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Plastikverpackungen für LebensmittelGiftstoffe und Plastikberge

Im Verpackungsmaterial für Lebensmittel tummeln sich Stoffe, deren Schädlichkeit nur schwer zu bewerten ist. Einige Forscher fordern strengere Gesetze.

Fast alles wird in den Supermärkten mit Frischhaltefolien aus Plastik eingepackt Foto: imago/Jochen Tack

München taz | Onlinehandel, immer kleinere Verpackungen für Ein- oder Zweipersonenhaushalte, vorportionierte Produkte, To-go-Becher, Einwegprodukte – dies lässt die Plastikberge in Deutschland immer weiter anwachsen. So wurden hierzulande im Jahr 2015 allein 5,9 Millionen Tonnen Plastikmüll gezählt. Seit 1950 wächst die weltweite Produktion von Kunststoff um durchschnittlich 9 Prozent.

Rund die Hälfte der Lebensmittelverpackungen bestehen heute aus Kunststoff, auch hier gilt: Tendenz steigend. Und das ist schlecht für die Umwelt, da sich Plastik aus Abfällen in Küstengebieten sowie im Meer wiederfindet oder als Mikroplastik in Fischmägen und Strandschnecken. Greenpeace-Aktivisten fanden kürzlich bei einer weltweiten Sammelaktion vor allem Müll von Coca-Cola, PepsiCo, Nestlé und Danone, auch auf Äckern und Wäldern. Kunststoff kann jedoch möglicherweise auch nachteilig für die menschliche Gesundheit sein. Denn: Stoffe aus der Verpackung gehen in Lebensmittel über, „Migration“ heißt das Fachwort.

Laut Gesetz dürfen zwar nur Plastikverpackungen verwendet werden, die nach aktuellem Wissensstand für Verbraucher gesundheitlich unbedenklich sind. Bei der Herstellung von Plastik werden jedoch zahlreiche Farbstoffe, Konservierungsmittel und andere Additive beigemischt, um verschiedene Eigenschaften der Materialien zu erreichen. Zudem entstehen Abbauprodukte und Unreinheiten, welche auch die Lebensmittel auslaugen können. „Während einige dieser Substanzen bekannt sind, ist ein großer Teil unbekannt. Somit ist auch unser Wissen um die gesundheitsschädlichen Auswirkungen sehr beschränkt“, sagt Martin Wagner, Ökotoxikologe an der Universität von Trondheim. Auch aus Sicht der Verbraucherzentralen besteht hier Forschungs-, Informations-, und Regelungsbedarf.

Frank Welle vom Fraunhofer Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung meint hingegen: „Mit etwas Erfahrung ‚kennt‘ man schon sehr viele Substanzen oder Prozesse, die zur Bildung dieser Substanzen führen. Wenn die Grenzwerte überschritten werden, darf das Material nicht in den Handel. Will heißen, alles, was im Supermarkt steht, ist mit der Gesetzgebung konform und kein Risiko für den Verbraucher.“

Jane Muncke vom Food Packaging Forum gibt jedoch obendrein zu bedenken, dass Lebensmittelverpackungen zu wenig überprüft werden und darum durchaus auch problematische Substanzen zum Verbraucher gelangen.

Langzeitdaten fehlen

Für viele bekannte Substanzen sind die toxikologischen Daten zudem veraltet, und sogenannte ­Chemikaliencocktails sind nicht gut untersucht, schreibt ein Forscherteam um Muncke in einem Übersichtsartikel aus dem Jahr 2017. Schließlich können sich neben Verpackungsadditiven auch Schwermetalle oder Pestizide in Lebensmitteln finden. Zudem fehlten in der Risikobewertung Langzeitdaten, und wie sich die Substanzen auf Krankheiten wie Diabetes oder Herzleiden auswirken. Auch das EU-Parlament bemerkte bereits 2016, dass die gegenwärtigen Gesetze die öffentliche Gesundheit nicht schützen.

Für viele bekannte Substanzen sind die toxikologischen Daten veraltet

Besonders kritisch sind sogenannte endokrin wirksame Stoffe (EDCs), da sie das Hormonsystem beeinflussen. Am besten untersucht sind die EDCs Bisphenol A (BPA) und Phthalate. BPA steckt etwa in Innenbeschichtungen von Konservendosen. In Studien findet man bei rund 85 Prozent der Probanden BPA im Urin. PVC-Folien zum Verpacken von Frischfleisch oder Deckeldichtungen von Twist-off-Gläsern können Phthalate enthalten, nicht jedoch PET-Flaschen, wie oft behauptet wird.

EDCs begünstigen bewiesenermaßen diverse Krankheiten – auch schon in kleinen Mengen. „Es gibt mehr hormonabhängige Tumoren, also mehr Prostata-, Hoden- und Brustkrebs, Jugendliche kommen früher in die Pubertät, Übergewicht und Diabetes nehmen ebenso zu wie Entwicklungsstörungen bei Kindern“, sagt Josef Köhrle von der Charité.

Auch im Zusammenhang mit bei Kleinkindern immer häufiger auftretenden „Kreidezähnen“ wird Bisphenol A diskutiert, wobei das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) einen Einfluss für unwahrscheinlich hält. Wenngleich es immer Ursachenbündel sind, die Krankheiten verursachen, bestehe laut Köhrle kein Zweifel daran, dass bestimmte EDCs wie Bisphenole oder Phthalate daran beteiligt sind. „Wichtig ist, dass wir die Chemikalienexposition aus Kunststoffprodukten verringern können und müssen“, meint auch Wagner. „Das gilt insbesondere für Schwangere und Kinder.“

Alternative oftmals noch schädlicher

Laut BfR werden die Grenzwerte jedoch stets so festgelegt, dass alle Verbrauchergruppen geschützt seien. So ist etwa BPA für die Herstellung von Babymilchflaschen seit 2011 nicht mehr erlaubt. Seit 2017 ist der Stoff als „besonders besorgniserregende Substanz“ eingestuft und darf in Materialien mit Lebensmittelkontakt nur noch sehr eingeschränkt eingesetzt werden. Frankreich hat BPA in Verpackungsmaterialien vorsorglich ganz verboten. Die Hersteller setzen darum vermehrt alternative Additive ein. „Diese sind jedoch oft noch schädlicher“, ist Wagner überzeugt. So haben Forscher der Washington State University vergangenes Jahr einige Ersatzstoffe für BPA getestet.

Das Ergebnis: In Experimenten mit schwangeren Mäusen war die Alternative BPS, die in der EU zugelassen ist, ebenso schädlich für die Föten wie BPA. „Wir sollten sicherere Alternativchemikalien entwickeln, bevor wir sie auf den Markt bringen“, sagt Wagner.

2005 wurde das Phthalat DEHP in Lebensmittelverpackungen stark minimiert, da es als „fortpflanzungsgefährdend“ eingestuft wurde. Derzeit werden andere Phthalate wie DINP oder DIDP eingesetzt, die laut BfR in den erlaubten Mengen als unbedenklich gelten. Jane Muncke meint jedoch: „DINP steht unter Verdacht, ein endokriner Disruptor zu sein.“ Mittlerweile gibt es laut der Verbraucherzentrale für Twist-off-Deckel Alternativen, die ganz frei von PVC seien und teilweise an einer Blaufärbung des Dichtungsringes zu erkennen seien.

Höheres Risiko bei recycelten Materialen

Gefährliche Phthalate stecken jedoch auch in Druckerfarbe und gelangen dann wieder durch Recycling von Papier in Müsli- oder Nudelkartonagen. Gleiches gilt für recyceltes PET: Bei der Abfallentsorgung kann es laut der Verbraucherorganisation Safe Food Advocacy Europe zu Kreuzkontaminationen mit Kunststoffen kommen, die nicht für den Einsatz in Lebensmitteln erlaubt sind. Auch müssten diesen Plasten mehr Additive zugesetzt werden. Das Risiko von recycelten Kunststoffen sei daher wesentlich größer als von neuen Plastikverpackungen.

Was tun? „Besorgte Menschen oder Eltern können möglichst frische und unverpackte Produkte kaufen“, sagt Muncke. Wasser aus der Leitung kommt ganz ohne Verpackung aus und ist auch umweltfreundlicher. Der Wissenschaftler Wagner empfiehlt Plastikverpackungen mit den Nummern 3 (PVC), 6 (Polystyren) und 7 (andere Kunststoffe) zu vermeiden. Sicher ist, dass sich potenziell toxische Substanzen vor allem bei Hitze herauslösen, darum sollte man keine heißen Getränke in Plastikflaschen aufbewahren oder Lebensmittel in Plastikgeschirr wie Melamin oder Tupper in der Mikrowelle aufwärmen. Auch gehen in saure oder fetthaltige Lebensmittel mehr Chemikalien über, etwa in Fischkonserven oder Pesto.

Über einen Umweg kann Plastik nun in Form von Mikroplastik wieder auf dem Teller landen. Studien wiesen Mikroplastik in Meeresfrüchten, Meersalz oder Mineralwasser (auch aus Glasflaschen oder Tetra-Pak) nach. Und auch in menschlichen Stuhlproben wurden diese gefunden. Wie gefährlich vor allem die Plastik-Nanoteilchen sind, kann noch nicht abgeschätzt werden. Für das BfR deuteten die bisher vorliegenden Studien jedoch darauf hin, dass Mikroplastik vor allem ein Umweltproblem und nicht ein gesundheitliches Problem darstelle.

Am besten ist: Wenig Plastik konsumieren und das Wenige fachgerecht recyclen. Auch der Einkauf im Verpackungsfreien Laden ist sinnvoll. Wer allerdings kilometerweit mit dem Auto fährt um in einem Verpackungsfreien Laden einzukaufen, schont zwar vielleicht seine Gesundheit, der Umwelt ist damit aber nicht gedient. Jane Muncke meint zudem, trotz einiger Unsicherheiten in Sachen Verpackungschemikalien: „Man sollte sich nicht verrückt machen. Das ist auch ungesund.“

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