dann sind das nicht mehr die Vorreiter.“ Der Fokus der SPD liege heute auf der Wirtschaft.
Das Thema Klimakrise scheint im Wahlkampf den Grünen am ehesten in die Karten zu spielen. Die neuesten Umfragewerte geben dem recht, die Partei liegt momentan bei 18 Prozent. Den Aktivist*innen von Freidays for Future ist das Tempo der Politiker allerdings zu langsam. „Es ist für die Verantwortlichen bestimmt eine Herausforderung“, gibt Oberheim zu. „Aber wir haben nun mal keine Zeit.“
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