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Berichterstattung über Klimademos„Total verniedlicht“

Die Berichte über die „Fridays for Future“-Bewegung werden oft auf die Debatte zur Schulpflicht verkürzt. Demonstrant*innen sind verärgert.

Der Düsseldorfer Karneval zeigte Greta Thunberg, wie sie die Elterngeneration am Kragen packt Foto: dpa

Hamburg taz | Plötzlich steht sie direkt hinter dem Banner. Als Greta Thunberg am vergangenen Freitag mit halbstündiger Verspätung am Hamburger Gänsemarkt steht, ist die Erleichterung groß. Vor allem bei den Organisator*innen – und bei den Medien. Fotografen, Kamerafrauen, Redakteure, Autoren, Reporterinnen. Fast alle großen Medienhäuser Deutschlands sind vertreten, um über „Fridays For Future“-Demonstration zu berichten. Genauer: Um über Greta Thunberg und die verletzte Schulpflicht der Demonstrant*innen zu berichten.

An diesem Freitag sind weit mehr Schüler*innen gekommen als an den letzten Freitagen, um für Klimaschutz zu demonstrieren. 10.000 zählt das Organisations-Team, 3800 die Polizei. Für viele der Medienvertreter*innen aber eher eine Randnotiz, denn für sie geht es hier nur um die Eine. „Wir sind wegen Greta Thunberg hier, denn wir versuchen seit einigen Tagen ein Interview mit ihr zu bekommen, was ganz schwer, wenn nicht sogar unmöglich ist“, erklärt der Journalist Andreas Lueg, der für das ARD-Magazin „Titel Thesen Temperamente“ berichten soll.

„Hätte ich vorher gar nicht vermutet, dass so viele kommen. Ich bin gespannt, wie Greta das einschätzt, da sie ja nun den Vergleich hat mit vielen anderen Städten“, erklärt der Kollege von ARD Aktuell, der unter anderem die Tagesschau beliefern wird und ein fest vereinbartes Interview mit Thunberg in Aussicht hat.

Ehrenamtliche Ordner*innen spannen ein Seil um das Frontbanner, um Greta zu schützen. Ein junger Mann ruft mit Hilfe eines Megafons die Journalist*innen in regelmäßigen Abständen zurück. Damit die Demonstrierenden in Ruhe laufen können: „Leute, es gibt noch genug Gelegenheiten Bilder zu machen.“

„Nachrichtenwert“ und „Betroffenheit“

Deutschlandweit gehen seit Wochen tausende junge Menschen auf die Straßen, um die Bundesregierung daran zu erinnern, ihre Maßnahmen gegen Umweltverschmutzung und Klimawandel einzuhalten. Doch kaum ein Artikel kommt ohne die politische Debatte um die Schulpflicht aus. „Bildungsministerin Karliczek pocht auf Schulpflicht“ textet die taz. „Nicht jeder Schulschwänzer hat den Sinn der Demo kapiert“ titelt die Welt. „Für die Schüler, die für eine strengere Klimapolitik demonstrieren, ist der Klimawandel nicht viel wichtiger als ein schulfreier Tag“, kommentiert die FAZ.

Zur Erinnerung: Die Schüler*innen streiken nicht etwa gegen die Schulpflicht an Freitagen, sondern für einen Ausstieg aus Braunkohleenergie vor 2030. Für höhere Steuern auf Inlandsflüge und für die Einhaltung internationaler Klimaabkommen.

Später am Nachmittag im Büro von Youth Policy Labs in Berlin. Jugendforscher Andreas Karsten hat heute per Twitter und Instagram verfolgt, wer in Hamburg auf die Straße ging. Bei vergangenen Demos in Berlin war er selbst vor Ort – und er beobachtet die Berichterstattung über Fridays For Future mit Sorge. „Wenn wir es als Gesellschaft nicht schaffen, diese Bewegung ernst zu nehmen und ihren Anspruch auf Klimagerechtigkeit in Politik umzusetzen, dann riskieren wir es, eine ganze Generation komplett zu desillusionieren und zu frustrieren“, sagt Karsten.

Dem stehen „Nachrichtenwert“, „Nutzwert“ oder „Betroffenheit“ entgegen – Begriffe, mit denen Nachrichtenredaktionen entscheiden, ob und wie berichtet wird. Alles, was nicht irgendwie neu ist, schafft es eben nicht in die Schlagzeilen. Das weiß auch der Jugendforscher Karsten und sagt: „Natürlich ist das normal, aber es ist eben ein Problem. Am Ende braucht es einen neuen gesellschaftlichen Konsens darüber, welche politische Macht Kinder und Jugendliche in Deutschland haben sollen. Wir müssen gerade in so langfristigen politischen Fragen wie dem Klimaschutz auch jungen Menschen die Chance geben, mit zu entscheiden – und ihnen dazu in den Medien eine Stimme geben.“

„Demokratie der Älteren“

Viele Schüler*innen auf der Demonstration in Hamburg zeigen sich genervt davon, dass sie meist nur auf die Schulpflichtdebatte angesprochen werden. „Das finde ich kritisch, weil ich das Gefühl habe, unser Protest wird total verniedlicht, aber die Relevanz und das Anliegen der Klimabewegung werden nicht gesehen“, sagt beispielsweise die Demonstrantin Viv.

Auch Jugendforscher Andreas Karsten übt Kritik: „Hier wird in einem merkwürdigen Automatismus vorausgesetzt, dass die von Erwachsenen festgelegte Schulpflicht die Rechte von Kindern und Jugendlichen auf freie Meinungsäußerung aushebelt. Das ist ganz typisch für eine 'Demokratie der Älteren’: Politik wird nicht für und schon gar nicht mit jungen Menschen gemacht – genauso wie eben viele Sendungen, Beiträge und Artikel.“

Spannend wird zudem die Frage sein, was passiert, wenn die mediale Aufmerksamkeit zurückgeht. Weil Greta Thunberg nicht mehr oder schon zu oft auf der Straße war. Weil die Bewegung, ähnlich wie bei den Protesten zum Bauprojekt Stuttgart21, zum Selbstläufer wird, und kein medial berichtenswertes Ereignis mehr darstellt.

„Die Bewegung kann das glaube ich nur schaffen, in dem sie solange auf der Straße bleibt, bis sich politisch etwas bewegt. Die Ideen dafür hat die Bewegung. Die Courage und den Anstand sie aufzugreifen, hat in der Politik noch niemand“, sagt Karsten.

Auch ARD-Journalist Andreas Lueg findet die Berichterstattung seines eigenen Hauses manchmal kritisch. Doch sich ganz den eigenen Medienmechanismen entziehen? Für ihn liegt die Lösung eher darin, „kontinuierlich an dem Thema dran zu bleiben – ähnlich wie Greta es tut, wirklich versuchen eine Veränderung zu begleiten.“. ZDF-Kollegin Jana Lübker ergänzt: „Ich habe selten so viele junge Menschen demonstrieren sehen. Natürlich würden aber auch wir Greta in den Vordergrund der Story setzen. Weil dieser Hype erst durch sie so richtig entstanden ist.“

Der Autor arbeitet als freier Journalist auch für diverse ARD-Sender.

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11 Kommentare

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  • Ich habe heute im Radio ein gutes Argument zu der Meinung gehört, die Schüler könnten ja in ihrer Freizeit protestieren:



    "Stellen Sie sich vor, in einer Firma wird gestreikt um auf unannehmbare Verhältnisse hinzuweisen. Aber um den Arbeitsablauf nicht zu stören, werden diese Streiks Samstag Nachmittag gemacht."



    Außerdem glaube ich, den Schülern ist klar, dass es keinen Freifahrtsschein für unentschuldigtes Fehlen gibt.

    Stellen wir uns das mal 1968 vor.



    "Ihr dürft hier nicht demonstrieren! Geht nach Hause, in die Schule oder eure Uni!"



    Was wäre aus unserer Welt geworden, wenn die Demonstranten von damals darauf gehört hätten?

  • Sonntag: 40.000 in Amsterdam

    www.heise.de/tp/ne...rasse-4330288.html

  • "Spannend wird zudem die Frage sein, was passiert, wenn die mediale Aufmerksamkeit zurückgeht."



    da geb ich mal an Sie zurück: das liegt auch in Ihrer Verantwortung.

    Ich bin überzeugt, dass der Kipp-Punkt erreicht ist und Klimaproteste nicht mehr mal eben zurückgehen. erst Hambi, Kohle, endegelände, wir haben es satt, dazu jetzt fridays von schüler*innen, eltern und großeltern, dazu extinction rebellion, free the soil, es werden mehr Menschen, Themen Bewegungen und sie vernetzen sich immer besser, siehe alledörferbleiben. Und der Protest lernt auch dazu. lässt sich nicht mehr so schnell spalten (indem teile kriminalisiert werden zb).

  • Schade, dass Greta heute nicht in Berlin ist, da waere das Demonstationsziel wegen Feiertag noch deutlicher.

  • Wir müssen die Kids einfach unterstützen, ohne sie einzukassieren.



    Eltern- und Lehrer-Initiativen sollten



    zum Beispiel n a c h m i t t a g s demonstrieren, da können sich ja auch die Forscherinnen, PolitikerInnen, Studentinnen und



    andere hinzubewegen. Und bitte auch



    die Medien! Öffentlichheit ist wichtig!

    • @Adriana:

      Wir streiken solidarisch mit, jeder ist willkommen.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    „Wenn wir es als Gesellschaft nicht schaffen, diese Bewegung ernst zu nehmen und ihren Anspruch auf Klimagerechtigkeit in Politik umzusetzen, dann riskieren wir es, eine ganze Generation komplett zu desillusionieren und zu frustrieren“, sagt Karsten.

    Ganz ähnlich "desillusioniert und frustriert" fühl ich mich als Teil der "Dritten Generation Ost" mit ihren Ansprüchen an soziale Gerechtigkeit und demokratische Teilhabe. Immerhin wird diese Generation, die jetzt demonstriert, schonmal überhaupt wahrgenommen. Bei unseren Demos gehörten oft die einzigen Videokameras der Polizei. So hart wie es klingt: dass überhaupt Journalist*innen da sind, hat schon was für sich.

    Diese Erwartung aber, dass das Erkennen von problemhaften sozialen Mechanismen mit dem Abstellen dieses Zwangsverhaltens einhergeht, ist - gerade im öffentlichen-rechtlichen Rundfunk - kaum realisierbar.



    Der Zwang besteht ja gerade darin, dass diejenigen, die anders darüber berichten, nicht mehr als Teil der "Mitte" behandelt werden, d.h. ihnen wird es abgesprochen, Menschen mit einer legitim vertretbaren politischen Überzeugung zu sein. Nein, die sollen besser zurück in die Schule gehen, nachsitzen und zur Räson kommen!



    Und wer will denn schon die eigene Karriere ruinieren, indem er*sie für solch Unvernunft Verständnis zeigt?

    Solange die selbsternannten Linksliberalen nicht auf Distanz zu dieser "Mitte" gehen, solange sie die sog. Hufeisentheorie der sog. Extremismusforschung für bare Münze nehmen und ideologisch eine vermeintlich demokratisch gesinnte "Mitte" und ihre real existierende Demokratie einerseits gegen die "Ränder der Gesellschaft" andererseits abgrenzen, spielen sie mit in einem Sprachspiel aus wechselseitiger negativer Bestätigung:

    Während die "extremistischen Kritiker" verkünden, eine "wahre Demokratie" sähe anders aus, behaupten die "Verteidiger der Demokratie", die "wahre Demokratie" gäbe es im Prinzip schon.



    Dass "wahre Demokratie" etwas wie eine "originale Kopie" ist, ist dabei egal

  • Der Protest erinnert sowohl in seiner Relevanz als auch in seiner Wirkungslosigkeit an den Kinderprotest gegen die Grauen Herren in Michael Endes Momo.

    Marc Feuser allerdings behandelt dieses an sich wichtige Thema als "Sternchenthema", also eines, das optional ist und nicht ernst genommen werden muss.

  • Es ist wie so oft:



    Inhaltlichen Dingen ausweichen indem man über die Motive, Nebenwirkungen, Berechtigung der Argumente...whatever polemisiert.



    Beispiel: @agerwiese kurz nach 13:00 Uhr.



    Oft chic und bequem, aber falsch und unangemessen.

  • Aber mit dem Thema "Schulpflicht" kann man doch viel besser einen Nebenschauplatz bedienen, der vom eigentlichen Thema ablenkt. Und was sollen die Politiker*innen auch sonst tun? Wirklich den Klimawandel aktiv bremsen wollen ganz offensichtlich alle nicht. Sonst würden sie nicht von Arbeitsplatzerhalt und/oder freiwilligen Verpflichtungen, etc. schwafeln, oder - noch zynischer - die jungen Menschen loben für ihr Engagement. Folgenlos, versteht sich.

  • "Die Schüler*innen streiken... Für höhere Steuern auf Inlandsflüge..."

    Hauptsache der Urlaub ist gesichert...