piwik no script img

Zum Tod von Uri AvneryUnermüdlicher Friedenskämpfer

Als erster jüdischer Israeli traf er 1982 Arafat. Sein Ziel: eine Zweistaatenlösung. Die Hoffnung auf Frieden gab er bis zu seinem Tod nicht auf.

Uri Avnery und seine Frau Rachel bei der Verleihung des alternativen Friedensnobelpreises 2001 Foto: dpa

Er war gerade 77 geworden, als Uri Avnery vom Rednerpult bei einer Demonstration in Tel Aviv kundtat, dass er nicht vorhabe zu sterben, bevor es Frieden gäbe. Daran scheiterte er zwar, trotzdem hinterließ er tiefe Spuren. Am 20. August starb Israels unermüdlichster Friedensaktivist im Alter von 94 Jahren in Tel Aviv. Gesundheitlich war er bis kurz vor Schluss fit, und auch äußerlich schien er seit Jahrzehnten kaum gealtert zu sein. Mit seinen vollen hellgrauen Haaren und dem Bart konnte man ihn schon von weitem erkennen, wenn er flotten Schrittes ums Haus spazierte, am liebsten mit deutschen Militärmärschen oder englischen Volksliedern in den Kopfhörern.

Avnery liebte es, heilige Kühe zu schlachten, mit Konformgedanken zu brechen und bisweilen auch Gesetze zu ignorieren. Als erster jüdischer Israeli traf er 1982 noch während des Krieges zwischen Israel und dem Libanon den Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation Jassir Arafat in Beirut. Arafat unterbrach ihn damals noch mitten im Satz: „Ein Staat“, so lautete das Ziel der PLO damals noch. Avnery war hingegen Zionist. Ihm schwebte die Zweistaatenlösung vor: Israel und Palästina in friedlicher Nachbarschaft.

Der Mann, „den die Israelis zu hassen lieben“, wie der Filmemacher Jair Lev in seiner Dokumentation sagt, erblickte das Licht der Welt in Westfalen als jüngster von zwei Söhnen der Familie Ostermann und hieß zunächst Helmut. „Ich war sehr bewusster Beobachter dessen, was in Deutschland passiert ist“, sagte er in einem Interview. Die Eltern Ostermann ebenso, deshalb entschieden sie sich im Jahr der Machtergreifung Hitlers für einen Umzug nach Palästina. Nach dem Krieg waren die vier als einzige aus ihrer Familie noch am Leben.

Schon als 14-Jähriger begann der Junge, mit Gelegenheitsarbeiten die durch den Umzug verarmte Familie zu unterstützen. Vater Ostermann war in Deutschland Bankier gewesen; in Palästina musste er in einer Wäscherei arbeiten. Gelesen – vor allem in Geschichtsbüchern – wurde abends. Um Palästina von den britischen Mandatsträgern zu befreien und die Juden im Land vor arabischem Terror zu schützen, schloss er sich schon als Jugendlicher der radikalen Untergrundbewegung Irgun an und wechselte erst während des Unabhängigkeitskrieges zur Hagana, Vorgängerin der israelischen Armee.

Uri Avnery in der taz

Regelmäßig hat Uri Avnery auch für die taz geschrieben. Seine Artikel sind in unserem Archiv zu finden.

Binnen kürzester Zeit wurde er zum Geächteten

Seine Kriegserlebnisse verarbeitete er zu einem ersten Buch, das ein Bestseller wurde und Uri Avnery, wie er sich inzwischen nannte, zu einem Volkshelden machte. Den jungen Autor irritierte der Erfolg. Er fühlte sich missverstanden und schrieb ein weiteres Buch. „Die Kehrseite der Medaille“ erzählt von den Schrecken der blutigen Kämpfe, vom Tod und von der Skrupellosigkeit der Politiker – Dinge, die zum damaligen Zeitpunkt niemand hören wollte. Avnery wurde binnen kürzester Zeit in weiten Teilen der Bevölkerung zum Geächteten.

Zusammen mit Schalom Cohen, einem Kameraden seiner Armee-Einheit, kaufte er das Magazin HaOlam HaSe („Diese Welt“) und schrieb. Korruption und die Diskriminierung der Sfaradim, der aus arabischen Staaten eingewanderten Juden, gehörten zu seinen Themen, genau wie die „feigen Ja-Sager“ rund um den ersten Regierungschef David Ben-Gurion, den er auf einer Titelseite einen „Diktator“ schimpfte. Er schrieb für die Rechte des „palästinensischen Volkes“, das er als erster Israeli beim Namen nannte, für Meinungsfreiheit und für eine hohe Auflage. Das Magazin stand für investigativen Journalismus und für dickgedruckte, rote Schlagzeilen. Keine andere israelische Zeitung veröffentlichte jemals derart provokative Nacktbilder wie HaOlam HaSe – weder zuvor noch danach.

Avnery war skrupellos gegenüber Politikern und Mitarbeitern, die er für Recherchen regelmäßig nachts aus dem Bett holte

Avnery war skrupellos gegenüber Politikern und auch gegenüber seinen Mitarbeitern, die er regelmäßig nachts aus dem Bett holte, um sie zu Recherchen abzukommandieren, denen er einen Hungerlohn zahlte und mit denen er radikal brach, sobald sie seinem strengen Regiment nicht mehr folgen wollten.

Das Wochenblatt polarisierte durch seine Radikalität. Es kam zu einem Bombenanschlag und zu einem Angriff auf offener Straße, bei dem ihm die Hände gebrochen wurden. Der Überfall brachte ihn mit Rachel, seiner späteren Frau, zusammen, die zu dem Hilflosen in die Wohnung zog, um sich um ihn zu kümmern, und die gleich dort blieb. Das Paar entschied sich gegen Nachwuchs. Mit Kindern hätte er nicht die Dinge tun können, die er tun wollte, begründete er, und seine Frau schien es nicht zu bereuen. Sie wollte so oft wie möglich an seiner Seite sein. Dafür gab es jede Menge Katzen in der Stadtwohnung der Avnerys.

Er entkam nur knapp einem Messerattentat

Mitte der 70er Jahre entkam Avnery nur knapp einem Messerattentat. „Ich bin anschließend über viele Jahre nicht ohne Pistole aus dem Haus gegangen“, gab er später zu. Am meisten verhasst war der Chef von HaOlam HaSe den Politikern, die von Woche zu Woche mit Verhöhnung oder Entlarvung rechnen mussten. Mit dem „Gesetz gegen die üble Nachrede“ sollte das Magazin vom Markt verschwinden. Avnery nahm die Kampfansage an und kandidierte Mitte der 60er Jahre selbst für die Knesset, das israelische Parlament, wo er insgesamt zehn Jahre lang blieb.

Er soll in dieser Zeit keine einzige Sitzung verpasst haben, über eintausend Reden gehalten und eintausend Gesetzentwürfe eingebracht haben, darunter über die Einführung standesamtlicher Trauungen und die Legalisierung von Homosexualität und Abtreibungen. Keine einzige seiner Gesetzesinitiativen erreichte eine Mehrheit in der Knesset, aus der er 1981 auszog, um seinen Platz für einen arabischen Parteifreund zu räumen. Zu dieser Zeit unterhielt er bereits seit Jahren Kontakte zur PLO-Führung, was damals gesetzlich verboten war.

„Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft“, kommentierte Avnery Jahrzehnte nach seinem ersten Treffen mit Arafat. „Ich habe immer geglaubt, dass man mit Arafat Frieden schließen kann und sollte.“ 1993, als Israel und die PLO die Osloer Prinzipienerklärung unterzeichneten, die der erste Schritt zur Zweistaatenlösung sein sollte, gründete Avnery den Gusch Schalom, den Friedensblock. Ziel war es, auf außerparlamentarischer Bühne weiter Druck auf die Führung auszuüben, für den Frieden zu entscheiden. Avnery organisierte Demonstrationen und schrieb wöchentlich im Newsletter der Bewegung zu aktuellen Themen.

Wir gehören zu diesem Land, und wir werden hier in noch vielen künftigen Generationen leben. Deshalb müssen wir zu friedlichen Nachbarn in der Region werden

Uri Avnery

Noch Anfang August veröffentlichte er einen ausführlichen Essay zum jüngst in der Knesset verabschiedeten Nationalstaatsgesetz. „Wir gehören zu diesem Land, und wir werden hier in noch vielen künftigen Generationen leben. Deshalb müssen wir zu friedlichen Nachbarn in der Region werden.“ Das Nationalstaatsgesetz sei von „halbfaschistischer Natur“ und zeige, wie dringlich die Debatte darüber sei, „wer wir sind, was wir wollen und wohin wir gehören. Andernfalls ist unser Staat dazu verdammt, dauerhaft ein Staat der Zeitweiligkeit zu sein.“ Die Hoffnung auf Frieden gab er bis zuletzt nicht auf. „Man weiß nie, welche Kräfte am Werk sind – auch, wenn es heute so aussieht, als steuerten wir geradewegs auf einen Eisberg zu.“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

25 Kommentare

 / 
  • Danke für den Kommentar.



    Die Rolle, die deutsche Stiftungen dabei spielen, Israel zu schaden kam gut in der



    Doku zur Sprache, die nicht gesendet werden solltewww.berliner-zeitu...re-kreise-27789280

    • @Henriette Bimmelbahn:

      Das ging an Günter

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    @Nicky Arnstein:

    so gar nichts aus der Sicht eines hardliners zum Thema beizutragen?

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Ich könnte etwas zu Ihrer Provokation beitragen, aber ich lass es lieber bleiben. Schweigen ist Gold.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @Nicky Arnstein:

        Spielverderber! Greifen Sie doch lieber zum Silber.

  • Oft hast du mir aus Seele gesprochen, manchmal habe ich dir innerlich Widersprochen und manchmal habe ich dich verflucht.

    Jetzt bleibt nur noch eins zu sagen.

    Jitgadal vejitkadasch sch`mei rabah. B´allma di v`ra chir`usei v`jamlich malchusei,b`chjeichon,uv`jomeichon,uv`chjei dechol beit Jisroel ,ba`agal u`vizman kariv,v`imru : Amein. Je`hei sch`mei raba m`vorach l`allam u`l`allmei allmaja) J`hei sch`mei raba m`vorach,l`allam,u`l`allmei allmaja. Jitbarach ,ve jischtabach ve jispaar ,ve jisromam,ve jisnasei,ve jishadar,ve jishadar,ve jisaleih,ve jishalal schemeih d`kudschah b`rich hu Le eihlah min kol Bir`chasah ve schiratah tuschbechatah ve nechematah,de ami`ran Be`allmaja,v`imru:Amein Je heih schlahmah rabbah min schmajah,ve chjim aleinu ve al kol jisroel v`imru:Amein`hu b`rachamah ja`aseh Ve al kol jisroel v`imru :Amein.

    Für dich, alter Mann, Schalom.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Sven Günther:

      Bei allem Respekt für persönliche Würdigungen: Wie wäre es mit einer Übersetzung für jene der hebräischen Sprache nicht kundige Leser?

      • @76530 (Profil gelöscht):

        Herr Günther hat den Kaddisch gesprochen.

        de.wikipedia.org/wiki/Kaddisch

        • 7G
          76530 (Profil gelöscht)
          @Nicky Arnstein:

          Danke für den Hinweis ... auch wenn Sie mir damit neue Arbeit aufhalsen. ^^

  • Vielleicht war der Mann so müde, dass er die Realität einfach nur satt hatte:

    ....from Marocco to Aden.



    www.youtube.com/watch?v=O8DG56K8hTY

    ....one State...



    www.youtube.com/watch?v=Pz7c2fFlKhg

    Natürlich waren unsere Friedensfreunde süchtig nach dem, was dieser Mann über den Nahostkonflikt geschrieben und gesagt hat; konnten sie sich doch den Vertand darüber vernebeln, uns um unsere eigenen Angelegenheiten zu kümmern:



    www.gedenkstaetten...seum-in-treblinka/

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Günter:

      Von diesem Leben einfach nur müde zu sein, dafür gibt es wahrlich viele Gründe. Nicht nur in Nahost, sondern weltweit.

      Im liebevollen Gedenken an diesen (Achtung Vereinfacher: Dialektik!) ebenso friedliebenden wie streitbaren Mann, an dem sich besonders Deutsche ein Vorbild nehmen sollten.

      • @76530 (Profil gelöscht):

        Wir würden besser daran tun, uns erst mal an diesem Mann ein Vorbild zu nehmen:



        Gideon Hausner



        www.amazon.com/Jus...58#customerReviews

        • 7G
          76530 (Profil gelöscht)
          @Günter:

          Ich nehme Ihre Anregung dankbar auf und werde mal schauen, ob meine schmale Haushaltskasse im kommenden Monat etwas zulässt.

          • @76530 (Profil gelöscht):

            Fein, gehen sie doch einfach mal auf youtube und geben Eichmann trial ein.



            Aber wir kennen uns lieber mit Uri Avnery aus, als mit dem was 1961 in Jerusalem verhandelt wurde. Uri Avnery war ein guter Mensch. Ich habe jedoch nie verstanden, warum er seine Aktivitäten in so engem Schulterschluss mit deutschen Stiftungen betrieben hat. Mit diesem Schulterschluss hat er großen Schaden angerichtet, weil er damit beigetragen hat, die Rolle deutschen Engagements in Middle East in eine völlig falsche Richtung zu setzen. Die ureigenste Aufgabe deutscher Stiftungen wäre es in der Region zu erklären, was Antisemitismus bedeutet, that in a space of 250 days von April bis November 1942 2,5Millionen Juden von Deutschen ermordet wurden. Sie hätten dazu beitragen können, dass Schriften wie -Mein Kampf- oder -Die Protokolle der Weisen von Zion- aus arabischen Buchhandlungen verschwinden. Sie hätten Herrn Abbas erklären können, dass 6- Millionen Juden ermordet wurden und nicht 800.000, wie dieser in seiner Dr. Arbeit kolportiert hatte. Das Ergebnis ist dann sowas wie die "Nakba-Ausstellung", mit ihrem geschichtsrevisionistischen Heimatvertriebenenkult.

            Oder den Holocaust relativierenden Statements wie:

            Zitat:

            „Für das jeweils kollektive Narrativ und der nationalen Identität des israelisch-jüdischen und des palästinensisch-arabischen Volkes ist die Opferrolle quasi konstitutiv. Unabhängig von der historischen Unvergleichbarkeit stellt die Nakba im palästinensischen Bewusstsein das dar, was für Israelis der Holocaust bedeutet.“

            Zitat Ende (Palästina und die Palästinenser) 60 Jahre nach der Nakba, Heinrich Böll Stiftung, Seite 30)

            Allein 2,5 Millionen von April bis November 1942 verschwinden zu einem "jeweils kollektiven Narrativ". Sowas bringen die völlig schmerzfrei zu Papier.







            Ihr persönliches Schicksal als Heimkind in 'Fürsorgeheimen' ab 1945 hätte besser gewürdigt werden müssen. Das stimmt. Das tut mir sehr leid. Halte sie aber bitte das eine von dem anderen auseinander.

            • 7G
              76530 (Profil gelöscht)
              @Günter:

              Danke für Ihre Anregungen, auch die letzte. Sie haben völlig Recht: Verbitterung ist kein guter Ratgeber und Differenzierung notwendig.

              Ich bemühe mich durchaus darum, die erlebten Traumatisierungen in Fürsorgeheimen nicht mit Leben und Sterben in einem KZ gleichzusetzen. An meiner Bewertung, dass sich der juristische Nachfolger des Dritten Reiches - im Gegensatz zu anderen Ländern - nicht mit Ruhm bekleckert hat, halte ich fest. Alles Andere wäre ein Euphemismus.

              Die Würdigung hätte nicht nur besser, sondern überhaupt erst einmal stattfinden müssen. Es gibt Menschen, die dieses Glück hatten. Die meisten Heimkinder, die ich kenne, gehören nicht dazu, sondern sind auf dem Altar des "Weiter-So" geopfert worden.

              Nicht ohne Grund sprechen Psychologen von einer Re-Traumatisierung. Ein Land das zu solchen Methoden greift, kann für sich keinen Humanismus in Anspruch nehmen.

      • @76530 (Profil gelöscht):

        "....wie streitbaren Mann, an dem sich besonders Deutsche ein Vorbild nehmen sollten."

        Avnery war ursprünglich Deutscher, bis die Deutschen den deutschen Juden sagten, sie seien es nicht würdig, Deutsche zu sein. Aber wieso sollten sich "besonders Deutsche" ein Vorbild an ihm nehmen?

        • 7G
          76530 (Profil gelöscht)
          @Nicky Arnstein:

          Auch wenn ich das schon wusste, danke ich für Ihren Hinweis.

          Wieso sich besonders Deutsche ein Beispiel nehmen sollten: schauen Sie auf die Geschichte unseres Landes, das durch den Kriegseintritt den Startschuss für 55 Millionen Tote gegeben hat. Allein das wäre schon genug. Die Tradition ist aus meiner Sicht ungebrochen, auch wenn es nicht gleich auf den ersten Blick sichtbar wird, sondern zweite oder dritte Blicke erfordert.

          Als Betroffener verweise ich immer wieder gerne auf das Schicksal hundertausender Heimkinder in 'Fürsorgeheimen' ab 1945 bis in die 1970er Jahre hinein. Der 'Runde Tisch Heimerziehung' unter Antje Vollmer hat die historische Chance vertan, frühere Heimkinder (ich weiß nicht, wie viele noch leben) mit diesem Land auszusöhnen.

          Österreich und Irland (letztere mit einer pauschalen Entschädigung von m. W. 77.500 € ohne Seelen-Striptease) hätten Vorbilder sein können. Deutschland wusste mal wieder alles besser.

          Spätestens seitdem (2010/2011) hat Deutschland die Menschenwürde für die Betroffenen auf dem Altar nackter Funktionalität und Ökonomie geopfert. Stichwort: Schwarze Null. Ein Grund mehr, warum dieses Land materiell reich, aber sozial total verarmt ist. Und dies ist nicht nur eine Frage des Geldes.

          Wenn Sie mal in Mittelhessen sind oder hier vorbeikommen: ich vertiefe diese Gedanken gerne bei ein, zwei Gläschen Wein mit Ihnen.

  • Uri's letzter Artikel endet mit diesem Paragraphen. Der Aufruf könnte nicht treffender sein!



    «The new Nation Law, by its clearly semi-fascist nature,



    shows us how urgent this debate is. We must decide who



    we are, what we want, where we belong. Otherwise we



    will be condemned to a permanent state of impermanence.»

  • Jemand schreibt als Kommentar bei Haaretz, Israel:

    Now watch all the hypocrites who ignored and demonized him will suddenly morn his loss.

    (Schaut nun all die Heuchler, die ihn ignoriert und dämonisiert haben, wie sie plötzlich seinen Verlust beklagen werden.)

    Übrigens hat er Deutschland kritisiert, weil es die offizielle NS Ideologie des anti-Semitismus nun in einen offiziellen pro-Semitismus / pro-Israelismus verkehrt habe. - Die Deutschen haben halt einen Hang zur Gründlichkeit, meinte er.

  • 9G
    99337 (Profil gelöscht)

    Mag man in 94 Lebensjahren zwangsläufig Dinge tun oder äußern, die von der einen oder anderen Seite kritisiert werden können, so war Uri Avnery für mich immer eine Art Hoffnungsschimmer - ein Symbol dafür, dass dort wo Konfliktparteien und tradierter Hass aufeinanderprallen, es auch immer Menschen gibt, die diesen Hass nicht nur ablehnen, sondern sich aktiv und mutig dagegen stellen.

    Vielleicht liegt es daran, dass der Hass das Internet und den öffentlichen Diskurs erobert hat, aber mein Eindruck ist, dass Menschen wie Avnery und somit die Hoffnungsschimmer weniger werden, weshalb ich nicht übertreiben muss, um zu schreiben, dass ich ihn und seine unbequeme und zugleich versöhnliche Art schmerzlich vermissen werde.

  • "Uri Avnery war ein anständiger Mann."

    Das kann man sicher unterschreiben.



    Es gibt zu wenige Menschen wie ihn.

  • Uri Avnery war ein anständiger Mann. Manche dagegen würden ihn als Antisemiten bezeichnen.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Katev :

      Sischer, sischer. Vor allem die großen Vereinfacher und Demagogen, die den Frieden fürchten wie der Teufel das Weihwasser.

  • Quel homme.

    גוטע יאַזדע



    gute yazde



    אורי אבנרי



    Urs Avnery

  • Zitat: „Ich habe immer geglaubt, dass man mit Arafat Frieden schließen kann und sollte.“

    Gut möglich, dass der Frieden mit Arafat machbar gewesen wäre. Nur: Was wäre mit all den anderen Palästinensern gewesen? Und was mit all den Israelis, die sich fürchten?

    So, wie ein einzelner Friedensaktivist noch keinen Frieden macht, macht auch ein einzelner Staatschef noch keinen. Er kann Verträge unterschreiben, ja. Aber einhalten müssen diese Verträge andere, und zwar freiwillig. Denn selbst wenn ein israelischer Friedensaktivist und ein Palästinenser-Führer wunderbarerweise Freunde werden – Wunder sind ja doch vergleichsweise selten.

    „Die Israelis“ gehören nach Israel. Wohin sonst sollten sie gehören in einer Welt, in der Nationen so wichtig sind wie in unserer? Aber auch die Palästinenser gehören in den Nahen Osten. Und zwar selbst dann, wenn sie noch gar keine „richtige“ Nation sind. Menschen brauchen nun mal ein Zuhause.

    Es wird (hoffentlich) weder für „die Israelis“ noch für „die Palästinenser“ eine „Endlösung“ geben. Beide Volksgruppen werden "in noch vielen künftigen Generationen leben“ im „gelobten Land“ ihrer Ahnen. Genau deshalb müssen beide Seiten unbedingt lernen, „zu friedlichen Nachbarn in der Region [zu] werden.“ Und zwar bevor noch mehr Leid geschieht, als ohnehin geschehen ist.

    Es mag tatsächlich aussehen, „als steuerten wir geradewegs auf einen Eisberg zu“ derzeit. Aber was weiß man schon als Mensch? Selbst als „sehr bewusster Beobachter dessen, was [...] passiert“, sieht man immer nur einen winzigen Bruchteil dessen, was es zu sehen gibt.

    Man weiß tatsächlich nie genau, „welche Kräfte am Werk sind“. Auch nicht als Agnostiker. Man kann nur hoffen. Und versuchen die konstruktiven Kräfte, die von den destruktiven totgeschwiegen oder unterdrückt werden, möglichst sichtbar zu machen. Am besten, bevor sie mit 94 Jahren sterben, ohne ihr Ziel auch nur annähernd erreicht zu haben.

    Schalom, Uri-Helmut Avnery-Ostermann. Gute Reise.