Am Wendepunkt

Vor 40 Jahren kehrte Ajatollah Chomeini aus seinem Exil in den Iran zurück. Die Islamische Revolution – sie hatte Auswirkungen bis nach Berlin. Besonders auch als Streitpunkt für die iranischen Flüchtlinge hier in der Stadt, die heute durchaus Profiteure des Mullah-Regimes sein können

Die iranischen Verhältnisse spiegeln sich auch in Berlin. Demonstranten mit Fahnen am Brandenburger Tor protestieren gegen das iranische Regime Foto: Paul Zinken/dpa

Von Susanne Memarnia

Als das Flugzeug mit „Revolutionsführer“ Chomeini an Bord am 1. Februar 1979 aus Paris in Teheran landete, saß Nasrin Bassiri in Berlin schon auf gepackten Koffern. „Ich bin zwei Tage nach ihm angekommen“, erinnert sich die 73-Jährige.

Die promovierte Politologin war schon in den Wochen zuvor, als es im Iran täglich Demons­trationen gegen den Schah und sein Regime gab, nicht untätig geblieben. „Ich habe mit anderen die iranische Botschaft in Ostberlin besetzt“, erzählt Bassiri. Nun wollte, musste sie zurück zu ihrem „Lieblingsort“, zurück in den Iran. „Ich sagte meinen Kolleginnen an der Fachhochschule für Wirtschaft, wo ich unterrichtete, Bescheid und war weg.“

Auch der bekannte Oppositionelle, Buchautor und 68er Bahman Nirumand ging damals wie viele Exil-Iraner zurück. Was kommen würde, nachdem der Schah am 16. Januar geflohen war, wusste niemand – aber alle waren voller Hoffnung. „Es herrschte eine wahnsinnige Euphorie, ein unglaubliches Gefühl der Freiheit“, erzählt Nirumand im Rückblick. „Nie war ich so glücklich wie damals.“

Die Hoffnung verflog schnell. Schon nach wenigen Wochen habe er in einem Artikel für eine deutsche Zeitung geschrieben, „dass ich die neue Diktatur rieche“, erinnert sich der 82-Jährige, der nach wie vor für die taz und andere Medien schreibt. Trotzdem kämpfte er damals noch drei Jahre lang im Land für eine Neuauflage der durch den CIA-Putsch von 1953 abgewürgten „national-demokratischen“ Politik von Mohammad Mossadegh. Doch 1982 musste Nirumand erneut fliehen.

Bassiri hielt es, im Untergrund damit beschäftigt, gefährdete Frauen über die Grenze zu schmuggeln, noch zwei Jahre länger aus. Auch sie war aber 1984 wieder zurück in Berlin.

Die Iranische Revolution von 1979 war ein Wendepunkt nicht nur in der Geschichte Irans. In den Jahren darauf kamen nach Berlin immer mehr Flüchtlinge, vor allem politische, die ihre Auseinandersetzung um die Zukunft Irans hier weiterführten, sich aber auch in die hiesige Stadtgesellschaft einmischten und sie veränderten – als Lobbyisten für Flüchtlingsrechte etwa.

Natürlich waren auch zu Schah-Zeiten schon Oppositionelle hierher geflohen, so wie Nirumand, oder konnten nicht mehr zurück in ihr Land, weil sie hier in Studentenorganisationen politisch aktiv gewesen waren wie Bassiri. Viele waren es allerdings nicht: 1960 lebten rund 1.000 iranische Staatsbürger in Westberlin (Zahlen für den Ostteil hat das Statistische Landesamt nicht), 1978 waren es 2.400. Dennoch prägten sie, weil es vornehmlich politisch aktive Studenten und Akademiker waren, die damalige deutsche Gesellschaft nachhaltig mit. „Wir Iraner waren wichtige Mitspieler bei der deutschen 68er Bewegung“, sagt Nirumand.

In der Tat: Sein 1967 erschienenes Buch „Persien, Modell eines Entwicklungslandes“ war seinerzeit ein Bestseller. „Viele haben mir später erzählt, dass sie dadurch politisiert worden seien“, erinnert sich der Deutsch­iraner. Die Diktatur im Iran wurde – wie der Vietnamkrieg – ein großes Thema unter deutschen Studenten. Als der Schah im Juni 1967 zum Staatsbesuch nach Berlin kam, demonstrierten Tausende vor der Deutschen Oper. Es kam zum berüchtigten Angriff der „Jubelperser“ auf die Demonstranten und im Verlauf dieses Tages zum Mord an Benno Ohnesorg – „einem Wendepunkt der 68er“, bilanziert Nirumand.

Ein besonderes Verhältnis zwischen dem Iran und Deutschland gibt es sogar noch länger. Seit dem 19. Jahrhundert pflegten die Deutschen ein romantisierendes Persienbild, gespeist aus Märchen von Tausendundeiner Nacht, Boulevardgeschichten vom Pfauenthron und Berichten über sagenhafte Reichtümern. Die Iraner wiederum waren vor allem von deutscher Industrie und Technik begeistert – eine gegenseitige Faszination mit geschäftlicher Komponente.

Eng blieb das Verhältnis auch in der Nazi-Zeit: „Hitler war im Iran sehr beliebt, auch ich war von ihm begeistert als Kind“, erinnert sich Nirumand. „Mein Vater, ein enger Mitarbeiter des alten Schahs, nannte mich manchmal sogar ‚General Keitel‘!“

Es dürfte zum Teil auch dieser gemeinsamen Geschichte geschuldet sein, dass Iraner bis heute bei vielen Deutschen besser angesehen sind als andere Migranten. Hinzu kommt: Iraner in Berlin (und Deutschland) kamen – ob zu Schah- oder Chomeini-Zeiten – vorwiegend aus der großstädtisch und akademisch geprägten Mittel- und Oberschicht. Entsprechend leicht konnten sie sich integrieren und in angesehenen Berufen, etwa als Ärzte und Ingenieure, reüssieren. „Iraner passen sich schnell an, sprechen meist gutes Deutsch“, so Nirumand.

Letzteres gelte auch für die jüngste Generation der iranischen Einwanderer, obwohl diese sich soziologisch von den vorigen unterscheide. „Heute kommen vor allem die Kinder von Leuten, die unter dem Regime zu Geld gekommen sind. Das ist die frühere Unterschicht“, sagt Nirumand, die durch die Revolution nach oben gespült worden sei. Dass nun also die Kinder der Profiteure des Regimes das Land verlassen, könnte ein Zeichen sein, dass Iran wieder an einem Wendepunkt steht.

Terror im Auftrag Teherans: Im Lokal Mykonos in Wilmersdorf ließ der iranische Geheimdienst im September 1992 vier Oppositionspolitiker ermorden Foto: Werner Schulze/ ullstein bild

Hamid Nowzari war 1979 gerade zwanzig Jahre alt, aus der Armee desertiert und begeistert von der Revolution im Iran. „Wie viele wusste ich nicht genau, wohin es gehen sollte. Aber wir waren irgendwie links und haben tagaus, tagein demonstriert.“ Ein Jahr später, als die neue Islamische Republik die Revolution bereits erstickt hatte, schickte ihn seine Familie außer Landes. „Sie sagten, ich brächte die ganze Familie in Gefahr.“ Der studierte Bauingenieur hat ein Treffen in der Neuköllner Reuterstraße in den Räumen des Vereins Iranischer Flüchtlinge vorgeschlagen, bei dem er seit fast 28 Jahren die Geschäfte führt.

Schon nach kurzer Zeit, berichtet Nowzari, habe er sich auch in Berlin wieder in die Politik gestürzt. „Die Mensa der TU war voll von iranischen Studenten aller Art. Jeden Tag gab es Büchertische, in der einen Ecke wir, in der anderen die Unterstützer der Islamischen Republik“, erinnert er sich. Eine Zeit lang habe man einander noch toleriert.

Doch die Zuspitzung der Lage im Iran schwappte auch nach Berlin. Als im Juni 1981 Staatspräsident Abolhassan Banisadr abgesetzt und alle politische Opposition verboten wurde, „kam es auch in der TU zu Auseinandersetzungen mit Handgreiflichkeiten“, erzählt Nowzari. Das Studentenwerk habe die verfeindeten Gruppen fortan nur noch an verschiedenen Tagen in die Mensa gelassen.

Mit den beginnenden „schwarzen 80er Jahren“ der massiven politischen Verfolgung Andersdenkender und dem sich verschärfenden Iran-Irak-Krieg kamen immer mehr Iraner nach Deutschland – und viele über Berlin.

Eine wichtige Fluchtroute zwischen 1982 und 1988: mit der damaligen DDR-Fluglinie Interflug von Ankara oder Istanbul nach Schönefeld, dann per S-Bahn zum Grenzübergang Friedrichstraße. „Die DDR war sehr solidarisch, hat jeden durchgelassen, auch Leute ohne Papiere“, sagt Nowzari.

Auf der Westberliner Seite begrüßten er und andere Studenten Woche für Woche Dutzende Neuankömmlinge, brachten sie zur Registrierungsstelle für Asylbewerber in der Friedrichstraße 219 (ab 1986 am Friedrich-Krause-Ufer) und gaben ihnen erste Tipps.

Ein Großteil der Neuankömmlinge wurde über den „Königsteiner Schlüssel“ für Asylbewerber nach Westdeutschland verteilt. So gelangten 1984 rund 2.600 iranische Asylbewerber nach Deutschland, 1985 waren es 8.840, 1986 sogar 21.700. Die meisten mussten weiter nach Hamburg, wo heute die größte iranische Gemeinde in Deutschland existiert.

Aber auch in Berlin stieg die Zahl der iranischen Staatsbürger stetig weiter: 1984 waren es 3.800, 1985 schon 5.100, ein Jahr später 7.000.

Zahlen und DatenRund 7.600 iranische Staatsbürger leben in Berlin (Stand: Ende 2017), hinzu kommen (mindestens) 8.359 Deutsche mit iranischem Migrationshintergrund. Wie für alle Flüchtlinge ist es auch für Iraner zunehmend schwieriger, nach Deutschland zu kommen: 2016 gab es bundesweit 26.872 Asylanträge von Iranern, davon 1.247 in Berlin. 2018 waren es 11.100 (bundesweit) und 505 (Berlin).

Pro und contra Regime

Mehr Iraner als in Berlin leben in Hamburg (gut 20.000). Dort sitzt auch das (schiitische) Islamische Zentrum Hamburg, das als langer Arm Teherans gilt und die jährliche antisemitische Al-Quds-Demo in Berlin unterstützt. In der Hauptstadt gibt es dafür eine Vielzahl säkularer oder überkonfessioneller Gruppen, die seit Beginn der aktuellen Protestwelle im Iran wieder vermehrt gegen das Regime demonstrieren – allerdings meist getrennt. Zuletzt demonstrierte der links-demokratische Verein Iranischer Flüchtlinge am Montag vor Irans Botschaft mit 50 Menschen. (sum)

Allerdings stieß diese verstärkte iranische Einwanderung konservativen westdeutschen Politikern mit der Zeit sauer auf. „Eigentlich war es wie bei den Flüchtlingen von 2015/16 und der Debatte über offene Grenzen in Bayern: Die CDU machte Stimmung, wie das gehen solle mit so vielen Flüchtlingen, und drohte der DDR mit Geldentzug“, erzählt Nowzari. Ende 1987 wurde die Grenze dicht gemacht, erinnert er sich, Iraner ohne Visum in der Türkei wurden gar nicht mehr ins Flugzeug gelassen.

Eine Anlaufstelle

Auch Nasrin Bassiri, seit 1984 zurück in Berlin, nahm sich der frisch angekommenen Iraner an. Weil sie gut Deutsch sprach und sich auskannte in der Stadt, war sie viel gefragt als Begleiterin für Behörden- und Arztgänge. „Um mich zu entlasten, habe ich eine Broschüre geschrieben mit Adressen und Tipps, was ein iranischer Flüchtling wissen muss“, erzählt sie. Sie arbeitete in Flüchtlingsheimen, engagierte sich im Flüchtlingsrat.

1986 gründete sie mit Gleichgesinnten den Verein Iranischer Flüchtlinge. Bis heute ist er eine wichtige Anlaufstelle für Neuankömmlinge aus dem Iran, seit einigen Jahren zusätzlich zuständig für Afghanen. In den Räumen am Reuterplatz gibt es Deutschkurse und andere Integrationsangebote sowie Beratung in sozialen und asylrechtlichen Fragen. Der Verein macht regelmäßig Kulturveranstaltungen, etwa zum persischen Neujahrsfest Norouz, Öffentlichkeitsarbeit gegen Menschenrechtsverletzungen im Iran und organisiert Protestaktionen, etwa vor der iranischen Botschaft. Gleichzeitig versteht er sich seit je als Lobbyorganisation für mehr Flüchtlingsrechte.

Um die war es in den 80ern schlecht bestellt, erinnert sich Bassiri. „Flüchtlinge, die abgelehnt wurden, mussten manchmal sechs Jahre und länger im Heim leben, durften nicht arbeiten, nicht studieren, ihr Leben war ruiniert.“ Auch sei der Rassismus gegen Flüchtlinge damals viel stärker als heute gewesen, besonders nach der Wiedervereinigung 1990. „Im Sozialamt haben uns die Beamten geduzt.“ Heute sei ein solches Verhalten zumindest offiziell verpönt, „man ist sensibler geworden“, findet sie.

Zu dieser Entwicklung habe der Verein einiges beigetragen, sagt Nowzari, der seit 1991 aktiv mitarbeitet. „Dass Flüchtlinge Rechte haben, ein Teil der Gesellschaft werden sollen, Bargeld bekommen statt Chipkarten, eine Krankenversicherung, dass sie recht schnell eine Wohnung suchen dürfen – bei diesen Dingen war Berlin oft Vorreiter. Dazu haben wir vom Verein einen Teil beigetragen. Das macht mich schon stolz.“

Ein schwarzer Tag

„Wie viele wusste ich nicht genau, wohin es gehen sollte. Aber wir waren irgendwie links und haben tagaus, tagein demonstriertHamid Nowzari

Dann kam der Tag, den Berliner Iraner, zumindest die Oppositionellen unter ihnen, bis heute nicht vergessen haben: Am 17. September 1992 wurden im griechischen Restaurant Mykonos in der Prager Straße in Wilmersdorf vier kurdisch-iranische Politiker erschossen. Einer von ihnen, Nouri Dehkordi, war ein enger Freund Bassiris. Noch heute kommen ihr die Tränen, wenn sie erzählt, wie sie zusammen mit der Ehefrau den Leichnam identifizieren musste. „Ich konnte ihn gar nicht richtig ansehen.“

Der Prozess gegen die Mörder des „Mykonos-Attentats“ dauerte dreieinhalb Jahre und fand weltweit Beachtung. Denn die Bundesanwaltschaft als Anklägerin wies nach, dass hinter dem Organisator des Anschlags, dem Iraner Kazem Darabi, und seinen drei Helfern der iranische Geheimdienst stand. Das Urteil, verkündet im ­April 1997, löste ein politisches Erdbeben aus – erstmals wurde der iranische Staat als Mörder benannt. „Es folgten Monate der Eiszeit zwischen Europa und Iran“, erinnert sich Nowzari, der damals als Beobachter für den Verein keinen Prozesstag versäumte und der Community ausführlich berichtete. Immerhin: Danach hörten die Anschläge auf Exil-Iraner in Europa, die es immer wieder gegeben hatte, für einige Jahre auf. 2004 erreichten der Verein und Nowzari, dass am Ort des Attentats eine Gedenkplatte angebracht wurde.

Mitte der 90er Jahre eskalierte im Verein Iranischer Flüchtlinge ein schon länger schwelender Konflikt, der in gewisser Weise symptomatisch ist für die oft abgrundtiefe Zerstrittenheit, zu der oppositionelle Exil-Iraner bis heute neigen. Es ging um die Beurteilung der „Reform“-Kräfte um den späteren Präsidenten Mohammed Chatami – so erzählt es Nasrin Bassiri: „Er hat eine Öffnung und mehr Freiheiten versprochen, innerhalb der Grenzen, die ihm das System ließ. Ich selbst wollte natürlich radikalere Änderungen. Aber nur weil ich im Verein darauf hingewiesen habe, dass es diese Öffnung gibt, wurde mir in einer Versammlung vorgeworfen, ich arbeite mit der iranischen Regierung zusammen.“

Bei Hamid Nowzari klingt die Sache so: Man habe darum gestritten, „ob man diese so genannten Moderaten vom Ausland aus unterstützen soll. Die meisten im Verein fanden das politisch falsch, zumal es unsere politische Menschenrechtsarbeit weniger glaubwürdig gemacht hätte.“ Er wolle damit nicht sagen, dass Bassiri und ihre Leute „Unterstützer des Systems“ waren. „Aber sie wollten den Akzent in Bezug auf bestimmte Kreise im Iran verschieben.“

Am Ende verließ Bassiri mit einigen anderen den Verein. Politisch konzentrierte sie sich mehr auf ihre journalistische Arbeit, für den Spiegel etwa, aber vor allem beim Radiosender Multikulti, wo sie 15 Jahre lang, bis Ende 2008, das Persische Programm leitete. Sie berichtete über Studentenproteste im Iran, interviewte Regisseure, die zur Berlinale eingeladen wurden.

Doch auch diese Arbeit hätten ihr hiesige Iraner des öfteren vorgeworfen: sie sei zu radikal, sagten die einen, zu systemfreundlich, die anderen. Viele, meint sie, seien offenbar nur neidisch. „Ältere Iraner sind oft verbittert, weil sie nicht die Chance hatten, hier Fuß zu fassen als Intellektuelle oder Künstler.“ Und sich zum Beispiel als Taxifahrer über Wasser halten müssen. Gleichzeitig seien sie gedanklich nur mit dem Iran beschäftigt – das Hier und Jetzt in Berlin würden sie gar nicht wahrnehmen. „Das ist eine Schizophrenie“, sagt Bassiri.

Seit 28 Jahren Geschäftsführer des Vereins Iranischer Flüchtlinge: Hamid Nowzari Foto: Wolfgang Borrs

Neid und Rivalität

Für Nirumand ist der Hauptgrund für die Zerstrittenheit der Exil-Iraner die Enttäuschung über die gescheiterte Revolution, die bis heute nicht verwunden, geschweige aufgearbeitet sei. „Es gibt viele Schuldzuweisungen, viel Unausgesprochenes. So ist eine Zersplitterung eingetreten. Viele mussten unverrichteter Dinge fliehen. Die Enttäuschung und die Exil-Situation haben zu Neid und Rivalitäten geführt“, analysiert er.

So sind die Gegner des Regimes – in Berlin wie anderswo – in „Hunderte Gruppen“, so Nirumand, gespalten: in Monarchisten, die den Schah beziehungsweise seinen Sohn wiederhaben wollen, Kommunisten, Sozialisten, Liberale, Reformer… Nicht zu vergessen die für Außenstehende besonders dubios wirkenden Volksmudschahedin, die den politischen Islam mit Sozialismus verbinden wollen.

Immerhin, sagt Bassiri, scheinen jüngere Iraner anders zu sein – weniger ideologisch, unverkrampfter, durch soziale Medien und gute Englischkenntnisse international vernetzt. „Sie sind auch optimistischer, lebensfroh, das teile ich mit ihnen“, sagt sie. Andere wie Nowzari finden dagegen einen Großteil der jungen Generation zu unpolitisch, zu pragmatisch, auf Karriere bedacht.

Der 29-jährige Omid Rezaee glaubt, dass an beiden Positionen etwas dran ist. Rezaee, der in Berlin als freier Journalist arbeitet, wurde 2009 als in der „Grünen Bewegung“ aktiver Student in der Stadt Rasht verhaftet. 2011 wurde er zu zwei Jahren Haft verurteilt, konnte aber in den Nordirak fliehen.

Ältere Iraner sind oft verbittert, weil sie hier nicht Fuß fassten als Intellektuelle oder Künstler

Nasrin Bassiri

Mit einem Programm der Bundesregierung, die laut Rezaee rund 300 Aktivisten der Grünen Bewegung gezielt aus dem Irak und der Türkei nach Deutschland holte, kam er 2014 nach Berlin. Schon bevor er hier war, erzählt er beim Treffen im taz-Café, kannte er in der Stadt „mindestens 50 politische Freunde durch Facebook“. Einer von ihnen: Hamid Nowzari, der ihm half hierherzukommen.

„Das Netzwerk hat mir den Anfang hier viel leichter gemacht. Ich konnte bei Freunden übernachten, manche halfen bei der Wohnungs-, andere bei der Jobsuche. Keiner, der aus politischen Gründen nach Berlin kommt, fühlt sich hier allein.“ Bemerkenswert ist die Breite des Spektrums dieses Netzwerkes: „Kommunisten, Rechtsliberale, Linksradikale, Bahais – alles dabei“, sagt Rezaee. „Man kann die politischen Unterschiede außen vor lassen, weil wir wenige sind und uns helfen müssen.“

Nun hilft auch der Verein Iranischer Flüchtlinge Neuankommenden ohne Ansehen ihrer politischen Richtung, wenn es um Asyl, Jobcenter und andere soziale Fragen geht. Neu ist allerdings, dass Junge wie Rezaee auch Andersdenkende „politische Freunde“ nennen. „Die Alten sind ideologisch härter, wir sind da offener“, glaubt er.

Und noch eine große Veränderung zu früher gibt es: Die meisten Iraner, die in den letzten drei, vier Jahren nach Berlin kamen, sind, so sagen Nirumand, Nowzari und Rezaee übereinstimmend, „Nichtpolitische“. In Rezaees Worten: „Die meisten kommen heute aus wirtschaftlichen Gründen. Das ist die neue Mittelschicht, die Geld für die Reise hat, deren Kinder im Westen studieren und ein besseres Leben haben sollen.“

Letztlich immer wieder hier: Nasrin Bassiri, Journalistin und Frauenbeauftragte der Kunsthochschule Weißensee Foto: Amélie Losier

Zahlenmäßig viele sind das bis heute nicht: Im Zuge des großen Flüchtlingsjahres 2016 kamen auch 1.250 iranische Asylbewerber nach Berlin. Ein Jahr vorher waren es 600 und ein Jahr später nur noch 450.

Mit diesen Iranern können alte Regimegegner wie Nowzari wenig anfangen: „Sie denken zuerst an ihre Karriere und daran, ob politische Arbeit für sie Nachteile hat. Sie denken, dass sie in wenigen Jahren einen deutschen Pass haben werden und dann schön hin- und herfliegen können zwischen dem Iran und hier.“

Nowzari, Nirumand und Bassari können das bis heute nicht.

Susanne Memarnia ist Redakteurin der taz.Berlin. Ihren iranischen Nachnamen verdankt sie ihrem Mann.