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Gefühle in der politischen BildungHer mit den Emotionen!

Viele Debatten über Migration oder Rassismus leiden unter aufgeputschten Gefühlen. Auch die Bundeszentrale untersucht das Thema für sich.

Was löst das Bild für ein Gefühl aus? Foto: Unsplash/Markus Spiske

LEIPZIG taz | „Ich habe mir immer gewünscht, dass man Rassismus mit Bildung überwinden kann“, sagt Mo Asumang. Die Afrodeutsche ist durch Deutschland und die Welt gereist, um sich mit Neonazis und Rassisten zu treffen und zu verstehen, warum sie andere Menschen beschimpfen und bekämpfen. Menschen, die so aussehen wie Mo Asumang. Menschen mit dunklerer Haarfarbe. Asumang trifft rechtsextreme Demonstranten, die ihr nahelegen zu verschwinden, oder einen NPD-Funktionär, der sagt, sie müsse zurück nach Hause. Er würde ihr beim Kofferpacken helfen, da sei er ganz Gentleman.

Die ehemalige Moderatorin der ProSieben-Erotiksendung „Liebe Sünde“ hat darüber einen Film gemacht und ein Buch geschrieben und geht regelmäßig in Schulklassen, um darüber zu diskutieren. „Lehrer und Schüler sind erst einmal irritiert und verstehen nicht, warum ich das mache“, sagt sie. Doch die Schüler bekämen dann ein gutes Verständnis für ihre Situation. „Rassisten bringen einem aus dem Gleichgewicht“, sagt Asumang, „dieses Gefühl verstehen Schüler gut.“ Sie versucht, wegen der Rassisten nicht aus dem Gleichgewicht zu kommen. Dass das nicht leicht ist, wenn sie einem den Tod wünschen, macht ihren Ansatz für den Unterricht so interessant.

„Politische Bildung darf, soll und kann emotionale Zugänge haben“, sagt Annette Petri. Sie ist Studiendirektorin am Gymnasium Gernsheim und hat ausführlich zu „emotionssensiblem Politikunterricht“ geforscht. Ihren Ergebnissen nach dürfe man die emotionale Komponente politischen Lernens und Lehrens nicht weiterhin dem Zufall überlassen. Mehr Emotionalität führe nicht dazu, dass die politische Bildung das Leitbild der Rationalität in Frage stelle oder sich postfaktischen Zeiten zuwende.

Dabei wächst gerade in der Politik die Angst vor postfaktischen Zeiten, in denen Gefühle eine größere Rolle spielen als Tatsachen. Es gibt „Wutbürger“ und Pegida-Demonstranten, die ihren Zorn rausbrüllen. Es gibt zügellosen Hass im Internet gegenüber anderen Meinungen und Andersdenkenden. Es gibt extremistische Parolen, alternative Fakten vom US-Präsidenten und die AfD, die in ihrem Wahlkampf und ihren Bundestagsreden stark auf Emotionen setzt.

Wie soll politische Bildung damit umgehen?

Wie soll nun die politische Bildung mit diesen emotionalisierten Auseinandersetzungen in der Gesellschaft umgehen? Das fragt sich auch die Bundeszentrale für politische Bildung, die zu dem Thema ihren Bundeskongress in Leipzig veranstaltet und das Buch „Politische Bildung mit Gefühl“ herausgebracht hat. In der Ausstellung „Die Macht der Gefühle“ zeigt sie zudem an vielen historischen Ereignissen der letzten hundert Jahre, dass es in der Politik schon immer hochemotionale Phasen gab – Proteste der Anti-AKW-Bewegung, der Kniefall von Willy Brandt, Reden von Franz Josef Strauß, Widerstand gegen das SED-Regime.

Auch der Hass gegen Ausländer, Andersdenkende und Anhängern von Religionen ist in der deutschen Geschichte bekanntlich nichts Neues. „In der Gesellschaft gab es immer schon ein stabiles Reservoir an menschenfeindlichen Einstellungen, das sich nicht nur an Geflüchteten entzündet“, betont Jonas Rees von der Universität Bielefeld. „Die Frage ist daher nicht, wo sie herkommen, sondern wieso sie sich jetzt vermehrt in Reden und Taten äußern.“ Rees nimmt eine Normverschiebung wahr, in der Dinge wieder aussprechbar und auslebbar sind, die man vor ein paar Jahren nicht öffentlich gesagt hätte. Ein Mittel dafür ist das Internet. „Das macht es den Leuten leichter“, sagt Rees, „dort klingen sie lauter.“

In einigen Gegenden, wie zum Beispiel Sachsen, kommt hinzu, dass viele Kommunalpolitiker mit demokratischen und politischen Prozessen nicht vertraut sind. „Wir haben über Einwanderung nicht gesprochen, daher sind die Leute nicht vorbereitet“, sagt Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping und erzählt eine Anekdote aus einer sächsischen Kleinstadt: Nachdem ankündigt wurde, dass die Stadt Geflüchtete aufnehmen muss, haben sich Bürger versammelt, um zu demonstrieren.

Zwei Demos stehen sich gegenüber: Die einen wollen die Fremden nicht im Ort haben, die anderen setzen sich für Willkommenskultur ein. Als Köpping ankommt, sucht sie den Bürgermeister. „Der sitzt im Gebüsch“, sagen die Leute. Tatsächlich findet Köpping ihn dort, wie er sich versteckt. „Er wusste einfach nicht, auf welche Seite er gehen soll“, erzählt Köpping, „denn beide Seiten waren doch seine Leute.“ In Sachsen gab es kaum politische und demokratische Bildung, erst seit einem Jahr setzt man auch hier darauf.

„Gedenkstätten gelten per se als emotionalisierend, aber dem ist nicht so. Gedenkstätten kön­nen langweilig sein“

Volkhard Knigge, Leiter der Gedenkstätte Buchenwald

Aber wo soll man in der emotional aufgeheizten Stimmung mit der emotionalen politischen Bildung anfangen? Ein beliebter Ansatz im Schulunterricht sind Besuche einer Gedenkstätte. „Aber die sorgen für schlaflose Nächte von Lehrern“, sagt Lehrerin Petri. Denn groß sei die Angst, dass die Schüler sich dort nicht benehmen. Professor Volkhard Knigge kennt dieses Problem. „Gedenkstätten gelten per se als emotionalisierend“, sagt der Direktor der Gedenkstätte Buchenwald, „aber dem ist nicht so. Gedenkstätten können langweilig sein.“ Schließlich gebe der zeitliche Abstand eine große Distanz und Jugendliche trotzten gerne mal gegen von ihnen erwartete Gefühle. „Darüber muss man dann auch sprechen“, findet Knigges Kollege Patrick Siegele vom Anne-Frank-Zentrum in Berlin, „woher kommt die Langeweile oder das Desinteresse?“

Dabei bietet sich Anne Frank für einen emotionalen Zugang zur Geschichte des Nationalsozialismus an, schließlich schreibt das junge Mädchen in ihrem Tagebuch über ihre eigenen Gefühle. „Die muss man dann mit Wissensvermittlung kombinieren: Wieso muss sie sich verstecken?“, sagt Siegele. Bildung über Empathie zu vermitteln berge aber auch immer das Risiko der Überidentifikation mit dem Opfer: „Wenn man sich nur mit dem Opfer identifiziert, hinterfragt man nicht die Täter und nicht sich selbst“, sagt Siegele. „Anne Frank war in den Fünfzigern der beste Weg, sich nicht mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen zu müssen“, sagt auch Knigge. „Man konnte einfach ein bisschen Anteil nehmen und das war’s.“ Jahrzehntelang habe man Zeitzeugen nicht hören wollen, weil sie Zeugen der Anklage waren. Aber genau darin liege ihr Wert, sagt Knigge. Dass die meisten Zeitzeugen bereits gestorben sind, sieht der Gedenkstätten-Leiter nicht als große Einschränkung bei der Bildungsarbeit. „Ihre Berührungskraft ist unersetzlich, aber die Auseinandersetzung im Bildungsprozess findet längst anders statt.“ Mit Aufzeichnungen, Archivmaterial und restauriertem Wissen.

Wichtiger, als sich mit dem Opfer zu identifizieren, sei zu hinterfragen, welche Handlungsspielräume die Einzelnen im gesellschaftlichen System hatten und haben, findet Siegele. Darüber nachzudenken sei ein wichtiger Punkt politischer Bildung. „Man muss auch immer fragen: Wie kann man diese Demokratie bewahren, damit es nicht so weit kommt wie in der NS-Zeit?“ Das wollen gar nicht alle. Knigge hat Neonazis, die nach einem Buchenwaldbesuch und tagelangen Seminaren immer noch von der NS-Diktatur überzeugt waren, gefragt, was sie selbst denn heute vom Nationalsozialismus hätten.

Ihre Antwort: Respekt. „Es lohnt sich, nachzufragen, worum es eigentlich geht“, sagt Knigge. „Dann kann man darüber reden: Wie erhält man Respekt in einer Gesellschaft, die einerseits vom Sozialdarwinismus lebt, aber andererseits einen moralischen Überbau predigt, der damit nichts zu tun hat. Wie soll man denn für Jugendliche solche Widersprüche auflösen?“ Es bräuchte mehr Zeit für Diskussionen – die fehlt an den meisten Schulen aber. Gedenkstättenbesuche seien auch nicht immer die Lösung. „Manche Besucher müssen wir anzeigen“, sagt Knigge. „Wir können nicht alles pädagogisch auflösen.“

Und auch Mo Asumangs Wunsch, Rassismus mit Bildung zu überwinden, ging nicht in Erfüllung. Ein Besuch bei einer Burschenschaft voller studierter junger Männer, die bei einen Fackelmarsch an der thüringischen Wartburg Lieder zum Wohle des Vaterlands singen, hat gereicht. Sie sagen ihr klar: Einen Schwarzen würden sie nicht aufnehmen.

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