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Museumskurator zu Kolumbiens Frieden„Waffen niederlegen reicht nicht“

Trauma und Salsa: Alejandro Martín ist Kurator in Cali, Kolumbiens drittgrößter Stadt. Ein Gespräch über das Erinnerungsprojekt „La carretera al mar“.

Straßenbesetzung in Buenaventura: 2017 gab es hier einen dreiwöchigen Generalstreik Foto: Ricardo Delgado

taz: Herr Martín, es macht den Eindruck, dass das Museum La Tertulia regelmäßig mit den ärmeren Gemeinden in Cali kooperiert.

Alejandro Martín: Zunächst einmal sind wir ein in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegründetes Museum, das vor allem moderne kolumbianische und lateinamerikanische Kunst präsentiert. Aber es stimmt, dass wir die Bewohner der Stadt oft miteinbeziehen. Eine aktuelle Ausstellung zeigt etwa Fundstücke des Museo Popular zur Geschichte von Siloé, eines der stigmatisiertesten Viertel von Cali. Wir laden auch Schulklassen aus ärmeren Nachbarschaften zu uns ins Museum ein.

Zusammen mit dem Goethe-Institut haben Sie die Projektwoche „La carretera al mar“ („Die Straße zum Meer“) ausgerichtet. Dazu gehört eine Ausstellung, in der es um die Zukunft der Erinnerung geht – angesichts von Gewalterfahrungen auf dem ganzen Kontinent. Auch da kommen viele Betroffene zu Wort.

Am interessantesten an dem Projekt finde ich, dass es international und fächerübergreifend angelegt ist. Künstler treffen auf Aktivisten, Anthropologen auf Zeitzeugen, immer wieder kommt die Zivilbevölkerung zu Wort. Man muss das Ganze im Kontext mit dem Friedensabkommen sehen: Dort, wo sich die Farc-Guerilla zurückgezogen hat, sind zum Teil rechtsfreie Räume entstanden und Aktivisten, die sich vor Ort für die Umwelt, für Menschen- oder Landrechtsfragen engagieren, werden zunehmend bedroht, viele sogar ermordet.

Die Gewalt gegen Aktivisten hat zugenommen?

Ja. Und dieses zielgerichtete Morden durch paramilitärische Banden ist besorgniserregend. Letztlich beruht auch diese besondere Form der Gewalt auf der strukturellen Ungleichheit in Kolumbien. Wir haben es mit einem doppelten Kampf zu tun: Um die Gewalt zu überwinden, reicht es nicht, die Waffen niederzulegen. Es müssen auch die historischen Ungerechtigkeiten und sozialen Ungleichheiten überwunden werden, die seit der Sklaverei bestehen.

Immerhin regt sich Widerstand gegen die Verhältnisse. In der Hafenstadt Buenaventura gab es 2017 zum Beispiel einen dreiwöchigen Generalstreik, den mehrere Videoarbeiten in der Ausstellung aufgreifen.

In Cali wie in seiner Nachbarstadt Buenaventura am Pazifik ist ein großer Teil der ärmeren Bevölkerung dunkelhäutig. Die in den letzten Jahren ausgebaute Verbindungsstraße zwischen Cali und Buenaventura, die titelgebende „Straße zum Meer“, war immer auch ein Versprechen auf Wohlstand und Fortschritt. Doch vielen hat sie gar nichts gebracht. Der Containerhafen von Buenaventura prosperiert, drumherum leben die meisten aber weiterhin in Armut.

Als Besucher bin ich aber zumindest von Cali positiv überrascht: Die Stadt ist relativ grün, die Menschen sind ausgesprochen freundlich.

Alejandro Martín

Alejandro Martín ist 1975 in Bogotá geboren und in Cali aufgewachsen. Nach dem Studium in Bogotá und Spanien kehrte der Mathematiker und Philosoph 2014 als Kurator des Museums La Tertulia zurück nach Cali.

Das ist das Doppelgesicht Calis: Es scheint ruhig, ist es aber nicht. Für mich ist Cali trotz ihrer liebenswerten Seiten eine Stadt mit einer dunklen Energie und einem schweren Trauma. Das Kokaingeschäft hat die Stadt korrumpiert, weil es so lange die ganze Wirtschaft alimentiert hat. Der Boom Calis hat in den 1960er Jahren begonnen, Menschen aus aller Welt kamen in die Stadt und später auch der Salsa. In den achtziger Jahren überschwemmte Cali dann das Geld der Narcos, bevor härter gegen die Drogenbosse vorgegangen wurde. Anfang der Nullerjahre war Cali eine isolierte, verwundete Stadt. Erst seit einigen Jahren öffnet sie sich wieder der Welt.

Für „La carretera al mar“ kamen nun zahlreiche KünstlerInnen und AktivistInnen aus ganz Kolumbien und dem Ausland in die Stadt.

Das hat es vorher so noch nie gegeben: Es kamen die wichtigsten sozialen Bewegungen aus der Region zusammen – und das in einem ikonischen Bau. Die Sportarena Coliseo El Pueblo („Das Volk“) ist für die Panamerikanischen Spiele 1971 mit einem futuristischen Betondach gebaut worden. Es war damals eine spannende Zeit, in der auf der einen Seite in große städtische Projekte investiert wurde, auf der anderen Seite die Studenten rebellierten und in den Streik traten. Die seit fast einem Jahr im La Tertulia laufende Ausstellung „Cali 71“ widmet sich diesen Vorgängen.

Welche Erkenntnisse hat das Projekt für die Erinnerungsarbeit gebracht?

Es ist allein schon wichtig zu sehen, welche verschiedenen Formen des Herangehens an Erinnerung und Gedenken es gibt. Dass das Friedensabkommen von einer Mehrheit der Kolumbianer im Referendum von 2016 überraschenderweise abgelehnt wurde, zeigt doch gerade, dass es in der Vermittlung seiner sinnvollen Inhalte Versäumnisse gibt. Hier können Künstler und Denker vielleicht helfen.

Ihr Vater, der Philosoph Jésus Martín-Barbero, meint, dass das Mündliche in Kolumbien die „eigentliche Kultur der Erinnerung“ sei, in der die meisten „träumen und leben“. Das stehe allerdings im Widerspruch zur offiziellen Gedenkkultur, die auf Schriftliches fixiert sei.

Da ist viel dran. Gerade bei den Afrokolumbianern spielen orale Traditionen eine große Rolle. Wir haben das auch in einem Ritual zum Projektabschluss aufgegriffen: In Gedenken an die ermordeten Aktivisten wurde vor dem Museum eine traditionelle Trauerfeier abgehalten, wie sie in den Gemeinden am Pazifik üblich ist. Parallel ist bei uns eine Ausstellung über die „alabaos“ angelaufen. Das sind spezielle Trauerlieder der afrokolumbianischen comunidades. Es gibt Dutzende dieser Lieder. Wir haben sie erstmalig transkribiert und einen Teil davon auf eine CD aufgenommen.

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2 Kommentare

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  • Zitat: „Dass das Friedensabkommen von einer Mehrheit der Kolumbianer im Referendum von 2016 überraschenderweise abgelehnt wurde, zeigt doch gerade, dass es in der Vermittlung seiner sinnvollen Inhalte Versäumnisse gibt.“

    Die weltweit einheitliche Lieblingsthese aller eitlen Menschen scheint zu lauten: „Ich habe meine zweifellos gute Sache den dummen Menschen um mich her nur noch nicht gut genug erklärt.“

    Aber die Farc-Guerilla ist nicht ganz ohne Grund entstanden. Sie ist geboren aus der nackten Not und einer großen Wut heraus. Wenn da, wo sich die Farc zurückzieht, rechtsfreie Räume entstehen, in denen Paramilitärs ausgerechnet solche Leute ermorden, die sich vor Ort für die Umwelt, für Menschen- oder Landrechtsfragen engagieren, bedeutet doch, dass sich „die Rechten“ nicht geändert haben. Sie haben nichts gelernt aus all den Jahren des Tötens und des Sterbens. Für sie ist Gewalt offenbar eine Lebensaufgabe. Eine, die man ihnen ums Verrecken nicht wegnehmen darf.

    Diejenigen, die gegen den Friedensvertrag waren, wissen das womöglich besser als alle Befürworter des Vertrags zusammen. Und zwar aus ganz konkreter, hautnaher, eigener Anschauung. Diese traumatisierten Menschen pauschal als minderbemittelt hinzustellen, ist nicht nur arrogant, sondern auch ziemlich unvorsichtig, um nicht zu sagen dumm. Den Kurator Alejandro Martín, jedenfalls, schützt es ganz sicher nicht davor, irgendwann selbst Opfer der Rechten zu werden. Allerdings nur, wenn er sich nicht vorher stromlinienförmig anpasst an deren „Kurs“.

    Aber, nun ja, wollte Kunst nicht immer schon unpolitisch genug sein, sich jederzeit leicht im Glanz jeglicher Macht sonnen zu können? Und vielleicht reicht es ja den traumatisierten Menschen in Cali auch tatsächlich, wenn sie zwar keine echte Macht kriegen, aber immerhin das Wort in einer Ausstellung.

    • @mowgli:

      Ihre These klingt plausibel anhand des Artikels aber nicht anhand der Realitäten, die hinter dem Referendum stecken. Die Menschen, die in K. gegen den Frieden gestimmt hatten, waren vor allem nicht betroffene aus der Mittelschicht, die der Meinung waren Rache wäre besser. Betroffene aus dem Land haben für den Frieden gestimmt. Vor allem die Rechtspartei vom Ex-Präsidenten hat gegen den Friedensabkommen mobilisiert. Der Museumsdirektor spricht für die Menschen, die den Frieden wollten, aber keine Mittel hatten größere Bevölkerungsgruppen zu erreichen, um sie zu überzeugen. Dass danach noch mehr Gewalt folgen würde war wahrscheinlich abzusehen, war aber nicht die unmittelbare Sorge der Menschen im Moment der Abstimmung.