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Vergabe der Stromnetz-KonzessionBerlin leuchtet jetzt selbst

Die Entscheidung ist gefallen: Das Stromnetz soll künftig von der landeseigenen BerlinEnergie betrieben werden. Der bisherige Betreiber Vattenfall will das prüfen lassen

Berlin von ganz oben. Der Westen ist hier im Norden Foto: dpa

Vor dem Seiteneingang des Roten Rathauses in der Jüdenstraße stehen drei Dutzend Menschen mit Transparenten und einer Stracciatella-Kirsch-Torte. Die müssen die AktivistInnen vom Bündnis Berliner Energietisch und die Mitglieder der Genossenschaft BürgerEnergie Berlin am Ende selbst aufessen. Gedacht war die Konditorware mit der Aufschrift „Berliner Stromnetz, Öffentliche Hand & Bürgerhand“ für die Mitglieder des Senats – aber die lassen sich diesem Dienstag nicht blicken.

Der guten Laune in der Gruppe tut das keinen allzu großen Abbruch. Sie feiern eine Entscheidung, die schon vor Tagen an verschiedene Medien lanciert worden ist: Die Senatsverwaltung für Finanzen hat das seit Jahren laufende Verfahren zur Vergabe der Stromnetz-Konzession abgeschlossen und sich für den kommunalen Bewerber entschieden, den Landesbetrieb BerlinEnergie. Damit geht der langjährige Konzessionsinhaber, die zum Vattenfall-Konzern gehörende Stromnetz Berlin GmbH, leer aus.

Auch die kleine Genossenschaft BürgerEnergie Berlin hatte mitgeboten. Sie rechnet sich aber immer noch gute Chancen aus, von der BerlinEnergie als Teilhaber mit ins Boot geholt zu werden. „Die Entscheidung stimmt uns äußerst freudig“, sagt Christoph Rinke vom BürgerEnergie-Vorstand, „wir befinden uns damit auf einem sehr guten Weg und werden nun so schnell wie möglich in Verhandlungen mit dem Senat treten.“ Die Möglichkeit, dass die BerlinerInnen über eine genossenschaftliche Beteiligung die Energiewende konkret mitgestalten, stehe ja im Koalitionsvertrag.

Die rot-rot-grüne Landesregierung hat für ihre wöchentliche Pressekonferenz zwar keine Torte, aber Pfannkuchen auffahren lassen. Ort dieses Gelages ist nur eben nicht das Rote Rathaus, sondern ein Hochhaus 16 Kilometer weiter südöstlich, in der Neuköllner Gropiusstadt. Und Grund für das Zuckerzeug und den Ortswechsel ist auch nicht die Stromnetz-Entscheidung: Nein, Regierungschef Michael Müller (SPD) und seine beiden Vizes Klaus Lederer (Linkspartei) und Ramona Pop (Grüne) wollen vor Journalisten eine sehr positives Halbzeitbilanz der Ende 2016 begonnenen rot-rot-grünen Koalition ziehen. Und die soll wohl bei dem weiten Panoramablick, der sich von der 26. Etage des Degewo-Hochhauses aus bietet, bei den Journalisten besser ankommen.

Zur Entscheidung der Finanzverwaltung, der BerlinEnergie den Zuschlag zu geben, äußern sich die drei dann eher sparsam und auch nur auf Nachfrage. Müller tut sich schwer zu erläutern, was ein Stromnetz in Landeshand denn konkret für die Berliner bringen wird. Es gehe um ein gutes Angebot und „auch darum, Klimapolitik umzugestalten“. So eher allgemein steht das auch unter „Fragen und Antworten“ auf der Homepage von BerlinEnergie. Die Details kennt Müller nach eigenen Worten nicht.

Vattenfall will prüfen

Pop als zuständige Senatorin für Wirtschaft, Energie und Betriebe hat der taz schon nach der vorangegangenen Senatssitzung knapp mailen lassen: „Wir begrüßen, dass der Vergabeprozess über den Betrieb des Stromnetzes einen entscheidenden Schritt weiter ist.“ Das klingt nicht umsonst vorsichtig. Denn Vattenfall, die Mutter des bisherigen Netzbetreibers Stromnetz Berlin GmbH, will die Vergabeentscheidung überprüfen lassen und könnte juristisch dagegen vorgehen.

Im Gegensatz zu Müller kann BürgerEnergie-Vorstand Christoph Rinke am Dienstagmittag klar benennen, welche konkreten Vorteile die BerlinerInnen von einer Rekommunalisierung des stark regulierten Stromnetzes haben sollen. Da ist erst einmal das finanzielle Argument: „Die Bundesnetzagentur sichert dem Netzbetreiber eine Gewinnmarge zu, für Vattenfall waren das jährlich gut 100 Millionen Euro. Dieses Geld ist unserer Ansicht nach im Landeshaushalt viel besser aufgehoben.“

Noch wichtiger ist Rinke aber: Das Land könne mit einem eigenen Stromnetz die Energiewende effizienter bewältigen. „Der Senat will Berlin zu einer ‚Solar City‘ machen, das heißt: Irgendwann sollen rund 20 Prozent des in der Stadt erzeugten Stroms aus Photovoltaik stammen.“ Weil es dabei oft um Klein- und Kleinst-Erzeuger wie die sogenannten Mieterstrom-Anlagen gehe, brauche Berlin einen Netzbetreiber, der solche Projekte „pushe“. Rinke: „Zwar muss auch ein kommerzieller Betreiber einen diskriminierungsfreien Netzzugang bieten, aber er wird kleine Einspeiser kaum aktiv unterstützen. Das sind völlig unterschiedliche Attitüden.“

Die Opposition im Abgeordnetenhaus lehnt währenddessen eine Übernahme durch die landeseigene BerlinEnergie ab. Sie begründet das vor allem mit den Kosten, die CDU und FDP auf zwei Milliarden Euro schätzen, andere hingegen auf 1,5 Milliarden. „Der Senat betreibt eine Politik nach dem Motto: Verstaatlichen, koste es, was es wolle“, heißt es von der CDU-Fraktion. Die rechnet vor, was sich mit zwei Milliarden sonst so machen ließe: angeblich 57 neue Oberschulen oder 100 Kilometer neue Straßenbahntrasse bauen. Von Experten aber ist zu hören, dass der Netzbetrieb an sich kein finanzielles Risiko bildet und sogar einen Gewinn bringen kann, vorausgesetzt, er wird ordentlich gemanagt.

FDP: „Bringt kaum Einfluss“

Der FDP-Umweltpolitiker Henner Schmidt wiederum bezweifelt, dass sich der Netzbetrieb wirklich so für eine andere Klimapolitik nutzen lässt, wie sich Regierungschef Müller das wünscht: „Das Land Berlin erhält dafür kaum energiepolitischen Einfluss, da der Betrieb des Stromnetzes sehr stark gesetzlich reguliert ist.“

Der Chef der Industrie- und Handelskammer, Jan Eder, verweist auf die mit einer Übernahme einhergehende Verantwortung für Berlin­Energie. „Nicht erst der Stromausfall in Köpenick hat verdeutlicht, dass das Stromnetz eine der kritischsten Infrastrukturen ist“, sagte er. Die Sicherheit der Versorgung müsse im Sinne eines prosperierenden Wirtschaftsstandorts zu jeder Zeit gewährleistet sein.

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