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Skripal-Anschlag in SalisburyEin Verdächtiger enttarnt

Britische Rechercheteams identifizieren einen der Russen, die den Skripal-Anschlag verübt haben sollen, als Oberst des Geheimdienstes.

Wer sind diese Männer? Ruslan Boschirow (l.) soll in Wahrheit Anatoli Tschepiga heißen Foto: dpa

Berlin taz | Einer der beiden mutmaßlichen Täter des Nervengiftanschlags auf den russischen Exagenten Sergej Skripal und seine Tochter Julia im englischen Salisbury im März war ein hochdekorierter Oberst des russischen Militärgeheimdienstes GRU.

Dies berichteten am Donnerstag übereinstimmend britische Medien unter Berufung auf wochenlange Arbeit journalistischer Rechercheteams in Großbritannien und Russland. Russlands Außenministerium in Moskau wies die Enthüllungen als „Ablenkungsmanöver“ zurück.

Derjenige, der als Ruslan Boschirow reiste, war den Berichten zufolge tatsächlich GRU-Oberst Anatoli Tschepiga, ein ehemaliger Angehöriger der russischen Spezialkräfte mit Einsätzen in Tschetschenien und der Ukraine. Er sei Träger einer von Präsident Wladimir Putin überreichten Medaille für Verdienste in „Friedenssicherung“. Das Rechercheteam „Bellingcat“ hatte zuvor mit russischer Unterstützung herausgefunden, dass die Pässe der beiden Russen fast zeitgleich von einer für Geheimnisträger zuständigen Behörde ausgestellt wurden.

Die britischen Behörden hatten am 5. September erklärt, dass laut ihren Ermittlungen zwei als Ruslan Boschirow und Alexander Petrow eingereiste Russen am 3. und 4. März Salisbury besuchten und am zweiten Tag den Türgriff von Skripals Haus mit Nervengift beschmierten. Videoüberwachung wies ihre Bewegungen nach.

Premierministerin Theresa May bezeichnete die beiden als GRU-Mitarbeiter. Putin wies dies eine Woche später zurück. Einen Tag später bestätigten die beiden im russischen TV-Sender Russia Today, an den fraglichen Tagen Salisbury besucht zu haben – als Handelsreisende auf Urlaub. „Kniehoher“ Schnee habe sie am ersten Tag zur Rückfahrt nach London gezwungen; am nächsten Tag seien sie wiedergekommen.

Das verdruckste Interview, bei dem beide angespannt wirkten, gilt als unglaubwürdig. Es fiel damals nur wenig Schnee in Salisbury. Die beiden bestätigten, Skripals Straße in einem Wohnviertel fernab jeder Touristenroute besucht zu haben – hätten sie aber nicht gekannt. Der Frage, ob sie GRU-Mitarbeiter seien, wichen sie aus.

Die Skripals überlebten, aber Reste des verwendeten Nervengifts wurden in Salisbury weggeworfen und später von einem Pärchen gefunden, das sie für Parfüm hielt. Die Frau ist inzwischen gestorben, der Mann erblindet.

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7 Kommentare

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  • Hier der Link zur Veröffentlichung von Bellingcat.



    www.bellingcat.com...-anatoliy-chepiga/



    Schon der oberflächliche Blick auf die beiden Passfotos, die als Beweis präsentiert werden, wirft Zweifel auf (Ohrläppchen, Proportionen Höhe/Breite).



    Wenn die Autoren sich ihrer Sache sicher gewesen wären, hätten sie die beiden Photos doch durch ein Profi-Gesichtserkennungsprogramm laufen lassen können.

  • Also wäre James Bond da gewesen, gäbe es keine Probleme mit der Identifizierung. Vielleicht finden wir ja ein Quantum Trost wenn der Himmel einstürzt. Etwas spooky ist die Geschichte schon, als würden Gespenster herumgehen. Jeder Agent müsste ein deutliches Schild tragen:"Ich bin ein Spion", so eine Art Akkreditierung. Nur mit Lizenz darf man nichts Gutes tun, bis es dann heißt "mischief managed".

  • Fass ich es. Der Autor hält es nicht mal für nötig zu erwähnen, dass auch dieses "journalistische Rechercheteam" wieder bellingcat ist. Von denen gab es schon halbseidene Rechercheergebnisse. Nicht, dass ich es dem GRU nicht zutrauen würde. Aber wenn sich ein höchtsdekorierter Geheimdienstoffizier so doof anstellt, dann muss sich niemand fürchten.

    • @Carl Müller:

      Ach, ich fand die Rechercheergebnisse damals gar nicht so halbseiden. Glaub eher die Relativierer und Abwiegler im Auftrag des Kreml sind mal wieder unterwegs.

      • @ingrid werner:

        siehe z.B.: www.spiegel.de/pol...rei-a-1036874.html



        Ansonsten hat mir mein Beitrag schon wieder ordentlich Geld aus Moskau in die Kasse gespült.

        • @Carl Müller:

          Es ging aber bei bellingcat nichts nur um Sattelitenaufnahmen, es wurden noch ein paar mehr Daten und Aufnahmen direkt von der Erde dazu genommen, aber auch die Sattelitenaufnahmen waren häufig recht eindeutig, wenn Sie sich z.B. an die Artillerieeinschlagskrater auf ostukrain. Feldern erinnern, anhand derer die Abschussrichtung und -punkt berechnet wurde, und auf russischer Seite fanden sich dann auch Spuren von Artilleriegeschützen inkl. Rückstoßspuren, dann waren da noch die Urlaubenden Soldaten, von denen manche in Zinksärgen zurückkehrten, deutlich mehr also als nur interpretationsabhängige Ölflecken, Wolken und Schatten auf Sattelitenaufnahmen. Es kann gar kein Zweifel daran geben, dass Moskau, den Krieg in der Ukraine angezettelt und geführt hat ( nicht nur die vom Himmel gefallenen Rebellen "unterstützt" hat.) Putins Regierung ist alle Erfahrungen seit Beginn, 2.Tschetschenienkrieg bis zur Unterstützung des Massenmörders Assad, ein kriminelles Regime. Anschmieren muss ihn niemand... Dass es Wissenschaftler gibt, die irgendetwas bezweifeln, ist prinzipiell gut, aber hier reicht es als Argument zur Widerlegung von Bellingcat nicht ansatzweise aus, selbst wenn die mglw gefällschten oder nicht gefälschten Aufnahmen des russischen Militärs als Beleg ausfallen. Es finden sich immer ein paar zweifelnde Wissenschaftler, für alles: Klimawandel, Schädlichkeit von Glyphosat, obwohl es bei diesen Fällen, müssen Sie zugeben, schon eindeutig in Richtung Korruption geht- "wes Brot ich ess, des Lied ich sing", würde mich nicht wundern wenn es bei ein paar "Wissenschaftlern" sich ebenso verhält, die hin und wieder Putin zu Hilfe eilen, wenn ich z.B. an Krone- Schmalz denke oder den ominösen hamburger Professor, der bescheinigt, dass es sich bei der Annexion der Krim um keine solche gehandelt habe, obwohl jeder Laie sehen konnte, dass es sich, schon allein aufgrund des Tempos mit dem alles vonstatten ging, dabei nur um eine Inszenierung, einen Betrug handeln konnte.

    • @Carl Müller:

      So klingt es aber doch viel gewichtiger. Besonders weil B eigentlich nur ein paar Behauptungen aufgestellt hat...