piwik no script img

„Lifeline“-Kapitän vor GerichtWenn Leben retten strafbar sein soll

Die Staatsanwaltschaft wirft dem „Lifeline“-Kapitän vor, das Schiff sei nicht korrekt registriert worden. Ihm droht eine Haftstrafe von einem Jahr.

„Lifeline“-Kapitän Claus-Peter Reisch vor dem Gerichtsgebäude in Valletta Foto: Christian Jakob

Valletta taz | Seit dem Vormittag hatten Fotografen und Kameraleute vor dem Gerichtsgebäude in Maltas prächtiger Hauptstadt auf Claus-Peter Reisch gewartet. Kurz vor halb zwölf betrat der deutsche Kapitän aus Landsberg in Bayern, gekleidet in ein kariertes Sakko, das Gerichtszentrum. Konsularbeamte und ein Team von Anwälten begleiteten ihn. Im Saal 24 begann der zweite Verhandlungstermin des Prozesses gegen Reisch.

Der hatte am 27. Juni das Rettungsschiff „Lifeline“ der deutschen Organisation Mission Lifeline in den Hafen von Valletta gesteuert. An Bord waren rund 230 MigrantInnen und Flüchtlinge, die meisten aus dem Sudan, Somalia und Eritrea, dazu 17 deutsche Besatzungsmitglieder. Sechs Tage war das Schiff zuvor auf dem Mittelmeer blockiert worden, die Situation für einige der Menschen war lebensgefährlich.

Die Staatsanwaltschaft von Valletta wirft dem am vergangenen Montag auf Kaution freigelassenen Reisch vor, das Rettungsschiff sei nicht korrekt in den Niederlanden registriert gewesen. Mission Lifeline weist dies zurück. Die in Dresden ansässige NGO glaubt, dass Maltas Regierung die Seenotretter aus politischen Gründen verfolgt.

Fraglich ist, warum den maltesischen Behörden die angeblich nicht korrekte Registrierung erst jetzt auffiel: Die „Lifeline“ wurde schon im vergangenen August gekauft – es handelt sich um das ehemalige Rettungsschiff Sea Watch 2 – und lag seither im Hafen von Valletta. Sie durfte ein- und ausfahren, ohne dass es je Beanstandungen gegeben hätte. Reisch droht nun ein Jahr Haft, das aber wohl zur Bewährung ausgesetzt würde.

Reisch droht nun ein Jahr Haft, das aber wohl zur Bewährung ausgesetzt würde

Am Donnerstag traten zunächst nacheinander drei Polizisten und Küstenwächter als Zeugen auf. Sie beschrieben, wie sie mit Reisch kommuniziert hatten und erläuterten, dass die für die Koordination des „Lifeline“-Einsatzes zuständige Rettungsleitstelle MRCC in Rom der „Lifeline“ die Einfahrt nach Italien verweigert hatte. Gleichzeitig habe Reisch nicht akzeptiert, dass die Libyer die Zuständigkeit für den Fall übernehmen sollten. Reisch habe jedoch weiter Malta und Italien um Aufnahme der Menschen gebeten.

Anschließend trat Ivan Sammut, ein Beamter des maltesischen Schiffsregisters, in den Zeugenstand. Der behauptete, das die „Lifeline“ „staatenlos“ sei. Das Schiff sei zwar in den Niederlanden bei einem „Yachtclub“ gemeldet, damit aber nicht für den internationalen Verkehr unter niederländischer Flagge registriert.

Reischs Anwalt Cedric Mifsud protestierte: Dies könne ein maltesischer Beamter gar nicht beurteilen. Daraufhin brüllten sich der Anwalt Mifsud und der Richter, Joe Mifsud, minutenlang an.

Reisch wurde die auf maltesisch geführte Verhandlung übersetzt. Nach zwei Stunden vertagte der Richter auf den kommenden Dienstag. Einen Antrag der Verteidigung, den Prozess zu unterbrechen, damit Reisch seine 92-jährige Mutter besuchen kann, lehnte das Gericht ab.

„Alle wollen, dass der Prozess ein schnelles Ende hat“, sagte Reisch. „Die Insel ist schön, aber ich will hier nicht länger bleiben.“ Er habe Familie, seine hochbetagte Mutter feiere bald Geburtstag, da wolle er zu ihr dürfen. Er sei nicht vorbestraft, habe mit den Behörden zusammengearbeitet und alle Fragen beantwortet. Zudem sei er bereit, zurückzukommen und sich auch dem Rest der Verhandlung zu stellen. „Wie kann es sein, dass Leben retten eine Straftat ist?“ fragte Reisch.

Während der Verhandlung protestierten AktivistInnen vor dem Gerichtsgebäude in der Fußgängerzone. Wo Tausende Touristen entlang flanierten, breiteten sie Leichensäcke auf dem Boden aus, auf die sie die Zahl der Ertrunkenen allein in der vergangenen Woche gesprüht hatten: 500.

Wo Tausende Touristen entlang flanierten, breiteten Aktivisten Leichensäcke auf dem Boden aus, auf die sie die Zahl der Ertrunkenen allein in der vergangenen Woche gesprüht hatten: 500

„Sehr seltsam“ sei die Behauptung, das Schiff sei „staatenlos“ gewesen, sagte einer von Reischs Anwälten nach der Verhandlung. Die Verteidigung will nun Vertreter des niederländischen Schiffsregisters als Zeugen laden. „An die haben wir sehr interessante Fragen“, sagte der Anwalt.

Derweil landete am Donnerstagmorgen ein Flugzeug mit 52 der Geretteten der „Lifeline“ auf dem Flughafen Paris Charles de Gaulle. Malta hatte die „Lifeline“ nach der tagelangen Blockade nur deshalb in den Hafen gelassen, weil insgesamt neun EU-Staaten erklärt hatten, einen Teil der Menschen aufzunehmen. Die Verantwortung untereinander aufzuteilen, sei möglich und könne auf „menschliche und effektive“ Art und Weise übernommen werden, twitterte Maltas Premier Joseph Muscat.

In den letzten Jahren hatten fast alle privaten Seenot-NGOs in Malta ihr Basislager errichtet und waren mit den Behörden gut ausgekommen. Allerdings wurden die auf See Geretteten schon seit Jahren nicht mehr in den winzigen Inselstaat Malta gebracht – der näher an Libyen liegt – sondern nach Italien. Genau dies aber blockiert seit einigen Wochen Italiens rechtsextremer Innenminister Matteo Salvini. Malta gibt den Druck auf die Seenotretter direkt weiter: Sie dürfen nicht mehr auslaufen. Dabei sind allein im zentralen Mittelmeer in den letzten vier Wochen 564 Menschen ertrunken.

Am Samstag will die Initiative seebruecke.org in mehrere deutschen Städten für ein Ende der Blockade der Seerettung demonstrieren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • ist auch offensichtlich so, das Maltas Regierung irgend politischen Druck der `rechtslastigen´EU erdulden muss, und obendrein als kleiner EU Inselstaat zu begrenzt ist?



    Es ist ja nun ne´ "Seerechtliche Pflicht" , Menschen, die in Seenot geraten sind , zu retten! Juristisch problematisch wirds dann, wenn die Schiffbrüchigen ihre Seenot bewusst in Kauf genommen haben um ihrem mörderischen Heimatkontinent zu entfliehen, und durch Seenotrettung ein hoffnungsvolles Lebensdasein in einem anderen Kontinent zu erreichen! Die bewusst riskierte Seenot der Flüchtlinge endet oftmals im Tod durch Ertrinken, und auch in "Rettung" durch libysche Schiffe, und so Rückführung in libysche Tortur..



    Die seltsame Tragik besteht m.E. darin, das die einstmals moralisch- menschenrechtlichen Ansprüche der EU im Mittelmeer absaufen und sterben ! Im Namen der Wohlstandsideologie der bornierten EU..



    Der Kapitän und die Besatzung der kleinen "LIFELINE" haben, m.E. eine Seemännische und moralische Meisterleistung vollbracht die geflohenen Menschen sicher am Leben zu erhalten und an Land zu bringen!

  • Gegen Seenotrettung ist nichts einzuwenden, so lange diese nicht als Schlepperdienst fungiert. Deswegen sollten gerettete Afrikaner auch nicht nach Europa gebracht werden. Denn einen auf See gerettete Europäer würde man auch nicht auf einen anderen Kontinent transportieren.

    • @Nikolai Nikitin:

      Klar, dass es jetzt darum geht, dem Kapitän etwas 'anzuhängen'; schliesslich ist es der Öffentlichkeit kaum vermittelbar, dass es strafbar sei, Menschen auf hoher See zu retten.



      Dass diese noble Aktion ursächlich für die nächsten Seenot sein wird, ist von den jetzigen Rettern zwar wohl gewollt, aber sie nehmen es in Kauf.



      Die Vorstellung ist wohl, dass man den Druck auf die Politiker, die gegen Immigration sind, (Horst und seine Freunde) mit einer solchen Aktion erhöhen kann



      Käme es im Anschluss dann zu einem richtigen Fiasko, sind halt diese Politiker schuld.



      Die nächsten Opfer sind dann ein Kollateralschaden für eine gute Sache.

      • @Dr. Robert:

        @Dr.Robert



        Das sind Unterstellungen: wenn sein Schiff nicht korrekt gemeldet ist, ist das seine Verantwortung. Und er hat sich auch geweigert nach Libyen zu fahren, von dort kamen die Geretteten.

      • @Dr. Robert:

        korrigiere "zwar wohl nicht gewollt"

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...Merkel's Werk.

  • Nehmen wir doch mal an, eine deutsche Bundeskanzlerin - wie immer sie auch heißen mag - würde mal beim maltesischen Premier anrufen; ach, ein Traum!

    • @Lapa:

      Warum Traum? Das ist das Ergebnis dieses Anrufs.

      • @Hakuna Matata:

        Also doch ein Traum. Ein Alptraum.