Frauen im Politikjournalismus: Unter Anzugjungs
Der Politikjournalismus berichtet viel über Gleichberechtigung. Aber nur ein Drittel der Kolleginnen sind Frauen. Warum?
Quote war gestern, Parität ist der neue heiße Scheiß. In etwa diese Richtung geht auch die Denke der Kanzlerin. Quoten für Frauen seien wichtig gewesen, hat Angela Merkel Mitte November auf einer Festveranstaltung zur Einführung des Frauenwahlrechts vor auch gerade erst hundert Jahren erklärt. „Aber das Ziel muss Parität sein, Parität überall.“ Heute werde kein Mädchen mehr ausgelacht, wenn es Ministerin oder Bundeskanzlerin werden wolle. Allerdings „macht eine Schwalbe noch keinen Sommer“.
Drei Wochen später wählte sich Angela Merkels CDU eine neue Parteivorsitzende. Gelacht hat eher keiner, als Annegret Kramp-Karrenbauer mit 52 Prozent den Wettkampf mit Friedrich Merz verdammt knapp gewonnen hatte. Die Fernsehbilder von erschüttert dreinblickenden, überwiegend männlichen Delegierten wurden in den Hauptnachrichten gesendet.
Zur selben Zeit, am frühen Freitagabend, setzte die Spiegel-Journalistin Christiane Hoffmann einen Tweet ab: „Jetzt haben wir es wirklich geschafft: Eine Frau folgt auf eine Frau – zwei Schwalben machen einen Sommer“, schrieb die Vizechefin des Spiegel-Hauptstadtbüros. Ein schöner, ermutigender Tweet war das. Aber die Frage, die ich mir augenblicklich stellte, lautete: Wer ist „wir“? Wir Politikjournalistinnen jedenfalls könnten eher drei statt zwei Schwalben gebrauchen.
Eine Szene auf dem nämlichen CDU-Parteitag. Die Tür geht auf, dahinter: ein runder Besprechungstisch, die Szenerie beleuchtet von kalten Energiesparlampen. Die Kollegen, die ebenfalls zum Hintergrundgespräch mit dem Spitzenpolitiker eingeladen sind, sitzen bereits mit aufgeschlagenen Notizbüchern auf ihren Plätzen. Es kann losgehen. Doch dann fällt es selbst dem Gastgeber auf: Seine Sprecherin und die Frau Maier von der taz sind die einzigen Frauen im Raum. Der Politiker beugt sich nach vorn, schaut noch mal prüfend in die Runde. Tatsächlich: nur zwei Frauen unter vierzehn Männern. Na ja, kann man jetzt auch nix dran machen. Fangen wir an.
Auch wenn später noch zwei Frauen zu dem Termin hinzukommen werden: Dies ist die Normalität im deutschen Politikjournalismus. Wo immer ich hinkomme – ob Pressekonferenzen, Briefings, Reisen –, immer sind von den KollegInnen zwei Drittel Männer und ein Drittel Frauen. Ich weiß das, weil ich vor einiger Zeit zu zählen angefangen habe. Ich hatte mich irgendwann gefragt, ob ich womöglich eine gestörte Wahrnehmung habe, ob ich als Mitarbeiterin der schon immer und in allen Bereichen quotiert operierenden taz einfach nur unnötig pingelig bin. Aber meine Beobachtung stimmte. Zuverlässig sind wir Frauen in der Unterzahl. Zwei zu eins – darauf läuft es im Großen und Ganzen hinaus.
Es sind nette Kollegen, auf die ich in meinem Job treffe. Sie sind hilfsbereit und lustig und modern. Sie haben Töchter und Mütter und Partnerinnen, denen sie Parität, Gleichheit selbstverständlich zugestehen. Und gerade deshalb frage ich mich manchmal, ob ihnen dieses Ungleichgewicht in ihrem beruflichen Alltag nicht auch auffällt. Ist das nicht peinlich?
Manchmal lachen wir zusammen darüber, wenn in ihrem Medium schon wieder sämtliche Politik-Kommentare von Männern geschrieben wurden und sie einer eben dieser Männer mit Meinung sind. Aber was, frage ich mich dann im Stillen, was verdammt sollen sie denn erwidern? Sie sind nun einmal Männer. Und vor allem sind sie schließlich gute Journalisten.
Aber viele von ihnen, faktisch die meisten, sind eben auch Chefs. Sie haben damit Einfluss auf Stellenbesetzungen, haben Ressort- und Etathoheit und damit ein gewichtiges Wort mitzureden, wenn es um die Frage „Frau oder Mann?“ geht. Warum nutzen sie dann also diese Macht nicht so, dass auch die andere Hälfte der Menschheit über die ganze Menschheit berichten kann? Warum stockt die Entwicklung bei diesem magischen Drittel?
„Die sind jetzt ausreichend vertreten“
Ich rufe Elizabeth Prommer an. Die Medienforscherin an der Universität Rostock hat im Auftrag von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) die Sichtbarkeit von Frauen in Film und Fernsehen untersucht. Im Grunde, sagt Prommer, bildeten die Medien die vorgefundene Realität ab. Wenn also im Deutschen Bundestag nur 30 Prozent Frauen sitzen – was, nebenbei bemerkt, genauso viele sind wie im Parlament des Sudan –, dann bilden unter den JournalistInnen auch nur 30 Prozent Frauen deren Wirken ab.
Das Bemerkenswerte: Sobald ihr Anteil in etwa ein Drittel ausmacht, haben Frauen eine gewisse Sichtbarkeit erreicht. Dies aber führt seltsamerweise nicht dazu, dass nun folgerichtig das Projekt Hälfte-Hälfte angegangen wird. Im Gegenteil: „Ab einem Drittel stellt sich das Gefühl ein: Die sind jetzt ausreichend vertreten“, hat Professorin Prommer ermittelt. Den EntscheiderInnen in den Verlagen und Redaktionen fällt ab dieser kritischen Masse gar nicht mehr auf, dass es noch immer ungleich zugeht. Allein das Gefühl „Wir haben doch jetzt Frauen“ erscheint ihnen ausreichend.
An der Qualifikation der Kolleginnen liegt es jedenfalls schon mal nicht, sagt Prommer. An Journalistenschulen würden gleich viele Männer und Frauen ausgebildet. „Im Prinzip gibt es also ausreichend Frauen im Politikjournalismus. Aber je höher es in der Redaktionshierarchie geht, desto mehr brechen die dann wieder weg.“ Dabei gebe es keine Hinweise darauf, dass es die Frauen am Anfang ihrer Journalistinnenkarriere weniger ins News-Geschäft ziehe. Das Ganze habe eher etwas mit Stereotypen zu tun: Kann die überhaupt richtig führen? Kann die ausdauernd, auch lang nach Feierabend, vor Orten der Macht herumlungern, um im entscheidenden Moment präsent zu sein? Kann die schweigen? Wäre die nicht glücklicher im Gesundheits-Ressort?
Geschlossene Gesellschaft bei den Jungs
Und irgendwann heißt es dann, wenn auch meist hinter vorgehaltener Hand: Was macht die noch hier mit Mitte dreißig, will die keine Kinder? Und wenn sie Kinder hat: Warum kümmert sie sich nicht „richtig“ um die?
Das Ganze ist umso unerklärlicher, als der Beruf der Journalistin nicht mit dem des Eisenflechters oder Sprengmeisters zu vergleichen ist. Wir schlafen mitunter schlecht, auch mal viel zu wenig. Wir müssen uns konzentrieren können, geduldig und ungeduldig zugleich sein. Wir müssen quasseln und schreiben können. Aber dass dieser Beruf Frauen weniger zuträglich sein soll als Männern wäre wirklich neu.
„Der Peter sucht den Peter“, umreißt Elizabeth Prommer dieses alte und ja auch schon ermüdend oft erklärte Prinzip. Und die Petra? Augenscheinlich sucht sie spiegelbildlich eine Petra.
Beim Parteitag konnte man auch das sehr gut beobachten. Groß gewachsene Redakteure, die Arme vor der Jackettbrust gekreuzt, umringten Jens Spahn, während wir Frauen wenige Meter weiter Julia Klöckner belagerten. Der Unterschied: Schon körpersprachlich hätte unsere locker beieinander stehende Gruppe noch Mitglieder aufnehmen können. Bei den Jungs war hingegen geschlossene Gesellschaft. Da geht man nicht hin, tippt dem Kollegen auf die Schulter und fragt, ob man mitspielen darf. Stattdessen hält man Ausschau nach einer Petra, mit der man sich zusammen tun kann. Und ganz ehrlich, mit Petra kann es ziemlich witzig sein. Witziger zumindest, als es der Blick auf die eifrig nickenden Anzugjungs nahezulegen scheint. Trotzdem bleibt da dieses Gefühl der Unterlegenheit, der Ausgeschlossenheit, mithin der Minderleistung gegenüber den emsigen männlichen Netzwerkern.
Im Verein der Bundespressekonferenz, dem sich selbst organisierenden Verein der HauptstadtjournalistInnen, darf nur Mitglied werden, wer hauptberuflich aus Berlin über Regierungspolitik berichtet. Ich bin nicht nur für die taz Mitglied in diesem Verein, sondern seit einigen Jahren auch im ehrenamtlich arbeitenden Vorstand. Aktuell sind wir 903 Mitglieder. Die 272 Frauen unter uns entsprechen mit 30,1 Prozent exakt dem Anteil der weiblichen Bundestagsabgeordneten, über den die Medienwissenschaftlerin Elizabeth Prommer gesprochen hat: Die Medien bilden eben die vorgefundene Realität ab. Und das ist sie nun mal, die Realität im Politikjournalismus.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
„Ich glaube, dass der Frauenanteil in unseren Parlamenten eine elementare Frage unserer Demokratie betrifft“, hat Angela Merkel bei jenem Festakt zum hundertsten Jahrestag des Frauenwahlrechts gesagt. Ich möchte ergänzen: Auch der Frauenanteil in den Medien stellt eine solch elementare Frage dar. Dazu würde gehören, anzuerkennen, dass der mittlerweile erreichte Anteil an Politikjournalistinnen keinesfalls schon zufriedenstellend sein kann. Denn wenn die Medien die Realität abbilden, muss diese Realität gestaltet werden. Auch von Frauen.
Man könnte auch sagen: Es geht aufwärts
Die vor fünfeinhalb Jahren viel zu früh verstorbene Hauptstadt-Journalistin Tissy Bruns war zwischen 1999 und 2003 nicht nur die erste Frau im Amt der Vorsitzenden der Bundespressekonferenz. Sie war auch die erste Vorsitzende, die die Idee hatte, die Mitgliederkartei nach Frauen und Männern zu ordnen. Okay, Bruns war in den 90er Jahren eine Zeit lang Parlamentsredakteurin der taz in Bonn gewesen, sie hatte selbst erfahren, dass es auch anders gehen könnte. Aber es scheint heute, da es ein Sensorium dafür gibt, ob Frauen als Autorinnen, Protagonistinnen, Berichterstatterinnen und Expertinnen in den Medien auftauchen, fast absurd, wie lange es bis dahin gedauert hat. Als die Mitglieder Bruns zu ihrer Vorsitzenden wählten, gab es die Bundespressekonferenz immerhin schon fünf Jahrzehnte.
So gesehen könnte man also auch sagen: Es geht aufwärts. Eben noch waren Frauen im bundesdeutschen Politikjournalismus gar nicht vorgesehen. Dann zerrieb sich die Branche viele Jahre lang in quälenden Quotendebatten. Und mittlerweile? Fordert die Kanzlerin Parität. Gleichheit. Niemand wagt es mehr so recht, sich als Bedenkenträger aufzuspielen, wenn es um mehr Frauen in den Redaktionen geht. Das könnte schließlich dem Produkt schaden. Um noch einmal die Kanzlerin zu zitieren: „Aus der Tatsache, dass es mich gibt, da darf kein Alibi draus werden.“
Ich sag’s mal so: Das eine Drittel Frauen im Politikjournalismus wäre ein ganz, ganz schlechtes Alibi.
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