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Kolumne Wir retten die WeltEhrendoktorwürde für Scheuer

Kühne Gedankengebäude zeichnen Scheuers Theoreme aus. Für ihn verstößt ein Tempolimit auf Autobahnen „gegen jeden Menschenverstand“.

Ein kühner Denker dieser Scheuer, wer wollte da nicht eine Ehrendoktorwürde verleihen? Foto: dpa

M eine sehr versehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie hier am Fachbereich Verkehrsphilosophie der Franz-Josef-Strauß-Universität. Wir verleihen heute die Ehrendoktorwürde an Herrn Andreas Scheuer. Niemand hat die Theo­rie und Praxis der „inversen Logik“ so befördert wie unser Bundesverkehrsminister.

Die kompliziertesten, scheinbar widersprüchlichen Realitäten unseres Lebens gießt Scheuer in verständliche Worte. Für ihn verstößt ein Tempolimit auf Autobahnen oder die Senkung der Diesel-Subventionen „gegen jeden Menschenverstand“. Kleingeistige mögen denken, die menschliche Ratio fordere gerade eine „Obergrenze“ (wenn Sie mir hier in Bayern diesen Scherz erlauben!) für das sportliche Fahren und ein Ende der Staatshilfen für gefährlichen Treibstoff.

Doch Scheuer denkt größer: Wer an unserem gottgegebenen Recht rüttelt, das Gaspedal durchzutreten, verlässt den Boden des Verstandes, der uns vom Tier unterscheidet. Es ist der Verstand, der uns rasend macht.

Diese kühnen Gedankengebäude zeichnen Scheuers Theoreme aus. Wo engstirnige Bürokraten einen Grenzwert von 40 Mikrogramm (µg) nur bei 40 µg sehen können, kreiert er einen „Toleranzbereich“ bis 50 µg. Für die „Umwertung aller Werte“ (Nietzsche) befasst er sich auch mit der umgekehrten Wagenreihung der Bahn und transzendiert den Datenschutz im Verkehr. Seine Grundüberzeugung aus „Glaube, Liebe, Hoffnung“, so unerreichbar sie scheinen mag, hat er im Koalitionsvertrag philosophisch-poetisch formuliert: „Fahrverbote wollen wir vermeiden.“

Scheuer weist sie allein durch Schweigen zurecht

Scheuer begehrt auf gegen eine unvollkommene Welt. Sein Mantra: „Die Fahrverbote haben nichts mit dem Dieselskandal zu tun“, erreicht eine Hochebene der Reflexion, die vielen schlichten Gemütern nicht zugänglich ist. Die Einfältigen unter uns mögen denken: „Aber ohne den massenhaften Betrug bei den Abgaswerten wäre die Luft in den Städten doch deutlich besser.“ Scheuer, „The Brain“, weist sie allein durch Schweigen zurecht. Und niemand verlangt von ihm, seine Aussage zu erklären.

Wir ehren heute einen Denker, der sich auf seinem Weg von keinem Abbiege-Assistenten abbringen lässt. Scheuers originärer Beitrag zum abendländischen Denken, die inverse Logik, widerlegt noch im Vorbeifahren die zentrale These von Ludwig Wittgenstein: „Wovon man nicht reden kann, davon muss man schweigen.“

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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7 Kommentare

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  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Ooch - nun seit doch nicht so. Der Scheuer und das Tempolimit. Das ist, als würde man/frau einem Fünftklässler die Fruchtzwerge wegnehmen und ihm einen Demeterjogurt geben. Das geht zuweit. Deutlich. Wen interessiert die sogenannte Faktenlage, wenn 5 Millonen BildleserInnen hinter einem stehen? Genau!

  • 9G
    91672 (Profil gelöscht)

    Doktor h.c. zeigt schon mal, wie er den Innenministerjob nach Seehofer durchziehen wird. Er wird 'die Mutter allen Menschenverstands' geben.

  • Warum muss immer alles über Zwang ( Gesetze ) gehen ?



    Es wird keiner auf Autobahnen gezwungen, sich mit 200 km/h auf der linken Fahrbahn zu bewegen, jeder darf rechts mit 80 km/h hinter LKW`s nachfahren.

    • 9G
      91672 (Profil gelöscht)
      @Günter Witte:

      Weil der Mensch so ist.



      Oder glauben Sie vielleicht, der Mensch hätte von sich aus auf das Rauchen in Gaststätten verzichtet, würde freiwillig Steuern zahlen, nicht stehlen oder betrügen, die LKW-Fahrer würden freiwillig 80 km/h fahren, die Kfz-Hersteller würden freiwillig die Grenzwerte einhalten, die Bauern freiwillig auf Glyphosat verzichten?



      Das wäre 'gegen jeden Menschenverstand', wenn jemand das dächte, würde der Ehrendoktor dazu sagen.

  • Er selbst erscheint mir be-Scheuert?



    Der Fachbereich Verkehrsphilosophie ignoriert die digitale Revolution, die die Wertschöpfung den Maschinen (Eigentümern) bringt, aber die Arbeitsplätze reduziert! Für diese Menschen bedeutet es Glück, wenn sie von Zuhause digital noch weiterhin beschäftigt und bezahlt werden!



    Allein deshalb werden wir in Zukunft weniger mit einem Auto mobil sein müssen. Der Stau zur Arbeit und die Abgase werden weniger. Dafür gewinnen wir Zeit für eigene Kreativität.



    Endlich kann der Mensch das Gleichnis zur Kreativität "Platon's Höhle" studieren und ihm wird einfallen, was er schon immer einmal tun wollte!

  • Da sieht man ganz deutlich, dass insbesondere der Verkehrspolitiker (Dobrindt war ja nicht anders) den Spagat zwischen Wirtschaft, Politik und Menschen nur noch mit hanebüchenen Behauptungen, hochherrschaftlichen Statements "bast scho, kümmert's euch net um Sachen, die euch nix angehen!" schaffen.



    Irgendwann reisst dann die Hose...Scheuer macht gerade die letzte Phase eines "!epic split!" und ist an Lächerlichkeit nicht mehr zu toppen - oder vielleicht doch?

    Ende der Fahnenstange, aber keiner mag's zugeben, irgendwie pfuscht man sich dann noch im Kreis um die Kugel oben drauf herum und glaubt, das wäre Fortschritt, weil keine Hindernisse mehr zu erkennen sind und es ja doch irgendwie weitergeht.

  • Die Kolumne "Wir retten die Welt" ist ja schon nicht schlecht.



    Aber die "Wahrheit" wäre wohl eher angemessen.