Sonntag eröffnet Union die neue Saison: Viel Geduld vorausgesetzt
Union Berlin wollte in der letzten Saison den Aufstieg erzwingen – und fand sich im Abstiegskampf wieder. Mit neuem Trainer sind die Töne jetzt demütiger.
Um Union vor der neuen Saison zu beschreiben, drängt sich mitunter Ikarus auf. Nicht, weil der zu nahe an die Sonne hinauf flog. Union ist eher ein Ikarus im Geiste. Der Köpenicker Zweitligist war vergangene Spielzeit ein beständig quasselnder Visionär, ununterbrochen vom geplanten Höhenflug kündend. Ein seltsam nervöser, unruhiger, selbstherrlicher Schatten seiner selbst, dem vor lauter Blick zur Sonne die Flügel so schwer wurden, dass er hilflos am Boden kleben blieb. In die erste Liga wollte Präsident Dirk Zingler, jetzt und sofort. Er glaubte, dass Union das unbedingt können müsse – und das war eben nicht der Fall.
Im Prinzip ist an Sehnsucht nichts verwerflich: Einem Fußballverein wird ja öffentlich abverlangt, jedes Jahr immer höhere Ziele zu formulieren. Das Ikarus-Syndrom ist gewissermaßen Berufskrankheit. Weil man in der vorvergangenen Saison lange um den Aufstieg mitspielte, schien ein Pflichtaufstieg nur logisch, die sportlichen Limits des Teams verkennend.
Union Berlin ist dabei hart gelandet. Zerzaust steht der Zweitligist nun vor einer neuen Saison, die eine nächste Chance bietet, aber ganz praktisch auch Fragen: Wohin jetzt eigentlich?
Union-Kapitän Felix Kroos hat kürzlich im Trainingslager einigen Berliner Zeitungen ein bemerkenswertes Interview gegeben. „Ich glaube, dass wir als ganzer Verein viele Fehler gemacht und uns vielleicht auch deutlich überschätzt haben. Das passt nicht zu Union.“ Man habe sich auf der eigenen Qualität ausgeruht und zu wenig Verantwortung übernommen. „Wir müssen wieder mehr als Einheit auftreten.“ Sinnige Wünsche.
Der Neue ist Schweizer
Schwer wiegt dabei die immer noch nebulöse Entlassung von Trainer Jens Keller im letzten Winter. Keller, maßgeblicher Architekt des Erfolges, der bei drei Punkten Rückstand auf die Aufstiegsränge gehen musste. Mannschaft und Fans wirkten geschockt. Ob die Verantwortlichen schlicht völlig die Lage verkannten, nervös wurden oder nicht öffentliche Gründe eine Rolle spielten, bleibt unklar. Fest steht: Selbstüberschätzender verhielt sich zu dem Zeitpunkt kein Zweitligist.
Der Traum Union Berlin ist aktuell mit dem Männerteam Zweitligist und damit im Fußball die Berliner Nummer zwei hinter Hertha BSC. Seit einigen Jahren schielt man auf die erste Liga. 2016/17 verpasste Union unglücklich den Aufstieg, in der darauffolgenden Saison landete man trotz Aufstiegsambitionen nur auf Platz 8. Offizielles Ziel ist jetzt eine Verbesserung.
Der Spielplan Union eröffnet die Saison am Sonntag (5. August) gegen Erzgebirge Aue. Am darauf folgenden Spieltag geht es direkt gegen den Absteiger 1. FC Köln. Im DFB-Pokal spielt Union am 19. August gegen Carl Zeiss Jena. (asc)
Dem Nachfolger André Hofschneider gelang wenig, die immer noch zum Aufstieg schielenden Unioner fanden sich im Abstiegskampf wieder. Und jeder neue Coach wird sich fragen müssen, wie viel Zeit er hier zugestanden bekommt.
Der neue Mann heißt Urs Fischer, ist ein 52-jähriger Schweizer, früher Fußballspieler, heute Trainer, und zuletzt zweifacher Meister und ein Mal Pokalsieger mit dem FC Basel geworden. Danach war er ein Jahr beschäftigungslos. Einer, von dem wenig klar ist.
Fischer tritt höflich und bedacht auf, sagt, ein Traum sei „in Erfüllung gegangen“, versprach in langsam wiegendem Schweizerdeutsch, an seinen Hochdeutsch-Kenntnissen zu arbeiten. Was man eben so tut, um einem neuen Verein ein wohliges Gefühl zu bereiten. Fußballerisch will man wohl einen offensiv-kreativen Stil fortsetzen: Fischer forderte zuletzt Ballbesitz, Mut zur Eigeninitiative, auch mal ein Eins-gegen-eins-Dribbling, dominantes Spiel. Das wären gute Voraussetzungen. – Eine zweite gute Voraussetzung wäre Geduld.
Felix Kroos, Union-Kapitän
Neues Personal geholt
In der Praxis ist vor dem Saisonstart gegen Erzgebirge Aue am 5. August noch einiges wacklig. Die Leistungsträger Toni Leistner und Kristian Pedersen sind nach England abgewandert, Torjäger Steven Skrzybski zu Schalke 04, und der zweite Erfolgsschütze Sebastian Polter ist nach langer Verletzung erst auf dem Weg der Genesung. Union hat durchaus neues Personal geholt: einige erfahrene Bundesligaspieler, aber auch Nachwuchstalente wie zuletzt den norwegischen U-Nationalspieler Julian Ryerson.
Vor eineinhalb Jahren, in der Beinaheaufstiegssaison 2016/17, sagte Dirk Zingler mal, man habe in der Regel zwei Jahre, um einen Aufstieg zu schaffen. Verbreitet ist die Meinung, danach breche die Mannschaft auseinander oder die Luft sei raus, auch die erhöhten Ausgaben müssen sich irgendwann decken. Und die aktuellen Absteiger gelten, wie sowieso immer, als die härtesten Konkurrenten aller Zeiten. Aber vielleicht kommt gerade die niedrige Erwartungshaltung einem Neuanfang sehr zugute.
Im Hinblick auf Ziele halten sich die Verantwortlichen derzeit irgendwo zwischen kleinlaut und bedeckt. „Die Stoßrichtung ist, erfolgreicher zu sein als in der letzten Saison“, sagte der neue Geschäftsführer Profifußball, Oliver Ruhnert. Letzte Saison stand am Ende Platz 8. Trotzdem soll es irgendwie schon in Richtung Aufstieg gehen, Fischer wünschte sich, „dass wir da ein Wörtchen mitreden“. Das harte Aufstiegsziel jedoch gilt vermutlich erst für die nachfolgende Saison.
Sammeln, finden, Demut lernen, damit dürften die Unioner erst mal genug zu tun haben. Ob die Chance zum Aufstieg für die gute, aber nicht sehr gute Mannschaft so schnell wiederkommt, darf man anzweifeln. Aber irgendwie galt für Union auch immer das „Lied vom Scheitern“ der Ärzte: „Du bist immer dann am besten, wenn’s dir eigentlich egal ist.“
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