„Lifeline“-Kapitän vor Gericht: Wenn Leben retten strafbar sein soll
Die Staatsanwaltschaft wirft dem „Lifeline“-Kapitän vor, das Schiff sei nicht korrekt registriert worden. Ihm droht eine Haftstrafe von einem Jahr.
Der hatte am 27. Juni das Rettungsschiff „Lifeline“ der deutschen Organisation Mission Lifeline in den Hafen von Valletta gesteuert. An Bord waren rund 230 MigrantInnen und Flüchtlinge, die meisten aus dem Sudan, Somalia und Eritrea, dazu 17 deutsche Besatzungsmitglieder. Sechs Tage war das Schiff zuvor auf dem Mittelmeer blockiert worden, die Situation für einige der Menschen war lebensgefährlich.
Die Staatsanwaltschaft von Valletta wirft dem am vergangenen Montag auf Kaution freigelassenen Reisch vor, das Rettungsschiff sei nicht korrekt in den Niederlanden registriert gewesen. Mission Lifeline weist dies zurück. Die in Dresden ansässige NGO glaubt, dass Maltas Regierung die Seenotretter aus politischen Gründen verfolgt.
Fraglich ist, warum den maltesischen Behörden die angeblich nicht korrekte Registrierung erst jetzt auffiel: Die „Lifeline“ wurde schon im vergangenen August gekauft – es handelt sich um das ehemalige Rettungsschiff Sea Watch 2 – und lag seither im Hafen von Valletta. Sie durfte ein- und ausfahren, ohne dass es je Beanstandungen gegeben hätte. Reisch droht nun ein Jahr Haft, das aber wohl zur Bewährung ausgesetzt würde.
Am Donnerstag traten zunächst nacheinander drei Polizisten und Küstenwächter als Zeugen auf. Sie beschrieben, wie sie mit Reisch kommuniziert hatten und erläuterten, dass die für die Koordination des „Lifeline“-Einsatzes zuständige Rettungsleitstelle MRCC in Rom der „Lifeline“ die Einfahrt nach Italien verweigert hatte. Gleichzeitig habe Reisch nicht akzeptiert, dass die Libyer die Zuständigkeit für den Fall übernehmen sollten. Reisch habe jedoch weiter Malta und Italien um Aufnahme der Menschen gebeten.
Anschließend trat Ivan Sammut, ein Beamter des maltesischen Schiffsregisters, in den Zeugenstand. Der behauptete, das die „Lifeline“ „staatenlos“ sei. Das Schiff sei zwar in den Niederlanden bei einem „Yachtclub“ gemeldet, damit aber nicht für den internationalen Verkehr unter niederländischer Flagge registriert.
Reischs Anwalt Cedric Mifsud protestierte: Dies könne ein maltesischer Beamter gar nicht beurteilen. Daraufhin brüllten sich der Anwalt Mifsud und der Richter, Joe Mifsud, minutenlang an.
Reisch wurde die auf maltesisch geführte Verhandlung übersetzt. Nach zwei Stunden vertagte der Richter auf den kommenden Dienstag. Einen Antrag der Verteidigung, den Prozess zu unterbrechen, damit Reisch seine 92-jährige Mutter besuchen kann, lehnte das Gericht ab.
„Alle wollen, dass der Prozess ein schnelles Ende hat“, sagte Reisch. „Die Insel ist schön, aber ich will hier nicht länger bleiben.“ Er habe Familie, seine hochbetagte Mutter feiere bald Geburtstag, da wolle er zu ihr dürfen. Er sei nicht vorbestraft, habe mit den Behörden zusammengearbeitet und alle Fragen beantwortet. Zudem sei er bereit, zurückzukommen und sich auch dem Rest der Verhandlung zu stellen. „Wie kann es sein, dass Leben retten eine Straftat ist?“ fragte Reisch.
Während der Verhandlung protestierten AktivistInnen vor dem Gerichtsgebäude in der Fußgängerzone. Wo Tausende Touristen entlang flanierten, breiteten sie Leichensäcke auf dem Boden aus, auf die sie die Zahl der Ertrunkenen allein in der vergangenen Woche gesprüht hatten: 500.
„Sehr seltsam“ sei die Behauptung, das Schiff sei „staatenlos“ gewesen, sagte einer von Reischs Anwälten nach der Verhandlung. Die Verteidigung will nun Vertreter des niederländischen Schiffsregisters als Zeugen laden. „An die haben wir sehr interessante Fragen“, sagte der Anwalt.
Derweil landete am Donnerstagmorgen ein Flugzeug mit 52 der Geretteten der „Lifeline“ auf dem Flughafen Paris Charles de Gaulle. Malta hatte die „Lifeline“ nach der tagelangen Blockade nur deshalb in den Hafen gelassen, weil insgesamt neun EU-Staaten erklärt hatten, einen Teil der Menschen aufzunehmen. Die Verantwortung untereinander aufzuteilen, sei möglich und könne auf „menschliche und effektive“ Art und Weise übernommen werden, twitterte Maltas Premier Joseph Muscat.
In den letzten Jahren hatten fast alle privaten Seenot-NGOs in Malta ihr Basislager errichtet und waren mit den Behörden gut ausgekommen. Allerdings wurden die auf See Geretteten schon seit Jahren nicht mehr in den winzigen Inselstaat Malta gebracht – der näher an Libyen liegt – sondern nach Italien. Genau dies aber blockiert seit einigen Wochen Italiens rechtsextremer Innenminister Matteo Salvini. Malta gibt den Druck auf die Seenotretter direkt weiter: Sie dürfen nicht mehr auslaufen. Dabei sind allein im zentralen Mittelmeer in den letzten vier Wochen 564 Menschen ertrunken.
Am Samstag will die Initiative seebruecke.org in mehrere deutschen Städten für ein Ende der Blockade der Seerettung demonstrieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Unwetterkatastrophe in Spanien
Vorbote auf Schlimmeres
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Schließung der iranischen Konsulate
Die Bundesregierung fängt endlich an zu verstehen
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn
Jaywalking in New York nun legal
Grün heißt gehen, rot auch
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln