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Regisseurin über Serie „Holocaust“„Es hat Verkrustungen aufgesprengt“

Vor 40 Jahren löste die Serie „Holocaust“ eine große Debatte aus. In ihrer neuen Doku zeichnet Alice Agneskirchner die Entstehung und die Reaktionen nach.

Sorgte vor 40 Jahren für eine große Debatte: die Serie „Holocaust“ Foto: wdr/degeto
Stefan Reinecke
Interview von Stefan Reinecke

taz am wochenende: Frau Agneskirchner, warum soll man die TV-Serie „Holocaust“ nach 40 Jahren noch mal anschauen?

Alice Agneskirchner: Weil die Serie noch immer frisch und eindringlich wirkt. Die Idee, die NS-Geschichte als doppeltes Familienporträt zu zeigen, funktioniert heute so gut wie damals. Der Regisseur Marvin Chomsky hat mir im Interview gesagt, dass er die Täter „normal zeigen wollte, nicht als intellektuell oder moralisch mangelhaft“. Und das gelingt der Serie. Die Täterfamilie wird nicht dämonisiert. Man versteht, dass der Nationalsozialismus für die Täter nicht böse, sondern etwas Selbstverständliches war. Sie erzeugt das Gefühl: Das hätte ich, das hätte mein Vater, mein Onkel auch sein können. Das gilt natürlich noch weit mehr für die jüdische Familie.

Erklärt das die enorme Wirkung, die „Holocaust“ 1979 in Deutschland hatte?

Im Kern ja. „Holocaust“ eröffnete die Möglichkeit, sich in beide Seiten einzufühlen. Das ist davor und auch danach keinem anderen Film so intensiv gelungen.

Aber hat der Mehrteiler die bundesdeutsche Erinnerung wirklich verändert? Oder ist das Legende?

Es hat Verkrustungen aufgesprengt. Viele Jüngere haben sich gefragt, wieso sie davon nichts oder nur wenig wussten und vor allem was ihre Eltern damals gemacht haben. Viele Ältere haben sich durchaus von der Figur des SS-Manns Erik Dorf angesprochen gefühlt, der in die SS eher hineinstolpert. Es gab rund tausend Briefe von Wehrmachtssoldaten an den WDR mit dem Tenor: Es gab die Massenerschießungen von jüdischen Zivilisten im Osten, die die Serie zeigt. Ich war selbst dabei. Dass eine Fernsehserie solche Bekenntnisse oder Beichten provoziert, ist ungewöhnlich. Die Identifikation mit der Familie Weiss hat bei manchen Fragen provoziert: Wo sind die jüdischen Nachbarn von damals geblieben? Wer ist damals in ihre Wohnungen gezogen? Wie geht es Juden heute in Deutschland? Diese Fragen erscheinen uns heute selbstverständlich. 1979 war das anders. Besonders vor dem Hintergrund, dass damals nur noch 26.000 Juden in Deutschland lebten.

In den USA hat der Überlebende Elie Wiesel 1978 die Serie in der New York Times scharf als triviale Seifenoper angegriffen. Zu Recht?

„Holocaust“ hat Elemente davon. Es ist als amerikanische TV-Serie produziert worden – die Werbepausen sind in den USA selbstverständlich. Und es war der Versuch, an den Erfolg von „Roots“ (eine Serie, die von der Unterdrückung einer afroamerikanischen Familie erzählt, Anm. d. R.) anzuknüpfen. Chomsky hatte sechs der zwölf Folgen inszeniert. Aber vor allem ist „Holocaust“ ein handwerklich gut gebautes Fernsehspiel. Es setzt nicht nur auf Gefühle, nicht auf überwältigende Bilder, sondern darauf, die Stationen und die Mechanismen der eskalierende Vernichtung zu veranschaulichen.

Im Interview: Alice Agneskirchner

1966 in München geboren, ist Dokumentarfilmregisseurin. Sie studierte Film in Babelsberg. Seit 1992 hat sie bei mehr als 20 Dokumentarfilmen und Dokumentationen Regie geführt. Ihr letzter Kinofilm war „Auf der Jagd: Wem gehört die Natur?“(2018).

Himmler und Heydrich, die NS-Führer, werden von britischen Schauspielern gespielt, die unteren SS-Ränge und auch Erik Dorf, die Hauptfigur, von US-Schauspielern. Warum?

„Holocaust“ wurde in erster Linie für den US-Markt produziert. Es gab offenbar die Überlegung, dass das US-Publikum in Wyoming und Wisconsin sich mit dem SS-Mann Dorf eher identifizieren würde, wenn er keinen distinguierten, britischen Akzent hat. Chomsky wollte auf keinen Fall das Nazi-Hollywood-Klischee – blond, böse, dumm – bedienen. Er wollte zeigen, dass die Mechanismen des Massenmordes überall möglich sind. Das war für das US-Fernsehen neu.

Die Macher der Serie, Autor, Regisseur, Produzenten, sind allesamt jüdische US-Amerikaner. Hat das in der deutschen Debatte 1978 eine Rolle gespielt?

Gar keine. Es gab Hunderte von Artikeln, dies wurde nur in einem Text in einer Regionalzeitung erwähnt. Offenbar war das tabuisiert.

Das ist bemerkenswert, weil die Debatte zwischen Elie Wiesel und Gerald Green, dem Autor des Buches, ein Streit zwischen jüdischen US-Bürgern war, ob und welche Bilder legitim sind, um den Judenmord zu zeigen. In der Bundesrepublik wurde die Deutung von Wiesel übernommen – triviales Fernsehen …

Die deutsche Presse schrieb Wiesels Position einfach ab, die die US-Korrespondentin der FAZ verbreitet hatte. Wiesel war als Überlebender des Judenmordes und Intellektueller ein Kronzeuge. Bemerkenswerterweise hatte damals kaum ein Deutscher die Serie gesehen. Sie war ja nur in den USA gelaufen. Aber Hollywood, die Judenvernichtung als TV-Serie – diese Assoziationskette reichte, um sich zu positionieren.

Chomsky hat spektakuläre Gewaltbilder bewusst gemieden, um das Normale zu betonen. Sie zitieren in Ihrem Film „Wie ‚Holocaust‘ ins Fernsehen kam“ die beiden brutalsten Szenen: eine Massenerschießung und den Gang in die Gaskammer. Warum?

"Holocaust" und Doku

Die Serie Vielleicht hat nichts in der deutschen TV-Geschichte so heftige Reaktionen provoziert wie die vierteilige TV-Serie „Holocaust“ von Marvin Chomsky aus dem Jahr 1978. Tausende Briefe und weinende AnruferInnen, der Bundestag debattierte darüber, ein Rechtsextremer und späterer NPD-Funktionär sprengte drei Sendemasten in die Luft, um die Ausstrahlung der zu der Serie produzierten Doku „Die Endlösung“ zu verhindern.

„Holocaust“, ab Mo., 7. 1., 22 Uhr, WDR und NDR

Die Doku Alice Agneskirchner zeichnet in dem 45-minütigen Feature „Wie Holocaust ins Fernsehen kam“ die damaligen Debatten nach und lässt die Macher und Schauspieler zu Wort kommen

„Wie ‚Holocaust‘ ins Fernsehen kam“, Mo., 14. 1. 22.10 Uhr, WDR, Mi., 16. 1., 22 Uhr, SWR und 23.45 Uhr, NDR

Weil diese beiden Szenen Kulminationspunkte sind. In der einen muss Erik Dorf, der Schreibtischtäter, selbst mit der Pistole Zivilisten hinrichten. Die andere Szene zeigt den Tod von der jüdischen Deutschen Bertha Weiß, gedreht in der Gaskammer in dem früheren KZ Mauthausen. Man muss dieses Ende zeigen, weil es unausweichlich war.

Ein roter Faden in Ihrem Film ist die Vermischung von Realem und Inszeniertem. Wir sehen Schauspieler, die 2018 die Drehorte von damals aufsuchen. Zu Beginn sagt Rosemarie Harris, die Bertha Weiß darstellt, dass sie beim Drehbuch weinen musste, und betont, wie nah ihr die Rolle war. Am Ende steht Hannah Lessing, die 1978 eine Jugendliche spielte, die in die Gaskammer geht, in der realen Gaskammer des KZ Mauthausen, dem damaligen Drehort, und beginnt zu weinen. So wird die Fiktion mit Gefühlen beglaubigt. Das ist nicht Kitsch?

Im Sinne von zu viel Gefühl?

Nein, als falsche Unmittelbarkeit. Und als Überschreibung des Realen durch die Inszenierung.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Ich glaube nicht. Lessing weint, weil sie sich daran erinnert, wie der Dreh auf sie als 14-Jährige wirkte. Sie wollte die Rolle damals unbedingt spielen, in Gedenken an ihre Großmutter, die in Auschwitz ermordet wurde. Diese Tränen zeigen die Überforderung der 14-Jährigen. Insgesamt spielen die Dreh­orte eine wichtige Rolle. Gedreht wurde in Österreich, weil das billiger war, als in Studios zu drehen. Aber die Produzenten, der Regisseur, die Schauspieler – niemand hatte damit gerechnet, dass es einen Unterschied machen würde, ob man in Kulissen dreht oder an authentischen Orten wie Mauthausen oder dem früheren Gestapo-Hauptquartier in Wien.

Inwiefern?

An authentischen Orten NS-Verbrechen darzustellen hatte Auswirkungen: David Warner, der Heydrich spielt, bekam am ganzen Körper Ekzeme und musste täglich am ganzen Körper einbandagiert werden, um die SS-Uniform zu tragen. Michael Moriarty, der Erik Dorf spielt, hatte dauerhaft Schlafstörungen und hat Nacht für Nacht Piano gespielt.

Das heißt?

Es ist auffällig, dass solche Störungen nur bei den Schauspielern auftraten, die Täter spielten. Das war kein Zufall.

Es gab also nicht nur die Überschreibung des Realen durch die Inszenierung, sondern auch eine Einschreibung des Realen in die Inszenierung?

Das war für viele aus dem Filmteam so, sie haben das Dargestellte bis heute in sich getragen.

Die letzte Szene Ihres Films zeigt Rosemarie Harris, die erzählt, dass sie nach „Holocaust“ jemand auf der Straße mit den Worten ansprach: „Frau Weiß, Sie leben ja.“ Warum ist das die Schlussszene?

Weil das eine treffende Schlusspointe ist, die die Verschränkungen von Inszenierung und Realität spiegelt.

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24 Kommentare

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  • 9G
    96177 (Profil gelöscht)

    Sie sind sicher darüber informiert, wieweit in dieser Zeit die statistische Erfassung fortgeschritten war, damit derartige Werkzeuge beim Morden hilfreich sein konnten, aber pockenverseuchte Decken wurden nachweislich nach dem Motto verteilt: Nur ein guter Indianer.... sie wissen schon. Es gibt sogar Bücher zum Thema, eines, das Sie mal zur Hand nehmen sollten, ist z.B. Karlheinz Deschner: Der Moloch. Wenn Sie die Toten der europäischen Kolonisierung nicht relativieren wollen, dann werfen Sie doch auch mal einen Blick in Galeano: Die offenen Adern Lateinamerikas. Empfehlenswert ist auch Hochschild: Schatten über dem Kongo. Vielleicht brechen dann ein paar Verkrustungen auf. Wäre Ihrem Weltbild zuträglich.

    • @96177 (Profil gelöscht):

      Sie haben eine Zahl in den Raum gestellt, "60 Millionen Indianer", Opfer eines "Völkermords", der von "der einzigen Weltmacht" begangen wurde. Ich nehme an, sie beziehen sich auf die Vereinigten Staaten. Bittet man Sie, diese Zahl zu erklären, weichen Sie mit dem Hinweis auf den unzureichenden Stand der "statistischen Erfassung" aus. Dann geht's um den halben Erdball: Lateinamerika, Kongo. Warum bleiben wir nicht erstmal bei der von Ihnen vorgebrachten konkreten Anschuldigung in Ihrem ersten Kommentar?



      In Ihrem neuen Kommentar würde mich interessieren, was es mit der Verteilung der pockenverseuchten Decken auf sich hatte. Wurden diese Taten von bösartigen Einzelpersonen verübt oder gab es Anweisungen von Regierungsseite, (wie die Deportationen in die Vernichtungslager in Nazideutschland, die zweifellos von ganz oben angeordnet waren.)

      • 9G
        96177 (Profil gelöscht)
        @Renate:

        Liebe Frau, Sie waren doch so flink im googlen, als es um Ihre Antwort ging. Begeben Sie sich auf eine Bildungsreise, Sie werden sich wundern, was Sie da alles finden. Anregungen von meiner Seite hat es gegeben. Für seinen Bildungsstand ist jeder selbst verantwortlich. Für Ihren also Sie.



        Selbstverständlich hat die fünfhundertjährige Katastrophe der europäischen Kolonisierung nicht nach den Methoden des Industriezeitalters stattgefunden - und sie dürfen es mir glauben, es gibt keine statistischen Grundlagen, alles Schätzungen. Erst mit Hilfe der geraubten Reichtümer, des Dreieckshandels, der Menschenschinderei und -schlächterei dieses Zeitalter war umgekehrt für Europa erst die Industrialisierung möglich.



        Kein einziges europäisches Land hat das Drama des Kolonialismus und die damit einhergehende Entmenschlichung wirklich aufgearbeitet. Der Holocaust steht in dieser europäischen Tradition. Was bei der Aufarbeitung des Holocausts erreicht wurde, kann man an der neuen österreichischen Regierung und dem Aufstieg der AfD sehen.

        • @96177 (Profil gelöscht):

          Es stellt sich heraus, dass Sie weiter nichts zu der von Ihnen in den Raum gestellten Zahl von "60 Millionen Indianern", Opfer eines von den USA verübten Völkermords, zu sagen haben. Worauf wollten Sie mit dieser offensichtlich frei erfundenen Zahl hinaus, im Zusammenhang mit dem Artikel über die Holocaust Serie? Wollten Sie am Ende mit der Erfindung dieser Zahl zu verstehen geben, dass die Amerikaner sich erstmal an die eigene Nase fassen sollten, bevor sie Nazideutschland mit Hinblick auf die Ermordung jüdischer Menschen an den Pranger stellen, da es mit 6 Millionen ermordeten Juden doch nur grad mal ein Zehntel der Opfer gab? Krasser und verlogener Versuch die Schuld abzuwälzen. Schämen Sie sich.

          • 9G
            96177 (Profil gelöscht)
            @Renate:

            allerdings sollten diese Herren der Welt mal vor ihrer eigenen Haustür kehren... Sie scheinen unter dem starren Blick zu leiden, der Vorläufer und Wiederholungstaten in der Geschichte erst möglich macht. Das ist kein Ruhmesblatt und es hilft dann auch nicht, andere aufzufordern sich zu schämen. Fangen Sie doch bei sich an.

            • @96177 (Profil gelöscht):

              Die Kombination rabiater Anti-Amerikanismus und Holocaustverharmlosung kennen wir schon von Gauland und anderen Nazis. Haben Sie noch was Neues zu bieten?

    • 9G
      96177 (Profil gelöscht)
      @96177 (Profil gelöscht):

      @ Renate

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...ich bin nicht der Meinung, dass durch diese Serie, bei der überwiegenden Mehrheit der Deutschen, irgendwelche "Verkrustungen aufgesprengt" wurden.



    Es wurde auch keine "große Debatte" geführt, im Gegensatz zur sog. Wehrmachtsausstellung, ein paar Jahre später.

  • Da fragt man sich, wie kann 40 Jahre später eine Serie wie "Unsere Mütter, unsere Väter" mit einer Szene anfangen,die gemütlichen Kneipenabend mit den uniformierten Ariern und dem offen jüdischen Freund zeigt.

    • 6G
      61321 (Profil gelöscht)
      @agerwiese:

      Der von Ihnen erwähnte Mehrteiler, samt seiner Beachtung die er fand, dazu noch die Auszeichnungen, ist vielleicht das schamvollste was je aus Deutschland an selig/unseliger Geschichts-Verkleisterung über diese Zeit in die Medienwelt gesetzt wurde. Ich war entsetzt, als ich es sah und ich war wütend, dass diesen historisierenden Schmarrn (nicht historischen) niemand verhindert hatte, der es hätte verhindern können

  • An "roots" kann ich mich erinnern. An "Holocaust" nicht. Aber ich kann mich erinnern an ein Gedicht, das auf mich eine ähnlich starke Wirkung hatte wie dieser Film auf Sie. Es heißt "Kinderschuhe aus Lublin" und ist von Johannes R. Becher. Nein, Täter kommen darin auch nicht vor. Nur "Henker", die angeblich "zittern vor dem Schuldbeweis".

  • Die unbeliebten Amis haben nicht nur den Krieg und die Hitlerei beendet, sondern auch das deutsche Volk mit einer demokratischen Verfassung bestraft.



    Als Zugabe haben sie dann auch noch den Begriff "Holocaust" in die deutsche Sprache eingeführt.



    Regt sich da kein Protest?

    • 9G
      96177 (Profil gelöscht)
      @C.O.Zwei:

      sagen wir mal so... nach der offiziellen Legendenbildung. Hauptsächliche Ursache für das Kriegsende war wohl der Kampf der Roten Armee, das und die 20 Millionen Kriegstoten der Russen kommen in Ihrer Legende nicht vor. Auch das es keine Auseinandersetzung der einzigen Weltmacht mit ihrer Vergangenheit gibt, der immerhin 60 Mio. Indianer zum Opfer gefallen sind, ist seltsam. Selbstverständlich kein Völkermord. Dafür Hollywood und die menschenmörderische hinterhältige Rothaut gegen den christlichen Siedler in bester Absicht. Und ganz sicher Voraussetzung für den amerikanischen Exzeptionalismus. Und jetzt.... Ihr Protest.

      • @96177 (Profil gelöscht):

        Darf man nach Ihrer Quelle für die Zahl 60 Millionen fragen? Da scheinen alle Menschen mitgezählt zu sein, die durch Europäer eingeschleppte Infektionskrankheiten umgekommen sind, nach Schätzungen etwa 90% der Opfer. Hinsichtlich der durch Gewalt umgekommenen Ureinwohner findet sich hier eine differenzierte Beschreibung, wo auch erklärt wird, warum der Begriff "Genozid" hier eher nicht passt:

        historynewsnetwork.org/article/7302

        Auf alle Fälle ist es ein völlig anderes Phänomen als der Mord an den Juden durch Nazideutschland, wo Stammbäume durchforstet wurden um zu entscheiden, ob jemand ermordet wird oder unter diesen und jenen Bedingungen weiterleben darf. Diese Relativierung, die Sie hier andeuten, ist komplett unerträglich.

        • 9G
          96177 (Profil gelöscht)
          @Renate:

          ah so, ich verstehe, wenn bestimmte Bedingungen nicht gegeben sind, entscheiden Sie, was erträglich ist.

      • @96177 (Profil gelöscht):

        "Auch das es keine Auseinandersetzung der einzigen Weltmacht mit ihrer Vergangenheit gibt, der immerhin 60 Mio. Indianer zum Opfer gefallen sind, ist seltsam."

        Mit Verlaub, aber das stimmt nicht. Der Umgang mit den heute lebenden Indianern ist zwar von Staat zu Staat unterschiedlich. Aber grundsätzlich lässt sich folgendes sagen: den Stämmen wird weitgehende Autonomie eingeräumt bei gleichzeitiger finanzieller Unterstützung für Schulen, Krankenhäuser u.ä. Außerdem gibt es Massnahmen, die aus europäischer Sicht skuril wirken. So erlauben einige Staaten den Indianern das Glücksspiel, das ansonsten verboten ist. Die Einnahmen dieser "Indianercasinos", die von allen, nicht nur den Indianern frequentiert werden kommen dem Stamm zu gute. Auch gibt es im ganzen Land verteilt indianische Museen, Bibliotheken und dergleichen, die sich intensiv mit der Vergangenheit beschäftigen, sowie zahlreiche Denkmäler.

        "Dafür Hollywood und die menschenmörderische hinterhältige Rothaut gegen den christlichen Siedler in bester Absicht."

        Diese Filme gibt es. Aber sie wurden nur bis ca. 1970 gedreht. Und auch damals gab es auch Filme, die ein differenziertes Bild zeichneten. Und Kevin Costner hat 1990 mit seinen "Der mit dem Wolf tanzt" den von ihnen zu recht kritisierten Filmen endgültig den Garaus gemacht.

        • 9G
          96177 (Profil gelöscht)
          @Der Mann, der unter einem Stein hervorkroch:

          mit Verlaub, aber von einer Aufarbeitung angesichts von 60 Millionen Toten kann ich da nicht erkennen.

          • @96177 (Profil gelöscht):

            Sie sollten entweder der Aufforderung folgen und Ihre Zahl erklären (Wie wurden hier "Tote" gezählt, meinen Sie Ermordete, meinen Sie durch die Ausführung von U.S. Gesetzen getöteter Menschen (Gesetz bitte nennen)). [...]

            Kommentar gekürzt. Bitte verzichten Sie auf persönliche Anfeindungen. Danke, die Moderation

  • 6G
    61321 (Profil gelöscht)

    Nach dem notorischen Gejammer in der eigenen Familie, was uns dieser Krieg alles gekostet hat (Opa in Russland gelitten, ein Teil der Familie ausgebombt, der andere Zweig komplett vertrieben), lehnte ich es in den Siebzigern als 14-Jähriger ab, mich mittels fiktiver Geschichten der Familie Weiss mit dem Thema zu beschäftigen und war vielmehr immer daran interessiert, den Biographien der tatsächlich von der Verfolgung und Ermordung Betroffenen (und auch der der Mörder) nachzuspüren. Schrecken mit Hilfe abgeschwächter künstlerische Mittel und Medien zu schildern - so kann Geschichte auf schonende und teilweise sogar unterhaltende Weise vermittelt werden. Wer sich dem Schrecken aber stellen möchte, lehnt solches unweigerlich ab, ob das jetzt die Story der Weissens ist, ein Spielberg-Produkt oder Benigni. Polanskis 'Pianist' wiederum schien mir, da biographisch und eng an Geschehnissen, ein zulässiger und gelungener Versuch der Erzählung

    • @61321 (Profil gelöscht):

      Könnte es sein, dass das „notorische[] Gejammer“, das Sie als 14-Jährigen so abstoßen hat, eine (nicht eben selbst-bewusste) Reaktion auf das Leid war, das Deutsche über die Welt gebracht haben zwischen 1933 und 1945?

      Dem Amerikaner Chromsky ist 1979 offenbar etwas gelungen, was bis heute den wenigsten Deutschen gelingt. Er hat sich frei gemacht von Emotionen, die man als Mitglied einer bestimmten Gruppe angeblich haben darf oder gar muss, auch wenn man gar nicht selber betroffen ist oder war von einem Geschehen.

      Der in New York geborene Chromsky war 1945 grade mal 16 Jahre alt. Er hat weder stellvertretend leiden wollen, noch hat er stellvertretend Scham empfinden oder Rache nehmen müssen. Ob es nun die „Gnade der späten (bzw. entfernten) Geburt“ war oder die (Nach-)Wirkungen des Hays Codes – offenbar hat Chromsky die Shoah (den Holocaust) eher seziert, als sie zu „dämonisieren“. Die Folgen dieser Entscheidung geben ihm immer noch recht.

      Die „Möglichkeit, sich in beide Seiten einzufühlen“, ist das Geheimnis der „Sprengkraft“ dieser Serie. Kein einziger Wehrmachtssoldat hätte sich dem WDR gegenüber als Mittäter geoutet, hätte die Serie alle Deutschen als Unmenschen dargestellt. Bedenken Sie: Das „Überwältigungsverbot“ hat gute Gründe. Wer sich „den Schrecken stellen“ möchte, der muss erst einmal eine Chance erkennen, gegen sie zu gewinnen.

      Wenn Sie mit 14 Jahren den Willen dazu hatten, macht Sie das noch nicht zum besseren Menschen. Sie waren schließlich nicht dabei. Sie hatten weder etwas zu entscheiden, noch haben Sie jemanden verloren. Anders als Sie, haben ihre Eltern tatsächlich versagt - persönlich und kollektiv. Und sie haben noch gelernt, dass Fehler Konsequenzen haben können. Auch tödliche.

      Ihre Eltern konnten nicht sagen: „Das hätte auch ich sein können“. Sie mussten sagen: „Das war ich“. Und zwar ausschließlich bezogen auf die Täter-Seite. Sie hatten es unendlich viel leichter als ihre Eltern. Das ist kein Grund zur Arroganz.

  • 9G
    91655 (Profil gelöscht)

    Ich (Jg. 1967) habe "Holocaust" 1979 mit meiner "Arbeiter-"Familie (Jg. 1936 und 1939) gesehen.

    Es kann gar nicht genug betont werden:

    Dieses Serie hat weiteste Teile der deutschen Öffentlichkeit mit den Mitteln der Kultur über die Shoah "aufgeklärt".

    Ich kann mich noch zu gut erinnern ... anders als vielleicht in einigen wenigen Familien war die Shoah kein ! Thema.

    Die Täter*innen fast alle freigsprochen, untergetaucht oder nach einem juristischen Klapps auf die Hand wieder "integriert".

    Wenige Jahre vorher die NPD-Wahlerfolge, die "nationalliberale" Nazis in der FDP, "Stahlhelm-Faschisten" in der CDU/CSU. Antisemiten in der "Linken", in der RAF usw. usf.

    Es gab bekanntlich immer und irgendwo mindestens einen "Onkel/Tante", der natürlich nicht über die verschwundenen Juden, sondern über den "Iwan", die Gefangenschaft, Flucht und Vertreibung, die Bomben auf deutsche Städte berichtete.

    Alles andere wurde bestenfalls beschwiegen.

    Und die Opfer?

    In Rauch aufgelöst.

    Den Macher*innen von "Holocaust" kann also gar nicht genug gedankt werden.

  • "In den USA hat der Überlebende Elie Wiesel 1978 die Serie in der New York Times scharf als triviale Seifenoper angegriffen." - Nur auf diesem Niveau (Seifenoper) war ein deutsches Publikum zehn Jahre nach 1968 überhaupt ansprechbar. Heute sind die Deutschen bekanntlich Demokratie-Weltmeister.

    • 8G
      88181 (Profil gelöscht)
      @C.O.Zwei:

      Seifenoper hin, Seifenoper her, für mich als Jugendlichen war die Serie schockierender und erhellender als alles, was es im Geschichtsunterricht zu hören gab.

      Und von den Erwachsenen war über diese Zeit so gut wie nichts zu hören. Das gesellschaftliche Klima in der Kleinstadt war in etwa so: Man munkelte, dieser wäre ein Kommunist, man munkelte, dieser wäre schwul.

      Dass der Nachbar bei der SS war, wussten sie alle, sagten es uns aber nicht. Als ich doch erfuhr, betrachtete ich diesen lebenden Beweis mit Neugier und Verachtung.

      Es gibt sie also, diese Mörder, sie wohnen direkt neben mir.

  • Ich kann mich erinnern, obschon es so lange her ist.



    Es war unsagbar entsetzlich mit anzusehen wie die jüdische Familie auseinandergerissen wurde.



    Ein Sohn, oder der einzige Sohn, konnte irgendwie fliehen und entkommen, die anderen wurden ermordet. Ich dachte und fühlte mit ihm und fragte mich was ist das für ein Leben in das er sich gerettet hatte.



    An die Täterfamilie erinnere ich mich nicht mehr. Zumindest die Erwachsenen der Täterfamilie hatte ich wohl innerlich total abgelehnt, weil sie mir als widerwärtige "Wegschauer"/"Mitläufer" erschienen.