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Debatte Ökologisch AufräumenFinger weg von meinen Stehrumchen!

Nicola Schwarzmaier
Kommentar von Nicola Schwarzmaier

Besser leben ohne Marie Kondo. Warum eine mit schönen Dingen vollgestopfte Wohnung eine echte Bereicherung sein kann.

„Does it spark joy?“ Egal! Es sieht hübsch bunt und dekorativ aus Foto: Unsplash/Sharon McCutcheon

F angen wir mit einer ganz unglücklichen Formulierung an: „Ich will ja nicht … ABER!“

Ich gehe – wie wahrscheinlich viele Leser*innen dieser Zeitung ebenfalls – davon aus, dass die Verfasser solcher Sätze in Wirklichkeit vom Gegenteil der ersten Hälfte ihres Satzes überzeugt sind. Möglicherweise bin ich das auch. Mein Satz lautet: „Ich habe ja nichts gegen Leute, die ganz toll ausmisten können und ordentlich sind und mit drei Gegenständen in ihrem Leben klarkommen, aber: ich kann es nicht.“ Und ich will mich nicht länger dafür schlecht fühlen, dass ich es weder kann noch will.

Vor kurzem schrieb meine Kollegin Svenja Bergt an dieser Stelle von der Schwierigkeit des Ausmistens, so man es denn umweltschonend angehen will. Sie tut sich schwer damit, immerhin. Dennoch steht für sie außer Frage: Ausmisten ist gut. Minimalismus ist gut. Decluttering (Neudeutsch für Entrümpeln) ist gut.

Die Königin des Aufräum-Hypes

Es gibt unzählige Ratgeber zu dem Thema. Jeden Tag ein Teil verschenken oder wegwerfen, nichts Neues mehr anschaffen, nur noch Dinge besitzen, die mensch liebt. Und da kommen wir schon zur Königin des (nicht ganz neuen) Aufräum-Hypes: Marie Kondo. Sie hält seit Jahren durch ihre Bücher und seit Kurzem durch ihre Netflix-Serie Millionen von Menschen deren Besitztümer vor die Nase und fragt: „Does it spark joy?“

Ihren Weltbestseller „Magic Cleaning: Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert“ habe ich mir das erste Mal 2014 gekauft. Er ist mir dann – bevor ich ihn praktisch anwenden konnte – in diversen Bücherstapeln abhanden gekommen. Das zweite Mal bekam ich ihn 2017 von der Schwester meines Exfreundes geschenkt. Dieses Exemplar besitze ich noch. Ungelesen reiht es sich in eine große Bücherschar ein. Ein drittes Exemplar bekam ich dieses Jahr zum Geburtstag, mit dem wohlmeinenden Hinweis meiner Freundin Nina: „Ich dachte, das ist doch was für dich.“

Die Stigmatisierung der unendlich vielen und wunderbaren Stehrumchen und Souvenirs – woher kommt sie nur?

Nein, ist es nicht! Seit Jahr und Tag wollen mich Menschen (privat aus der Familie oder dem Freundeskreis, professionell durch diverse Vox-Serien oder Bücher) zum Ausmisten animieren. Jedes Zuhause soll aussehen wie eine perfekte Instagram-Installation. Eine graue, schlichte Couch vor einer weißen Wand. Eine einzelne Pflanze (Monstera!), eine goldene Lampe. Sonst nichts. Marie Kondo hat auf Instagram fast drei Millionen Follower*innen, unter den Hashtags #konmari, #declutter und #decluttering findet man zusammen über eine Million Fotos von Nutzer*innen, die stolz ihre farblich sortierten, gefalteten Unterhosen präsentieren.

Fast wird man ins soziale Abseits befördert

Ich bin ein relativ ordentlicher Mensch, noch mehr jedoch reinlich. Ich neige vielleicht zum Messietum (zu viel zu behalten und zu sammeln), aber es muss alles sauber sein. Ich verstehe nicht, warum in unserer Gesellschaft heutzutage viel zu besitzen (nicht auf der Bank, zu Hause), gleichgesetzt wird mit Schrulligkeit und Sein-Leben-nicht-im-Griff-Haben – fast schon wird man ins soziale Abseits befördert. Aber ich gehöre nun mal zu den Menschen, die gerne im Non-Food-Bereich des Supermarktes einkaufen. Ich gucke in jede Kiste auf der Straße, auf der „zu verschenken“ steht. Ich mag Flohmärkte, und das Haus meiner Großmutter, das entrümpelt werden muss, übt auf mich eine magische Anziehungskraft aus.

Ich liebe einfach meine Besitztümer. Sie geben mir Sicherheit. Halt. Die Dinge müssen nicht fabrikneu in meinen Besitz wandern, und es muss auch nicht jede Woche ein neues Ding sein. Aber das, was ich habe, will ich behalten. Das Schwert an der Wand hat ein deutscher Missionar meinem Vater aus Mexiko mitgebracht (er war Patient meines Psychiater-Vaters und hat später Suizid begangen), die riesige Pflanze habe ich einer Bürokollegin abgeschwatzt (indem ich ihr das Doppelte des ursprünglichen Preises – 10 Euro bei Lidl – bot!), die Couch stammt von einem russischen Model, das einfach so das sauteure Teil ihres Ehemannes auf eBay verkaufte (für 66 Euro!), der Teppich von meiner Mutter, als sie eine Indo-Gabbeh-Phase hatte, das Sofakissen mit dem aufgestickten Eisvogel von einem Flohmarkt in Dänemark … und so weiter und so fort.

Und von solch wunderbaren Dingen soll ich mich trennen?

Es wird ja behauptet, dass man seine „überflüssigen“ Sachen in eine (oder zehn) Kisten in den Keller packen soll, und was man ein Jahr lang nicht gebraucht hat, kann weg. Um Gottes willen! 2017 zum Beispiel hat mich ein schrecklicher Wasserschaden ereilt. Mein gesamter Besitz wurde in Kisten gepackt und bei einer Firma zum Trocknen untergestellt. Ich habe bis heute etwa zehn der Kartons noch nicht wieder ausgepackt.

Lieber wohnlich statt cool

Wenn ich mir ab und zu einen davon in meine Wohnung hole, freue ich mich jedes Mal wie an Weihnachten und Geburtstag zugleich! Was ich da Tolles im Karton habe: einen kniehohen Holzelefanten, den ich mit fünf Jahren im Preisausschreiben eines Supermarktes gewonnen habe. Meinen alten Bree-Schulranzen, der jetzt als Umhängetasche total praktisch ist. Den goldglitzernden Escada-Pulli einer Kollegin, die diesen von ihrer Mutter bekommen hat, aber nicht mag.

Wenn ich im Urlaub in einer Ferienwohnung bin, sieht diese nach einer Woche wohnlicher aus als so einige Wohnungen „cooler“ Leute. Es hängen Dinge an der Wand, es liegen Muscheln auf dem Fensterbrett, meine Kleider sind überall verteilt und auf dem Bett liegt ein buntes Tuch.

Es gibt Kalendersprüche, die gehen so: „Die Menschen ertrinken an äußerer Fülle und ersticken an innerer Leere.“ Mag sein. Aber ich fühle mich nun mal nicht so. Die Stigmatisierung der Sammelleidenschaft, des wohlgefüllten Kleiderschranks, der unendlich vielen und wunderbaren Stehrumchen und Souvenirs – woher kommt sie nur? Ich freue mich, wenn meine Mitbewohner*innen zu mir kommen und sagen: Hast du einen Kleber für Keramik? Hast du extralange Streichhölzer? Hast du sechs unterschiedliche Serviettenringe (geschnitzt und aus Holz und in Obstform)? Jaaaaa, natürlich. Habe ich. Kommt alle zu mir, ich helfe euch aus.

Denn Dinge zu besitzen, zu lieben, sich gern mit ihnen zu umgeben, sich mit ihnen sicher und daheim zu fühlen – das ist nicht schlimm. Es ist vielleicht nicht à la Kondo, aber es gibt mir ein urgutes Gefühl.

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Nicola Schwarzmaier
Digitale Transformation
Von 2012 bis 2020 für taz.de im Einsatz. Erst als Online-CvD, dann als Sitemanagerin und zuletzt als Abteilungsleiterin der „Digitalen Transformation”. Jetzt woanders.
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9 Kommentare

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  • 6G
    64457 (Profil gelöscht)

    Na ja, wenn der Krempel hygge macht und ganz achtsam betrachtet wird, dann darf er wohl bleiben ;-)

  • Naja, ich kenne mich damit jetzt nicht so super aus, habe keine einzige Folge von der gutn Frau Kondo auf Netfkix gesehen, aber so wie ich das hier lese, scheint sich die Ajtorin ja für all ihr angesammeltes Zeugs aktiv begeistern zu können bzw. scheint ihr (Wohn)leben tatsächlich zu bereichern und auszuschmücken. Was ja, soweit ich das richtig verstehe, alles den Kondo-Test "does it spark joy?" bestehen würde. Ich denke problenatisch ist eher ein blinder, instinktiver Materialismus nachdem sich Besitz fast immer besser anfühlt als Nicht-Besitz und man deshalb Probleme hat, sich von Sachen zu trennen, obwohl man weder Verwendung noch irgendein wirkliches Interesse an dem Objekt hat, es aber halt nur nicht wegschmeißen mag, weil einem das Gefühl des Wegschmeißens nicht gefällt.



    Darüber hinaus sollte man Faktoren wie Nachhaltigkeit der neu angeschafften Produkte und wieviel meines Privatvermögens ich in solche Sachen investiere möchte, wenn das Geld an anderer Stelle vielleicht das Leben eines weniger gut gestellten Menschen signifikant verbessern könnte, auch nicht außer Acht lassen.

  • 7G
    75064 (Profil gelöscht)

    Ist doch mal schön zwischen all den furchtbar wichtigen Dingen über die mensch sich ereifern kann, auch mal einen Artikel - nebst witzigem Kommentar von Hugo - lesen zu dürfen, der sich um das ganz profane unsinnige Zeug, welches man im Laufe weniger Jahre so anhäufelt. dreht.



    Danke dafür :-)

  • 6G
    61321 (Profil gelöscht)

    Serviettenringe wäre jetzt das allerletzte was mir über meine Schwelle käme. Hingegen, falls Sie sich doch irgendwann einmal von dem Schwert trennen wollen.....



    Ich hoffe der Missionar hatte sich nicht in selbiges gestürzt

    • 7G
      75064 (Profil gelöscht)
      @61321 (Profil gelöscht):

      Auch schön!

  • Auf die Gefahr hin, daß jemand*in Sexist! schreibt; dekorieren und bewusste Anschaffung von Krempel, womit mensch dekorieren kann ist ja wohl DIE ultimative Frauensache. Männer (Ausnahmen usw...) kaufen/sammeln/horten... mehr oder weniger sinnvollen Krempel, aber entweder sinds egal wie skurrile Sammlungen zu nem speziellen Thema, Mann gibt sich der Illusion hin, den Scheiß irgendwann mal zu gebrauchen oder es ist Objektporno. Die Kettensäge, die ich mir dieletzt gekauft habe (die schwedische Firma hat mit Militärtechnik angefangen, gekauft im Landhandel, keinen Baumarktschrott wie die (theoretischen) Hobbyheimwerker), jo, die ist schon geil *lol*.



    Die brauch ich aber wirklich, wie auch in den nächsten paar Jahren mindestens 80% vom gehorteten richtigen Krempel, der Rest brennt und macht den Arsch warm oder die Jugendfeuerwehr hat für ihre jährliche Schrottsammlung paar Naturalien als Beitrag.

  • Ich finde es gut, viele wertige Sachen aufzubewahren und auch für die nächste Generation zu horten. Das ist mir wichtig.

  • Ja und? Dann machen Sie das doch einfach.

    Leute, die sich ständig davon in Frage gestellt fühlt, wie andere ihr Leben führen und Leute, die das zwanghaft (oder aus kommerziellen Erwägungen) überall ausbreiten sind zwei Seiten der gleichen Medallie.

  • In Earthdawn heißt es, Drachen beschützen ihren Hort, weil jeder Gegenstand ein Anker ihrer Erinnerungen ist. Diese Erinnerungen und nicht der Geldwert der Gegenstände sind der Grund, warum es immer schief geht, einen Dracken zu bestehlen.

    Minimalismus bedeutet auch, das eigene Ich zu vereinfachen — so aber auch leichter modellierbar und fremdformbar zu machen.

    Minimalismus bedeutet auch völlige Abhängigkeit davon, dass andere einem schon liefern werden, was man braucht — oder dass man nur zu brauchen glaubt, was andere einem liefern wollen. Wie z.B. Netflix.

    Die Frage „Does it spark joy?“ ist toll — aber nicht vollständig. Besser wäre: „Willst du, dass es Teil von Dir ist?”