6 Monate Datenschutzgrundverordnung: Bürokratie und Bürgerrechte
Die neue EU-Datenschutzrichtlinine gilt seit einem halben Jahr. Unter Bloggern herrschte anfangs Panik, Datenschützer jubelten. Und heute?
Die Fotografin
Gerade arbeite ich an einem Buchprojekt zu Kunst im öffentlichen Raum. Gerne hätte ich das mehr mit Straßenszenen verbunden, nach skurrilen, einzigartigen Momenten gesucht. Doch da ist der Verlag jetzt ganz scheu. Selbst wenn Menschen nur am Rand stehen und nicht einmal richtig zu erkennen sind, also Motive, die früher problemlos gedruckt wurden – nun, mit der Datenschutzgrundverordnung nicht mehr.
Dabei ist es nicht einmal verboten. Der Gesetzgeber hat nur einfach gesagt, wir regeln das nicht, sollen das doch die Gerichte übernehmen. Und nun will niemand vor Gericht gezerrt werden und deshalb fliegen im Zweifelsfall eben Fotos raus. Street-Fotografie ist damit eigentlich nicht mehr möglich. Wenn Menschen im Zentrum des Bildes stehen, habe ich die Abgebildeten natürlich auch schon vor den neuen Regeln gefragt.
Aber wenn man im großen Raum arbeitet, egal ob es um Landschaften geht oder um Szenen in der Stadt und da sind Menschen quasi nur eingebettet – da kann man nicht jeden nach dem Einverständnis fragen. Dass solche Bilder nun nicht mehr gewollt sind, ist unheimlich schade, denn da geht ganz viel verloren, ganze Stimmungen, die diese Bilder ausdrücken.
Und das sind nur die Probleme, die meine fotografische, kreative Arbeit betreffen. Dazu kommt, dass ich mich nun um einen Haufen Bürokratie kümmern muss. Ich habe mich weitergebildet, meine Website musste umgebaut werden, einige Fotos habe ich vorsorglich rausgenommen. Und haufenweise ungeklärte Fragen, zum Beispiel: Darf ich Bilder noch per Mail an den Kunden schicken, wenn die nicht verschlüsselt ist? Wie lange darf ich Fotos archivieren? Die Tendenz unter Kollegen geht daher zunehmend dahin, einzelne Tätigkeiten auszulagern. Allein ist es praktisch nicht mehr möglich, das Ganze zu stemmen.
Sabine Jakobs ist selbständige Fotografin und arbeitet zu den Schwerpunkten Mensch, Porträt und Reportage
***
Die Aktivistin
Google, Instagram, WhatsApp und Facebook waren unsere ersten Ziele – direkt am 25. Mai um Mitternacht haben wir Beschwerden gegen die Unternehmen bei den Datenschutzbehörden eingereicht. Die Behörden lassen sich jetzt erst mal Zeit. Zwar müssen sie innerhalb von drei Monaten reagieren – bislang sind das aber quasi nur Eingangsbestätigungen gewesen und die Beschwerden gegen Facebook und WhatsApp wurden an die irische Datenschutzbeauftragte weitergeleitet.
Ich glaube, dass sich die Situation für Nutzer mit den neuen Regeln verbessert hat – aber das kommt erst langsam bei den Leuten an. Es braucht eben seine Zeit, das zu verinnerlichen: Nein, es muss nicht der Normalzustand sein, dass große Unternehmen alles mit den Daten machen, was sie wollen. Ja, man kann sich dagegen wehren. Aber ich habe den Eindruck, dass das Bewusstsein und damit auch das Selbstbewusstsein der Verbraucher nach und nach wächst und das ist gut.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Viele Hinweise auf Probleme bekommen wir von Mitgliedern und Kunden der Dienste. Auch ein paar Whistleblower haben sich schon an uns gewandt. Eines unserer Ziele für 2019 ist, eine Plattform aufzubauen, über die Whistleblower uns Hinweise geben können.
Wir haben auch schon die nächsten Unternehmen im Visier. Es wird wieder große Player treffen. Das ist uns wichtig: Wir wollen nicht die Kleinen und die Mittelständler treffen, sondern die Großen. Die sich bislang ihren rechtsfreien Raum einfach selber geschaffen haben. Ganz am Anfang rechnen wir jetzt noch nicht mit Höchststrafen. Aber wenn es gut läuft, müssen die Firmen so viel zahlen, dass es ihnen wehtut. Dass es sie zum Umdenken bewegt und Nachahmer abschreckt.
Monika Riegler ist Mitarbeiterin des Vereins noyb – none of your business. Der von dem Juristen und Datenschützer Max Schrems gegründete Verein vertritt die Interessen von Nutzern
***
Die Bloggerin
Vor einem halben Jahr war ich drauf und dran, meinen Blog einzustellen. Einfach aus Angst vor Abmahnungen durch die neuen Regeln, da steht man ja als Bloggerin schnell im Fokus. Es war das Tagesgespräch in der Bloggerszene. Alle haben überlegt: selber umbauen, Geld für professionelle Beratung bezahlen, Blog einstellen?
Ich hatte eigentlich schon im vergangenen Jahr davon erfahren, dass sich einiges ändert. Aber da dachte ich – wie wohl viele andere auch –, ich hab ja noch Zeit. Ich habe ehrlich gesagt auch damit gerechnet, dass die Blog-Plattformen wie Wordpress noch vor dem Termin die Neuerungen umsetzen werden. Von wegen. Eigentlich ist es bei keinem Blog nötig, dass Cookies gesetzt werden, die die Nutzer verfolgen. Machen aber trotzdem praktisch alle. Doch weil ich weder gute technische Kenntnisse noch viel Geld habe, war für mich klar: Blog einstellen. Dabei muss ich ganz klar sagen: Ich habe kein Problem mit den neuen Regeln, die sind sicher sinnvoll. Aber ich habe ein großes Problem damit, dass Abmahnanwälte so etwas ausnutzen, nur um Geld zu verdienen.
Doch dann habe ich auf Twitter eine junge Person kennengelernt. Sie hat mich angeschrieben und mir gesagt: „Ich bin trans*. Und ich habe meiner Mutter gesagt, sie soll deinen Blog lesen und seitdem versteht sie mich.“ Meine Frau hat dann gesagt: Wir machen das jetzt einfach. Wir kratzen das Geld zusammen und probieren es. Ich habe also Geld in eine Beratung für eine neue Datenschutzerklärung gesteckt und in die technische Überarbeitung des Blogs.
Mittlerweile ist meine Angst vor Abmahnungen zurückgegangen. Erstens, weil ich weiß, dass viele Abmahnungen ungerechtfertigt sind. Und zweitens, weil ich eine große Community habe, die hinter mir steht. Das gibt mir Sicherheit.
Nina Jaros bloggt auf fraupapa.com über Gleichberechtigung, Familienalltag und Transsexualität
***
Der Datenschützer
Diese Woche haben wir unser erstes Bußgeld im Rahmen der Datenschutzgrundverordnung verhängt: 20.000 Euro für einen Social-Media-Dienst. Der hatte die Passwörter seiner Kunden im Klartext gespeichert. Das geht natürlich gar nicht. Hackern war es dann gelungen, an die Daten von 330.000 Nutzern zu kommen. Die verhältnismäßig geringe Höhe des Bußgelds liegt daran, dass das Unternehmen sich vorbildlich verhalten hat. Es hat direkt seine Nutzer informiert und sich an uns gewandt.
Auch wenn es nicht immer so vorbildlich läuft – die meisten Unternehmen reagieren erstaunlich kooperativ, wenn wir auf sie zukommen und sehen ein: Ja, wir haben da einen Fehler gemacht. Das ist gut für das Unternehmen, denn dann gibt es zwar ein Bußgeld in Denkzettel-Höhe, aber nicht das ganz große Bußgeld, das ein Unternehmen umwerfen könnte. Und es ist gut für uns, denn dann müssen wir nicht in ein langwieriges Gerichtsverfahren gehen. Dabei gibt es keinen Zweifel: Die wirklich krassen Bußgeld-Rahmen, die gehen ja bis 20 Millionen Euro, zeigen Wirkung. Viele Unternehmen, die bislang eher auf Lücke gesetzt haben, kümmern sich jetzt.
Für uns bedeuten die neuen Regeln natürlich mehr Arbeit, wir haben gerade ganz schön Land unter. Das liegt vor allem daran, dass wir derzeit überschwemmt werden mit Beschwerden. Und wir müssen bei jeder Beschwerde dafür sorgen, dass der Fall aufgeklärt wird, da hat der Bürger ein Recht drauf. Aber auch wenn viele über die neuen Regeln klagen: Die Datenschutzgrundverordnung ist eine einzigartige Chance. Wir zeigen, dass wir in Europa wirtschaftliche und bürgerrechtliche Aspekte zusammendenken. Das lernen auch die US-amerikanischen Mitbewerber gerade. Alleine dass Datenschutz dort mittlerweile ein Thema ist – das ist ein erster Erfolg.
Stefan Brink ist Landesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit in Baden-Württemberg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen