: Straßen wie Moorleichen
Umweltverbände klagen gegen Bau der Küstenautobahn A 20 in Niedersachsen. Die Grünen sagen das Versinken der Straße im Moor voraus. Große Koalition will schnell bauen
Von Sven-Michael Veit
Einen sofortigen Planungsstopp für die Autobahn A 20 in Niedersachsen hat die dortige grüne Fraktion im Landtag gefordert. „Der Bau der A 20 und jede weitere Planung dazu sind unverantwortlich“, sagt ihr verkehrspolitischer Sprecher Detlev Schulz-Hendel. Er befürchtet ein Absacken der Autobahn wie in Mecklenburg-Vorpommern.
Dort ist, in Tribsees, die A 20 auf einer Länge von 100 Metern im moorigen Untergrund versunken. Die sogenannte Küstenautobahn (siehe Kasten) verläuft an dieser Stelle über eine Torflinse und ruhte auf in den Boden getriebenen Säulen. Die genaue Ursache für das Abrutschen der Autobahn ist noch immer unklar. „Moorböden sind unberechenbar“, sagt Schulz-Hendel.
Für den Abriss des zerstörten Teilstücks und den Bau einer Behelfsbrücke in Triebsees wurden inzwischen Bauaufträge im Wert von 13,6 Millionen Euro vergeben. Ob, wann und wie die Trasse vollständig wieder hergestellt wird, ist offen.
Kurze Lebensdauer prognostiziert
Auch in Niedersachsen soll die Autobahn über weite Strecken durch Moor- und Marschlandschaften mit bis zu 17 Meter tiefen Moorschichten laufen. Dies betrifft vor allem die Marschengebiete nördlich von Bremervörde sowie die Jader Marsch und das Hankhauser Moor westlich der Weser. Auch an diesen Stellen sei „ein Absacken der Autobahn nicht auszuschließen“, sagt Schulz-Hendel.
Zudem habe eine Kosten-Nutzen-Analyse ergeben, dass die Lebensdauer dieser Autobahn-Abschnitte lediglich zehn statt der üblichen 20 bis 25 Jahre betragen dürfte. Damit drohten über die veranschlagten 2,6 Milliarden Euro Baukosten hinaus erhebliche Mehrkosten durch häufigere Reparatur- und Wartungsarbeiten, fürchtet Schulz-Hendel. Die A 20 sei deshalb „aus ökonomischer Sicht eine verkehrspolitische Geisterfahrt“ und zudem „eines der umweltschädlichsten Straßenprojekte in Deutschland“.
So sieht das auch der Umweltverband BUND, der deshalb beim Bundesverwaltungsgericht Klage gegen den Abschnitt eins der geplanten Trasse eingereicht hat. Der 13 Kilometer lange Abschnitt im Ammerland zwischen Westerstede und Rastede ist der erste von acht Abschnitten in Niedersachsen, für dessen Umsetzung die Landesverkehrsbehörde am 16. April 2018 einen Plan verabschiedet hatte. „Die A 20 fördert den klimaschädlichsten Verkehrsträger überhaupt – die Straße „, sagt Heiner Baumgarten, Vorsitzender des BUND Niedersachsen. Damit ignoriert sie die nationalen und internationalen Klimaschutzziele in eklatanter Weise“.
Die Vorschläge des BUND seien von der Behörde einfach übergangen worden, sagt Baumgarten, „obwohl damit eine landesweit bedeutende Landschaft mit zahlreichen nationalen und europäischen Schutzgebieten erhalten bleiben könnte“. Auch die Vorsitzende des BUND in der Region Ammerland, Susanne Grube, empört sich: „Die Planer schrecken nicht einmal davor zurück, geschützte Biotope für Ausgleichsmaßnahmen zu zerstören.“
Der niedersächsische Naturschutzbund (Nabu) unterstützt die Klage. „Als besonders gravierend sehen wir die Zerschneidung des alten und wertvollen Waldes bei Garnholt an“, sagt deren Vorsitzender Holger Buschmann. Dieser Wald sei außerordentlich artenreich, was sich zum Beispiel in dem besonderen Fledermausvorkommen widerspiegele. Gerade Fledermäuse seien aber durch Straßenverkehr stark gefährdet. Wegen unzureichenden Schutzes der Fledermaus-Population im Kalkberg von Bad Segeberg hatte das Bundesverwaltungsgericht bereits 2013 den Bau der A 20 mitten in Schleswig-Holstein gestoppt – neue und gerichtsfeste Pläne gibt es auch fünf Jahre später noch nicht.
Eine weitere Problemautobahn: Die A 39
Auch gegen den geplanten Ausbau der Autobahn A 39 gehen die beiden Umweltverbände vor. Der BUND hat nach eigenen Angaben Klage gegen den ersten Teilabschnitt beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht, der Nabu unterstützt ihn dabei. Der Schritt vor Gericht sei nötig, weil auch hier alle Einwände seit Beginn der Planung von den Entscheidungsträgern ignoriert worden seien.
Die A 20 ist eines von zehn Verkehrsprojekten „Deutsche Einheit“. Sie soll den ostdeutschen Ostseeküstenraum an das westdeutsche und europäische Verkehrsnetz anbinden.
Mit einer geplanten Länge von 541 Kilometern ist die A 20 der längste zusammenhängende Neubau einer Autobahn seit 1945. In Betrieb sind bislang 345 Kilometer.
Das Bundesverwaltungsgericht stoppte 2013 den Bau der nächsten Etappen, weil der Schutz der größten Fledermauspopulation im Bad Segeberger Kalkberg von den Planern nicht beachtet worden war.
Als Entwurf geplant ist der Weiterbau nordwestlich um Hamburg herum und ein Elbtunnel zwischen Glückstadt und Drochtersen in Niedersachsen.
Westlich von Drochtersen soll die A 20 zwischen Bremen und Bremerhaven die Weser unterqueren und bei Westerstede an der A 28 enden.
Der Neubau der Autobahn 39 auf 105 Kilometern zwischen Wolfsburg und Lüneburg ist das umstrittenste Verkehrsprojekt der Region. Betroffene Landkreise befürchten, ohne den Bau in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt zu werden. Zudem soll der Verkehr auf der A 2 zwischen Hannover und Berlin durch den Bau entlastet werden. Kritiker hingegen befürchten Umweltschäden und ausufernde Kosten. Sie fordern stattdessen etwa den Ausbau der Bundesstraße 4.
Vor zwei Jahren hatte der Ausbauplan zu einem Koalitionskrach zwischen den damaligen rot-grünen Regierungsparteien geführt. Im aktuellen Koalitionsvertrag von SPD und CDU wird dem Bau jedoch eine „zentrale Bedeutung für die Stärkung der Verkehrsinfrastruktur“ zugeschrieben. Für die Große Koalition in Hannover gehört der Ausbau der A 39 zu den Projekten, die zügig vorangetrieben werden sollen. Die voraussichtlichen Gesamtkosten belaufen sich nach amtlichen Schätzungen auf etwa 1,1 Milliarden Euro.
Zudem will Niedersachsen für die Planung neuer Straßen die Abläufe und die Zusammenarbeit von Behörden und Verbänden verbessern. Damit es schneller geht, sollen die Ressourcen der Straßenbau- und Verkehrsbehörde gestärkt werden, kündigte Verkehrsminister Bernd Althusmann (CDU) an. Bei den Beratungen zum Haushaltsentwurf 2019 hat die Regierung deshalb eine kräftige Erhöhung der Finanzmittel für Dienstleistungen externer Ingenieur- und Vermessungsbüros beschlossen: Diese Mittel werden 2019 um 20,4 Millionen Euro auf 64 Millionen Euro erhöht. Darüber hinaus soll die Straßenbaubehörde für zwei Jahre rund 19 zusätzliche Stellen erhalten.
Althusmann rechnet trotz der Klagen mit einem zügigen Baustart der Autobahnen 20 und 39. „Ich bin zuversichtlich, dass der Zeitplan der A39 nicht gefährdet wird“, sagt er. Falls es im Einzelnen noch unberücksichtigte Belange von Umwelt- und Naturschutz gebe, könnten diese in der Feinjustierung der Planung noch berücksichtigt werden. Althusmann ist unbesorgt:. „Der Bau der A 39 wird kommen.“ Mit dem Baubeginn rechnet er Mitte kommenden Jahres.
Auch bei der Küstenautobahn A 20 befürchtet Althusmann keine Verzögerungen durch die Klagen vor dem Bundesverwaltungsgericht. „Auch dort wird noch in diesem Jahr mit bauvorbereitenden Arbeiten begonnen“, ist er sich sicher.
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