Geschützter Auwald in Gefahr: Recycler rückt Natur auf den Leib

Der Osnabrücker Recycler Grannex hat mit Mikroplastik die Natur verschmutzt und muss Filtertechnik einbauen. Jetzt will er geschützten Auwald roden.

Bäume wachsen aus einem Feuchtgebiet

Viele geschützte Arten: Der Auwald neben dem Grannex-Gelände Foto: Ralf Florian

OSNABRÜCK taz | Plastik, heißt es, ist vielseitig. Stimmt, selbst noch als Müll. Macht man es richtig, ist es ein Wertstoff. Macht man es falsch, schädigt es die Umwelt.

Der Osnabrücker Recycler Grannex hat viel falsch gemacht. Er sortiert, wäscht und schreddert Hartkunststoffe, bis zu 12.000 Tonnen pro Jahr. Das Mahlgut und Granulat, das dabei entsteht, geht in den Verkauf. Das Problem: Mikroplastik ist so in den nahen Stichkanal gelangt, auch in einen angrenzenden Fluss, viele Jahre lang.

Polizei, Gewerbeaufsicht und Umweltamt waren oft vor Ort, alarmiert durch Umweltschützer wie Ralf Florian, einen Grannex-Nachbarn. Geholfen hat das jedoch „höchstens für ein paar Tage“, sagt Florian, „danach war alles wieder wie zuvor.“

Doch jetzt ändert sich etwas. Auch durch eine unangekündigte Kon­trolle, die Anfang Februar „flächendeckende Verschmutzungen mit Kunststoffkleinstteilen“ auf dem Grannex-Gelände ergab, so Jürgen Bobe, stellvertretender Leiter des Gewerbeaufsichts­amts. „Bauliche Veränderungen“ mahnt Umwelt­amts­leiter Detlef Gerdts an. „Die bisherigen Siebe und Netze sind ja offenbar nur Bastelkram.“

Zwei Hektar Auwald auf städtischem Grund

Alles gut also? Nicht ganz. Denn der Plastikmüll ist nicht das einzige Problem. Grannex will sein Firmengelände erweitern. Um ein fast zwei Hektar großes städtisches Grundstück direkt am Stichkanal, einen wertvollen Auwald. Ingmar Bojes, bei der Wirtschaftsförderung Osnabrück (WFO) Projektmanager Standortkommunikation, bestätigt: Es werde „in Bälde“ ein Gespräch mit Grannex geben, „bei dem es um diese Pläne geht“.

Das Areal, das Grannex kaufen und roden will, ist ein Wald mit uraltem, seltenem Auelehm­boden. Erle, Esche und Weide sind hier zu Hause, Teichfledermaus, Eisvogel und Baummarder, Hirschzungenfarn, Hasenglöckchen und Tausendgüldenkraut, Erlen-Grübling, Kupferroter Moorhautkopf und Käppchen-Morchel, also auch manch streng geschützte Art. Florian: „Das letzte Grün inmitten einer Industriewüste. Der einzige Grünzug hinaus in die offene Landschaft, wichtig für Tierwanderungen, das Stadtklima.“

Grannex, obwohl als Umweltverschmutzer derzeit schwer angezählt, rückt also erneut der Natur auf den Leib. Vergangenen Donnerstag jedoch, im Umweltausschuss der Stadt, hat sich Widerstand formiert. Denn ein Gutachten des Landschaftsplanungsbüros Volpers & Mütterlein kommt zu einem klaren Schluss: „Aus artenschutzrechtlicher Sicht ist das Vorhaben unzulässig.“ „Verbotstatbestände“ des Bundesnaturschutzgesetzes würden ausgelöst. Sebastian Bracke, Ratsmitglied der Grünen: „Der Wald hat eine hohe ökologische Wertigkeit.“

Fehlleistung der Stadt

Wenn da nur nicht der fast 40 Jahre alte Bebauungsplan 163 wäre. Er weist das Gelände als „Industriegebiet“ aus. Dem widerspricht der 20 Jahre alte Flächennutzungsplan: „Waldfläche“. Eine Fehlleistung der Stadt. „Wir starten jetzt eine interfraktionelle Initiative“, sagt Bracke, „um den Wald auch planungsrechtlich abzusichern.“ Bracke, optimistisch, dass es zur Änderung des Bebauungsplanes kommt: „Da gab es ein mehrheitliches Nicken, quer durch die Parteien.“

Natürlich kann Grannex eine Ausnahmegenehmigung beantragen. Dazu müsse allerdings das „überwiegende öffentliche Interesse“ gegeben sein, so Umweltamtsleiter Gerdts, „Alternativlosigkeit nachgewiesen“ und sichergestellt, dass „geschützte Populationen nicht gefährdet sind“. Und das wird Grannex schwerfallen. Zumal Punkt 3.

An die neuen Filtersysteme gegen die Mikroplastik-Verunreinigungen koppeln sich die Erweiterungspläne jedenfalls nicht. „Die müssten sie sonst ja auch bauen“, sagt Bracke. „Ich denke, die wollen einfach ihre Kapazitäten erhöhen.“ Kapazitäten für einen zunehmend lukrativen Markt, schließlich hat China 2018 einen Importstopp für Plastikmüll verhängt.

Für eine Erweiterung wäre der Auwald übrigens gar nicht nötig. Denn da ist ja noch das brachliegende Grundstück zwischen Grannex und dem Hochlager der Spedition Hellmann, das Grannex ohnehin schon nutzt. „Das haben wir im Umweltausschuss auch ins Spiel gebracht“, sagt Bracke. Wer sich diese Brachfläche ansehen will, landet am Rande des Auwalds übrigens vor Nato-Draht. In dichten Rollen liegt er auf dem Boden, gefährlich für Tier und Mensch.

Ganz sicher vor Grannex ist der Auwald also noch nicht. Aber er hat gute Überlebenschancen: „Selbst wenn Grannex sich stets vorbildlich verhalten hätte“, sagt Bracke, „wäre es schwer, für die Rodung eine Ausnahmegenehmigung zu bekommen.“ Über die entscheidet übrigens das städtische Umweltamt.

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