piwik no script img

Kommentar #MeTwoMehr als nur ein weiterer Hashtag

Lin Hierse
Kommentar von Lin Hierse

Über #MeToo wird nach bald einem Jahr noch immer gestritten. #MeTwo könnte der nächste Hashtag sein, der einen Nerv trifft und lange nachhallt.

Einfach mal aufmerksam lesen, statt gleich dagegenzuschreiben: #MeTwo zeigt Rassismus im Alltag Foto: reuters

K ann eine Revolution mit einem Hashtag starten? Revolution ist ein sehr großes Wort, die meisten Hashtags sind schnell vergessen. Und doch sind wichtige Diskussionen aus den unscheinbaren Rauten entstanden: Über #MeToo wird nach bald einem Jahr seit Entstehung noch immer gestritten. Der Hashtag #MeTwo könnte der nächste sein, der einen Nerv trifft und lange nachhallt.

Den Menschen, die unter #MeTwo ihre Geschichten teilen, ist lange klar: Deutschland hat ein Rassismusproblem – und das nicht erst seit der Debatte über Mesut Özils Rücktritt aus der Fußballnationalmannschaft. Trotzdem scheinen viele überrascht und fühlen sich zu Unrecht beschuldigt. Rassismus in Deutschland? Gibt es nicht.

Wenn der jüngste Diskurs um Özil eines gezeigt hat, dann ist es diese schmerzliche Unfähigkeit, in einer emotional aufgeheizten Debatte einen Schritt zurückzutreten, zu differenzieren und einfach mal zuzuhören.

Dass über Alltagsrassismus in Deutschland öffentlich gesprochen wird, ist absolut überfällig. Noch überfälliger ist allerdings eine Grundhaltung, die Selbstreflexion und Selbstkritik zulässt. Die nicht sofort abblockt, wenn das Wort Rassismus fällt. Eine Grundhaltung, die erlaubt, dass wir uns hinterfragen und von denen hinterfragen lassen, die Deutschland nicht als weltoffen und freiheitlich erleben. Die Privilegierten sind gewohnt, einen geschützten Platz für Stimme und Person vorzufinden. Wer privilegiert ist, muss nicht zwingend lernen, ernsthaft zuzuhören.

Es ist zum Schreien

Die Erfahrungen der von Rassismus und Diskriminierung betroffenen Menschen sind kein Angriff auf eine angeblich intakte deutsche Gesellschaft. Sie zeigen, dass es längst eine krasse Diskrepanz gibt zwischen dem Deutschland der Weißen und dem Deutschland der als migrantisch, also in irgendeiner Form als fremd markierten Menschen in diesem Land.

#MeTwo ist keine Revolution, aber doch mehr als ein weiterer Hashtag. Denn Tausende von Beiträgen über Rassismuserfahrungen in Deutschland öffnen einen Raum, in dem die Anklage endlich das Wort hat. Hier darf gefälligst auch mal geschrien werden, weil es zum Schreien ist, dass bei allem Gerede um Integration und Vielfalt bis heute der Wille fehlt einzusehen, dass Deutschsein nichts mit Geburtsort oder Aussehen zu tun hat.

Die Tweets unter #MeTwo zu lesen macht betroffen, wütend, macht vielleicht auch Angst. Aber das Lesen spaltet nicht – wie KritikerInnen gern behaupten, um den Diskurs zu drehen. Es kittet, wenn wir es endlich richtig machen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Lin Hierse
taz-Redakteurin
Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Nach ihrem Debüt "Wovon wir träumen" (2022) erschien im August ihr zweiter Roman "Das Verschwinden der Welt" im Piper Verlag.
Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • Viel Kraft und Ausdauer Ihnen, dass Sie weitermachen! Rassismus ein Stück weit weiter einreißen!

    "Die Tweets unter #MeTwo zu lesen macht betroffen, wütend, macht vielleicht auch Angst. Aber das Lesen spaltet nicht – wie KritikerInnen gern behaupten, um den Diskurs zu drehen. Es kittet, wenn wir es endlich richtig machen."



    Das denke ich auch. Die Spaltung ist doch längst da! Sie wird durch solche Kommentare nur deutlicher sichtbar. Es unter der Decke zu halten, ist Heuchelei, die langfristig mehr Schaden anrichtet.

  • Ich: deutsch, im Osten aufgewachsen, im Westen studiert, im Ausland gelebt, nie Probleme wegen Herkunft gehabt, auch im Ausland gut integriert gewesen. 2007 nach insgesamt 17 Jahren nach Sachsen, meine Heimat, zurückgekehrt. Dort als "Wessie" angesehen worden, den man nicht braucht und will, nach Offenlegung von Herkunft und Werdegang als "Verräter" und "Nestbeschmutzer" gegolten.



    Deutschen mit Migrationshintergrund geheiratet, Kind bekommen, öffentlich als "Ausländerhure" beschimpft. Anzeige erstattet, Ermittlungen eingestellt, man solle das nicht so eng sehen, wäre alles nur ein Spaß gewesen.



    Auf dem Schulhof meines Kindes ist Hitlergruß salonfähig, "Nazi" ein erstrebenswerter Titel der Anerkennung unter Schülern. Seitens der Verantwortlichen: "Dumme-Jungen-Streiche", darf man nicht so ernst nehmen.



    Auf Arbeit: systematische Diskriminierung ausländischer Patienten und Mitarbeiter, Zusatzqualifikation "Interkulturelle Kompetenz" darf, obwohl von der Firma bezahlt, nicht angewendet werden.



    2015: Viele Flüchtlinge, unterschiedliche ehrenamtliche Hilfe meinerseits. Der Lohn: Anfeindungen, persönliche Bedrohungen, zerstochene Autoreifen, Hakenkreuze im Lack. Anzeige, Ermittlungen eingestellt.



    Sachsen, 2007 bis 2018: Alltagsdiskriminierung gegen alle, die nicht ins Schema passen, auch eigene Landsleute. Integriert und zugehörig fühle ich mich hier, wo eigentlich meine Heimat sein sollte, bis heute nicht.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    "weil es zum Schreien ist, dass bei allem Gerede um Integration und Vielfalt bis heute der Wille fehlt einzusehen, dass Deutschsein nichts mit Geburtsort oder Aussehen zu tun hat."

    Deutschland als Nationalstaat hatte stets mit Geburtsort oder Aussehen zu tun. Wer glaubt, dies ließe sich durch ein bisschen Gedöns aus der Welt schaffen, hat gaaanz blaue Augen und ist auch wahrscheinlich gaaanz blond (ohne dabei Deutscher sein zu müssen) :-).

    Aber auch wenn der Wille fehlt, ist das noch lange kein Rassismus. Überhaupt könnte man ja von strukturellem Rassismus auch nur reden, wenn Deutsche mit dem sogenannten Migrationshintergrund von Rechts oder Amts wegen benachteiligt werden. Dies zu behaupten, wäre indes unzutreffend.

    Und zum "Gerede um Integration": haben nicht unsere Politiker und Medien immer nur die Bürde des Integrierens jenen aufgelastet, die in das "weiße" Deutschland eingewandert sind? Ich habe selten gehört, dass wir "Bio-Deutsche" an der Integration der Einwanderer zu arbeiten hätten. Dieses Integrationsgeschwafel, das bis heute den Muff der Kohl-Jahre atmet und mittlerweile bräunlich riecht, ist wirklich endlich abzustellen. In einer offenen, freien Gesellschaft kann es keine Integration geben (allerhöchstens "Inklination").

    Nehmt einander an, wie ihr seid! Dann klappts auch mit dem Einsiedler, dem Aussiedler und dem Einwanderer. Aber ständig an Dingen rumzunörgeln, die ohne eine Umwälzung der Gesellschaft nicht zu ändern sind, schafft nur noch mehr von dem denunzierten Immergleichen.

    • @849 (Profil gelöscht):

      Spielen Sie auf die Nationbegründung an? Siehe auch:



      "Deutschland



      1. Arndt, Jahn und die Deutschtümler



      von Léon Poliakov"



      www.emanzipation.eu/poliakov.htm



      "Überhaupt könnte man ja von strukturellem Rassismus auch nur reden, wenn Deutsche mit dem sogenannten Migrationshintergrund von Rechts oder Amts wegen benachteiligt werden. Dies zu behaupten, wäre indes unzutreffend."



      Wie meinen Sie das? Es gäbe in Deutschland keinen Rassismus seitens des Staates - sowohl im Agieren als auch in Form von Gesetzen?

      Zur Integration - kennen Sie die Aktion der politischen Gruppe Kanak Attak?



      www.youtube.com/watch?v=Gwdy_GAPBJQ



      ;)

  • Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass es sich hierbei um eine Eliten-Diskussion handelt. Keine meiner Freunde mit Migrationshintergrund hat von dem Hashtag auch nur gehört. Dies ist sicher nur eine selektive Wahrnehmung. Aber was ich vor allem wahrnehme, sind Debattenbeiträge von Intellektuellen zu diesem Thema. Alle meine Freund türkischer Abstammung sind zudem auch Mitglied einer ethnischen Minderheit, die in der Türkei selbst knallharten Rassismus erleben. Vielleicht liegt es an diesem Whataboutism, dass sich deren Erfahrung mit Alltagsrassismus in Deutschland in sehr engen Grenzen hält - es gibt halt immer noch sehr viel schwerwiegendere Beispiele aus dem Land der Vorfahren.

    • @casio:

      Özils Statement wird gesellschaftlich in der Breite diskutiert - auch seitens People of Color.

  • Diskriminierung ist das Problem, wie fast immer.



    Rassismus ist nur ein Teil davon.



    Menschen aufgrund iherer Hautfarbe und Herkunft als privilegiert zu bezeichnen ist diskriminierend.

    Denn der "weiße" Obdachlose "Deutsche" dem ich gerde ein Brötchen in der Bahn gegeben habe, ist definitiv nicht priviligiert.

    #Metwo lenkt den Focus immer nur auf einzelne kleine Bereiche und vergisst dabei leider das große ganze.

    • @Fallenangel85:

      Sie sind auf einen intersektionalen Ansatz aus? Wie das aber verfolgen, wenn Rassismus nicht erkannt und bekämpft wird, wie es u.a. den Tweets zu entnehmen ist? Wie soll dann Diskriminierungen einer behinderten Woman of Color verstanden und bekämpft werden?

  • Ja, wir sollten tatsächlich einmal die Karten auf den Tisch legen und vorbehaltlos das Thema Alltagsrassismus diskutieren.



    #MeTwo ist dabei aber kontraproduktiv, da jetzt schon klar ist, dass ALLE Deutschen kollektiv unverbesserliche Alltagsrassisten sind. Genau wie bei #MeToo, wo ALLE Männer Sexisten waren und sind, bzw. bauartbedingt per se potentielle Vergewaltiger. Stimmt sicher in Teilen, aber was macht das mit den Vielen, die es offensichtlich nicht sind?



    Merke deshalb: Wenn etwas wieder einmal sowas von sonnenklar ist, dass man es sich hätte eh schon denken können, sei misstrauisch, auch wenn es sich nicht Mainstream anfühlt!

    ...Sie zeigen, dass es längst eine krasse Diskrepanz gibt zwischen dem Deutschland der Weißen und dem Deutschland der als migrantisch, also in irgendeiner Form als fremd markierten Menschen in diesem Land...

    Hallo? Deutschland der "Weißen"? Schaltet bitte mal einen, oder besser gleich zwei Gänge runter. Ein #HashTag Twitter-Tweet, dass weis seit Trump auch der Allerdümmste, ist nicht mehr das Medium für die Aufarbeitung eines derart ernstzunehmenden Themas.

    Wir bleiben jetzt alle erstmal schön ruhig und versuchen normal miteinander zu reden, denn genau das haben wir offensichtlich die letzten Jahrzehnte nicht gemacht.



    Dabei klären wir in vernünftigem Ton, warum es der gemeine Deutsche nicht schafft, andere Deutsche als solche anzuerkennen und ebenso wertzuschätzen wie sich selbst, egal woher sie vielleicht einmal kamen und wir klären, warum es Deutsche gibt, die nicht recht wissen ob sie sich als solche bezeichnen sollen oder wollen, nur weil sie noch Verwandtschaft im Ausland haben.

    • @Weidle Stefan:

      "#MeTwo ist dabei aber kontraproduktiv, da jetzt schon klar ist, dass ALLE Deutschen kollektiv unverbesserliche Alltagsrassisten sind. Genau wie bei #MeToo, wo ALLE Männer Sexisten waren und sind, bzw. bauartbedingt per se potentielle Vergewaltiger."



      Wer hat das wo wann behauptet?

  • Im Großen und Ganzen geht der Beitrag in Ordnung, aber:

    "der Wille fehlt einzusehen, dass Deutschsein nichts mit Geburtsort oder Aussehen zu tun hat"

    Ich komme ja aus einer anderen Generation, aber für mich war immer die Ablehnung des Deutschseins wichtig, eben weil jedeR, der/die sehen wollte, immer schon sehen konnte, wie rassistisch Deutschland ist. Mitunter schwingt in den rassismusbezogenen Debatten in der taz dieser für mich kaum nachvollziehbare Wunsch nach Zugehörigkeit mit, aber wer bitte will den zu den Deutschen gehören? brrr!

    Außerdem ist die Aussage soziologisch naiv. Der Rekurs auf den "Willen" verbirgt meiner Ansicht nach nur, dass der kritische Diskurs keine Übersetzung in politische Maßnahmen findet: da muss dann eben ein Kultur- und Sprachwandel der Unwilligen her. Billig zu fordern, aber schwer zu realisieren das Ganze. Und die aufreibenden, potentiell spaltenden Diskussionen um das Für und Wider einzelner Maßnahmen muss man so erst gar nicht führen.

  • 9G
    99960 (Profil gelöscht)

    Letztlich geht es bei #metwo doch einfach wieder nur darum, zu fordern. Wann beginnen die Leute, sich zu emanzipieren und Verantwortung zu übernehmen für die Welt in der sie leben? Und wer bestimmt eigentlich wer zu den Privilegierten gehört und wer nicht? Darf ich als voll assimilierteres Einwandererkind aus der Mittelschicht Ansprüche geltend machen? Wird es dafür auch ein behördliches Feststellungsverfahren geben? Darf ichm wenn ich als Privilegierter identifiziert bun auch Diskriminierungen geltend machen oder ist das dann eine unberechtigte Relativierung?

    • @99960 (Profil gelöscht):

      Relativierung!