piwik no script img

Raubbau am VictoriaseeDie Sandmafia

Sand, der wichtigste Rohstoff für den weltweiten Bauboom, wird knapp. An Ugandas Küste des Victoriasees zerstört der Raubbau brutal die Umwelt.

Sie pumpen Sand aus dem Victoriasee Foto: Simone Schlindwein

VICTORIASEE taz | Ein lautes Knattern hallt über die Wogen des Sees, begleitet von einem dumpfen Stampfen. Es klingt, als würde jemand den Seeboden mit einem gewaltigen Hammer bearbeiten. „Dieser Lärm hat alle Fische vertrieben“, sagt Bootsmann Omar Katongele und schöpft mit seiner Hand etwas Wasser: „Guck dir das an: schmutzige braune Brühe.“

Langsam steuert Katongele, in kurzen Hosen, T-Shirt und Baseballmütze, sein Boot auf den gigantischen See hinaus. Es geht nur ein leichter Wind. Die Sonne scheint, doch ihre Strahlen spiegeln sich nicht auf der glatten Oberfläche. Das Wasser ist trüb und riecht leicht faulig, wie eine abgestandene Pfütze.

Der Victoriasee im Herzen Afrikas ist das flächenmäßig größte Süßwassergewässer der Welt, ungefähr so groß wie Irland. Drei Länder grenzen an seine Ufer: Kenia, Tansania und Uganda. Von hier aus fließt der 7.000 Kilometer lange Nil ab in Richtung Norden, zum Mittelmeer.

Der Victoriasee ist schon seit den 1950er Jahren bekannt für seine ökologischen Desaster. Damals setzten die Kolonialherren hier den nicht heimischen Barsch aus, einen Raubfisch, der das ökologische Gleichgewicht durcheinanderbrachte. Er wurde weltweit unter dem Namen „Victoriabarsch“ bekannt, und kann mitunter Ausmaße wie ein Delphin erreichen.

Der Bootsmann Katongele hat viele Fotos von diesen Riesenbarschen auf seinem Handy und zeigt sie stolz. Als Bootsbesitzer ging der 44-Jährige früher mit Hobbyfischern, meist weißen Touristen aus Europa, Australien und den USA, auf die Jagd nach den Riesenbarschen. Noch vor wenigen Jahren gingen sie hier vor den Ufern der ugandischen Hauptstadt Kampala ins Netz. Jetzt müsse man sehr weit hinausfahren, um auch nur die kleinen, sardinenartigen Mukene zu fangen, klagt Katongele. Das habe ihm das Geschäft fast ruiniert.

Nur noch Inseln statt Festland

Grund ist neben der extremen Überfischung auch das Knattern und Stampfen, das über Kilometer hinweg in der Bucht vor Kampala zu hören ist. Es stammt von riesigen Pumpen, die tonnenweise Sand durch einen Schlauch vom Seeboden schlürfen, wie gigantische Staubsauger. Sie wirbeln die Sedimente auf, das Wasser wird trüb und dunkel.

Katongele steuert auf eine Plattform zu, die auf dem See treibt. Das Geräusch wird lauter. Er zeigt auf ein paar Baumkronen, die jenseits der Plattform noch mit einigen Blättern aus dem Wasser ragen. „Das war einmal alles Festland, doch hier wurde so viel Sand abgepumpt, dass alles unter ging“, schreit er und zeigt auf einen grünen Hügel, der aus dem Wasser ragt. Ein paar Kühe grasen darauf, daneben steht ein rundes Dutzend Lehmhütten mit Wellblechdach. Einst lebten hier Fischerfamilien. Doch auch die sind weggezogen, als das Knattern losging und der See keinen Fisch mehr hergab. „Seit rund einem Jahr ist das jetzt eine Insel.“ Seine Stimme wird übertönt, als sich das Boot der Plattform nährt.

Knapp ein Dutzend junge kräftige Männer mit nackten Oberkörpern wuchten einen Schlauch in ein großes Boot, das tief und schwer im Wasser hängt. Sand, vermischt mit Wasser, quillt mit ­großem Druck aus dem Rohr, daneben knattert ein Dieselgenerator. Langsam füllt sich der Bauch des Bootes. Mit Schaufeln verteilen zwei Männer den Sand gleichmäßig im Bootsraum. Sie sind nass vom Wasser und Schweiß: Knochenarbeit. Die Ladung von rund zwölf Lastwagen pumpen sie täglich aus dem See hinauf, gibt einer der Arbeiter auf der Plattform Auskunft. Doch bei der nächsten Frage werden die Männer skeptisch, winken ab und signalisieren Katongele zu verschwinden.

Denn was hier vor den ugandischen Ufern geschieht, ist absolut illegal, aber äußerst lukrativ. Sand gehört zu den Rohstoffen, die weltweit stark gefragt sind. Ob beim Bau von Häusern, Brücken, Staudämmen oder Straßen – überall wo Zement, Beton oder Asphalt verarbeitet wird, ist als Hauptbestandteil Sand drin. Auch bei der Produktion von Glas und Keramik wird Sand verwertet.

Schuld ist die Urbanisierung

Sand und Kiesel machen 85 Prozent der global geförderten Rohstoffe aus, weit mehr als Kupfer, Kobalt oder Coltan, so eine Studie der UN-Umweltagentur Unep aus dem Jahr 2014. Und mit zunehmender Urbanisierung und dem dazu notwendigen Bauboom – ob in Dubai, Shanghai, Singapur oder mittlerweile auch in Afrika – steigt die Nachfrage ins Unermessliche.

Die Unep warnt: Die weltweiten Sandvorkommen werden knapp. Bislang wurde Sand vor allem aus Flussbetten abgetragen, auch in China. Doch die Ressourcen der Flüsse erschöpfen sich. Der Sand von den Meeresstränden ist mit Salz und Sodium versetzt, was aufwendig ausgewaschen werden muss, bevor er sich verarbeiten lässt. Die letzten und gut zugänglichen Sandvorkommen liegen in den großen Südwasserseen – vor allem im Victoriasee. Hier liegt der sandige Boden nicht sehr tief unter Wasser, hier gibt es zahlreiche Inseln und Landzungen: Abertausende Kilometer sandige Strände und sandige Sumpfgebiete.

„Die Invasion der Chinesen zerstört unseren See und damit unsere Lebensgrundlage“

Matthias Bwanika

Manche dieser Sandablagerungen sind mehr als 60 Millionen Jahre alt – jetzt ein gefundenes Fressen für die weltweit agierende Sandmafia. Die ist mittlerweile auch in Uganda aktiv. Vor allem chinesische Investoren saugen in den Sumpfgebieten und auf dem offenem See Sand in gewaltigen Mengen ab. Der jüngste Bericht eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der der taz vorliegt, nennt unter anderem die chinesische Firma Mango Tree, die schätzungsweise 1.000 Kubikmeter pro Tag fördert und dabei 20 Meter tiefe Löcher in den Seeboden gräbt.

Die Plattform auf dem See, die Bootsfahrer Katongele zeigt, gehört nicht zu Mango Tree, sondern einem ugandischen Investor. Sie ist eine kleine Variante der Methode, die die Chinesen benutzen. Auf dem großen See geschieht die Sandförderung nahezu unbeobachtet. An den Ufern aber sieht man sie schon von Weitem: gewaltige Berge aus schwerem, nassem Sand. Sobald er getrocknet ist, kommen Lastwagen und transportieren ihn ab: auf Ugandas Großbaustellen wie den Karuma-Staudamm am Nil, der von Chinesen gebaut wird, oder die Schnellstraße in Richtung Flughafen, die erst vor wenigen Wochen vom chinesischen KP-Parteivorsitzenden Wang Yang eröffnet wurde.

Die Chinesen zerstören die Lebensgrundlage hier

„Die Invasion der Chinesen zerstört unseren See und damit unsere Lebensgrundlage“, schimpft Matthias Bwanika, der Vorsitzender des Verwaltungsbezirks Wakiso, in dem die größten und längsten Uferabschnitte und Inseln liegen. Er ist sichtlich wütend. In Wakiso lebt die Mehrheit der Bevölkerung vom Fischfang; die Bauern, die in der Minderheit sind, bewässern ihre Felder mit Seewasser; ein Großteil des Bezirks ist reines Sumpfgebiet am Ufer, in dem der Echte Papyrus wächst, eine Graspflanze, die natürliche Kläranlage des Sees. Für die Bewohner von Wakiso ist der Victoriasee die wichtigste Lebensgrundlage. Und die ist jetzt in Gefahr, fürchtet Bwanika.

Seit zwei Jahren führt er einen Krieg gegen die Sandmafia, wie er sagt, „wie bei David gegen Goliath“. Der kleine, untersetzte Mann sitzt in seinem zu großen Anzug hinter einem Schreibtisch in einem heruntergekommenen Verwaltungsgebäude. Er öffnet einen dicken Aktenordner mit der Aufschrift „Sandabbau“. Loses Papier quillt heraus. Bwanika verteilt die gesammelten Umweltberichte, Briefe an Ministerien und die Umweltbehörde (NEMA) quer auf seinem Schreibtisch. Er wühlt nach Fotos, die er bei seinen Inspektionen geknipst hat, und tippt mit dem Zeigefinger auf ein ausgedrucktes Bild: Statt wie eine grüne Landschaft mit blühender Flora und Fauna wirkt der abgebildete Lwera-Sumpf wie ein Industriegebiet: Bagger heben Gruben aus; ein Förderband ragt empor, auf dem Sand transportiert wird, der auf einen großen Haufen fällt; Lastwagen bringen den Sand weg und hinterlassen tiefe Spurrillen im Feuchtgebiet. „Das ist eine ökologische Katastrophe“, sagt Bwanika aufgebracht: „Fische legen hier ihre Eier im Sand, die werden alle mit abgetragen.“ Er warnt: „Unsere Fischereibetriebe sind in Gefahr!“

Bwanika hat schon vor zwei Jahren die Regierung auf den illegalen Sandabbau am See aufmerksam gemacht. Doch die hat im Umgang damit ein Problem: Industrieller Sandabbau ist gesetzlich nicht reguliert. Sand wird im Minengesetz, in dem der Abbau von Gestein, Gold und anderen Rohstoffen im Boden geregelt ist, ausdrücklich nicht erwähnt, denn bislang gab es in Uganda genug Sand und immer nur kleine Abbaugebiete, in denen Männer mit Schaufeln und Schubkarren Sand aushoben, um damit ein Haus zu bauen. Sand galt als Allgemeingut, ähnlich wie Humus für den Ackerbau.

Doch jetzt zählt Bwanika allein in seinem Bezirk knapp zehn Unternehmen, die mit großen Schaufelbaggern und Pumpen den Boden tonnenweise abtransportieren. Im Untersuchungsbericht des Parlaments von 2016 ist allein im Lwera-Sumpf von 24 Abbaugebieten die Rede: alle „illegal“. Daneben gebe es zahlreiche Unternehmen, auch ugandische, die Sand aus dem See pumpen und von den Inselstränden abtragen.

Große Freunde, ganz oben in der Regierung

Bwanika zeigt auf einen Brief der Umweltbehörde NEMA, die er 2017 eingeschaltet hat. Darin heißt es: „Jegliche industrielle Aktivität in Sumpfgebieten, auf Seen und in Flüssen ist per Gesetz verboten, denn diese unterliegen dem besonderen staatlichen Schutz.“ Daraufhin war Bwanika mit dem Polizeichef seines Bezirks in den Sumpf eingerückt und hatte die Arbeiter verhaften lassen. Darunter waren Chinesen und Nigerianer, auch Mitarbeiter der chinesischen Firma Mango-Tree. „Wir haben sie ins Gefängnis gesperrt, doch noch vor Mitternacht waren sie wieder frei“, sagt er entrüstet. Seitdem würden die chinesischen Abbaugebiete von Soldaten der Armee bewacht. „Die Polizei kann da jetzt gar nichts mehr ausrichten“, flucht er. Wie kann das sein? Bwanika macht große Augen: „Ich sag nur eines: Die haben ganz große Freunde ganz oben in der Regierung“, nickt er und zeigt mit dem Finger gen Himmel, als würde er über Gott persönlich sprechen. Dann senkte er die Stimme und flüstert: „Mir wurde sogar gedroht für den Fall, dass ich die Sache nicht sein lasse.“

„Ganz oben“, das ist General Caleb Akandwanaho, besser bekannt unter seinem Kriegsnamen Salim Saleh. Der jüngere Bruder von Präsident Museveni hat 1986 für diesen das Land als militärischer Rebellenführer erobert. Er steht auf der UN-Sanktionsliste wegen des Krieges im benachbarten Ostkongo. Bis heute ist er Musevenis persönlicher Sicherheitsberater und Vorsitzender der „Operation Wohlstandsgenerierung“. Bei dieser Unternehmung wird die Armee eingesetzt, um die landwirtschaftliche Produktion zu steigern. Salim Salehs Vize, Charles Angina, ist in der Broschüre von Mango Tree auf Fotos abgelichtet, dicht neben dem chinesischen Mango-Tree-Manager Chun. Dieser erwähnt Saleh im Gespräch als jemand, „der unsere Unternehmungen versteht“.

„Die Ugander verstehen das alles nicht. Die denken, wir pumpen den Sand ab, dabei baggern wir hier nur“

Fan Shu Chun

Saleh hat sich zu Beginn des Jahres in der Tageszeitung Observer für den Sandabbau ausgesprochen. Er nannte den Bau der über tausend Kilometer langen Eisenbahnstrecke vom tansanischen Hafen Daressalam nach Uganda als Beispiel für den hohen Bedarf. Saleh veranschlagte dafür 12 Millionen Tonnen. Er kritisiert die Umweltbehörde NEMA dafür, dass sie den Sandabbau im See nicht erlaube: „Wo soll der Sand denn sonst herkommen?“, fragte er und nannte auch eine weitere Firma, die 2.000 Tonnen Sand benötige: Die chinesische Goodwill Ceramic Company, die in einem Industriepark in Uganda Keramikfliesen für Bäder und Küchen herstellt. Dieser Industriepark, Namunkekera genannt, liegt 70 Kilometer nordwestlich von Kampala und gehört – welch Zufall – dem General.

Noch bevor sich Manager Fan Shu Chun an den Tisch in einem Schnellrestaurant in Ugandas Hauptstadt Kampala gesetzt und seinen Ingwertee bestellt hat, lässt er über seine chinesische Übersetzerin klarstellen: „Mango Tree ist nicht involviert in den Sandabbau.“ Als Beweis zeigt er Fotos in einer Firmenbroschüre: ein 70 Meter langes Schiff aus rostfreiem Stahl mit einem gewaltigen Bauch, das am Ufer des Victoriasees zusammengeschweißt wird. Ein Gigant im Vergleich zu den ­anderen Fähren und Transportbooten, die auf dem See bislang kreuzen. Rohre und Schläuche mit aufgesetzten Schneideköpfen ragen aus dem Rumpf hervor, ein riesiges Förderband hängt über dem Bug wie eine Galionsfigur. Der Schneidekopf sei der Beweis dafür , dass es kein Sauger, sondern ein Bagger sei: „Wir baggern damit den Seeboden aus, um ihn für die Schifffahrt passierbar zu machen“, lässt er die Übersetzerin erklären: „Wir bauen Wasserkanäle“.

„Wir baggern nur“

Es ist ungewöhnlich, dass sich ein chinesischer Firmenvertreter, der kein Wort Englisch spricht, auf ein Interview einlässt, vor allem in Uganda. Die Chinesen gelten hier als medienscheu. Fan Shu Chun verstand am Telefon zwar nichts, hatte aber sofort Zeit, nannte nur eine Adresse. Eine Stunde nach dem Telefonanruf sitzt er im verschwitzten T-Shirt vor seinem Ingwertee und redet und redet. Die Übersetzerin kommt kaum hinterher. Der private Schiffbaukonzern sei spezialisiert auf Öl- und Containertransporte in schwierigen Regionen, die Geschäfte in den Bürgerkriegsländern Südsudan und DR Kongo laufen ganz gut – kein Vergleich mit den Problemen, die er derzeit in Uganda habe. Dabei habe alles so gut begonnen, seufzt er und erzählt eine Geschichte, die sich im Zuge der weiteren Recherche als Lüge entpuppt.

In Kampala werde gerade mit Krediten von deutschen Banken und Hermes-Bürgschaften ein neuer Industriehafen gebaut. Doch der See sei nicht tief genug, um große Frachtschiffe anlanden zu lassen. Da sei nun Mango Tree von den ­Deutschen angeheuert worden, um das Hafen­becken auszuheben und die Schifffahrtskanäle bis an den Hafen Mwanza in Tansania freizubaggern.

„Die Ugander verstehen das nicht, die denken, wir pumpen Sand ab, dabei baggern wir nur“, entrüstet er sich. Auf die Frage, ob er eine Lizenz habe, winkt er etwas verlegen ab: Er habe eine Schiffbaulizenz und er habe sich um eine Baggerlizenz beworben: „Aber die wurde uns verweigert – wir warten“, sagt er. Jeder Tag, an dem das Schiff am Ufer liege, sei ein Verlustgeschäft. Auf die Frage, warum die Polizei 2016 auf die Initiative von Bezirksvorsteher Bwanika ein Verfahren wegen illegalen Sandabbaus eingeleitet und NEMA ihn im Fe­bruar in einem Brief ausdrücklich gemahnt hatte, „jeglichen Sandabbau im Victoriasee unverzüglich einzustellen“, wird er verlegen. Die Übersetzerin stottert nur kurze Sätze. Sie erklären nicht, warum die Firma 20 Millionen Dollar in ein Schiff investiert und 16 Hektar Land für eine Werft am Ufer des Victoriasees gekauft hat, ohne eine Lizenz für die Baggerarbeiten zu haben.

Letztlich beschuldigt er die Umweltbehörde der Rufschädigung. „Dabei holen wir neben Sand und Geröll doch auch den Abfall wie alte Plastiktüten aus dem See“, rühmt er sich: „Die wollen sicher nur Geld – wir kennen die Ugander“, sagt er und meint damit die Bestechungsmentalität.

Industrieller Sandabbau ist kontraproduktiv

„Diese Chinesen lügen wie gedruckt“, seufzt Jerome Lugumira und knallt einen 300 Seiten dicken Bericht auf seinen völlig überfüllten Schreibtisch: der Beweis, dass Mango Tree tatsächlich im Sandgeschäft tätig ist. Der für Böden und Rohstoffe zuständige Abteilungsleiter in der Umweltbehörde NEMA ist Ugandas führender Sandwissenschaftler. Er war 2016 von seinem Professorenstuhl an einer amerikanischen Universität zurückgerufen worden, als die Regierung die ersten Beschwerden von Bezirksvorsteher Bwanika erreichten. Seitdem versucht Lugumira, jedem ausgebaggerten Sandkorn nachzugehen: „Solange ich hier sitze und meinen Job mache, schwöre ich, wird niemand ungestraft unseren Sand abtransportierten“, sagt er und schlägt den dicken Bericht auf. „Antrag auf eine Umweltverträglichkeitsuntersuchung für das geplante Sandabbauprojekt der Mango-Tree-Gruppe“, steht auf dem Deckblatt; eingereicht am 30. August 2016. Darunter hatte Lugumira später mit rotem Kugelschreiber gekritzelt: „abgelehnt“.

Fünf Tage hatte der Sandforscher zur In­spek­tion auf dem großen Boot mit dem Namen „Mango Tree“ verbracht. Er zeigt Fotos: Tausende Kubikmeter purer, feiner Sand im Rumpf des gigantischen Schiffes. Für Lugumira der Beweis, dass die Chinesen keine Wasserstraßen freibaggern: „Wenn sie tatsächlich baggern würden, würden sie Geröll, Gestein und tatsächlich Müll ausheben“, sagt er: „Doch das ist reiner Sand.“ Er zeigt weitere Fotos: das Förderband, das den Sand aus dem Rumpf des Schiffs ans Seeufer transportiert; Sandberge am Festland, die mit Schaufelbaggern abgetragen werden; überladene Lastwagen, die Sand abtransportieren. „Die Beweise sind klar“, so Lugumira: „Die Chinesen pumpen Sand aus dem See. Und das ist illegal.“

Bis heute kreuzt das Schiff im See umher und pumpt Sand ab. Bootsman Katongele sieht es regelmäßig rund um die vielen Inseln umherschiffen, weit weg vom Festland. Jüngst wurde es sogar nahe dem internationalen Flughafen und dem Präsidentenpalast in der Stadt Entebbe gesichtet und von den Leibwächtern des Präsidenten beschossen. Industrieller Sandabbau im See sei „kontraproduktiv“ und untergrabe die Anstrengung der Regierung, die Fischbestände vor dem Aussterben zu bewahren, so Lugumira.

Vor einem Jahr hatte die Regierung alle Fischereilizenzen suspendiert, die Marine verhaftet seitdem Fischer, die illegal Netze auswerfen. Das Ziel: Die Fischbestände sollten sich erholen. Doch wenn jetzt der Sandabbau vorangeht, „dann gehen die Fischbestände noch weiter zurück, weil die Eier im Sand abgetötet werden“, so Lugumira.

Zu Beginn des Jahres hatte NEMA mithilfe der Polizei Patrouillen auf dem See unternommen, um den Sandabbau zu stoppen und die Arbeiter zu verhaften. „Doch vergeblich“, berichtet Lugumira. Mit eigenen Augen habe er gesehen, wie schwer bewaffnete Soldaten die Sandhaufen und das Schiff von Mango Tree begleiten. Gegen sie kann die Polizei nichts ausrichten. Auch er spricht, wie Bezirksvorsitzende Bwanika von hohen Generälen, die „die Sandmafia schützen“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen